Unruhige Nacht (1958)

 

Inhalt

Die Adaption der Erzählung von Albert Goes berichtet vom Schicksal des elternlos aufgewachsenen Fedor Baranowski (Hansjörg Felmy), der bei Ljuba, einer ukrainischen Kriegerwitwe, zum ersten Mal so etwas wie ein „Zuhause“ erlebt. Um sie wiedersehen zu können, zeichnet er ihr einen Lageplan seiner Einheit und wird wegen Verrats militärischer Geheimnisse zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Er flieht zu Ljuba, wird entdeckt und wegen Fahnenflucht zum Tode verurteilt. Eine „unruhige Nacht“ lang hat der zur Hinrichtung beorderte Kriegspfarrer Brunner (Bernhard Wicki) Zeit, sich an Hand der Akten ein Bild vom Leben und der „Schuld“ des Angeklagten zu machen.


Originaltitel Unruhige Nacht
Produktionsland Deutschland
Originalsprache Deutsch
Erscheinungsjahr 1958
Länge 95 Minuten
Altersfreigabe FSK 12
Stab
Regie Falk Harnack
Drehbuch Horst Budjuhn
Produktion Günther Stapenhorst
Musik Hans-Martin Majewski
Kamera Friedl Behn-Grund
Schnitt Eva Kroll, Georg Jaun
Besetzung
  • Bernhard Wicki: Kriegspfarrer Brunner
  • Hansjörg Felmy: Fedor Baranowski
  • Ann Savo: Ljuba
  • Werner Hinz: Oberleutnant Ernst
  • Erik Schumann: Hauptmann von Arnim
  • Ulla Jacobsson: Melanie
  • Werner Peters: Major Katuschke
  • Richard Münch: Kriegsgerichtsrat Dr. Greitner
  • Paul Esser: Zahlmeister
  • Joseph Offenbach: Untersuchungsrichter
  • Emmerich Schrenk: Oberfeldwebel Mascha
  • Albert Bessler: Militärarzt
  • Wolfgang Gruner: Häftling
Foto von den Dreharbeiten (Foto: Filminstitut Hannover)

Produziert wurde der Film von Carlton-Film GmbH (München), Filmaufbau GmbH (Göttingen) und der Real-Film GmbH in Hamburg. Als Co-Produzenten traten Hans Abich, Walter Koppel und Gyula Trebitsch auf. Abich oblag auch die Herstellungsleitung. Die Produktionsleitung lag bei Eberhard Krause und die Aufnahmeleitung bei Frank Roell und Manfred Kercher. Der Erstverlei des Films erfolgte durch die Europa-Filmverleih GmbhH (Hamburg).

Finanzielle Einbußen bei vorangegangenen Projekten veranlassen die Filmaufbau, UNRUHIGE NACHT in Co-Produktion mit der Carlton-Film GmbH, München, und der Real-Film GmbH, Hamburg, zu realisieren.

1958, mitten in der bundesdeutschen Wiederbewaffnungsdiskussion, dreht Falk Harnack diesen Film. „Damit wird mit einer Deutlichkeit gegen den Krieg Stellung bezogen, wie es sich der deutsche Nachkriegsfilm noch nie geleistet hat. In einer Zeit, in der das Thema Krieg auf der Leinwand ohne Bedenken und Verantwortung zu Schundpreisen ausgebeutet wird, kann diese Tat nicht hoch genug veranschlagt werden.“ (Ev. Film-Beobachter vom 6.11.58)

Regieassistent Eberhard Itzenblitz und Hauptdarsteller Bernhard Wicki (Foto: Filminstitut Hannover)

UNRUHIGE NACHT (1958) hieß der Film der Filmaufbau, bei dem ich nun Falk Harnack assistieren sollte. Politische Gesinnung, gleiche familiengeschichtliche Fixpunkte, ausgeprägte antifaschistische Energien und das große liberale Wohlwollen eines Mannes wie Hans Abich brachten uns zusammen. UNRUHIGE NACHT nach der Novelle von Albrecht Goes sollte einer der wichtigsten Filme der Filmaufbau von Hans Abich und Rolf Thiele werden, aber auch jener, die in Niedersachsen entstanden sind. Zuerst aber fehlte das Geld.

