Berliner Ballade (1948)
Inhalt
Ein unsichtbarer Erzähler führt den Zuschauer aus der schönen, modernen Welt des Jahres 2048 zurück in das Berlin der frühen Nachkriegszeit und lenkt den Blick auf Otto Normalverbraucher, einen quasi synthetischen Durchschnittsdeutschen, der in der Folge typische Probleme jener Jahre durchlebt. Der für den irrwitzigen Alltag dieser Zeit betont harmlose und gutgläubige Normalverbraucher versucht, in seiner teils zerstörten, teils von ungebetenen Gästen in Besitz genommenen Wohnung Platz zu finden, durchwandert auf seiner Suche nach Arbeit und Brot die Trümmerlandschaft Berlins, besucht politische Veranstaltungen, erlebt neben Egoismus, Mißmut und Gleichgültigkeit auch alten und neuen Militarismus.
Seine Träume vom Überfluss führen den Normalverbraucher immer wieder zu einer hübschen Verkäuferin, die er schließlich ehelicht. Doch die politisch-militärische Entwicklung während der Berliner Blockade bedroht nochmals den Normalverbraucher: symbolisch wird er niedergeschlagen, erhebt sich im letzten Moment, um statt seiner die schlechten menschlichen Eigenschaften zu beerdigen, wodurch der Weg ins private Glück dann endlich frei wird.
Autoren/Innen
Filmanalyse: Autorengruppe Nachkriegsspielfilme (1993)
Zusammenstellung und Bearbeitung der Materialien: Autorengruppe Nachkriegsspielfilme (1993); aktualisiert: Detlef Endeward (2022)

Regie: | Robert A. Stemmle |
Buch: | Günter Neumann |
Kamera: | Georg Krause |
Musik: | Werner Eisbrenner, Günter Neumann |
Produktionsleitung: | Werner Drake |
Produktion: | Comedia-Filmgesellschaft, Berlin-München |
Verleih: | Anton E. Dietz Filmverleih GmbH. (West-Berlin / München / Frankfurt) – Norddeutscher Filmverleih, Adolf Bejöhr (Hamburg / Düsseldorf) Bezirksverleiher |
Länge: | 91 Minuten |
Zensurdatum: | Dezember 1948 (All. Mil. Zensur) |
Uraufführung: | 31.12.1948 (West-Berlin) |
Prädikate: | Sonderpreis für die „geistvolle Darstellung der deutschen Nachkriegsverhältnisse“ bei der internationalen Filmkunstausstellung (Biennale) in Venedig 1949. |
Darsteller: | |
Gert Fröbe | Otto Normalverbraucher |
Aribert Wäscher | Anton Zeithammer |
Tatjana Sais | Ida Holle |
Ute Sielisch | Eva Wandel |
O. E. Hasse | Reaktionär + Straßenbahnschaffner + Friedhofsdiener |
Werner Oehlschläger | Raisonneur |
Hans Deppe | Emil Lemke |
Erwin Biegel | Herr vom Bezirksamt |
Herbert Weißbach | Kunde der Amorzentrale |
Rita Paul | Sängerin in der Torero-Bar |
Marianne Prenzel | |
Brigitte Mira | |
Ruth Zilger | |
Georgia Lind | |
Jeanette Brons | |
Herwat Grosse | |
Alfred Parpart | |
Kurt Wettkamp | |
Franz Otto Krüger | |
Otto Matthies | |
Franziska Dörr | |
Walter Strasen | |
Georg August Koch | |
Franz Pollandt | |
Walter Schramm | |
Walter Bluhm | |
Karl Hannemann | |
Veronika Mayer | |
Auguste Frede | |
Kurt Muskate | |
Alfred Kuck | |
Georg Völkl | |
Edgar Pauly | |
Walter Bechmann | |
Kurt Gehtke | |
Ilse Trauscholt | |
Reinhold Bernt | |
Karl Schönböck | |
Eduard Wenck | |
Max Paetz | |
Herbert Hübner | |
Alfred Schieske | |
Theo Vogler | |
Alfred Beierle | |
Eva Bodden | |
