Proletarischer Film
Kino zwischen Klassen und Krisen
Detlef Endeward (07/2025)
Inmitten von Inflation, Arbeitslosigkeit und wachsender politischer Spaltung entwickelte sich in der späten Weimarer Republik ein einzigartiges filmisches Genre: der proletarische Film. Jenseits von Eskapismus und romantischer Unterhaltung suchte er nach einer radikalen Perspektive auf die gesellschaftliche Realität – durch die Linse der arbeitenden Klasse. Als filmisches Sprachrohr der sozialistischen Bewegung, insbesondere im Umfeld der KPD und der Prometheus-Film GmbH, verstand sich dieses Kino als Agitations- wie Aufklärungsmittel zugleich.
Der proletarische Film entstand in den späten 1920er-Jahren als explizite Gegenbewegung zum bürgerlichen Kino, das soziale Konflikte weitgehend ausblendete. Filme wie Mutter Krausens Fahrt ins Glück (1929) oder Kuhle Wampe (1932) thematisierten Wohnungsnot, Hunger, Ausbeutung und Solidarität – nicht aus voyeuristischer Distanz, sondern mit aktivistischer Haltung. Produziert wurden sie meist von der Prometheus-Film GmbH, einer KPD-nahen Gesellschaft mit engen Verbindungen zur sowjetischen Mezhrabpom.
Die Filmtheoretikerin Marie Seton bezeichnete diese Werke als „die ersten deutschen Filme, die die Arbeiter nicht als Folklore, sondern als historische Subjekte“ inszenierten. Der proletarische Film war zugleich propagandistisch und dokumentarisch, parteinah und realitätsnah.
Stilistische und thematische Merkmale
Die Filme zeichneten sich durch eine nüchterne Bildsprache aus, oft geprägt von dokumentarischen Stilmitteln, Laiendarsteller*innen und Drehorten in echten Arbeitervierteln. Bezeichnend war auch die Nähe zum sowjetischen Montagekino (Eisenstein, Pudowkin). Formale Merkmale:
- Montageeffekte zur Erzeugung politischer Bedeutungszusammenhänge
- Realistische Schauplätze, Außenaufnahmen, semidokumentarischer Ton
- Thematischer Fokus auf: Arbeitslosigkeit, Klassenkampf, Frauen- und Jugendarmut, Solidarität und politische Mobilisierung
„Der Film ist eine Waffe – die schärfste unserer Zeit“, formulierte Bertolt Brecht 1932. Proletarischer Film war eine solche Waffe – künstlerisch, politisch und historisch.
Mit der Machtübertragung an die NSDAP wurden proletarische Filme verboten und ihre Macher*innen ins Exil gedrängt. In der Bundesrepublik galten die Werke lange als kommunistisch „kontaminiert“ und wurden weitgehend ignoriert, bis sie ab den 1960er-Jahren von der Neuen Linken und filmwissenschaftlichen Kreisen wiederentdeckt wurden. In der DDR hingegen galten sie als Gründungsmythos des sozialistischen Films und wurden früh restauriert, rezipiert und zum Vorbild stilisiert.