Die Co-Produktion der Filmaufbau mit der Carlton-Film, München, und der Real-Film, Hamburg, ist bekannt. lm Frühjahr 1958 sollte schon gedreht werden, aber noch einmal verschob sich alles. Es wurde Sommer, Spätsommer. Und es wurde ein verregneter Sommer, wie ich immer wieder in meinem seit 1950 geführten Journal notieren musste.

Wir trafen uns in Hamburg dort, wo heute das „Studio Hamburg“ produziert: der Produktionsleiter, die Szenenbildner, Kostümbildner, die Aufnahmeleitung, wenig später Regisseur Harnack, Drehbuchautor Horst Budjuhn und der Dramaturg Wulf vom Verleih. Die Suche nach geeigneten Schauplätzen hatte, wie von Niedersachsen erwartet, Erfolg: Dem nördlichen Rußland ähnliche Motive zu finden, sollte nur ein paar Wochen dauern. Auch mit der Besetzung kamen wir klar, holten Gesichter aus Finnland und Schweden dazu. Bloß das vorliegende Drehbuch bereitete immer wieder Kopfzerbrechen.

Man bedenke: Die Bundesrepublik stand vor der Wiederbewaffnung, es gab bereits die Pariser Verträge, die Änderung des Grundgesetzes wurde diskutiert, die atomare Bewaffnung ernsthaft beredet. Und alles unter der Rubrik ,,Europäische Verteidigungsgemeinschaft“. Uns Jüngeren – zum größten Teil Kriegsteilnehmer, wie ich vor wenigen Jahren verwundet und in Gefangenschaft in der UdSSR gewesen – schien es unfassbar. Deshalb wohl auch unsere nächtelangen Gespräche über die Filmhandlung, welche zwar beklemmend genug, aber eher wie ein weit zurückliegendes Ereignis erschien, statt jenen Appellcharakter zu haben, den die Gegenwart, also auch unser Kinopublikum, nach unserer Meinung benötigte.

Falk Harnack zögerte, er hatte ohnehin dramaturgische Probleme mit dem Drehbuch. Jede Erweiterung hätte das bekannte Längenproblem nach sich gezogen. Wir saßen oft im Hotel Bellevue bis in die Nacht, wir saßen bald aber auch zusammen mit unseren Produzenten. Die Runde bestand aus Abich, Koppel und Trebitsch, dazu Harnack, Budjuhn, Wulf und mir im kleinen Konferenzzimmer des heutigen Studio Hamburg, damals Real-Film-Studio.

Es gibt in meinem Journal keine Bemerkung darüber, wer den Einfall hatte, dem entstehenden Film eine Rahmenhandlung zu geben. Unbestritten jedoch ist, dass sich auch Bernhard Wicki, der die Hauptrolle spielen sollte, sehr ernsthaft mit unserem Problem beschäftigte und direkt oder auch über mich – wir waren befreundet – seine Argumente mit einfließen ließ.

Dazu muss man wissen, dass Wicki damals gerade die Schnittarbeiten an seinem ersten (halbdokumentarischen) Film WARUM SIND SIE GEGEN UNS? (19S8) durchführte. Oft saßen er und ich abends nach den Dreharbeiten an UNRUHIGE NACHT am Schneidetisch und probierten die wirkungsvollsten Schnittsequenzen für seinen Kurzfilm aus. Und redeten auch über den Film, den er dann wenig später machen sollte, DIE BRÜCKE (1959).

Eine Rahmenhandlung musste her, auch wenn der Autor der zugrundeliegenden Novelle das nicht richtig fand, eine Handlung nämlich, die in der Gegenwart spielen und diese mit den Geschehnissen in Rußland 1942 verknüpfen sollte.