Siegfried Dornbusch | |
Gunhild Schwinning | |
Alexander Welbat | |
Hans Kurt Müller | |
Erik v. Loewis | |
Michael Symo | |
Werner Völger | |
Lilo Novka | |
Sigrid Logan | |
Lilo Herbeth | |
Ursula Müller | |
Hugo Kalthoff |
Autoren/Innen
Filmanalyse: Autorengruppe Nachkriegsspielfilme (1993)
Zusammenstellung und Bearbeitung der Materialien: Autorengruppe Nachkriegsspielfilme (1993); aktualisiert: Detlef Endeward (2020)
Nr. |
Inhalt |
Länge |
Zeit im Film |
1 |
Vorspann. Rückblick aus der Zukunft auf 1948. Berlin als futuristische Metropole des Jahres 2048. Die Trümmerlandschaft Berlins 1948. |
3.27 |
0.00 – 3.27 |
Kriegsheimkehrer Otto Normalverbraucher in der Trümmerlandschaft. Spaziergang von der Siegessäule durch die zerstörte Siegesallee im Tiergarten. Begegnung mit einer alten Frau. Auf der Suche nach seiner Wohnung spricht Otto erfolglos einige Passanten an. |
3.43 |
3.27 – 7.10 |
|
3 |
Otto findet das Haus und betritt seine Wohnung, die von Anton Zeithammer und Frau Holle bewohnt wird. |
3.35 |
7.10 – 10.45 |
Rückblende auf die Kriegsjahre 1941-44: Luftangriffe auf Berlin, Einberufung und Musterung Ottos, schließlich Grundausbildung, Kampfeinsatz und Gefangennahme. |
3.02 |
10.45 – 13.47 |
|
5 |
Rückblende, frühe Nachkriegszeit in München. Bürokratische Hürden verhindern, daß Otto dort bleiben kann. Er trennt sich von einer anhänglichen Münchnerin, macht sich auf den Weg nach Berlin und überquert unbemerkt die amerikanisch-russische Demarkationslinie. |
4.13 |
13.47 – 18.00 |
6 |
Otto träumt in seinen drei Wänden von der blonden Kuchenverkäuferin, die ihm bereitwillig Süßwaren serviert. Sein Schlaf wird durch eine Verkäuferin an der Haustür gestört, die ihm Zwiebeln verkaufen will. |
2.58 |
18.00 – 20.58 |
7 |
Otto auf dem Berliner Meldeamt (Stempeldaumen). Einkauf im Lebensmittelgeschäft: Der Mangel an Zucker bewirkt Vergesslichkeit; Otto begegnet einem gönnerhaften alten Bekannten auf der Straße, den er nicht erkennt. Arztbesuch bei Dr. Köppchen, Facharzt für Gemütsleiden, der jedoch ebenfalls von der Mangelerscheinung der Vergesslichkeit befallen ist. |
4.52 |
20.58 – 25.50 |
8 |
Otto veräußert Teile seiner Wohnungseinrichtung gegen Lebensmittel. Vor einem Pfandbüro muss Otto mit seiner Waage in der Schlange stehen. Montage und Chanson „Im großen Wartesaal des Lebens“. |
4.49 |
25.50 – 30.39 |
9 |
Wieder-Inbetriebnahme einer Fabrik, in der Otto Arbeit findet. Reportage eines Rundfunkjournalisten aus der Werkhalle. Otto bringt seinen alten Frack zum Frack-Verleiher und erhält dafür den „ersten neuen Anzug nach dem Kriege“. Da die Fabrik in der Zwischenzeit geschlossen hat, begibt er sich wieder auf Stellensuche. |
3.09 |
30.39 – 33.48 |
10 |
Otto als Nachtwächter. Während er zum zweiten Mal von der Kuchenverkäuferin träumt, wird das Geschäft ausgeraubt. |
3.35 |
33.48 – 37.23 |
11 |
Der mißmutige Herr bei der Zeitungslektüre. Besuch des Stromkontrolleurs. Zeithammer und Otto betrinken sich; Zeithammer beklagt sein Schicksal als Schieber. |
3.39 |
37.23 – 41.02 |
12 |
