Der Kriminalfall in Hannover (1924)

Inhalt

Der Film bezieht sich auf den Fall des damals gerade überführten Massenmörders Fritz Haarmann. Von dem ursprünglich etwa 20minütigen Stummfilm sind nur fünf Minuten erhalten. Sie zeigen Aufnahmen aus der Innenstadt und Altstadt Hannovers, Orte an denen Haarmann wohnte bzw. sich aufhielt. Seine Bedeutung erlangt das Fragment durch die Tatsache, dass es die ältesten erhaltenen Bewegtbilder aus der Innenstadt Hannovers präsentiert und dabei auch ein Stück Leben auf den Straßen zeigt. Aufgrund seiner etwas reisserischen Zwischentitel wurde der Film kurz nach seiner Fertigstellung wegen „Gefährdung der öffentlichen Ordnung“ verboten. Eine Wiederzulassung ist nicht bekannt, so dass der Film im Jahre 2006 – wenn auch nur als Fragment – nach über 80 Jahren erstmals wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde.

Produktion: Filmhaus Krüger & CO., Hamburg
Ursprungslänge: 440 m (= ca. 20 Minuten)
Erstzulassung:  26. Juli 1924
Verbot: 17.9.1924
Bearbeitung und Neuherausgabe des Films (Fragment): November 2006

Das Fragment „Der Kriminalfall in Hannover“ ist von der GFS auf DVD mit zugehörigem Booklet herausgegeben worden und zum Preis von 6 € an folgenden Verkaufsstellen zu beziehen:

  • GFS, Hannover, Expo Plaza 12
    Kino im Künstlerhaus, Hannover, Sophienstr. 2
  • Historisches Museum, Hannover, Pferdestraße
  • Antiquariat Ingeborg Becker, Hannover, Lister Meile 49
  • Schloss-Shop-Herrenhausen, Herrenhäuser Straße 5
Nr.InhaltDauerGesamtzeit
00Bundesarchiv/Filmarchiv00:0900:09
0Der Kriminalfall in Hannover
–Ein Fragment-
00:1500:24
1Zwischentitel:…lebte seit Jahren ein verkommener Mensch mit Namen Haarmann.00:0600:30
2Zwei Polizeifotos von Haarmann.00:1300:43
3Zwischentitel: Er verkehrte in Stehbierhallen…00:0400:47
4Sicht von einer Straßenseite auf die gegenüberliegende zur Kneipe „Eisbeinhalle“, darüber ein Schriftzug „Grundbesitz Frensdorff & Co“, ein Karren steht am Straßenrand, Straßenbahn fährt vorbei, Menschen auf dem Fußweg.00:1401:01
5Dieselbe Sichtweise auf andere Stehbierhalle am Ernst-August Platz. Diese hat mit Zeitung zugeklebte Fenster, ein Mann geht über Straße zu Menschen, die vor der Bierhalle stehen, redet mit ihnen, Menschen sehen gelegentlich zum Eingang der Bierhalle.00:3401:35
6Zwischentitel: …und düsteren geheimnisvollen Spelunken im Gängeviertel, wo er sich als Händler ausgab.00:1101:44
7Sicht auch Platz/breite Straße mit Häusern geradeaus und links im Bild. Ein Mann geht vorüber, rechts sind drei Kinder.00:0801:52
8Kleinere Straße mit Menschen, spielenden Kindern, rechts im Bild ist dunkler Schatten, links heller, an beiden Seiten Häuser.00:1002:02
9Andere Straße, ähnliche Atmosphäre, viele Menschen, links im Bild ein Geschäft „Heinrich Mundt“, geradeaus befindet sich eine „Schankwirtschaft“.00:1102:13
10Wie zuvor: andere Straße, rundherum Häuser, zuerst etwas leerer, einige spielende Kinder und Menschen kommen auf die Straße.00:1402:27
11Überblendung zu etwas größerer, gerade verlaufenden Straße, viele Menschen sind zu sehen.00:0702:34
12Zwischentitel: Am Bahnhof und in den Hauptstraßen lauerte er jungen Männern auf, versprach ihnen Arbeit und Unterkunft und lockte sie damit in seine Wohnung…00:0502:39
13Zwischentitel:…in der „Neuen Straße 8“…00:0402:43
14Ein Hauseingang wird gezeigt, Kinder sind davor auf dem Fußweg, Menschen gehen vorüber.00:2103:04
15Zwischentitel:…zuletzt in der „Roten Reihe 2“, wo er im Dachgeschoß hauste.00:0403:08
16Sicht auf die Häuser der Straße „Rote Reihe“; Man kann ein Restaurant sehen. Die Straße liegt (heute nur noch verkürzt) in dem Stadtteil Calenberger Neustadt.00:1303:21
17Oberstes Geschoss des Hauses mit dem Restaurant wird hervorgehoben, vermutlich Hausnr.2, Rest des Bildes nur noch leicht sichtbar.00:0703:28
18Dieselbe Häuserreihe wird gezeigt, man sieht die Straße vor dem Haus, auf der sich eine kleine Menschentraube versammelt hat.00:0900:09
19Zwischentitel: Seine Hausbewohner täuschte er durch sein zuvorkommendes Wesen. Selbst seine Wirtin, Frau Engel…00:0903:46
20Das Haus mit dem Restaurant wird näher gezeigt, davor stehen zwei Frauen. Ein Mann kommt auf sie zu, sie reden kurz, er geht hinein.00:0703:53
21Zwei Männer mit Hund gehen zu der Frau, die noch am Eingang steht, und einer redet mit ihr.00:1104:14
22Der Mann (aus Nr. 20) kommt wieder aus dem Haus heraus, die Frau am Eingang geht ein Stück mit ihm über die Straße.00:0604:20
23Zwischentitel: …konnte über ihn nicht klagen und hatte keine Ahnung von seinem mörderischen schandvollen Treiben.00:0904:29
24Sicht von Brücke auf Fluss (Leine), links und geradeaus sind Häuser sichtbar, rechts nur dunkle Schatten, drei Menschen gehen vorüber.00:1004:39
25Zwischentitel: Nachdem er die Opfer für seine tierischen Zwecke gefügig machte, ermordete er sie auf bestialische Weise, verwischte sorgsam alle Spuren und warf die Leichenteile in die Leine.00:1404:53
26Ende00:0304:56