Filmszene aus UNRUHIGE NACHT (© Filminstitut Hannover)

Am Dienstag, dem 16. September 1958 (die Dreharbeiten waren schon seit Wochen im Gang), habe ich notiert: „Heute geht es weiter in der ‚Gemeinschaftszelle‘ (…) Zum Mittagessen sind Harnack, Abich, Krause und ich bei Koppel eingeladen. Wir sprechen über den Prolog, den ich schreiben soll (…)“. Und am 19. September heißt es: „(…) weiter in den Wald, wo wir die ‚Waldhütte Ljuba‘ drehen, auch – welch ein Glück – bei strahlender Sonne (…). Ich habe inzwischen auch den Prolog geschrieben (…).“ Wir haben ihn schließlich gedreht, wenn auch vierzehn Tage später (Wicki hatte einen Unfall und eine Wunde im Gesicht).

Der Film wurde noch im gleichen Jahr uraufgeführt, er war ein Erfolg. Umstritten blieb sein politischer Standort angesichts der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik. Ein Großteil der Öffentlichkeit erregte sich wegen seines Prologs, der andere Teil billigte ihn.

Die Presse schrieb: „(…) zeigt den Kriegsgerichtsrat fünfzehn Jahre später als korrekt gescheitelten, schmissetragenden Ministerialrat, der an der Seite eines Oberkirchenrates den Pfarrer in der Sakristei aufsucht: ‚Sie wissen, wir werden in Kürze wieder Garnisonstadt. Die Truppe braucht einen Seelsorger. Und da Ihnen ja, lieber Herr Pfarrer, die Probleme eines Soldaten nicht unbekannt sind, dachten wir uns, Sie wären bereit, dieses Amt zu übernehmen.“‚

Der Pfarrer (Bernhard Wicki) lehnt ab, und der Film beginnt, erzählt von seinen Erlebnissen in Rußland und von der Hinrichtung des jungen Deutschen.

Und weiter im ,,Spiegel“ vom 22.10.1958: „Autor Goes, der den Prolog vorerst nur aus den Schilderungen der Filmleute kennt, bekräftigte sein Einverständnis: ‚Der Prolog ist in dieser Form gewiß nicht künstlerisch, aber sachlich und politisch richtig. Ich habe keine inneren Einwände dagegen zu machen, daß das polemische Nein (…) auf diese Weise verbindlich zum Ausdruck kommt.‘ Dennoch sind die Filmleute sich klar darüber, daß ihr Prolog – der zumindest indirekt die Wiederbewaffnung kommentiert – mancherlei Mißhelligkeiten heraufbeschwören kann…“

So viel zu UNRUHIGE NACHT damals in Göttingen, im nördlichen Niedersachsen, zwischen den Kriegsgräbern in Holland. Vielleicht nur eine Anekdote, eine von vielen, die man zu erzählen vermag, wenn man älter wird.


Auszug aus: Learning bei doing oder von einem, der auszog…. Eberhard Itzenplitz erinnert sich an seine Göttinger Zeit. In: Wir Wunderkinder. 100 Jahre Filmproduktion in Niedersachsen. Hrsg. von der Gesellschaft für Filmstudien. Red.: Susanne Höbermann/Pamela Müller, Hannover 1996, S. 87-89

Die Evangelische Filmgilde hat den Film im November 1958 als besten Film des Monats empfohlen und schreibt dazu:“Die mutige Behandlung dieses aktuellen Themas und seine konsequente Durchführung lassen – trotz einiger formaler Einwände – den Besuch des Films zu einem bedeutenden Erlebnis werden.“ Mut schien damals nötig, einen solchen Film zu produzieren, darauf deuten auch die Ausführungen im Spiegel hin, der von einer „Bedrängnis, der die Hersteller eines Anti-Hurra-Films in der Bundesrepublik ausgesetzt sein können. (…)“ und  von einer „waghalsige(n) Anstrengung dreier deutscher Produzenten“ zu berichten weiß, dem Unterfangen aber auch ein Scheitern bescheinigt. Und dieser „Prophezeiung“ zwei Wochen später einen Veriss des Films folgen ließ. Gerd Fischer in der Neuen-Rhein-Zeitung befand dagegen, dass „dem Regisseur Falk Harnack (…) ein guter Filme gelungen [ist].“

Am Sonnabend dieser Woche soll den Zensoren der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft ein neuer deutscher Film zur Begutachtung vorgeführt werden, der nach Meinung der Hersteller geeignet ist, »einige Proteste auszulösen«. Schon fünf Tage später will der Europa -Verleih den Film mit dem Titel »Unruhige Nacht« in Berlin aufführen, obgleich, sich die Urheber dieses Werkes – die angesehenen Produzenten Abich, Koppel und Stapenhorst – bis Mitte vergangener Woche noch nicht einmal über die endgültige Fassung ihres Gemeinschaftsproduktes schlüssig waren.