Otto besucht Wahlkampfveranstaltungen der Sozialisten und der Bürgerlichen und unterhält sich mit dem Saal-Dekorateur darüber, wer Recht hat. |
2.44 |
41.02 – 43.46 |
13 |
Kampflied / Montage. |
1.16 |
43.46 – 45.01 |
14 |
Otto hat Glück (Begegnung mit dem Schornsteinfeger). Er besorgt sich seinen Frack wieder und arbeitet als Kellner in einer Luxusbar. Gesangseinlage:“ Kopf hoch – die Sache wird schon schiefgehn“. |
3.47 |
45.01 – 48.48 |
15 |
Exkurs zur Internationalität des besetzten Berlin: In der Deutschen Staatsoper wird „Madame Butterfly“ aufgeführt. Einblick in Frau Holles Amorzentrale. Anton Zeithammer wird von der Kriminalpolizei abgeführt. |
2.53 |
48.48 – 51.41 |
16 |
Frau Holle schäkert mit Otto und setzt ihm einen Floh ins Ohr: „Sechs Berliner Frauen kommen auf einen Mann.“ Lied „Tausend Herzen suchen Liebe“. Bei einem Spaziergang im Park trifft Otto auf zahlreiche Liebespaare, unter anderen einen G.I. und ein deutsches Mädchen, die sprachliche Verständigungsprobleme haben. |
4.52 |
51.41 – 56.33 |
In der Straßenbahn träumt Otto zum dritten Mal von der Kuchenverkäuferin, die er nach dem Erwachen vor sich sitzen sieht. Durch seine aufdringliche Blicke gestört, verlässt sie das Fahrzeug; Otto gerät mit dem Straßenbahnkontrolleur aneinander, der sich als ehemaliger Feldwebel herausstellt. |
2.50 |
56.33 – 59.23 |
|
18 |
Maskenball in einem ehemaligen Luftschutzbunker: an der Kuchentheke begegnet Otto erneut der Frau seiner Träume. |
3.30 |
59.23 – 62.53 |
19 |
Kuchenübergabe am Hinterausgang des Bunkers. Otto begleitet Eva über die Trümmerfelder heim, vor ihrer Wohnung küssen sie einander. Nach hause zurückgekehrt packt Otto andächtig den Kuchen aus und träumt anschließend von der gemeinsamen Hochzeit. Die echte Hochzeit in etwas dürftigerem Ambiente folgt unmittelbar darauf. |
3.59 |
62.53 – 66.52 |
20 |
Exkurs zur „musikliebenden Stadt“ Berlin: diverse Orchesterauftritte und Kulturereignisse. Montage: Ottos und Evas von Mißstimmungen getrübtes Eheleben. |
2.28 |
66.52 – 69.20 |
21 |
Erklärende Worte zur Währungsreform. Otto steht im Regen, bedrohliche Zeiten kündigen sich an (Zeitungsschlagzeilen). Die ergebnislosen UN-Konferenzen werden dargestellt, eine Sitzung endet im symbolischen Weltenbrand. |
4.56 |
69.20 – 74.16 |
22 |
Otto trifft den aus der Haft entlassenen Anton Zeithammer. In einer Kneipe werden sie Zeuge einer Diskussion zweier Veteranen, die die strategische Ausgangslage des kommenden Krieges besprechen. Otto mischt sich ein und wird daraufhin von beiden tätlich angegriffen. |
5.03 |
74.16 – 79.19 |
23 |
Trauergemeinde um Ottos Sarg. Otto, der alleine zurückbleibt, stellt sich als lebendig heraus. |
2.22 |
79.19 – 81.41 |
24 |
Auf dem Friedhof appelliert Otto an die Trauergemeinde, an seiner statt Egoismus, Gleichgültigkeit, Missmut und Hass zu begraben. Der Sprecher weist darauf hin, daß im folgenden Jahr (1949) die menschliche Vernunft die unausweichlich scheinende Weltkatastrophe verhindern konnte. |
3.41 |
81.41 – 85.22 |
Drehbuchautor Günter Neumann bearbeitete für sein Drehbuch sein Kabarettprogramm Schwarzer Jahrmarkt, eine Revue der Nachkriegsjahre.