Der Kriminalfall in Hannover – ein Fragment

Bei dem hier präsentierten Film handelt es sich um ein Fragment: Vier Minuten des ursprünglich 20-minütigen Films sind überliefert, der Rest muss als verschollen gelten. Ausgehend von der überlieferten Zensurkarte vom 26. Juli 1924 weist der damalige Film insgesamt 40 Untertitel auf, das überlieferte Fragment enthält die Titel und entsprechenden Bildfolgen 15-23 (siehe auch Text der Zensurkarte).

Die Bedeutung des Filmfragments liegt heute im Wesentlichen darin, die – soweit überliefert und bekannt – ältesten Bewegtbilder aus der Innenstadt und der Altstadt Hannovers zu präsentieren und dabei auch ein Stück Leben auf den Straßen zu zeigen. Für den Fall Haarmann ist der Film demgegenüber vergleichsweise uninteressant. Für sachliche Informationen zum Tathergang, zum Hintergrund und zur zeitgenössischen Behandlung des Falles wie auch zu seinen spektakulären und schaurigen Aspekten gibt es aussagekräftigeres

Material. Hinweise hierzu finden sich an anderer Stelle dieser Publikation. Zur Beurteilung der Entstehungsgeschichte des Films ist aufschlussreich, dass Fritz Haarmann nach mehreren Zeugenaussagen und Vernehmungen am 1. Juli 1924 gestand, verschiedene Morde an Jungen und jungen Männern begangen zu haben, und dass bereits dreieinhalb Wochen später der Film „Der Kriminalfall in Hannover“, gedreht von einer Hamburger Filmfirma, der Zensurbehörde in Berlin zur Freigabe vorgelegt worden war und nun beurteilt wurde. Das heißt, der Film wurde offensichtlich in sehr kurzer Zeit heruntergekurbelt, geschnitten und mit Zwischentiteln versehen. Die Filmprüfstelle Berlin hat den Film am26.71924 zur öffentlichen Vorführung im Deutschen Reich, auch vor Jugendlichen, zugelassen. Inwieweit der Film allerdings tatsächlich zur Aufführung kam, ist zurzeit nicht bekannt, denn bereits am 30.8.1924 hatte die Preußische Regierung, vertreten durch das Innenministerium, einen Antrag auf Widerruf der Zulassung gestellt. Mit der Entscheidung der Oberprüfstelle Berlin vom 17 .9.1924 wurde die öffentliche Vorführung des Films im Deutschen Reich dann schließlich verboten mit der Begründung, dass der Film geeignet sei, verrohend und entsittlichend zu wirken und die öffentliche Ordnung zu gefährden. Beanstandet wurden weniger die Bilder als vielmehr die Textpassagen des Films (siehe den Text der Zensurentscheidung) Da die beanstandeten Passagen zum großen Teil in dem Fragment vorhanden sind, kann sich der heutige Betrachter – aus der Distanz von über 80 Jahren – selbst ein Bild machen über damalige Ängste und Empfindlichkeiten und wohl auch über den Argwohn gegenüber dem Massenmedium Film.

