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„Gräßlicher deutsche Nachkriegsfilm“ oder „Große Zeit des deutschen Films“
Maria Schell contra Joe Hembus

1977 erschien eine Dokumentation der zeitgenössischen Programmhefte der „Illustrierten Film-Bühne“ zu 50 deutschen Nachkriegsfilmen von 1946 bis 1960. Darin äußern sich einleitend Maria Schell und Joe Hembus zu dieser Phase der deutschen Filmgeschichte.

Für Maria Schell war es eine große Zeit des deutschen Films

„Film sind ein Ausdruck ihrer Zeit, wenn es Produzenten gibt, die sie machen, und ein Publikum, das sie sehen will. Als der deutsche Nachkriegsfilm seine Höhepunkte hatte, waren die Voraussetzungen ganz anders als sie heute sind.

Es war eine große Zeit des deutschen Films.

Die große Zeit des Films überhaupt.“

Einmal in der Woche ins Kino gehen, war wie ein Fest. Aber kann man jeden Tag Feste feiern? Kann man sieben Filme an einem Wochenende sehen, nur weil das Fernsehen das heute möglich macht? Ist die Erlebniskraft des Menschen nicht doch begrenzt? Wir sitzen heute wie vor einem ewig vollen Tisch und können nicht mehr hungrig werden. Niemand ist schuld daran, niemand als die Zeit selbst. Und langsam bleibt uns aus dem allzu Vielen nur die Wahl zu wählen. Man könnte die Worte „Sage mir, mit wem du gehst und ich sage dir, wer du bist“ abändern in „Sage mir. Was due liest, welche Filme du siehst, und was du am Fernsehen vermeidest.“

Filme sind der Ausdruck, die Probleme, die Sehnsüchte und die Wunden einer Zeit, und es bleibt eine scheinbar ewige Wahrheit, daß wir in der Not die Werte des Lebens suchen, und in Zeiten der Sorglosigkeit selbst wieder zerstören müssen.

„Opas Kino“ brachte viele gute Filme in die deutschen Kinos, und das weiß man heute schon wieder. Und man weiß auch, daß Literatur aus zweitausend Jahren, ausgeschöpft und verbraucht wie Bodenschätze in der kurzen Geschichte des Films und des Fernsehens, sich nicht ersetzen läßt – nicht schnell genug für den rasenden Verbrauch unseres auch geistigen Überkonsums Und dennoch: – wie viele Probleme gäbe es zu gestalten, wie sehr können Filme dazu beitragen, die Welt zu verbessern, genauso wie sie dazu beitragen können, sie zu verschlechtern, sie im Traurigen und Negativen so lange zu dokumentieren, bis keiner  mehr einen Ausweg sieht, keinen Trost, außer dem, nicht dabei gewesen zu sein. Und dennoch: wie gerne würde und werde ich Filme machen – und mit mir alle Schauspieler – wie diese in dem Buch der alten Filmprogramme, die irgendeinen Menschen an irgendeinem Abend veranlassen werden, zu sagen: „Das war ein schöner abend.“

Joe Hembus dagegen bezeichnet die Illustrierte Film-Bühne „als Wachsfiguren-Kabinett des deutschen Nachkriegsfilms“:

„Wenn ich mir das ansehe, diese Filmprogramme zu fünfzig deutschen Produktionen aus den Jahren 1946 bis 1960, dann habe ich schon genug: So eine Kollektion ist ja ideal geeignet und absolut ausreichend, um diese Epoche des Filmschaffens zu konservieren. Da braucht man nicht eigens ein Filmmuseum aufzumachen und die paar hundert Kilometer belichtetes Zelluloid einlagern, die dieses Filmschaffen ausmachen. Viel besser, man verdrängt einfach die Vorstellung, daß es diese Filme tatsächlich einmal gegeben hart; viel besser, man macht sich einfach vor, irgendein Doktor Spalanzani habe sie in seinen Wahnträumen heruntergekurbelt; viel besser, man hinterläßt der Nachwelt nur in effigie, als Wachsfiguren-Kabinett oder, weil die mediengerechter ist, als schönen Sammelband der Illustrierten-Filmbühne in glühenden Originalfarben. So macht man das Gräßliche zwar nicht ungeschehen, aber wenigstens gibt man ihm einen Hauch von Unwirklichkieit.“

Die große Zeit des Deutsch Films – eine Zeit, in der Gräßliches entstand, was besser ungeschehen geblieben wäre!?

Seitdem liegt diese Phase des Filmschaffens 60 bis 75 Jahre zurück und seit dieser gegensätzlichen Kommentierung sind fast 45 Jahre vergangen. Wie blicken wir heute auf diese Filme zurück? Dafür müssen wir sie uns allerdings schon anschauen – da reicht das „Wachsfiguren-Kabinett“ bei weitem nicht aus. Und dieses Anschauen lohnt sich, nicht nur, weil wir dann zumeist gar nicht so „Gräßliches“ vorfinden, sondern weil Maria Schells Aussage, die Filme seien ein Ausdruck ihrer Zeit, voll ins Schwarze trifft.

Aber auch das Wachsfiguren-Kabinett hat mittlerweile eine besondere Qualität als Sammlung von Zeitdokumenten zur Filmgeschichte. Die Wiedergabe der einzelnen Programme erzählt etwas davon, wie die Publikumsansprache für den jeweiligen Film damals ausgesehen hat und was dabei für mitteilenswert gehalten wurde. Die Sammlung selbst offenbart, das in der Zusammenstellung bis 1949 ein „gesamtdeutsches“ Filmschaffen vorgestellt wird und ab dann das Filmschaffen der DDR keine Rolle mehr spielt bzw. im geteilten Deutschland für die Illustrierte Film-Bühne spielen kann. Aber das DEFA-Schaffen bis 1950 wird in der Sammlung unter der Hand „eingemeindet“ in die westdeutsche Filmgeschichte.

Von den „gräßlichen“ Filmen jener Zeit, die in diesem Sammelband aufgeführt werden, sind (bisher) 19 Filme in dieser Lernwerkstatt dokumentiert. Das ermöglicht unter filmgeschichtlicher Perspektive eine Auseinandersetzung mit Varianten der Filmwahrnehmung und so die Verifizierung der einen oder anderen Einschätzungen. Maria Schells Ausführung können wir auch als Reflexion über Veränderungen in der Filmwahrnehmung lesen und zugleich, sie beim Wort nehmen und die Filme als Ausdruck ihrer Zeit, als Quellen,  betrachten.

Detlef Endeward (2022)

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