Der Film wurde an Originalschauplätzen in Berlin und in den Studios der Union-Film in Tempelhof gedreht. Dabei hatte das Team mit den durch die Berliner Blockade verursachten Verhältnissen zu kämpfen, die für Stromrationierung und Material-Verknappung gesorgt hatten.
Der Film startete am 31. Dezember 1948 in den deutschen und am 23. Juni 1950 in den österreichischen Kinos.
Der Film war 1950 für den British Film Academy Award nominiert. Ebenfalls nominiert war Robert A. Stemmle für den Goldenen Löwen der Filmfestspiele von Venedig. Dort gab es einen Sonderpreis für die „geistvolle Darstellung der deutschen Nachkriegsverhältnisse“
Illustrierte Film-Bühne Nr.363
Stellen sie sich mal vor, man hat sie über Nacht in das Jahr 2049 versetzt. Gelangweilt sitzen Sie in ihrem automatischen Superklubsessel, schalten nun mittels Fernschaltung von ihrer Stuhllehne aus Ihren ‚Spezial-Zeitbetrachter‘ ein und blenden um 100 Jahre zurück. Sie vergessen für ein paar Stunden die drohenden Wolkenkratzer vor ihrem Fenster, die vorbeirauschenden Jedermann-Flugmaschinen und durchleben nun die Epoche, in der wir gequälten Zeitgenossen augenblicklich sitzen. Bestimmt werden Sie sich köstlich über dieses tragikomische Zeitbild amüsieren, das nun vor ihnen abrollt.
Da ist als erster Otto Normalverbraucher, ein echter Berliner, der als höchst unfreiwilliger Vaterlandsverteidiger in das „friedliche Leben“ zurückkehrt.
Im „bayerischen Paradies“ lernt er die ersten positiven Errungenschaften der wiedergewonnenen Zivilisation kennen: Zuzugsgenehmigung, Lebensmittelkarten, Arbeitserlaubnis, Behörden und noch viele andere ebenso erfreuliche Begriffe mehr, die dem Weltbürger von 2049 nur noch der Duden des Jahres 1949 definieren kann.
Und auch Ottos Bart wird immer länger und seine Sehnsucht nach Berlin immer stärker, stärker als alle Gerüchte, die man ihm über seine Heimatstadt erzählen will.
So tippelt er gen Norden, unterschlüpft geschickt durch einen Fuchsbau die damaligen Zonengrenzen und landet schließlich vor seiner Wohnung, in die sich inzwischen ein „schiebender“ Untermieter und eine „ehevermittelnde“ Untermieterin eingenistet haben, die beide dafür sorgen, daß das Geschlecht der Normalverbraucher nicht ausstirbt.
Mit den kümmerlichen Resten seines verbliebenen Besitzes versucht Otto nun endlich wieder Mensch zu werden und erst langsam wird ihm klar, daß dies nur durch Ausübung des in jener Zeit sehr aktuellen „Tauschhandels“ möglich ist. So schlägt er sich durch, als Drucker, Kellner und als Nachtwächter, in dessen Träumen immer wieder ein nettes, junges Kuchenmädchen, umgeben von Schlagsahne und Törtchen, erscheint. Doch auch diese angenehme Betätigung ist ihm nicht lange beschieden, denn man kann ihm nicht verzeihen, daß die bösen Diebe während seiner „Nachtträumer-Dienststunden“ das von ihm „bewachte“ Konfektionsgeschäft ausleeren.
Doch als Ersatz findet er das hübsche Kuchenmädchen in natura und ein luftiger Behelfslieferwagen führt die beiden zum ehelichen Bestattungsamt – Verzeihung – Standesamt.
