Herrenpartie (1964)

Szenenfoto

Annotation

Herrenpartie (1964)von Wolfgang Staudte: Ein westdeutscher Männerchor gerät in ein jugoslawisches Frauendorf – Überlebende eines NS-Massakers konfrontieren die Besucher. Staudte inszeniert ein moralisches Experiment über Schuld, Verdrängung und Gruppendruck – ohne Gewaltschau, mit nachhaltiger Wucht.

Der Film ist nicht nur eine Erzählung über eine Reise, sondern ein komplexer medientheoretischer Kommentar zur deutschen Nachkriegsgesellschaft und ihrer verdrängten NS-Vergangenheit.

Regie: Wolfgang Staudte
Drehbuch: Werner Jörg Lüddecke
Kamera: Nenad Jovicić
Schnitt: Carl Otto Bartning
Musik: Zoran Hristić

DarstellerInnen
Hans Nielsen (Baurat Friedrich Hackländer)
Götz George (Student Herbert Hackländer)
Gerlach Fiedler (Redakteur Otmar Wengel)
Friedrich Maurer (Studienrat Karl Samuth)
Reinhold Bernt (Fernfahrer Willi Wirth)
Rudolf Platte (Buchhändler Werner Drexel)
Herbert Tiede (Inspektor Ernst Sobotka)
Gerhard Hartig (Kunsthändler Kurt Siebert)
Mira Stupića (Miroslava)
Olivera Marković (Lia)
 

Produktionsfirma: Neue Münchener Lichtspielkunst GmbH (Neue Emelka) (München), Avala Film (Belgrad)
Herstellungsleitung: Rüdiger von Hirschberg
Produktionsleitung: Willy Egger, Nikola Kurilić
Aufnahmeleitung: Peter Müller
Erstverleih: Schorcht Filmverleih GmbH (München)
Dreharbeiten: 05.10.1963 – 15.11.1963: Montenegro
Länge: 2523 m, 92 min
Format: 35mm, 1:1,37
Bild/Ton: s/w, Mono
Uraufführung: 27.02.1964, Köln, Rex am Ring

Ein deutscher Männergesangverein unternimmt in den 1960er‑Jahren eine Busreise ins beliebte Urlaubsland Jugoslawien. Als ihnen unterwegs das Benzin ausgeht, geraten sie in ein abgelegenes Dorf, das ausschließlich von Frauen bewohnt wird.

Bald wird klar, warum: Eine an der Dorfwand hängende Bekanntmachung aus der Zeit der deutschen Besatzung belegt, dass sämtliche männlichen Bewohner im Zweiten Weltkrieg in einer Vergeltungsaktion der Wehrmacht erschossen wurden. Die Frauen verweigern den deutschen Touristen jede Hilfe – weder Benzin noch Wasser werden herausgegeben.

Die Männer reagieren mit Unverständnis, Dünkel und latent militärischer Abwehrhaltung. Sie richten sich in der verlassenen Dorfpension ein, singen alte Soldatenlieder und „requirieren“ schließlich ein Schaf, das sie schlachten.

Daraufhin eskaliert die Situation: Auf Anweisung ihrer Wortführerin Miroslava stürzen die Frauen den Bus der Deutschen in eine Schlucht. Später versucht Miroslava, die Männer bei ihrem Marsch ins nächste Dorf durch eine Sprengung zu töten, lässt jedoch davon ab, um ein Mädchen aus dem Dorf nicht zu gefährden.

Im Verlauf der angespannten Begegnung treten die NS‑Vergangenheiten und gegenwärtigen Abhängigkeiten der Männer zutage. Nur der junge Herbert und ein Journalist – beide ohne Nazi‑Vergangenheit – zeigen Verständnis für das Leid der Dorfbewohnerinnen.

Als sich die Männer in den Bergen verirren, werden sie von den Frauen gerettet. Miroslava will sie bei der Rückkehr erschießen, verzichtet aber im letzten Moment.

Der Bewertungsausschuß hat den Film als Spielfilm kein Prädikat zuerkannt.

Begründung

Der Ausschuß verkennt nicht die starken, überzeugenden Leistungen des Regisseurs Wolfgang Staudte in der Führung der jugoslawischen Frauen. Auf dieser Seite des Konfliktes hat Staudte sich des Stils der antiken Tragödie bedient und diesen Stil mit großem Geschick filmisch abgewandelt. Die statuarische Anlage der Massenregie hat manche Bildfolgen von beträchtlicher Ausdruckskraft ergeben. Auch verschiedene Einzelszenen zwischen den Frauen in Dorf verraten die Handschrift einer beachtlichen Regiebegabung.

Nicht von ungefähr erwähnt der Ausschuß zuerst die unbestreitbaren Vorzüge des Films, denn sie sind mit dessen Schwächen aufs engste verknüpft. Es ist nämlich weder dem Drehbuch noch der Regie gelungen, dieser Welt der Tragödie eine auch nur annähernd ebenbürtigen Welt gegenüberzustellen. Dabei hätte die Ebebürtigkeit durchaus negative Züge haben können. Da nun aber der deutsche Gesangsverein ausschließlich von seiner spießbürgerlichen Seite her gezeigt…

Auf Grund des Widerspruchs der SCHORCHT – Filmges.m. b. H. München, vom 20. Februar 1964 gegen den Bescheid der Filmbewertungsstelle vom 18. 2. 1964 hat der Film ,, Herrenportie“ – teilweise mit deutschen Untertiteln Prüf. No. 9540 in einer Lönge von 2523 m dem Hauptausschuß in Originalfassung
in der 114. Hauptausschußsitzun zur Begutachtung vorgelegen. (…)

Der Hauptausschuß hat sich dem Gutachten des Bewertungsausschusses
angeschlossen und dem Film ols Spielfilm kein Prödikot zuerkannt.

Begründung:

Die Diskussion über die vielfältigen Probleme, die dieser Filmaufwirft, ist durch das ausführliche Gutachten des Bewertungsausschusses bereits soweit voran getrieben worden, daß der Houptousschuß einige Resultote als gesichert annehmen kann.

Vorweg sei erklärt, daß  der Hauptausschuß sowohl die Bedeutsamkeit des Problems wie die Ernsthaftigkeit des filmischen Unternehmens anerkannt
und sie in seine Erwägungen mit einbezogen hat. Zu seinem Bedauern konnte der Ausschuß sich doch nicht zur Verleihung des Prädikats entschließen.

Daß die Gruppe der jugoslwischen Frauen stark stilisiert, fast statuarisch im Sinne der antiken Tragödie, erfaßt ist, daß dagegen die eigentliche ,,HERRENPARTIE“, nämlich die deutschen Touristen, einer davon völlig unterschiedenen Darstellungsform überlassen wurde, ist zwischen dem Bewertungsausschuß und den Ausführungen des Antragstellers nicht strittig. Das Argument des Antragstellers, der deutsche Kleinbürger sei von der Konzeption des Drehbuchs her als ein Typus Mensch erfaßt, der psychischer Reaktion überhaupt nicht fähig sei, mag in der Theorie zutreffen, im Film selbst, d. h. in der Konfrontation mit den Frauen, ergibt sich folgendes: Die Sangesbrüder gehören durchweg einem satirisch erfaßten naturalistischen
Typus an, der nach der offensichtlichen Charakterisierung durch das Drehbuch den heute lebenden durchschnittlichen Kleinbürger der Bundesrepublik bezeichnen soll. Hierzu stellt der Hauptausschuß in Übereinstimmung mit dem Bewertungsausschuß fest, daß der Typ des ehemaligen Nozis so einseitig burlesk-karikaturistisch erfaßt ist, daß der heute lebende Betrachter sich mit
diesem Typus nicht identifizieren kann und keinerlei Zwang empfindet, sich mit ihm zu identifizieren. Wenn der Widerspruch erklärt, das sei volle Absicht
gewesen, so muß er den Einwand zur Kenntnis nehmen, daß die burleske überspitzte Karikatur unverbindlich bleibt und nicht geeignet ist, zeitkritische
Bezüge verbindlich zu machen.

Es wäre vielleicht denkbar gewesen, daß eine gewisse karikaturistische
Stilisierung maßvoll und transparent so angelegt worden wäre, daß sie den
Betrachter des Films engagiert. Der Hauptausschuß hat den Eindruck, daß die stellenweise bis zum Klamauk und Ulk getriebene Darstellung der Teilnehmer der Herrenpartie solche Möglichkeiten verbaut. Eine auf zeitkritische Wirkung
angelegte Satire ist nur dann künstlerisch überzeugend, wenn sie einen Kern Wirklichkeit enthält und durch scharfe Profilierung unter Umständen durch
Überzeichnung oder teilweise Verzeichnung, einen kritischen Kern differenziert deutlich werden läßt. Was die ein Schaf ohne Salz, aber unter reichlichen Beigaben von Sliwowitz verzehrenden Sangesbrüder treiben, ist – der Ausschuß stellt das mit Bedauern fest – im Zusammenhang mit dem gestellten Thema ins Lächerliche verzerrt, ärgerlich und ohne Belang.

