Auch das filmische Abbilden ist schon Gestalten

Der Film – eine fotographische Kunst (1949)

Die Antithese von Abbilden und künstlerischem Gestalten ist nicht ganz zutreffend, da auch das filmische Abbilden schon ein Gestalten ist. Die Kamera besitzt aber eine außerordentlich weite Spanne der gestalterischen Möglichkeiten vom beinah nur passiven Ab-Photographieren bis zum dramatisierenden Neu-Gestalten eines Geschehens. (…)

Da der Film eine photographische Kunst ist, ist er einerseits streng an die sichtbare Wirklichkeit gebunden. Er kann diese aber – ebenfalls gerade dank seiner photographischen Eigenart – verzaubern.Muß er also einerseits immer vom Sichtbar-Wirklichen ausgehen, so kann er andererseits die physikalischen Gesetz der Realität, zum Beispiel das Gesetz der Schwerkraft aufheben, verschleiern, umkehren; er kann die äußeren Bestandteile der sichtbaren Wirklichkeit andern Gesetzen des räumlichen und zeitlichen Erscheinens unterstellen. So vermag der Film, immer mit den Mitteln, mit den Bestandteilen der sichtbaren Wirklichkeit, in die Späre der seelischen Vorgänge, der Phantasie, des Traums, des Unbewußten überzutreten. Er wird zum suggestiven Instrument einer optischen Psychologie. Diese Verwandeln der äußeren Wirklichkeit im Sinne einer inneren Wirklichkeit (oder aber  auch einer Unwirklichkeit) ist geradezu eine der spezifischsten, eine der ihm eigensten Möglichkeiten des Films.  Man brauche nur den NAmen eines großen Pioniers zu nennen: Georges Méliès. Seither sind die Surrealisten diejenigen, die diese Möglichkeiten des Films am intensivsten und konsequentesten ausgebeutet haben.


Aus: Georg Schmidt/Werner Schmalenbach/Peter Bächlin: Der Film. Wirtschaftlich – gesellschaftlich – künstlerisch. Hrsg. vom Schweizerisch Filmarchiv Basel, Basel 1949, S. 30)

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