Nach einigen zeitgenössischen häuslichen Szenen gerät Otto nun in eine militärtaktische Unterredung zwischen zwei reaktionären Vertretern von west und Ost, erhält dabei einen derartig schlagkräftigen Anschauungsunterricht, dessen Ergebnis das etwas unangenehme Erwachen – im Sarg – ist. Allerdingbewahrt ihn der Wertarbeit der damaligen Särge, die ebenso stabil und haltbar angefertigt waren, wie alles in jenen Tagen, vor dem endgültigen Scheiden aus dieser Welt. Und so geschieht es, daß er auf dem Bodenbrett des Sarges liegenbleibt, während die tieftrauernden Hinterbliebenen den Kasten zum Friedhof schleppen und der gute Ottoseiner eigenen Beerdigung beiwohnen darf.
Und da die Zeremonie nun einmal begonnen hat, der Sarg jedoch noch leer steht, so werden wenigstens Schiebertum und Egoismus, Haß und Militarismus, die endlosen und erfolglosen Konferenzen und noch viele andere für diese Zeit so charakteristischen Erscheinungen zu Grabe getragen.
Offenbar aber hat – wie uns der Sprecher aus dem Jahr 2049 einreden will – die menschliche Vernunft doch über die Unvernunft gesiegt. – Und der muß es ja schließlich wissen.
„Ach je, schon wieder ein Heimkehrerfilm!“
Autorengruppe Nachkriegsspielfilme (1993)
Prononciert nimmt der Kommentar zu Beginn des Films einen möglichen, in den Jahren 1948/49 zu erwartenden Einwand des Publikums vorweg. Wer das tut, provoziert Erwartungen. Ein normaler „düsterer“ Heimkehrer- bzw. Trümmerfilm kann so nicht eingeleitet werden und wird es auch nicht: BERLINER BALLADE unternimmt den Versuch, Probleme und Not der unmittelbaren Nachkriegszeit aus einer fiktiven Zukunft rückblickend zu zeigen und damit die Zuschauer humorvoll und ironisch distanziert zu unterhalten. Dementsprechend ungewöhnlich ist auch das filmische Grundgerüst: eine Montage unterschiedlicher Handlungsstränge und Zeitebenen (Rückblenden: zeitrafferartige Thematisierung der NS-Zeit und des 2. Weltkrieges; „Realzeit“ des Filmgeschehens: Thematisierung der deutschen Nachkriegszeit in Episodenform; Projektionen und Träume: Thematisierung der Sehnsucht nach einer „heilen“ Zukunft im gesellschaftlichen, vor allem aber im privaten Bereich), die durch einen Off-Kommentar in der Rolle eines fiktiven Erzählers und Zeitchronisten, der auch aktiv in das Filmgeschehen eingreift, sowie die Figur des Kriegsheimkehrers Otto Normalverbraucher zusammengehalten und verbunden werden. Dieses Nebeneinander ergibt ein ironisch-satirisches Kaleidoskop der deutschen (Berliner) Nachkriegszeit mit all ihren Alltagserscheinungen und Zeitproblemen.
Allerdings ist dieser Stil der BERLINER BALLADE nicht primär einer dramaturgischen Konzeption entsprungen, sondern stellt ein Mittel zum Zweck dar, denn die Grundlage für den Film bildet Günter Neumanns Kabarett-Revue „Schwarzer Jahrmarkt“, deren Motive hier zu einem Film verarbeitet wurden. Das Mittel der Filmmontage macht es möglich, Teile des Nachkriegskabaretts mit Hilfe des Handlungsträgers Otto Normalverbraucher und eines übergreifenden Kommentars „filmisch“ zu erzählen. Der Film bedient sich in diesem Zusammenhang verschiedener Kunstgriffe.
Eine erste „Klammer“ bildet ein stets präsenter Erzähler, der das Geschehen aus dem Off begleitet und erläutert. Der Kommentar erzählt, wie wir zu Beginn des Films erfahren, aus dem Jahr 2048. Während Frequenzsignale das Filmbild ausfüllen, entwirft eine Off-Stimme ein Zukunftsbild, welches schon in den 50er Jahren seine Erfüllung finden sollte: So spricht die Stimme etwa von „Tele-Kino-Besitzern“, „Heimkinos“ und einem „plastischen und farbigen Filmbild“, das der nun folgende Film leider noch nicht aufzuweisen hat: Der Zuschauer wird in die Distanz des Jahres 2048 versetzt. Aus Berlin ist eine überdimensional große, saubere, futuristische Hochhausstadt geworden und dort, wo sich einstmals der Grunewald befand, landen und starten heute „die Düsenmaschinen der Weltfluglinie New York – Moskau“: der Entwurf einer Zukunftsutopie, in der Berlin nicht als Symbol der Weltteilung, sondern als Drehscheibe der Ost-West-Verständigung fungiert. Von der utopischen Weltstadt Berlin im Jahre 2048 wird in die Berliner Stadtlandschaft des Jahres 1948 überblen- det: Trümmer und Ruinen Berlins werden so zu einer „erträumten“ gesellschaftlichen Realität des Jahres 2048.