Der Film erspart dem Betrochter Peinlichkeiten nicht. Rudolf Platte vermag, um ein Beispiel zu nennen, die Festlegung auf das seit langem geübte Klischee des törichten Charakterkomikers nicht zu vermeiden. An dem jungen Mann (Götz George) wird vollends deutlich, daß dos Drehbuch mangels eines Stils das Thema ,,Vergangenheitsbewöltigung“ glatt verfehlt. Während der junge Mann
sich abseits halt und Gesinnung demonstriert, benehmen sich die Väter eher albern und töricht als unbelehrbar, verstockt oder raffiniert, wie es vom Drehbuch her gemeint gewesen sein könnte. Die Karikatur trifft in der Gesamtanlage und Darstellung bis in die Kostümierung hinein nicht den Typ, der sich heute getroffen fühlen sollte. ,,Demokratische“ Tarnung, ein gewisser Wohlstandshabitus, eine gewisse Versiertheit, mit schwierigen Situotionen des Lebens fertig zu werden, die diesen ,,Trotteln“ fehlt, würden den Film glaubwürdig machen. Die Satire geht ins Leere, in die Farce. Solche ,,Ehemaligen“ gibt es nicht. Die Karikatur ist so ins Possenhafte verflacht, daß sie die politisch-moralischen Wirkungen, die auch die Karikatur, und gerade sie, überzeugen müßte, verfehlt.

Moanche Dialoge halten sich peinlich am Klischee und ergeben einen neuen Widerspruch zum Darstellungsstil, da sie ideell hochgegriffen sind. Auf Seiten der schwarzgewandeten Frauen, die im strengen Tragödienstil choreographisch geführt werden, ergibt sich gegen Ende in der Auflösung auch ein gewisser Verlust an Stil. Die einsame Miroslava wird streckenweise ins Melodromotische geführt.

lm Entwurf gezeichnet: Korn
(Dr. Korl Korn) Vorsitzender


Zitiert aus: Film und Fernsehen 9/1986, S 33

Das eigene Nest beschmutzen?

Als der Krieg glücklich verloren war, da war das eigene Nest hoffnungslos verdreckt
von oben bis unten. Und da kein revolutionäres Großreinemachen stattfand,awurde der Dreck versteckt, so gut es ging, aber er blieb im eigenen Nest…

Die aber, die sich diese Zeit dennoch nahmen und den Dreck aus den eigenen Ecken hervorzukehren suchten, es waren gottlob nicht wenige, mußten oft auf den Dank des  Vaterlandes verzichten und erfahren, daß ihr politisches Reinlichkeitsbedürfniseben von jenem Kommentar begleitet wurde, der der Anlaß zu diesen Zeilen ist: Der beschmutzt ja sein eigenes Nest!

Schon bald nachdem der Film DIE MÖRDER SIND UNTER UNS uraufgeführt war, tauchte, wenn auch noch vergleichsweise zaghaft, dieser Vorwurf gegen mich auf. Heute weiß ich, daß der sorgenvolle Einwand vorwiegend von denen kam, die befürchten mußten, selbst zwischen Besen und Schaufel zu geraten.

Daß noch zwanzig Jahren die Mörder noch immer unter uns sind, aus Zuchthauszellen spazieren, Bundesverdienstkreuze erhalten, auf Minlstersessel gesetzt werden, besagt doch nichts anderes, als daß noch immer Schmutz im eigenen Nest ist, der beseitigt werden sollte. Wer sich aber dieser gewiß nicht immer dankbaren Arbeit unterzieht, erregt mancherorts Mißfallen auf seltsame, oft bedenkliche Art.

Er wird angesehen als fremder Vogel aus fremdem Nest, der schadenfroh krächzt: Seht, wie schmutzig euer Nest ist! Dabei ist es sein eigenes Nest und so auch sein eigener Schmutz.

Was nun aber jene betrifft, deren hastig renoviertes Nationalbewußtsein ins Wanken gerät und die sorgenzerfurcht über die ,,provisorischen“ Landesgrenzen blicken, denen ist mühelos nachzuweisen, daß Filme wie ROSEN FUR DEN STAATSANWALT oder KIRMES, die ich zu verantworten habe, dem deutschen Ansehen im Ausland mehr Achtung eingetragen haben als jene hoffnungslosen Versuche, deutsche Schuld in tragische Verstrickung umzudeuten.

Aber selbst der arme Heinrich Mann mußteaes sich gefallen lassen, daß vor dem UNTERTAN ein Titel lief, der etwa besagte, daß das Gonze nicht so böse gemeint sei, und es sich hier gewissermaßen um die Darstellung eines Einzelfalles handele. Spießbürgerliche Bedachtsamkeit, nicht das eigene Nest zu beschmutzen, hat hier zu bewußter Verfälschung  geführt. Auch Hitler war ein Einzelfall. Aber sein Ungeist hat Europa in Brand gesetzt. Und von der idiotischen ldeologie des,,Herrenmenschen“ bis zur überheblichen Phrase wilhelminischer Prägung vom deutschen Wesen, an dem die Welt genesen sollte, ist nur ein kurzer Weg zurück.

Politische Filme sind ein Stück Geschichtsdarstellung der Gegenwort. Sofern sie Kunst sind, werden sie parteiisch sein, herausfordernd und subjektiv, aber immer anteilnehmend und besorgt um den Zustand des,,eigenen Nestes“.

Der Film HERRENPARTIE, der als deutscher Beitrag an den Start geht, ist ein solcher
Film. Eine satirische Attacke gegen politische lnstinktlosigkeit deutscher Touristen in ehemals besetztem Gebiet. Auf der anderen Seite aber wendet er sich auch gegen betonierten Deutschenhaß, gegen Unversöhnlichkeit und späte Rache. Nicht nur die Täter, auch die Opfer haben eine Vergängenheit zu bewältigen, und wir, denke ich, haben alle Ursache, ihnen dabei zu helfen. Daß es solche lnstinktlosigkeit hierzulande gibt, kann bei
einer Handvoll Spießbürgern wohl nicht bezweifelt werden, wenn Minister Reden halten können, die politisches Porzellan so laut zerschlagen, daß man das Scheppern selbst im Pentagon noch hört!
– Sicher sind es nicht die Filme, die das eigene Nest beschmutzen. (1964)

zitiert nach: Film und Fernsehen Heft 9/1986, S. 40/41

Einführung und methodischer Rahmen

Detlef Endeward (2025)

Die folgende Analyse nähert sich Wolfgang Staudtes Herrenpartie (1964) in der Perspektive einer historisch‑kritischen Filmanalyse. Sie verknüpft die Dimensionen des Raum‑Zeit‑Kontinuums – dargestellte Zeit, Produktionszeit, Rezeptionszeit – mit einer inneren und äußeren Quellenkritik, öffnet eine Vergleichsperspektive zu aktuellen dokumentarischen Arbeiten wie DIENSTBEREIT  (2013) und GANZ NORMALE MÄNNER (2022) und reflektiert die Ethik der Erinnerung, insbesondere die Visualisierung von Täterakten im Verhältnis zu Opferstimmen. Durchgehend wird der Film als Quelle gelesen: als Text, der seine Geschichte konstruiert und zugleich ein historisches Gedächtnisangebot an seine Gegenwart und an spätere Rezipientinnen und Rezipienten formuliert. Methodisch stützt sich diese Lektüre auf das didaktische Modell, das Film als eigenständiges Raum‑Zeit‑Kontinuum begreift und die verschränkte Betrachtung von Produktions‑, Text‑ und Rezeptionskontext verlangt. In diesem Sinn sind innere Quellenkritik (Gestaltungsmittel, Wertungen, Leitmotive) und äußere Quellenkritik (Herkunft, Produktionsbedingungen, Auftrag, politisch‑ökonomische Lage) keine nebeneinanderliegenden Schubladen, sondern kommunikativ miteinander verbunden: Wie der Film erzählt, ist untrennbar mit den Bedingungen verbunden, in denen er erzählt wird und in denen er gehört wird.

Analyse

Herrenpartie erzählt auf den ersten Blick eine scheinbar schlichte Handlung: Ein deutscher Männerchor gerät auf einer Reise in Jugoslawien in ein Dorf, das von Frauen bewohnt ist, nachdem die Wehrmacht im Krieg die Männer des Ortes erschießen ließ. Aus der Begegnung entwickelt sich eine Eskalation der Spannungen, die in Aggression, Vergeltungsimpulsen, Rettung und im letzten Moment abgebrochener Gewalt kulminiert. Schon der Plot zeigt, dass Staudte eine Versuchsanordnung wählt: Er verdichtet die Nachwirkungen des Krieges auf einen abgegrenzten Raum (das Dorf) und auf eine begrenzte Gruppe (der Chor), sodass sich Haltungen, Erinnerungen, Verdrängungen und Machtspiele ungeschönt zeigen können. Die dargestellte Zeit des Films ist ambivalent: Sie zeigt das “Jetzt” der frühen bis mittleren 1960er Jahre im jugoslawischen Kontext, in dem deutsche Touristen zu Konsumenten, Besucherinnen und Besuchern fremder Räume werden, und zugleich das “Damals” der Besatzungszeit, dessen sichtbares Dokument in der Bekanntmachung an der Dorfwand fortlebt. In dieser Gleichzeitigkeit von Gegenwart und Vergangenheit entfaltet Staudte sein Thema: Der Krieg ist nicht vorbei, wenn seine Spuren im Raum eingeschrieben sind und wenn die Rituale der Tätergesellschaft – Kameradschaft, Sang, wechselseitige Bestätigung – weiterhin soziale Wirklichkeit strukturieren.