Eine Wiederzulassung des Films ist nicht bekannt, und es ist anzunehmen, dass er in der Folgezeit in Vergessenheit geriet. Erst im Rahmen des Hannover-Film-Projektes der GFS wurde das Fragment im Jahre 2005 im Bundesarchiv-Filmarchiv entdeckt: Die dortigen Unterlagen sagen aus, dass das Fragment, das sich in einem schlechten Zustand befand, im Jahre 1982 im Staatlichen Filmarchiv der DDR von Nitrofilm auf Sicherheitsfilm umkopiert wurde. Wie es zu der nur bruchstückhaften Überlieferung kam und von wem es überliefert wurde, ist nicht bekannt. Nach Überführung des Staatlichen Filmarchivs der DDR in das Bundesarchiv-Filmarchiv wurde das Fragment in dessen Bestand übernommen. Im Jahre 2006 hat nun die GFS das Fragment bearbeitet und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

 

Der Haarmann-Film verboten

Den Haarmann-Film hatte die Film-Oberprüfstelle in Berlin zugelassen. Der Minister des Innern hatte aber sämtliche Polizeibehörden angewiesen zu prüfen, ob die Voraussetzungen für ein ortspolizeiliches Verbot vorliegen. Jede Werbung für den Streifen an Geschäftsräumen, öffentlichen Anschlagstellen und durch Verteilen von Druckschriften ohne Genehmigung war an sich verboten. Jetzt hat auch die Oberprüfstelle selbst die Zulassung verboten.



Abschrift der ursprünglichen Zensurkarte vom 26.07.1924

Zulassungskarten für Bildstreifen sind öffentl. Urkunden im Sinne des § 267 Reichs-Strafbesetzbuchs. Ohne amtlichen Stempel sind sie ungültig. Änderungen dürfen nur von der Film-Prüfstelle vorgenommen werden.
(…)
Der Bildstreifen wird zur öffentlichen Vorführung im Deutschen Reiche, auch vor Jugendlichen, zugelassen.

Berlin, den 26. Juli 1924
Film-Prüfstelle Berlin

> zum Text derZensurkarte


Auszug aus der Verbotsentscheidung aus dem Jahr 1924

(…) Zur Verhandlung über den Antrag der Preussischen Regierung auf Widerruf der Zulassung des Bildstreifens

„Der Kriminalfall in Hannover „

(…)
Es wurde folgende Entscheidung verkündet:

I. Die durch Entscheidung der Filmprüfstelle Berlin vom 26. Juli 1924 – Nr. 8750 ausgesprochene Zulassung des Bildstreifens „Der Kriminalfall in Hannover“ wird widerufen. Die öffentliche Vorführung dieses Bildstreifens im Deutschen Reich ist verboten.