Der zeitliche Abstand von 100 Jahren macht es dem Kommentator leicht, Bilder und Geschehnisse aus der deutschen Nachkriegszeit ironisch zu kommentieren. Gleichzeitig verschafft ihm die hundertjährige Distanz zu den Nachkriegsereignissen Gelegenheit, den Vorbehalt des deutschen Filmpublikums des Jahres 1948 gegenüber Heimkehrer- und Trümmerfilmen selbstironisch zu thematisieren: „Damals interessierten die Filme niemanden…“
Zunächst gelingt es dem Film auch, die Rückkehr des Otto Normalverbraucher in die vom Krieg zerstörte Stadt so zu inszenieren, daß für die Zerstörung verantwortliche Traditionen und Herrschaftsstrukturen filmisch verdeutlicht werden. Der Heimkehrer wird in klassische Ober- und Untersichten zu den zerstörten Denkmälern und Statuen deutscher Könige und Kaiser auf der Siegesallee gestellt. Solche Perspektiven und die schnelle Schnittfolge lassen die Statuen erschlagend und erdrückend auf den heimgekehrten Soldaten wirken, der schließlich ehrfurchtsvoll seine Mütze vom Kopf nimmt und untertänigst grüßt. Schon zu diesem Bild hört man eine Stimme rufen, im Bildanschluß kommt eine alte Frau zu Otto Normalverbraucher gelaufen und zeigt ihm ein Foto ihres Sohnes in Soldatenuniform: „Kennen Sie ihn? Waren sie mit ihm in einem Lager?“ Otto winkt verneinend ab und geht aus dem Bild: den namenlosen Soldaten kennt er nicht.
Den weiteren Weg des heimkehrenden Soldaten in das zerstörte Berlin begleitet der Kommentar mit den Worten: „Die am Boden zerstörte Allee der Besiegten: Man hatte alles Militaristische, Preußische, Monarchische im Stadtbild ausgemerzt, bis auf die Laternenpfähle, die noch allerlei Gestriges im Schilde führten.“
Nach dem Ende dieses Kommentars setzt Marschmusik ein, zu der in einem immer schneller werdenden Rhythmus Straßenschilder geschnitten werden: „Kaiser-Wilhelm-Straße“, „Bismarck-Allee“, „Hohenzollernplatz“, „Preußenpark“, „Hindenburgdamm“ usw. Von dem letzten Straßenschild schwenkt die Kamera auf Trümmer und Ruinen: Endpunkt und Resultat einer deutschen Geschichte, die in den Straßennamen und den Klängen der Marschmusik symbolisch ihren Ausdruck findet.