Die innere Quellenkritik von Herrenpartie beginnt bei seinen Gestaltungsmitteln. Es ist kein Film, der eine Off‑Erzählstimme einsetzt, die seine Botschaft didaktisch erklärt. Stattdessen legt Staudte die Wertung in die Mise‑en‑scène, in das Schauspiel, die Tonspur und die Montage. Das Singen des Chors fungiert als doppeldeutiges Signum: Einerseits steht es für bürgerliche Geselligkeit, Vereinswesen, die harmlose Seite der Nachkriegsgesellschaft, die ihren Wohlstand mit Kulturzeichen begleitet. Andererseits schwingt in der Klangfarbe des Männergesangs – getragen, homogen, stolz – ein Klang der Kameraderie mit, der in Deutschland mit soldatischem Habitus zwischen den Kriegen und im Nationalsozialismus verknüpft war. Wenn die Männer alte Lieder anstimmen, markiert der Film die kulturelle Kontinuität, die nicht zwischen dem ästhetischen Genuss und der Geschichte des nationalen Klangs trennt. Der Gesang wird damit zu einem Kommentar über die Normalität, in der sich die Vergangenheit fortsetzt: nicht als explizite Parole, sondern als Selbstverständlichkeit, als unreflektierte Geste.

Die Kamera beobachtet diese Gruppe nicht voyeuristisch, sondern komponiert Bilder, die die Binnenhierarchien sichtbar machen. Wer entscheidet? Wer fällt laut auf, wer bleibt still? In den Gesten, Blicken, den kleinen Handlungen – wer zunächst mit Frauen verhandelt, wer abwiegelt, wer provoziert – spiegelt sich eine Sozialordnung, die an das Kollektivvertrauen der Männer appelliert und Abweichungen sanktioniert. Hier investieren die Szenen der “Requirierung” – das Schaf, das geschlachtet wird – besonderes Gewicht: Sie sind mehr als ein Übergriff aus Not; sie reinszenieren eine Besatzungslogik, in der das Recht des Stärkeren, der Zugriff auf Ressourcen der “Anderen”, die Aneignung des Fremden selbstverständlich ist. Staudte zeigt diesen Akt nicht als isoliertes Ereignis, sondern montiert ihn als Scharnier der Eskalation: Der Diebstahl des Lebensmittels steht für den Diebstahl des Lebens. Er ruft die Erinnerung an die Vernichtungslogik auf, nicht in Bildern der Vernichtung, sondern in Bildern der Selbstermächtigung.

Die Frauen des Dorfes sind als Figuren nicht symmetrische Spiegelbilder der Männer. Sie sind nicht einfach die “Guten” im moralischen Schema, sondern in der Logik des Films Subjekte der Erinnerung, die Widerstand organisieren, verweigern, bestrafen, retten. Miroslava als Wortführerin ist komplex gezeichnet: Sie kennt den Impuls zur Rache, sie kennt das Kalkül, das Taktieren, und sie kennt die Grenze, an der Rache die Unschuld der eigenen Gemeinschaft oder die Zukunft gefährdet. Ihr Entschluss, nicht zu sprengen – um ein Mädchen nicht zu gefährden – artikuliert Staudtes zentrales Bild für die Ethik der Erinnerung: Erinnerung ohne Rache ist schwer, aber möglich; sie verlangt eine Selbstbegrenzung der Gewalt, die aus dem Wissen um Leid entspringt. Zugleich zeigt der Film, wie leicht die Männer in vertraute Rollen fallen: in Abwehrhaltung, in strukturiert männliche Selbstsicherheit, in die Sprache des Anspruchs. Die kleine Figur des “Herbert”, der Jüngste, fungiert als Kontrastfolie, ein Versprechen: Vielleicht ist eine Generation möglich, die nicht in die Pose der Rechtfertigung fällt, die hören kann. Der Journalist – eine Figur der Reflexion – ist Mitläufer und Beobachter zugleich; sein Dazwischen markiert die prekäre Rolle des Intellektuellen in einer sozialen Formation, deren Primärloyalität dem Kollektiv gilt.

Diese innere Logik der Figuren ist eng an die filmischen Mittel gebunden. Staudte nutzt das Dorf als Kammerspielraum unter offenem Himmel: Die geschlossene Topografie ersetzt das Theaterspiel mit einer dichten Landschaftsdramaturgie. Wege, Plätze, die Dorfwand mit dem Aushang, der Bus, die Pension: Jeder Ort ist körperlich konkret und semantisch aufgeladen. Der Verlauf der Wege spiegelt den Verlauf der Argumente: Annäherung, Rückzug, Umwege, Sackgassen. Wenn die Frauen den Bus in die Schlucht stoßen, ist das kein reines Spektakel, sondern ein ikonischer Akt der Entwertung eines Symbols: Der Bus, das Gefährt der deutschen Mobilität, des Reisens, der Freizeit, verliert seinen Status als unschuldiges Objekt; er wird zum sichtbaren Körper des Eindringens, der Vernutzung, der Macht. Dass sein Sturz in die Tiefe den Männern nicht unmittelbar die physischen Konsequenzen bringt, ist entscheidend: Der Akt bleibt Symbol und Grenze, nicht Blutbad. Er verschiebt die Machtbalance, er zwingt zur Demut, er rettet die Möglichkeit der Verständigung am Ende.

Dass Staudte sich der Ironie bedient, ist kein bloßes Stilmittel; es ist ein politischer Zugriff. Ironie ist hier die Distanzierung, die dem Publikum erlaubt, Mechanismen zu erkennen, statt sich mit einer Figur voll zu identifizieren. Die ironischen Untertöne – die Selbstzufriedenheit der Männer, die Absurdität ihrer Rituale im Angesicht des Ortes, die Diskrepanz zwischen Selbstbild (Reisende, Musikfreunde) und Fremdwahrnehmung (Angehörige einer Tätergesellschaft) – destabilisieren moralische Gewissheiten. Dieses Verfahren ist verwandt mit Staudtes früherem Arbeiten, das häufig mit Kontrasten, satirischen Zuspitzungen und moralischen Parabeln arbeitet, um die Beharrlichkeit gesellschaftlicher Muster zu zeigen. Herrenpartie ist, trotz gelegentlicher Komik, ein Film, der seine Figuren nicht ausstellt, um sie zu verspotten, sondern um ihre Normalität als Problem freizulegen.

Innere Quellenkritik fragt, wie der Film Verantwortung rahmt: Wo argumentiert er explizit, wo implizit? Herrenpartie ist explizit in der Anzeige an der Wand: Der Fakt der Erschießungen ist im Filmtext verankert, als Dokument, das jeder sehen kann. Diese Setzung befreit die Frauen von der Beweislast; sie sind nicht “hysterisch” oder “nachtragend”, sie sind die Trägerinnen einer Wahrheit, die im Raum steht. Implizit wird argumentiert, wenn die Kamera die Männer in Ritualen zeigt, die ihre fortbestehende Selbstgewissheit markieren; wenn die Montage die Kontinuitäten zwischen Beschlagnahmung im Kleinen und Besatzung im Großen herstellt; wenn der Schnitt die Reaktionen der Frauen und Männer zueinander in Beziehung setzt und so ein Gespräch inszeniert, das zwischen den Zeilen verläuft. Auch die Entscheidung, keinen didaktischen Sermon zu liefern, sondern eine moralische Versuchsanordnung, ist eine implizite Argumentation: Der Film traut seinem Publikum zu, die Zeichen zu lesen – und hält es zugleich verantwortlich, die in den Zeichen angelegte Ethik zu akzeptieren oder abzulehnen.

Die äußere Quellenkritik richtet den Blick auf Produktionsbedingungen, Auftrag, Sende- und Aufführungszusammenhänge, politisch‑ökonomische Rahmen, um zu verstehen, wie diese Kontexte die Deutung prägen. Herrenpartie entstand 1964, im westdeutschen Filmklima einer Nachkriegsöffentlichkeit, die zwischen Verdrängung und schrittweiser Konfrontation mit der NS‑Vergangenheit oszillierte. Das war die Zeit der Frankfurter Auschwitz‑Prozesse (1963–1965), in der Zeugenschaft, Täterdiskurse, institutionelle Verantwortungen vermehrt Gegenstand der medialen und juristischen Auseinandersetzung wurden. Auch die Beziehungen zur Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien waren in den 1960er Jahren politisch bedeutsam: Jugoslawien hatte im Krieg eine starke Partisanenbewegung erlebt, der deutsche Vernichtungskrieg im Balkanraum war dort Teil lebendiger Erinnerung; zugleich gab es touristische Öffnungen, wirtschaftliche Kooperationen und eine komplizierte Position Jugoslawiens im Kalten Krieg. Dass Staudte ausgerechnet dort eine deutsche Reisegruppe auf ein Dorf der Kriegsfrauen treffen lässt, spiegelt die politischen und kulturellen Verflechtungen – und es spiegelt die neue Realität der westdeutschen Reisefreiheit, des expandierenden Tourismus, der das “Fremde” konsumierbar macht.