> Zum Text des Verbotsentscheids

„Göttinger Tageblatt“ 26. August, 1924
Die Aasgeier der Haarmannaffäre

Die Sache Haarmann wird jetzt in Berlin von allen möglichen mehr oder weniger sauberen Geschäften zum Zwecke des Geldverdienens ausgenützt. Eine Anzahl von Druckschriften ist in Berlin bereits erschienen, in denen der Fall Haarmann mit völliger Sachkenntnis auseinandergesetzt wird. Nun ist auch in einer Berliner Filmzeitung ein Inserat erschienen, das
wiedergegeben zu werden verdient. Es lautet: „Das beste Geschäft ist der Film des Massenmörders Haarmanns. Haarmann; das Verkehrslokal Haarmanns; seine letzten Opfer und seine Angehörigen; seine Wohnung; seine Wirtin; Absuchen der Leine nach Knochenresten. Länge 440 Meter.“ Man kann jetzt also in Berlin Hand in Hand mit seiner Freundin im schummernden Dunkel sitzen und auf der Leinwand wird die Leine nach Knochen abgesucht, freundlich lächelnd wird der Massenmörder Haarmann vorgeführt. Verstümmelte Leichen werden gezeigt und ähnliches mehr. So wird der Massenmörder zu einem Massengeschäft von „440 Meter Länge“.


„Hannoverscher Kurier“ 4. September, 1924
Anfrage der Deutschnationalen Reichstagsfraktion.
Der Film des Massenmörders.

Durch die Presse läuft die Nachricht, zurzeit sei „das beste Kassengeschäft der Film des Massenmörders Haarmann”, 440 Meter; dieser bringe u. a. “sein letztes Opfer und seine
Angehörigen“, Abfischen der Leine nach Knochenresten und dergleichen. Dieser offenkundig verrohende Film sei von der zuständigen Reichsbehörde freigegeben. Ist das wahr?
Und wenn es wahr ist, ist der Reichsminister des Innern bereit, wirksam einzuschreiten, damit künftig derartig offenkundige Fehlurteile unmöglich gemacht werden?
Gez. Mumm und andere.


Der Haarmann-Film verboten

Den Haarmann-Film hatte die Film-Oberprüfstelle in Berlin zugelassen. Der Minister des Innern hatte aber sämtliche Polizeibehörden angewiesen zu prüfen, ob die Voraussetzungen für ein ortspolizeiliches Verbot vorliegen. Jede Werbung für den Streifen an Geschäftsräumen, öffentlichen Anschlagstellen und durch Verteilen von Druckschriften ohne Genehmigung war an sich verboten. Jetzt hat auch die Oberprüfstelle selbst die Zulassung verboten.

Zu dem kommenden Riesenprozeß gegen den Massenmörder Haarmann , welcher 27 Morde in Hannover vollbrachte. Zu dem Prozeß sind über 190 Zeugen geladen und ist mit einer Prozeßdauer von 14 Tagen zu rechnen. Der Massenmörder Haarmann in Ketten gehalten durch Kriminalbeamte, wird gefilmt.

Die ersten autentischen Aufnahmen von dem Massenmörder Haarmann, aus Hannover, welcher 22 Morde auf dem Gewissen hat. (einzigste Aufnahmen unsers Sonderbildberichterstatters) Der Wohnraum des Massenmörder Haarmanns, in welchem er seine Opfer umbrachte.

Zu dem großen Prozess den siebenundzwanzigfachen Mörder Haarmann in Hannover, wozu hundertundneunzig Zeugen geladen sind. Die Mansardenstube, die Wohnung Haarmanns in welcher er seine Opfer umbrachte.

Acht Jahrzehnte Hannover im Film

Historische Streifen restauriert. Sie werden im Künstlerhaus gezeigt.
Neue Presse, 23. November 2006