Im weiteren Verlauf des Films werden die filmisch gelungenen Inszenierungen jedoch seltener. Zu nennen wäre noch die Schnittfolge Einberufung – Musterung – Wehrausbildung – Krieg sowie die Straßenbahnsequenz, in der ein Schaffner im militärischen Ton seinen ausgeprägten deutschen Sinn für Ordnung und Vorschriften an Otto Normalverbraucher exemplifiziert. O.E. Hasse demonstriert hier in einer Mehrfachrolle sowohl die Kontinuität autoritärer Dispositionen (Kasernenhofspieß und Straßenbahnschaffner) als auch an späterer Stelle die bereits wieder vorhandene Kriegsgefahr sowie einen unbelehrbaren Militarismus auf östlicher und westlicher Seite (als ehemaliger Panzer- und Stukakommandeur) und schließlich folgerichtig den Tod (Leichenbestatter). Hier erhält die Filmmontage eine inhaltliche Wirkung und Aussage. Zumeist bedeutet sie jedoch nicht mehr als die Aneinanderreihung und Verbindung der unterschiedlichen Handlungsepisoden und Zeitebenen. Die filmästhetische Realisierung vermag sich über weite Strecken nicht von Methode und Form des Kabaretts zu lösen und enthält somit kaum „filmische“ Eigenständigkeit, die den Möglichkeiten und spezifischen Wirkungen des Mediums Rechnung trägt. Der satirische Charakter des Films wird in erster Linie durch Sprachwitz erreicht, die Filmbilder sind oft nicht mehr als eine Illustrierung des Kommentars oder wirken in ihrem Bemühen um Originalität aufgesetzt bzw. trivial. So haben die vielen Schrägeinstellungen in BERLINER BALLADE (z.B. in der Schilderung des Ehealltags) ihre dramaturgische Funktion verloren und wollen nur noch „ausgefallen“ sein. Anders als im Kabarett, in dem Wortmetaphern Zeit- und Gesellschaftsprobleme bedeuten können, enthalten die in ihrer visuellen Abbildung konkreteren Bildmetaphern, wie z.B. Regen und Gewitter für die Berlin-Blockade, das Begräbnis von Egoismus, Gleichgültigkeit, Mißmut und Haß sowie der Brand der Weltkugel als Zeichen einer nahenden globalen Katastrophe, nicht mehr als Oberflächenwitz und -kritik. So bleibt bei BERLINER BALLADE letztlich der Eindruck eines zerfahrenen, uneinheitlichen Filmstils, der oft in seinen Bildmetaphern überladen wirkt.
Es gelingt dem Film trotz dieser offensichtlichen Schwächen, bestimmte Zeiterscheinungen ironisch-satirisch offenzulegen. Dabei lassen sich in der satirischen Darstellungsweise zwei Einstellungen erkennen.[1] Wenn der unmittelbaren Lebenswelt des Otto Normalverbraucher übergeordnete Probleme dargestellt werden -alter und neuer Militarismus, alliierte Konferenzen, Wahlveranstaltungen politischer Parteien – werden die gesellschaftspolitischen Umstände durch Karikierung, Vereinfachung und pointierte Zuspitzung entlarvt, wenngleich eher mit milder als mit beißender Ironie. Die Satire stellt sich anders dar, wenn der unmittelbare Lebensraum Ottos – Wohnungsnot, Hunger, Probleme des Arbeitslebens – gezeigt wird: hier wird nichts lächerlich gemacht, sondern eher mitfühlend aus der Perspektive des Betroffenen dargestellt. Ein ironisch-satirisches Moment wird hier durch komisch-überspitzte Reaktionen Ottos (Rückzug in den Winterschlaf etc.) bzw. durch die milde, mit Worten spielende Stimme des Kommentars erreicht: „Von diesem Zimmer hatte man eine schöne Aussicht, und doch erschien ihm die Aussicht gering.“
Wenn die Zeitumstände des Nachkriegsberlins in dieser Weise ironisch vorgeführt werden – große Politik, Militarismus kritisch entlarvend, die alltäglichen Unbilden jener Zeit und ihre Bewältigung durch die Menschen eher verständnisvoll – so läßt sich die Gesamttendenz als eine humanistisch-moralische, letztlich aber auch unpolitische Stellungnahne verstehen. Dies wird vor allem in der Zeichnung der ungebrochen positiv (!) dargestellten Hauptfigur deutlich: Otto ist der hilflose, meist passive Typ, ein Opfer der Verhältnisse. Soweit er überhaupt Aktivitäten entfaltet, tut er dies, um seine unmittelbare Lebensnot zu lindern bzw. um sein privates Glück zu erlangen. Gesellschaftspolitische Aktivitäten liegen ihm fern. In einer Szene kommt Otto an einer Litfaßsäule vorbei, auf der – in Anspielung auf Staudtes engagierten Trümmerfilm – ein Plakat mit der Aufschrift „Der Täter ist unter uns. Mörder gesucht“ klebt. Der Normalverbraucher beachtet es nicht.