Für die äußere Quellenkritik ist zudem Staudtes Biografie relevant: Er war einer der zentralen Regisseure, die schon in der unmittelbaren Nachkriegszeit eine filmische Auseinandersetzung mit der NS‑Vergangenheit suchten (Die Mörder sind unter uns, 1946). Seine spätere Arbeit bewegte sich zwischen West und Ost, zwischen populären Formaten und politisch zugespitzten Stoffen. Herrenpartie ist in diesem Werkzusammenhang zu lesen als Fortführung einer Frage: Wie zeigt man die Persistenz von Tätermentalitäten, ohne zu generalisieren, ohne didaktische Holzhammer? Der Film wählt eine kleine Gruppe als Modell und die Begegnung als Verfahren, er setzt auf die Ambivalenz, nicht auf die Eindeutigkeit – und stellt doch normative Sätze auf: Dass Gewaltkette und Stolzspirale durchbrochen werden müssen; dass Erinnerung unabdingbar ist; dass Schuld nicht verjährt, aber Verantwortung transformierbar ist.

Aus Sicht der Rezeptionszeit – also der Wirkung und Einordnung in den jeweiligen “Gegenwarten” der Zuschauerinnen und Zuschauer – lässt sich Herrenpartie als ein beweglicher Text begreifen. 1964 konnte der Film, je nach Publikum, provozieren, entlasten oder irritieren. Für manche mag er eine Zumutung gewesen sein, weil er den deutschen Selbstbildern der “anständigen, harmlosen Leute” (der Chorsänger) einen Spiegel vorhält, der die Kontinuitäten ihres Verhaltens offenbart. Für andere bot er eine Art Parabel, die das komplexe Verhältnis von Opfererinnerung und Tätergesellschaft in eine erträgliche Form fasste, weil sie auf Exzessbilder verzichtete und stattdessen die Moral in Beziehungssituationen legte. In späteren Jahrzehnten, in denen die Forschung zu Täterprofilen, zur institutionellen Kontinuität (etwa in den Ministerien der frühen Bundesrepublik) und zur Alltäglichkeit des Mitlaufens zunahm, konnte Herrenpartie als frühes Beispiel eines nicht‑dokumentarischen, aber analytischen Blicks auf Täterkulturen gelesen werden. Und heute, im Zeithorizont einer medial hoch verdichteten Erinnerungskultur, in der Dokumentarserien, Podcasts, Dossiers die NS‑Vergangenheit in viele Formate übersetzen, hat der Film eine eigentümliche Frische: Er zwingt zur Verlangsamung. Er lässt die Zuschauerinnen und Zuschauer im Dorf verbleiben, indem er die bequemen Fluchten versperrt – buchstäblich, als der Bus verschwindet – und in der topografischen Enge die moralische Weite erkundet.

Diese didaktischen Impulse raten, das Raum‑Zeit‑Kontinuum eines Films in die Unterrichtspraxis zu überführen: Die dargestellte Zeit ist in Herrenpartie nicht nur Kulisse, sondern Sinnstruktur; die Produktionszeit prägt die Perspektive; die Rezeptionszeit entscheidet über Anschlussfähigkeit, Kontroverse und Lernchancen. Daraus folgen konkrete Analysemöglichkeiten: Welche filmischen Mittel organisieren die Erinnerung im Raum? Welche sozialen Praktiken (Singen, Speisen, Aneignen, Befehlen) werden als Träger von Kontinuitäten sichtbar? Wo bricht der Film Erwartungen, und was beabsichtigt er damit? Und didaktisch auch: Wie positionieren sich Lernende zu einer Geschichte, in der keine positive Heldenfigur die Identifikation abnimmt? Dieses Modell betont, dass Filme eigene Raum‑Zeit‑Kontinua schaffen, deren Analyse Rückschlüsse auf gesellschaftliche Kontexte erlaubt, und dass innere und äußere Quellenkritik zusammengehören, um die Herkunft der Filmquelle und den gesellschaftlichen Zusammenhang zu bestimmen – Auftraggeber, Produktionszeit und ‑ort, Produzent, politisch‑ökonomische Umstände, zeitgenössische Rezeption.

Vergleichsperpektive

Im Vergleich zu dokumentarischen Arbeiten, die Täterbilder und Institutionenkontinuitäten explizit ausleuchten, gewinnt Herrenpartie seine Kritik nicht aus archivalischen Evidenzen, sondern aus der szenischen Verdichtung. DIENSTBEREIT (2013) – als pars pro toto für eine Reihe journalistisch‑historischer Dokumentationen, die die Verstrickungen von NS‑Belasteten in den frühen Bundesnachrichtendienst thematisieren – operiert anders: mit Akten, Interviews, Archivbildern, Expertenstimmen. Dort ist die Täterfigur vielfach entpersonalisiert und re‑institutionalisiert: Sie erscheint als Personalakte, als Personalfoto, als Eintrag im Organigramm, als Laufbahn. Die Kontinuität ist hier nicht psychologisch, sondern strukturell; sie ist ablesbar im “weiter so” des Dienstbetriebs, im Schutz durch Ministerien, in der politischen Rahmung. Der Film argumentiert explizit, durch Moderation, Kontextualisierung, Zitat; er positioniert sich durch die Auswahl seiner Quellen, die Sichtbarmachung von Auftrag und Sendeplatz (öffentlich‑rechtlicher Rundfunk), durch den Verweis auf die Historikerkommission und deren Befunde. Herrenpartie hingegen lässt die Institution außerhalb des Bildes, indem es die Sozialform “männliches Kollektiv” und deren Ethos zum Gegenstand macht: Bereitschaftsdienst im Feld der Symbole, wenn man so will. Beides sind zweckrationale Wege der Täteranalyse: Der eine zeichnet die bürokratische Kontinuität, der andere die habitusmäßige Kontinuität. Sie widersprechen sich nicht; sie ergänzen einander.

GANZ NORMALE MÄNNER (2022), in seiner Referenz auf das Browning‑Paradigma, zielt auf den Mechanismus der Täterschaft durch gewöhnliche Akteure: Reserve‑Polizeibataillone, Nachbarschaftsvernichtung, die Soziologie des Mitmachens. Als Dokumentarfilm bettet er Täterstimmen – sofern vorhanden –, Gerichtsakten, Fotos, Landschaftsaufnahmen der Tatorte und Expertenkommentare in eine Struktur, die Kausalität plausibilisiert und Muster der Gehorsamkeit, Konformität, Karrierelogik, Anti‑Semitismus und situativer Radikalisierung sichtbar macht. Er argumentiert explizit, indem er die Frage nach Verantwortung und Entscheidungsspielräumen stellt. Herrenpartie nimmt diese Frage auf die Ebene der Allegorie: Er zeigt, wie “gewöhnliche Männer” im Nicht‑Krieg, im touristischen Frieden, in kleineren Konflikten wieder in Muster fallen, die im Krieg zu Taten führten. Der Film vermeidet die direkte Darstellung von Vernichtungshandlungen; er zeigt die Schwelle. In dieser Vermeidung liegt eine ethische Entscheidung: Er schont nicht, sondern lässt den Blick auf das, was vor der Tat liegt – Haltung, Sprache, Geste. Und er zeigt, dass die Analyse des Davor didaktisch produktiv ist: Wer die Schwelle sieht, lernt, dass Tätermentalität nicht in der Exzesshandlung beginnt; sie beginnt im Selbstbild, im Kollektiv, in der wechselseitigen Versicherung, im Rechtfertigungsvokabular.

Aus Sicht einer Ethik der Erinnerung ist die Visualisierung von Täterakten stets riskant. Sie kann die Opferperspektive überblenden, sie kann trauma‑ästhetisch werden, sie kann im “Zeigen” das “Verstehen” ersetzen. Herrenpartie wählt einen Weg der Vermeidung und des Andeutens: Die Täterakte sind als Vergangenheit präsent, als Schrift, als Erzählung, als kollektives Gedächtnis der Frauen. Was gezeigt wird, sind Taten der Gegenwart, die analog funktionieren, aber ohne tödliche Konsequenz bleiben: das “Requirieren”, die Aggressionsrituale, der Bus in der Schlucht. Der Film stellt Opfererzählungen an den Anfang der moralischen Ordnung. Nicht indem er lang bevorstehende Monologe liefern lässt, sondern indem er die Frauen als Entscheidungsakteurinnen konfiguriert. Ihre ethische Praxis ist widersprüchlich – sie verweigern Wasser, sie stoßen den Bus, sie retten, sie verschonen – und gerade darin glaubwürdig. Diese Vielschichtigkeit verhindert eine moralische Monokultur, die die Opferfunktion auf Leid reduziert. Stattdessen werden die Frauen zu politischen Subjekten eines Dorfes, das seine Geschichte verteidigt.

Die innere Quellenkritik wird durch eine sprachliche Analyse vertieft: Welche Worte benutzen die Männer? Welche Euphemismen? Welche Abwertungen? Wenn in Herrenpartie Begriffe fallen, die mit dem Vokabular der Wehrmacht und der Besatzung spielen – “requirieren” statt “stehlen”, “Disziplin”, “Ordnung” – dann macht der Film diese Sprünge in der Sprache sichtbar. Sprache ist hier Handlung; sie macht die Welt, die sie bezeichnet. Auch die Anrede der Frauen (“die da”, “die Weiber”) kann als Rückfall in entmenschlichende Muster gelesen werden, die in Kriegszeiten weit brutaler waren. Der Film lässt solche Sprachspiele unkommentiert, aber er montiert sie mit den Reaktionen der Frauen, sodass ein Kontrapunkt entsteht, der die Herabsetzung als das entlarvt, was sie ist: eine Verteidigungsstrategie der Täterkultur gegen die Zumutung der Opfererinnerung. Gleichzeitig gibt es Momente der Offenheit – insbesondere in den Figuren von Herbert und dem Journalisten –, in denen Fragilität artikuliert wird: Zweifel, Beschämung, Bemühen. Diese Momente sind keine moralische Entlastung, sondern Lernmomente, in denen der Film das Publikum zur Identifikation mit der Möglichkeit der Abkehr einlädt.