[…]
VON MICHAEL KRISCHE

HANNOVER. Als der Massenmörder Fritz Haarmann 1924 endlich gefasst war, wurde ein Film über seine Untaten gedreht. „Der Kriminalfall Hannover“ hieß der Streifen, von dem ein Sechs-Minuten-Fragment im Bundesarchiv wiederentdeckt und in kurzen Ausschnitten im NDR-Fernsehen gezeigt worden ist […].
Der gesamte Fall ist demnächst (zusammen mit anderen Hannover-Filmen) im Künstlerhaus zu sehen: Neben dem Haarmann-Wohnhaus in der Roten Reihe atmosphärisch dichte Straßenszenen aus der Bahnhofstraße, der Altstadt und der Leine-Insel: Männer mit Handkarren, barfüßige Jungen, Stehbierhallen bilden die Kulisse für das düstere Milieu des Massenmörders.
„Der Film wurde sechs Wochen nach Fertigstellung verboten, mit der Begründung, die Zwischentitel würden niedrigere Instinkte wecken“, so Peter Stettner von der Gesellschaft für Filmstudien (GFS). Er und seine Freunde haben den historischen Streifen aufgearbeitet. Und nicht nur den: Drei weitere alte Hannover-Filme sind von der Gesellschaft dieses Jahr restauriert und für die Nachwelt gesichert worden.
Zeitgeist strömt nur so aus dem Wiederaufbau-Film von 1960: Brave Mädchen lernen in der modernen Schule, wie man künftige Ehemänner am Kochherd verwöhnt. Ein Film, den Heinz Koberg im Auftrag der Stadt Hannover drehte.
Szenenwechsel: „Ein Sommertag im Zoo.“ Ein wilder Kuhantilopenbock jagt einen Wärter über den Zaun. Der Sprecher in dem fast 40 Jahre alten Film von Horst Latzke reimt die Kommentare. Ach ja: Damals gabs noch Bären im Zoo. Ernster geht’s in dem Streifen „Jugend in unserer Stadt“ von 1978 zu: Ein junges Paar sitzt bei der Drogenberatung. Nicht nur die Frisuren haben sich seit 1960 geändert.
Dank der Hannover-Stiftung der Sparkasse (die 45.000 Euro bewilligt hat) kann die GFS demnächst weitere 15 bis 20 der bekannten 70 Hannover-Filme retten.
[…]


Wo der Massenmörder lebte

Vier Premieren von historischen Hannover-Filmen an einem Abend
Hannoversche Allgemeine Zeitung, 23. November 2006

Zensiert und verboten. Nur sechs Wochen nach der Fertigstellung. Die Behörden kassierten 1924 den Film „Der Kriminalfall in Hannover“ ein. Er sei zu reißerisch und würde Menschen zum Nachahmen verführen. Zwanzig Minuten dauerte der Film, der die Orte zeigt, an denen Fritz Haarmann lebte. Sechs Minuten sind erhalten geblieben. Im Bundesfilmarchiv hat Peter Stettner von der Gesellschaft für Filmstudien das Fragment aufgespürt und mit Thomas Garzke aufgearbeitet. Am Donnerstag, 30. November, ist der Fall erstmals im Kino im Künstlerhaus, Sophienstr. 2, zu sehen.
Doch nicht nur diesen Film haben die beiden in diesem Jahr mit finanzieller Hilfe der Hannover Stiftung der Sparkasse Hannover und der Stadt so weit wieder hergestellt, dass sie ihn vorführen können. Der Wiederaufbaufilm „Alle machen mit“ (1960), „Ein Sommertag im Zoo“ (1967) und „Jugend in unserer Stadt“ (1978) werden erstmals ab zu sehen sein. […]
Jeder Film für sich ist ein interessantes Zeitdokument und hat aus heutiger Sicht oft eine gewisse Komik. Der Zoofilm etwa ist komplett durchgereimt. Bei den Antilopenbildern heißt es: „Schon greift der Bock den Wärter an, der denkt nur: Rette sich, wer kann!“ Die Zwischenzeilen zum Stummfilm über Hannovers berühmtesten Massenmörder sind zwar nicht in Versform, trotzdem waren sie es, die zum Verbot führten. Die Bilder gleichen eher einer Sozialreportage und verraten viel über das Leben in der Altstadt 1924. hs


Ausbeutung eines Verbrechens?