Als er dann ein einziges Mal in einem gesellschaftspolitischen Konflikt aktiv wird, wird er niedergeschlagen, sein Protest ist zwecklos. Und auch als Otto sich nach seinem scheinbaren Tod noch einmal aufrafft, um das Böse zu beerdigen, erscheint dies wenig überzeugend. Auf seinen moralischen Appell hin beerdigen die Vertreter der schlechten menschlichen Eigenschaften rasch alles Böse, Angst, Egoismus, Mißmut, Gleichgültigkeit, Haß, wie im Märchen wird alles gut. Die menschliche Vernunft habe gesiegt, heißt es. Wie so etwas passiert, davon erfahren weder Otto noch der Zuschauer etwas. Doch selbst dieses aufgesetzte und oberflächliche Eingreifen ist Otto etwas unheimlich – schnell rennt er mit seinem privaten Liebesglück davon. Wie in ihrer formalen Gestaltung so ist die BERLINER BALLADE auch in ihrer inhaltlichen Aussage widersprüchlich. Sie kritisiert auf der einen Seite ironisch-satirisch gesellschaftliche Probleme und bedrohliche Entwicklungen in der Nachkriegszeit wie Militarismus und Kriegstreiberei, Propagandareden und phrasenhafte Schlagworte. Und auch die Geschichte des Otto Normalverbraucher macht deutlich: Ein Überleben ist nur dann möglich, wenn diesen Entwicklungen, vor allem dem neu aufkeimenden Militarismus, Einhalt geboten wird. Gleichzeitig jedoch reduziert der Film – ganz deutlich am Schluß – gesellschaftliche Probleme auf allgemein menschliche Eigenschaften, die es zu beerdigen gilt. Die skizzierte Lösung erscheint so als ein unverbindlicher Appell, der nicht zuletzt durch denjenigen, der ihn ausspricht, unglaubhaft wird: den politisch abstinenten, passiven, nur auf sein privates Glück bedachten Normalverbraucher, wie ihn der Film die ganze Zeit in sympathischer und Mitleid erheischender Weise inszeniert.
Die Lebenseinstellung des Otto Normalverbraucher und das im Film transportierte Weltbild, sie entsprechen durchaus einer in der Nachkriegszeit weit verbreiteten Mentalität. Die Entfaltung von Aktivitäten schien vielen nur (noch) im privaten Bereich sinnvoll, hier wurden Glück, Zufriedenheit und eine Perspektive gesucht, darüber hinausgehendes Engagement erschien meist zwecklos. Das Zeittypische spiegelt sich auch in einigen Klischeebildern jener Jahre, die der Film transportiert: Als auf der „Weltkonferenz“ (in einem gelungenen Einsatz von Ton und Bild) Vertreter der vier Siegermächte sich zu Wort melden, deren Nationalität über eine landesspezifische Musik ausgedrückt wird, redet der russische Vertreter am längsten und aggressivsten, während seines Beitrages geht auch die Weltkugel in Flammen auf.
Letztlich reflektiert die BERLINER BALLADE als Ganzes, in Themenwahl, Zugriff und Gestaltung eine Entwicklungsstufe im (west-) deutschen Nachkriegsfilm: Die Nachkriegszeit mit all ihren täglichen Problemen und Sorgen ist noch Thema, die Flucht aus der gesellschaftlichen Realität, die in den folgenden Jahren den westdeutschen Film kennzeichnet und im Heimatfilm einen Höhepunkt erreicht, ist noch nicht angetreten. Gleichwohl ist es ein anderer Blick auf die Nachkriegszeit als in den frühen Trümmefilmen – ein distanziert-ironischer, ein Blick von Ende 1948, als die Währungsreform die Wende bereits eingeleitet hatte. Die Zeit der schlimmsten materiellen Not war vorbei. „Langsam beginnt der deutsche Zeitfilm sich aus dem starren Pathos seiner seelischen und realen Trmmer zu lösen“, so ein Rezensent in „Der neue Film“ Anfang 1949.
[1]Vgl. auch Pleyer, S.129f.