Die äußere Quellenkritik verweist auch auf die Produktionslogik des westdeutschen Kinos der 1960er Jahre, das in mancher Hinsicht zwischen Unterhaltung und politischer Parabel oszillierte. Im Schatten der großen Studios und des entstehenden Fernsehens mussten Filme, die sich mit der Vergangenheit kritisch auseinandersetzten, ihr Publikum finden. Herrenpartie ist in seiner Dramaturgie “zugänglich”: Es hat einen Reiserahmen, es hat Humor, es hat Spannung. Diese Form bestimmt seine Deutung: Sie erlaubt, schwierige Inhalte einzuschleusen, ohne den Film in ein Nischenpublikum zu drängen. Gleichzeitig setzte Staudte auf das intellektuelle Publikum, das die Allegorien zu lesen wusste. Politisch‑ökonomisch ist die Frage, wer finanzierte und vertrieb den Film, nicht nebensächlich: Öffentlich subventioniertes Kino hatte andere Freiheiten und andere Pflichten als rein privat finanzierte Werke; Koproduktionen mit ausländischen Partnern brachten die Notwendigkeit, nationalen Empfindlichkeiten auszuweichen oder sie bewusst zu adressieren. Herrenpartie adressiert deutsche Empfindlichkeiten, indem er sie testet: Wie weit kann die Selbstkritik gehen, bevor das Publikum abwehrt? Der Film sucht diese Grenze – und tanzt auf ihr.

Der Vergleich mit DIENSTBEREIT und GANZ NORMALE MÄNNER hilft, die Spezifik von Herrenparties Täterbildern und Institutionenkontinuitäten zu schärfen. Dienstbereit zeigt die institutionelle Kontinuität als Systemleistung: ein Nachrichtendienst, der mit NS‑belastetem Personal arbeitet, in dem nicht nur einzelne Böse wirken, sondern in dem die Rationalität der Organisation – Informationsgewinn, antikommunistische Prioritäten, Bündnisintegration – die ethische Frage überformt. Der Täter ist hier die Struktur, das System der BRD in seinen frühen Jahren, das politische Leasing der Expertise der NS‑Apparate. Der Film nutzt den Gestus der Aufdeckung: Dokumente, Akten, Fotos. Er hat explizite Aussageintention: Er will zeigen, was war, und er will diese Vergangenheit in die Debatte der Gegenwart tragen. In dieser Form des Dokumentarischen ist die Verantwortung klar gerahmt; die Autorität liegt bei den Expertinnen und Experten, bei der Quelle, beim Archiv. Herrenpartie dagegen nimmt die Verantwortung in die Szene; er zwingt die Zuschauerinnen und Zuschauer, zu urteilen, wenn keine Expertin neben ihnen steht. Das ist riskant und didaktisch wertvoll: Es trainiert Urteilskraft, in einer Situation, in der die Üblichkeiten des Zwischenmenschlichen die Bildfläche dominieren und die großen Kategorien (Staat, Institution) aus dem Bild geraten.

GANZ NORMALE MÄNNER verschiebt den Blick auf die Mikroebene der Täterhandlung und deren psychologische, soziale und situative Logik. Seine zentrale Lehre – dass die meisten Täter eben nicht Sadisten, sondern ganz gewöhnliche Männer mit Wahlmöglichkeiten waren, die sich unter Gruppendruck, Ideologie, Autoritätsgehorsam und Karrierismus für die Tat entschieden – ist eine notwendige Irritation der bequemen Pathologisierung. Herrenpartie macht diese Lehre spielerisch sichtbar: Gruppe, Druck, Habitus – alles da, nur die tödliche Handlung fehlt. Der Film zeigt, dass die Moral nicht in den Ausnahmezuständen allein entschieden wird, sondern im Alltag, in Kleinigkeiten, wo die Bereitschaft, andere zu instrumentalisieren, zu entwürdigen, sich zu nehmen, was man will, zur Norm gemacht wird. In diesem Sinne kann Herrenpartie als Fiktion das bestätigen, was die Dokumentarfilme als These aussprechen: Täterkulturen sind Alltagskulturen; sie leben in Witzen, Liedern, Gesten, in Riten der Männlichkeit, in Gruppenlogiken.

Die Frage nach der Ethik der Visualisierung stellt sich in allen drei Formen. Dienstbereit und Ganz normale Männer müssen entscheiden, wie viel Bildmaterial gezeigt werden kann und darf: Fotos von Ermordeten, Tatorte, Leichname, Täterporträts. Jedes Bild hat eine Geschichte, jedes Bild birgt das Risiko der Übergriffigkeit, der Re‑Traumatisierung, der Sensationslust. Verantwortliche Dokumentationen kontextualisieren, begrenzen, setzen auf erklärende Stimme, ruhige Bewegung. Herrenpartie entzieht sich diesem Problem, indem er in die Gegenwart verlegt und Symbolhandlungen zeigt. Dieser Verzicht ist kein Ausweichen; er ist eine ästhetische Ethik, die im Medium des Spielfilms die Würde der Opfer dadurch schützt, dass sie ihr Leiden nicht bebildert, sondern als waltende Ordnung im Raum zeigt. Das kann als Zurückhaltung kritisiert werden – zu wenig Konkretion, zu viel Allegorie –, aber es kann auch als Haltung gewertet werden, die das Publikum vor voyeristischen Impulsen schützt und die Diskussion auf die Frage lenkt, wie wir heute miteinander umgehen, wenn die Vergangenheit im Raum anwesend ist.

Didaktisch eröffnet Herrenpartie damit fruchtbare Zugänge. Innere Quellenkritik lässt sich konkretisieren, indem Szenen in Sequenzen zerlegt, die Bildkompositionen beschrieben, die Tonspur analysiert wird. Was leistet der Chor musikalisch, semantisch? Welche Kameraperspektiven dominieren in den Konfliktszenen – Froschperspektive, Halbtotale, Nahaufnahme – und wozu? Wie werden die Frauen ins Bild gesetzt – frontal, halbnah, in Gruppen, als Gemeinschaftssubjekt – und wie die Männer? Äußere Quellenkritik lässt sich in Rechercheaufgaben übersetzen: Welche Debatten über die NS‑Vergangenheit gab es in der Bundesrepublik zur Zeit der Entstehung des Films? Welche Prozesse (Auschwitz‑Prozess), welche Serien, welche Bücher bestimmten den Diskurs? Wie positionierte sich Staudte in der Filmlandschaft der 1960er Jahre? Eine Vergleichsperspektive lässt sich als Doppelprogramm erarbeiten: Ausschnitte aus Herrenpartie neben Sequenzen aus Dienstbereit oder Ganz normale Männer stellen und fragen: Wo wird Verantwortung als institutionelles Problem gerahmt, wo als Habitusproblem? Wo argumentiert ein Film implizit, wo explizit? Welche Belege werden bei Dokumentarfilmen akzeptiert – und wie “belegt” ein Spielfilm? Solche Aufgaben stärken die Urteilskraft und machen die Vorteile und Grenzen beider Formen sichtbar.

Eine besondere didaktische Herausforderung ist der Umgang mit Ambivalenz. Herrenpartie verweigert die eindeutige Erlösungsgeste. Zwar endet er mit Rettung und Verschonung, aber die Konflikte sind nicht gelöst, die Vergangenheit ist nicht bewältigt. Schülerinnen und Schülern kann diese Offenheit als Zumutung erscheinen, die nach “Auflösung” verlangt. Hier ist der Einsatz des Raum‑Zeit‑Kontinuums produktiv: Die dargestellte Zeit zeigt eine momentane Möglichkeit (Verschonung) in einem länger dauernden Konflikt (Erinnerung vs. Verdrängung). Die Produktionszeit markiert, warum der Film so endet: 1964 ist die BRD in einem Stadium der graduellen Konfrontation mit der Vergangenheit. Die Rezeptionszeit erlaubt, das Ende nicht als Abschluss, sondern als Angebot zu lesen: Was macht ihr damit? Wollt ihr weitergehen? Wollt ihr nachfragen, was aus diesem Dorf wird, wenn die Männer fort sind? Willst du sehen, wie die nächste Reisegruppe sich verhält? In dieser Öffnung liegt der Wert des Films als historische Quelle: Er zwingt zur Fortsetzung des Gesprächs in der Gegenwart.