Hannoversche Allgemeine Zeitung, 22. März 2007

Es ist nur ein ganz kurzer Film, ohne Ton, aber ein wichtiges Dokument: „Der Kriminalfall in Hannover“ von 1924. Knapp viereinhalb Minuten, etwas zittrig, schwarzweiß natürlich, unterbrochen von Schrifttafeln, ein Film über den Massenmörder Fritz Haarmann. Das Fragment zeigt vermutlich die ältesten Bewegtbilder aus der Innenstadt und der Altstadt Hannovers. Die Gesellschaft für Filmstudien hat den von ihr restaurierten Film jetzt auf DVD herausgegeben und in einem aufschlussreichen Booklet die Geschichte hinter den Bildern erklärt.
Das kleine Werk ist auch ein Stück Mediengeschichte. Am 1. Juli 1924 hatte Fritz Haarmann die Morde gestanden, schon drei Wochen später lag der Film der Zensurbehörde in Berlin zur Freigabe vor. Für damalige Verhältnisse war die 20-Minuten-Produktion also in ziemlich rasantem Tempo hergestellt. Leider sind 16 Minuten des Films, den das Filmhaus Krüger & Co. aus Hamburg herstellte, verschollen.
Aber die Zensurkarte ist erhalten und damit die Zwischentitel, die von einigem Pathos getragen sind: Mit „Eltern! Schützt eure Kinder!“ geht es los, und dann folgt zwischen den noch erhaltenen Filmteilen: „Seine Hausbewohner täuschte er durch sein zuvorkommendes Wesen. Selbst seine Wirtin Frau Engel konnte über ihn nicht klagen und hatte keine Ahnung von seinem mörderischen, schandvollen Treiben.“ Im Bild tritt dann eine Dame mit Schürze aus dem Haus. Frau Engel? […]
Im Übrigen teilen die Bilder wenig Grausiges mit. Wir lernen aus ihnen aber, dass der Hannoveraner 1924 gern Handkarren durch seine Stadt schob, in Stehbierhallen stand und Hüte trug. Man fuhr viel Fahrrad und Kinder spielten barfuß auf den Straßen. Die Zensurbehörde hat das harmlose Werk dennoch verboten. Einer der Sätze, mit dem die Entscheidung begründet wurde, verdient es ganz besonders, überliefert zu werden: „Die Oberprüfstelle ist grundsätzlich der Auffassung, dass die geschäftliche Ausbeutung die Öffentlichkeit erregender Kapitalverbrechen durch sensationell aufgemachte, mit kolportagehaftem Text versehene Bildstreifen geeignet ist, die öffentliche Ordnung zu gefährden.“ hpw

Zu dem kommenden Riesenprozeß gegen den Massenmörder Haarmann , welcher 27 Morde in Hannover vollbrachte. Der wichtigste Zeuge des Prozeß Theodor Hartmann rechts 23 Jahre alt, welcher Zimmernachbar des Haarmann war und dessen Aussagen ausschlaggebend sind.

Zur Urteilsfällung im Haarmann – Prozeß ! Innenaufnahme des Gerichtssaales bei der Urteilsverkündung.
Weitere filmische Bearbeitungen des Falls Haarmann

M – Eine Stadt sucht einen Mörder, Fritz Lang, D 1931
Die Zärtlichkeit der Wölfe, Uli Lommel, D 1973, Drehbuch R.W.-Faßbinder
Der Totmacher, Romuald Karmarkar, D 1995


Literaturhinweise zu Haarmann
  • Theodor Lessing: Haarmann. Die Geschichte eines Werwolfs und andere Gerichtsreportagen. Hrsg. und eingel. von Rainer Marwedel. Frankfurt am Main: Luchterhand 1989. (Sammlung Luchterhand. 865) ISBN 3-630-61865-0 (Zuerst Berlin 1925)
  • Friedhelm Werremeier: Haarmann. Der Schlächter von Hannover. Die grauenvollen Verbrechen des berüchtigten Serienmörders. München: Heyne 1995. (Heyne-Bücher. Allgemeine Reihe. 8577) ISBN 3-453-08907-3 (Zuerst Köln 1992)
  • Die Haarmann-Protokolle. Christine Pozsár / Michael Farin (Hg.). Reinbek: Rowohlt 1995. (rororo. 60163. Sachbuch) ISBN 3-499-60163-X
  • Thomas Keller: „… der höllischen Ausgeburt den Kopf vor die Füße legen …“. Zur Psychologie der strafenden Gesellschaft. Der Fall Haarmann. In: Von der Polizei der Obrigkeit zum Dienstleister für öffentliche Sicherheit. Festschrift zum 100. Gebäudejubiläum des Polizeipräsidiums Hannover 1903-2003. Hans-Joachim Heuer [u.a.] (Hg.). Hilden 2003, S. 69-88. ISBN 3-00-011937-X
  • Kathrin Kopisch: Der Fall Fritz Haarmann (1924). In: Hannoversche Geschichtsblätter. N.F. Bd. 55-56 (2001-02) [erschienen 2005], S. 97-116

Das könnte dich auch interessieren …