Faschismus – eine klassenübergreifende Sammlungsbewegung?

Bundesarchiv, Bild 102-10541 / Georg Pahl / CC-BY-SA 3.0
Der Charakter der faschistischen Massenbewegung
Mit ihrer aktivistischen und terroristischen politischen Praxis gelang es der NSDAP, öffentliche Äußerungen ihrer politischen Gegner zunehmend zu unterdrücken. Ihr Massencharakter und die grundsätzlich antimarxistische Einstellung (das heißt gegen die Arbeiterorganisation gerichtet)
ließ die Organisation Bedeutung erlangen für eine Krisenlösung, die in erster Linie gegen die organisierte Arbeiterklasse durchzusetzen war. Zugleich machte dieser Massencharakter aber auch die eigentümliche „Autonomie“ der NSDAP im Rahmen der Krisenlösung aus. Die Organisation war zwar notwendiges Moment der Krisenstrategie von Industrie und Agrariern, aber sie ließ sich nicht nur einfach für deren Interessen „instrumentalisieren“, sondern machte ihr Eigengewictrt in den folgenden Jahren deutlich.
„Der Faschismus bestach dabei nicht durch seine kohärente Ideologie, denn eine solche lässt sich kaum erkennen. Vielmehr propagierte er radikale Entschlusskraft und unbedingten Willen statt Kompromissorientierung, Aktion statt kritischen Intellekts, Gefühl statt Analyse, Gemeinschaft statt gesellschaftlicher Widersprüche, „Ideale“ statt Interessen. Er betrieb einen Kult um Einheit und Reinheit. Und er war auf kriegerische Expansion angelegt. Die liberale Gesellschaft lehnte er ebenso ab wie die sozialistischen Bewegungen. Getragen von überwiegend jungen Männern und oft (nicht nur!) von Deklassierten aller Schichten, war er eine klassenübergreifende Sammlungsbewegung – und ein politisches Paradox: Rigide Ordnungsvorstellungen verbanden sich in ihm mit der Lust an der Zerstörung, konservative Beharrung traf auf dynamisch-juvenile Mobilität.“
Sven Reichardt: Triumph der Tat. 27. August 2013. Editiert am 4. September 2013, ZEIT Geschichte Nr. 3/2013