Die Analyse von Verantwortungsrahmungen in Herrenpartie lässt sich an konkreten Handlungsmomenten festmachen. Die Entscheidung der Frauen, Wasser zu verweigern, ist in der Logik des Kriegsrechts des Alltags eine Umkehrung: Wer Opfer war, entzieht sich der Erwartung, “menschlicher” zu sein als die Täter. Das ist politisch wichtig: Es verhindert, dass Opferrolle mit moralischer Pflicht zur Nachsicht verschmolzen wird. Zugleich entlarvt es das Anspruchsdenken der Männer: Die, die nah am Verdursten sind, fühlen sich im Recht, Wasser zu fordern – eine Parabel auf Wohlstandsgesellschaften, die in der Welt unterwegs sind und vom “Fremden” Versorgung, Wohlwollen, Dienstleistung erwarten. Der Film zeigt diese Ansprüche nicht, um sie zu rechtfertigen, sondern um ihre Normativität sichtbar zu machen. Was als “normal” gilt, ist politisch. In der inneren Quellenkritik wird so die symbolische Struktur zum Wichtigsten: Der Bus (Mobilität), das Wasser (Lebensrecht), das Schaf (Aneignung), der Abhang (Grenze), die Dorfwand (Dokument). Wer den Film liest, liest eine Chiffren‑Anordnung, die von Handlung zu Bedeutung und wieder zurück springt.

Die Gefahr des Missverständnisses liegt in der Fiktion immer darin, dass Ambivalenz als Relativierung gedeutet wird. Herrenpartie geht dieses Risiko ein, weil er Menschen zeigt, die weder dämonisch noch geläutert sind. Es ist kein Film der Sühne, sondern der Wahrnehmung. Genau dadurch aber steht er in einer Reihe von Werken, die den Blick auf die “ganz normalen Männer” lenken, die nach 1945 wieder in Rollen schlüpften, die ihnen gesellschaftliche Anerkennung verschafften – Sänger, Vereinsvorstände, Angestellte – und die darin die alten Muster weitertrugen. Die Lehre der Dokumentarfilm‑Vergleiche bestätigt sich: Statt Täter als “andere” zu markieren, nimmt Herrenpartie sie in die Mitte der Gesellschaft. Diese Entscheidung hat Folgen: Sie verschiebt die ethische Frage von der Pathologie zur Pädagogik. Wenn die Täter normal sind, dann ist die Aufgabe der Bildung, die Norm zu verändern.

Gerade deshalb ist die äußere Quellenkritik auf die Sende‑ und Aufführungszusammenhänge relevant. Herrenpartie als Kinofilm (und spätere TV‑Ausstrahlungen) betrat Räume der populären Kultur, in denen Unterhaltung und Reflexion sich mischten. Ein Film, der das Publikum verurteilt, verliert es; ein Film, der es spiegelt, gewinnt es vielleicht. Staudte versucht, das Publikum zum Komplizen der Reflexion zu machen, nicht zum Angeklagten des Tribunals. Das gelingt, weil die filmische Form – Rhythmus, Humor, Spannung – die Identifikationsangebote nicht verweigert, aber neu rahmt. Der Witz wird zum Instrument der Distanz, nicht der Entschuldigung. Der Nervenkitzel (Werden sie sterben? Wird Miroslava sprengen?) wird zum Vehikel, die ethische Schwelle spürbar zu machen. So wie Dokumentarfilme die Evidenz der Akte nutzen, nutzt Herrenpartie die Evidenz der Situation.

Richten wir den Blick auf die Mechanik des Gruppendrucks. Herrenpartie zeigt, wie die Männer ihre Abweichler (Herbert, Journalist) durch Spott, Blickregime, Aufgabenverteilung disziplinieren. Es ist kein offener Befehl (“Du tust das!”), sondern ein feines Netz aus Erwartungen und Scham. Wer ausschert, verliert. Damit operiert der Film auf der gleichen Ebene wie Browning’s Analyse: Wahlmöglichkeiten bestehen, aber sie sind sozial teuer. Wer heute didaktisch damit arbeitet, kann die klassische Frage stellen: Was hättest du getan? Sie ist gefährlich, wenn sie moralisch überfordert; sie ist wertvoll, wenn sie soziale Kontexte sichtbar macht und über das “Heldenhafte” hinausgeht. Herrenpartie lädt ein, gerade nicht die Heldengeste zu suchen, sondern die kleinen Akte der Verweigerung: Nicht singen, nicht essen, nicht befehlen, nicht nehmen. Und er lädt dazu ein, über die Rolle der Zeuginnen nachzudenken: die Frauen, die die Männer retten, obwohl sie allen Grund zur Rache hätten. Diese Handlung macht den filmischen Raum nicht zu einem Vergebungsraum, sondern zu einem Raum der Selbstbestimmung der Opfergemeinschaft. Sie handelt, weil sie es will, nicht weil der Film es moralisch braucht.

Ethik der Erinnerung bedeutet in diesem Zusammenhang auch, wie der Film die Zukunft imaginiert. Herrenpartie zeigt kein “Versöhnungsfest”. Es zeigt eine prekäre Rettung, eine letzte Aussetzung der Gewalt. Das ist die kargste Form der Hoffnung; sie ist nicht sentimental. In einer Zeit, in der Versöhnungsrhetorik leicht zur Verdunklung von Machtverhältnissen werden kann, ist diese Kargheit ein Gewinn. Sie schützt den Film vor der Utopie, die schnell zum Alibi werden kann. Gleichzeitig eröffnet sie didaktisch den Raum, über das Notwendige (Gewaltverzicht) und das Mögliche (Dialog, Wiedergutmachung, Gerechtigkeit) zu unterscheiden. Wer diesen Film im Unterricht behandelt, kann im Anschluss Dokumentarfilme wie Dienstbereit oder Ganz normale Männer einsetzen, um vom Zwischenmenschlichen auf das Institutionelle, vom Habitus auf das System zu wechseln – und dann wieder zurück. So entsteht ein Pendel, das dem, was Erinnerungskultur leisten muss, entspricht: Sie muss in die Strukturen hineinleuchten, ohne die Sphäre der Haltungen zu vernachlässigen.

Die Frage, wo der Film explizit argumentiert, lässt sich in zwei motorischen Punkten festmachen: dem Aushang an der Wand und dem Nicht‑Sprengen am Ende. Der Aushang – das Dokument – ist ein expliziter Beleg. Er macht den Film in diesem Moment dokumentarisch: Es gibt eine Spur, die als Beweis funktioniert. Das Nicht‑Sprengen ist eine explizite Setzung: Der Film will, dass die Gewaltspirale nicht weitergeht. Implizit sind alle Zwischentöne. Die Komik, die Nähe, die Kamera, die Musik – sie alle schaffen einen Ethos, in dem die eindeutige Verurteilung nicht durch moralische Erklärung erfolgt, sondern durch Erfahrbarkeit: Man sieht, wie es kippt; man spürt, warum es falsch ist. Diese Erfahrbarkeit ist für die historisch‑kritische Filmanalyse zentral, weil sie die Lernbewegung nicht als Wissens‑, sondern als Wahrnehmungsbewegung begreift. Wer lernt, anders zu sehen, lernt, anders zu urteilen.

Ein weiterer Aspekt der äußeren Quellenkritik ist der medienhistorische Kontext: 1964 ist das Fernsehen auf dem Vormarsch, der Dokumentarfilm im TV nimmt an Bedeutung zu, das Kino muss sich neu erfinden. Herrenpartie nutzt die Freiheit des Kinos, ein Bild zu bauen, das im Fernsehen (damals) so nicht möglich war: die Langsamkeit, die Landschaft, die Körperlichkeit. Das hat nicht nur ästhetische, sondern politische Bedeutung: Langsamkeit ist eine pädagogische Strategie. Sie verhindert, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer von Argumentpunkten getrieben werden; sie zwingt zum Verweilen, zur Anschauung, zur Selbstprüfung. Dokumentarfilme wie Dienstbereit oder Ganz normale Männer sind durch Sendeplätze, Längenformate, Publikumslogiken anders geprägt: Sie müssen verdichten, ohne zu überfordern; sie müssen ein Versprechen einlösen, Quellen sichtbar zu machen; sie müssen politische und publizistische Erwartungen bedienen. Diese Produktionsbedingungen prägen die Deutung – im einen Fall die dramaturgische Offenheit (Herrenpartie), im anderen die investigative Stringenz (Dienstbereit, Ganz normale Männer).

In der Reflexion des Täterbildes bleibt Herrenpartie unbequem. Es bietet keinen Erlösungshelden. Herbert ist zu jung, zu marginal, der Journalist zu beobachtend, Miroslava zu komplex, als dass der Film eine Identifikationsfigur als Lösung liefern könnte. Das ist entscheidend, weil es verhindert, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer sich entlasten, indem sie sagen: “Ich wäre Herbert gewesen.” Stattdessen zwingt der Film dazu, die Anteile an Herbert und an den anderen zugleich in sich zu erkennen. Das ist moralisch anstrengend und didaktisch produktiv. Dokumentarfilme hingegen können – und tun es oft – exemplarische Figuren aufrufen: der mutige Archivar, die klare Historikerin, der reuige Täter. Das hat seine eigene Didaktik, die wichtig ist, aber eine andere Bewegung in der Rezeption erzeugt: Man folgt einer Stimme. Herrenpartie verlangt, die eigenen Stimmen zu hören.

Wenn wir schließlich die Gesamtkonstruktion des Raum‑Zeit‑Kontinuums zusammenfassen, wird sichtbar, wie der Film als historische Quelle zu lesen ist. In der dargestellten Zeit macht er Kontinuitäten sichtbar: Rituale, Haltungen, Geschlechterordnung, Aneignungslogik, Gruppenethik. In der Produktionszeit übersetzt er eine zeitgenössische Debatte – die langsame, aber unaufhaltsame Öffnung der Öffentlichkeit gegenüber der NS‑Vergangenheit – in eine Allegorie, die Konsens nicht voraussetzt, sondern verhandelt. In der Rezeptionszeit verankert er die Debatte über institutionelle und habituelle Verantwortung im kollektiven Gedächtnis, nicht indem er Wissen liefert, sondern indem er Wahrnehmung prägt. Gerade darin liegt sein Wert als historische Quelle im Sinne einer historisch‑kritischen Filmbildung: Er ist nicht Belegträger, sondern Dispositiv; er erzeugt die Bedingungen, unter denen bestimmte Deutungen möglich, andere unwahrscheinlich werden.