Der Film ist nämlich die Kino-Version der bislang in zwölf Sprachen übersetzten Kriegsnovelle »Unruhige Nacht«, die der württembergische Dichter-Pastor Albrecht Goes, 50, verfaßt hat. Und die Frage, von der sich die Filmleute seit Anbeginn der Filmarbeiten gequält sehen, lautet: »Müssen, können oder sollen wir dieser Geschichte einen gegenwartsbezogenen Prolog voranstellen?« Der Konflikt, der die wackeren Produzenten zu immer neuen (ergebnislosen) Besprechungen zusammenführte, illustriert die Bedrängnis, der die Hersteller eines Anti-Hurra-Films in der Bundesrepublik ausgesetzt sein können. (…)

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Damit wird mit einer Deutlichkeit gegen den Krieg Stellung bezogen, wie es sich der deutsche Nachkriegsfilm noch nie geleistet hat. In einer Zeit, in der das Thema Krieg auf der Leinwand ohne Bedenken und Verantwortung zu Schundpreisen ausgebeutet wird, kann diese Tat nicht hoch genug veranschlagt werden.“

(Ev. Film-Beobachter vom 6.11.58)

Die waghalsige Anstrengung dreier deutscher Produzenten, der Kriegsnovelle des polemischen Pastors Albrecht Goes unter Hinzufügung eines gegenwartsbezogenen Prologs eine kinogerechte Bilderfolge abzugewinnen (SPIEGEL 43/1958), scheiterte nicht nur an augenfälligen Fehlbesetzungen. Regisseur Falk Harnack tappte auch den krassen Irrtümern des Drehbuchherstellers Horst Budjuhn in blinder Ziel – und Einfallslosigkeit nach. Hauptdarsteller Bernhard Wicki, der als Kriegspfarrer mit wehleidigem Hundeblick und gedämpfter Säuselstimme zu langweilen versteht, vollzog schließlich die künstlerische Exekution der ambitiösen Film-Idee. (Carltonl/Filmaufbau/Real.)

Auf den einschlägigen Filmwebseiten wird der Film in den kurzen Notizen überwiegend lobend  beschrieben.

Für prisma.de ist er ein“ausgezeichnetes Beispiel für politisch-moralisches Engagement im (bundes)deutschen Kino der Nachkriegszeit“, für den filmdienst ist der Film „wegen seiner konsequent-rigorosen Absage an den Krieg diskussionswert“. Und kino-zeit betont: “ Unruhige Nacht ist eine konsequente und unerbittliche Absage an den Krieg. Harnack kontrastiert bewusst Sekundärtugenden wie Ordnung und Gehorsam, die den Nazis das Regieren überhaupt ermöglichten, mit Werten wie Liebe und Freiheit, die von dem totalitären Regime sofort unterdrückt werden, um seinen Bestand nicht zu gefährden.“

 

Ein Film über Schuld und Gewissensqualen, über Verantwortung und Zivilcourage. Regisseur Falk Harnack erzählt die Geschichte eines jungen zum Tode verurteilten Obergefreiten (Hans Jörg Felmy) und eines Militärgeistlichen (Bernhard Wicki), der diesen kurz vor der Hinrichtung aufsucht. Harnacks Inszenierung wirkt ein wenig steif, die Dialoge sind manchmal hölzern. Und doch ist „Unruhige Nacht“, wie einige andere Filme der Zeit mit Soldatenthematik, bemüht um eine Verarbeitung des deutschen Traumas: „Nach der Novelle von Albrecht Goes gestaltete Harnack einen nachdenklichen Antikriegsfilm mit leisen Tönen und einer differenzierten Personencharakteristik.“ (Reclams Filmlexikon)

Aus: Experiment und Komödie. Das deutsche Nachkriegskino hat einen schlechten Ruf – aber es gab auch wunderbare Ausnahmen.

 

 

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