Unterrichtlich endet daraus kein “so war es”, sondern ein “so kann man sehen”. Dieses “sehen” ist nicht relativistisch; es ist gebunden an Plausibilität, an die innere Logik des Films, an die äußeren Kontexte, an das Gespräch mit dokumentarischer Evidenz. Wer Herrenpartie neben Dienstbereit und Ganz normale Männer stellt, gewinnt ein Triptychon: links die Struktur (Institution), rechts die Handlung (Tätergruppe), in der Mitte die Haltung (Habitus im Alltag). Aus dieser Mitte zeigt Herrenpartie nach beiden Seiten: Er macht strukturbedingt sichtbar, warum Institutionen Täter rekrutieren konnten (weil der Habitus verfügbar blieb), und er macht im dokumentarischen Raum des Davor sichtbar, wie Täterhandlungen möglich wurden (weil der Habitus geübt wurde). Diese Lesart erzeugt Anschlussfragen: Welche Institutionen im Film fehlen? Die Polizei? Das Militär? Der Staat? Welche Strukturen bleiben, wenn die Institution aus dem Bild ist? Welche Sprache, welche Musik, welche Gesten? Und: Welche didaktischen Zugänge helfen, die Gefahr der moralischen Selbstentlastung zu vermeiden? Hier bietet die innere Quellenkritik den entscheidenden Zugriff: die genaue Arbeit am Bild, an der Szene, am Ton.

Bleibt die Frage, wie weit ein Spielfilm tragen kann, wenn es um historische Wahrheit geht. Herrenpartie behauptet keine “Fakten” zum konkreten Ort, zur Zahl der Erschossenen, zu den Namen. Er behauptet eine Wahrheit über Formen des Zusammenlebens, die aus der Geschichte geboren sind. Diese Formwahrheit ist nicht weniger politisch als Faktizität; sie kann der Forschung vorausgehen, indem sie Fragen stellt, auf die Dokumentationen dann Antworten suchen. So gesehen, ist Herrenpartie kein Ersatz für Dienstbereit oder Ganz normale Männer, sondern deren Ergänzung und Herausforderung: Ergänzung, weil er das Feld der Haltungen kartiert; Herausforderung, weil er zeigt, dass das “Warum” der Täter nicht nur in Archiven, sondern im Spiegel des Alltags zu finden ist.

Wer den Film als Quelle nutzt, sollte sich der doppelten Verantwortung bewusst sein: gegenüber den Opfern (keine Ästhetisierung des Leids, keine Entkonkretisierung der Verbrechen) und gegenüber den Zuschauenden (keine moralische Erpressung, sondern eine Einladung zur Reflexion). Herrenpartie besteht diese Probe, indem er das Leid im Raum präsent hält – die Bekanntmachung, die leeren Häuser der Männer, die Sprache der Frauen – und die Gewalt vermeidet, die die Bilder um ihrer selbst willen erzeugt. Er respektiert die Grenzen dessen, was gezeigt werden sollte, und vertraut darauf, dass die Vorstellungskraft – geleitet durch Zeichen – stärker wirkt als die als “Beweis” präsentierte Gräuelaufnahme. Das ist nicht in jeder didaktischen Situation der beste Weg, aber er ist ein Weg, der die Würde der Opfer schützt und zugleich die Verantwortung der Zuschauerinnen und Zuschauer denkerisch aktiviert.

Am Ende bleibt Herrenpartie ein Film, der sich weigert, die Arbeit abzunehmen. Er gibt keine einfache Moral, keine eindeutige Psyche, keine abschließende Diagnose. Stattdessen reicht er dem Publikum eine Versuchsanordnung, die Fragen stellt: Wie schnell kippt Geselligkeit in Gewalt? Wie dünn ist die Haut der Zivilität, wenn die Machtverhältnisse klar sind? Wie reagiert man auf verweigerte Hilfe, wenn der Grund der Verweigerung eine historische Schuld ist? Wie wird aus “ich habe Durst” ein Anspruch auf Unterwerfung? Diese Fragen sind nicht historisch abgeschlossen; sie sind in jedem Raum‑Zeit‑Kontinuum neu zu stellen. Das macht den Film wertvoll für die Gegenwart: Nicht weil er lehrt, was war, sondern weil er zeigt, wie wir lernen können, zu sehen, was ist – und was wieder sein könnte, wenn wir es nicht sehen.

Zurück zum Ausgangspunk

Mit dieser Lesart kehrt die Analyse zum Ausgangspunkt zurück: zum Modell des Raum‑Zeit‑Kontinuums und zur historisch‑kritischen Filmanalyse. Film schafft Welten, in denen die Zeit geschichtet ist, in denen Räume sprechen, in denen kleine Dinge große Bedeutungen tragen. Wer Filme so liest, betreibt nicht Dekoration zur Geschichtsstunde, sondern Geschichtsarbeit im Medium der Bilder. Herrenpartie ist in dieser Hinsicht ein Musterfall: ein Film, der die NS‑Kontinuitäten in den Alltagsritualen einer Männlichkeitskultur sichtbar macht (dargestellte Zeit), der die Debatte seiner Entstehungszeit in eine parabelhafte Dramaturgie übersetzt (Produktionszeit) und der in der Gegenwart als Prüfstein dienen kann, wie Erinnerung ohne Rache, Verantwortung ohne Selbstentlastung, Ethik ohne Pose möglich ist (Rezeptionszeit). Darin – und nicht in einer faktischen Auskunft über einen konkreten Tatort – liegt sein Wert als historische Quelle, verstanden im Sinn einer Filmbildung, die innere und äußere Quellenkritik zusammenführt, um die Konstruktion von Geschichte im Medium zu durchdringen.

 

Arglos betreten acht sommerlich gekleidete deutsche Männer auf der Suche nach Benzin für ihren Ferienbus ein entlegenes Bergdorf in Jugoslawien. Auf der Dorfstraße stellen sich ihnen etwa fünfzig Frauen in Schwarz entgegen.

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Retrospektive Kritiken würdigen Wolfgang StaudtesHerrenpartie heute als mutige, bissige Satire auf die verdrängte NS‑Vergangenheit der Bundesrepublik. Gelobt werden die scharfe Analyse von Schuldabwehr und Gruppendruck, die Verbindung von politischer Parabel und tragikomischer Zuspitzung sowie die herausragenden Darstellerleistungen. Rückblickend gilt der Film als Ausnahmewerk der Nachkriegszeit – vergleichbar in seiner Bedeutung mit Die Mörder sind unter uns. „Wolfgang Staudtes großartige, mutige Analyse der nicht aufgearbeiteten Vergangenheit wurde beim Kinostart Mitte der sechziger Jahre heftigst diskutiert. Nichtsdestotrotz zählt das Werk zu den absoluten Ausnahmefilmen der Nachkriegszeit, ist vielleicht sogar von ebenso großer Bedeutung wie Staudtes „Die Mörder sind unter uns“, der unmittelbar nach dem Krieg entstand.“

Eine bemerkenswerte Satire auf deutsche Vergangenheitsbewältigung, die nur wenige zu sehen bekamen

Als symptomatisch für seine Zeit gilt ein Kinofilm mit fiktionaler Spielhandlung Historikerinnen und Historikern am ehesten  dann, wenn er kommerziell erfolgreich war. Die meisten von uns gehen in diesem Fall davon aus, dass besagter Film das Massenpublikum in dessen Ansichten bestätigt und weit verbreitete Sehnsüchte befriedigt habe. Floppt ein Film dagegen an der Kinokasse, so glauben wir schnell, er sei einem anspruchslosen Publikum zu anspruchsvoll, oder – so es sich denn um ein gesellschaftskritischen Film handelt – einem unpolitischen bzw.
mehrheitlich konservativen Publikum allzu kritisch und politisch gewesen. Ein solcher
Flop war 1964 Herrenpartie, eine bundesdeutsch-jugoslawische Coproduktion in der Regie von Wolfgang Staudte.

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aus: Ulrike Weckel: Herrenpartie. Eine bemerkenswerte Satire auf deutsche Vergangenheitsbewältigung, die nur wenige zu sehen bekamen. In: WerkstattGeschichte 62, 2013, S. 94–114 (pdf-download)

Nach dem frühen Tod des Regisseurs und Produzenten Harald Braun endete 1960 das Projekt der gemeimsam mit Wolfgang Staudte und Helmut Käutner gegründeten Produktionsfirma FFP, die mit „Der Rest ist Schweigen“ (1959) und „Kirmes“ (1960) zwei Filme herausgebracht hatte, die sich ohne die zu dieser Zeit notwendigen Relativierungen der jüngeren deutschen Vergangenheit gewidmet hatten. Im Gegensatz zu dem satirischen Film „Rosen für den Staatsanwalt“ (1959), den Staudte zuvor erfolgreich in die Kinos gebracht hatte, verzichteten sie in ihrer ernsthaften Auseinandersetzung auf Konzessionen an den Publikumsgeschmack, weshalb sie bei der Kritik und an der Kinokasse durchfielen. (…)

Diese Komplexität, die nicht beruhigt und weder Lösungen, noch eindeutig Schuldige präsentiert, wurde „Herrenpartie“ zum Verhängnis – bis heute wurde Staudtes Film nicht rehabilitiert, dessen Aufführung in „Cannes“ von der damaligen deutschen Regierung untersagt wurde und ihm heftige persönliche Kritik einbrachte. Unterhaltung oder politisches Kino? – „Herrenpartie“ entschied sich nicht, wählte keinen künstlerisch zurückhaltenden, ausgewogenen Gestus, sondern nahm sich einer ernsten Thematik in Form einer Räuberpistole an, indem er einen deutschen Männer-Gesangsverein in den Bergen Montenegros auf eine Horde wilder Witwen treffen ließ, die zu Waffen und Sprengsätzen greifen – eine explosive Mischung, die in diesem grandiosen und in seiner Unfassbarkeit einmaligen Film nichts von ihrer Wirkung verloren hat.

aus: Online-Filmdatenbank

Ein Skandal – damals wie heute
„Lassen wir doch die alten Geschichten aus der Vergangenheit“, sagt einer. Darauf der junge Herbert (Götz George): „Wie zuhause“. Ja, wie zuhause. Vergessen, Schwamm drüber, wir leben heute. Die Spießergesellschaft aus Neustadt, die immer ein fröhliches Lied auf den Lippen hat, sieht sich der offenen Feindseligkeit der Frauen in diesem jugoslawischen Dorf hilflos gegenüber.
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20.08.2014 | Uhr Falk Schwarz – filmportal.de

Anlass zur Gestaltung des Stoffes war das Verhalten deutscher Touristen im Ausland. Durch die jugoslawischen Dramaturgen kam ein anderer Aspekt hinzu: Wie es Angreifer in einem Krieg gibt, so gibt es Angegriffene. Diese, die Opfer, müssen auch lernen, die Vergangenheit zu bewältigen. HERRENPARTIE besticht durch sein hervorragendes Ensemble und ist ein bemerkenswerter Beitrag zur unbewältigten Vergangenheit beider Völker. Als der Film in den Kinos der BRD anlief, kam es zu Protesten vor den Filmtheatern, und Staudte wurde der »Nestbeschmutzung« bezichtigt. (Text: Filmarchiv Austria)

(…) Diese Komplexität, die nicht beruhigt und weder Lösungen, noch eindeutig Schuldige präsentiert, wurde „Herrenpartie“ zum Verhängnis – bis heute wurde Staudtes Film nicht rehabilitiert, dessen Aufführung in „Cannes“ von der damaligen deutschen Regierung untersagt wurde und ihm heftige persönliche Kritik einbrachte. Unterhaltung oder politisches Kino? – „Herrenpartie“ entschied sich nicht, wählte keinen künstlerisch zurückhaltenden, ausgewogenen Gestus, sondern nahm sich einer ernsten Thematik in Form einer Räuberpistole an, indem er einen deutschen Männer-Gesangsverein in den Bergen Montenegros auf eine Horde wilder Witwen treffen ließ, die zu Waffen und Sprengsätzen greifen – eine explosive Mischung, die in diesem grandiosen und in seiner Unfassbarkeit einmaligen Film nichts von ihrer Wirkung verloren hat. (…)

Auszug aus: Udo Rotenberg: Herrenpartie (1964) Wolfgang Staudte – 24.12.2013 [15.11.2022]

Der dritte und letzte Film aus Staudtes zweiter Aufarbeitungstrilogie trägt den Namen Herrenpartie. Er hätte aber auch gut und gerne „Herrenmenschenpartie“ heißen können. Die deutsch-jugoslawische Koproduktion aus dem Jahr 1963 ist eine beißende Satire über die deutsche „Kriegsvergessenheit“.  Der Film beginnt, wie viele Streifen aus der Frühzeit der Bundesrepublik enden: Mit einer Abreise von einem sommerlichen Strandurlaub – nur nicht im deutschen Traumland Bella Italia, sondern ein paar Hundert Kilometer weiter östlich, an der jugoslawischen Adria-Küste. Von dort macht sich der sechsköpfige Vorstand eines Männergesangsvereins im vereinseigenen Mercedes-Bus zurück nach Deutschland auf. Und als beim Weg durch die Berge die Hauptstraße wegen Bauarbeiten gesperrt ist, soll nicht die offizielle Umleitung, sondern eine vermeintliche Abkürzung genommen werden. Die endet in einer Sackgasse der besonderen Art, einem entlegenen Bergdorf, das fast nur noch von rund 50 Frauen bewohnt wird. Genau genommen handelt es sich um Witwen, deren Männer allesamt genau 20 Jahre zuvor von einem Wehrmachtskommando exekutiert worden sind.

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Der Film ist nicht nur eine Erzählung über eine Reise, sondern ein komplexer medientheoretischer Kommentar zur deutschen Nachkriegsgesellschaft und ihrer verdrängten NS-Vergangenheit.

  • Handlung: Ein deutscher Männergesangsverein strandet in einem abgelegenen Dorf, das ausschließlich von Frauen bewohnt wird – deren Männer wurden im Krieg von der Wehrmacht ermordet.
  • Konflikt: Die Begegnung mit der Vergangenheit führt zu einer Eskalation, die alte Rollenbilder und Schuldverhältnisse offenlegt.
  • Raumgestaltung: Das Dorf wird als symbolischer Ort der Erinnerung und Rache inszeniert – eine Art „Gedächtnisraum“ für Kriegsverbrechen.
  • Gesellschaftlicher Kontext: Wirtschaftswunder, Verdrängung der NS-Vergangenheit, konservative Medienlandschaft.
  • Filmische Botschaft: Der Film kritisiert die Selbstgerechtigkeit und das Vergessen der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft.
  • Rezeption: Der Film wurde als „Nestbeschmutzung“ diffamiert, was Staudtes Karriere als Gesellschaftskritiker stark belastet

Diese Form der Rezeption ist geprägt von den gesellschaftlichen Diskursen, die zur Zeit der Filmproduktion aktuell waren.

  • Beispiel: Herrenpartie (1964) wurde in einer Zeit produziert, in der die NS-Vergangenheit in der BRD weitgehend verdrängt wurde. → Die zeitgenössische Rezeption war ablehnend: Der Film wurde als „Nestbeschmutzung“ wahrgenommen, weil er die deutsche Schuld thematisierte.
  • Merkmale:
    • Rezeption ist oft emotional aufgeladen.
    • Film wird als Kommentar zur Gegenwart verstanden.
    • Kritiken spiegeln politische und kulturelle Spannungen der Produktionszeit.

Hier wird der Film aus einer neuen gesellschaftlichen Perspektive betrachtet – oft mit anderen Werten, Diskursen und historischen Erkenntnissen.

  • Beispiel: Herrenpartie wird heute als mutiger Beitrag zur Erinnerungskultur gewürdigt. → Die spätere Rezeption erkennt filmische Mittel, die damals übersehen oder abgelehnt wurden.
  • Merkmale:
    • Film wird als historisches Dokument gelesen.
    • Neue Deutungen entstehen durch veränderte gesellschaftliche Kontexte.
    • Film kann neu bewertet oder rehabilitiert werden.

Diese Form der Rezeption sollte analytisch und reflektiert sein, und den Film als Quelle für historisches Lernen nutzen.

  • Beispiel: In der Lernwerkstatt Film und Geschichte wird Herrenpartie als Beispiel für NS-Kontinuitäten und Erinnerungspolitik verwendet.
  • Merkmale:
    • Film ist didaktisch aufbereitet.
    • Fokus auf filmische Gestaltung und gesellschaftliche Aussage.
    • Verbindung von ästhetischer Analyse mit politischer Bildung.

Die Rezeptionszeit ist nie unabhängig von der Produktionszeit – sie reagiert auf sie, interpretiert sie neu und kann sogar gegen sie arbeiten. Dieser didaktische Ansatz betont, dass diese Wechselwirkung sichtbar gemacht werden muss, um Filme als historische Quellen zu verstehen.

Filmverstehen meint, anhand eines Filmes zu untersuchen, wie er sich als bedeutungsvoller Medientext, der in den kulturellen Kreislauf der Produktion und Rezeption eingebunden ist, konstituiert.

Element

Beispiel im Film

Interpretation

Symbolik

Gesang, Uniformreste, Bekanntmachung

Rückkehr alter Denkweisen, NS-Kontinuitäten

Raum

Dorf ohne Männer, Schlucht

Ort der Erinnerung und Konfrontation

Dialoge

„Schwamm drüber. Wir Deutschen sind immer bereit, zu vergessen.“

Ironische Brechung der Verdrängungshaltung

Staudtes Herrenpartie konstruiert ein Raum-Zeit-Kontinuum, das die Vergangenheit nicht nur darstellt, sondern kritisch reflektiert und aktualisiert. IMit diesem Vorschlag wird der Film zur Quelle gesellschaftlicher Selbstdeutung: Er zeigt, wie tief NS-Verstrickungen in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft verankert waren – und wie Film als Medium diese Verstrickungen sichtbar machen kann.

Film in der BRD der 50er und frühen 60er Jahre

Filmansicht bei Youtube

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