Spielfilmanalyse und sozialpsychologische Beschreibungen
von GFS-Admin_2021 · Veröffentlicht · Aktualisiert
Vernetzung der einzelnen Beobachtungsmomente und Vergleich der Befunde
Die Analyse der Bilder der Vergangenheit zeigte, dass der Blick zurück in den deutschen Nachkriegsspielfilmen allenfalls in Ausnahmefilmen durch ein tatsächliches Interesse an einem umfassenden Verständnis dieser unmittelbaren Vergangenheit oder gar an tabuloser Selbsterkenntnis gelenkt wird. Die Darstellungen der Vergangenheit gewinnen von Anfang an eher den Charakter einer Selbstabgrenzung und Rollendefinition. Das Selbstbild, das in den häufigen Spielfilmmotiven deutlich wird, ist zentral bestimmt durch das Empfinden eines ohnmächtigen Unterworfenseins und – als Folge die Behauptung einer Sinnlosigkeit und Unmöglichkeit von Widerstand im Dritten Reich. 1)
Mitscherlich/Mitscherlich 2) hatten ihre weitreichenden Diagnosen auf der Grundlage von alltäglichen „Spontanbeobachtungen“ und Erfahrungen mit Psychotherapiepatienten gewonnen. Der Schluss von diesen Einsichten auf gesamtgesellschaftlich typische psychische Verarbeitungsmechanismen, Strukturen und Funktionen erfolgte rein theoretisch. Die vorliegenden Ergebnisse der Spielfilmmotivanalysen können folgende Annahmen in einigen Zügen bestätigen und sie gleichzeitig differenzieren:
„Der kollektiven Verleugnung der Vergangenheit ist es zuzuschreiben, daß wenig Anzeichen von Melancholie oder auch von Trauer in der großen Masse der Bevölkerung zu bemerken waren. (…)
Genau betrachtet sind es (…) drei Reaktionsformen, mit denen die Einsicht in die überwältigende Schuldlast ferngehalten wird. Zunächst ist es eine auffallende Gefühlsstarre, mit der auf die Leichenberge in den Konzentrationslagern, das Verschwinden der deutschen Heere in Gefangenschaft, die Nachrichten über den millionenfachen Mord an Juden, Polen, Russen, über den Mord an den politischen Gegnern aus den eigenen Reihen geantwortet wurde. Die Starre zeigt die emotionelle Abwendung an; die Vergangenheit wird im Sinne eines Rückzugs alles lust- und unlustvollen Beteiligtseins an ihr entwirklicht, sie versinkt traumartig. Diese quasi-stoische Haltung, dieser schlagartig einsetzende Mechanismus der Derealisierung des soeben noch wirklich gewesenen Dritten Reiches, ermöglicht es dann auch im zweiten Schritt, sich ohne Anzeichen gekränkten Stolzes leicht mit den Siegern zu identifizieren. Solcher Identitätswechsel hilft mit, die Gefühle des Betroffenseins abzuwenden, und bereitet auch die dritte Phase, das manische Ungeschehenmachen, die gewaltigen kollektiven Anstrengungen des Wiederaufbaus, vor. 3)
Die Häufigkeit der Thematisierung der Zeit des Dritten Reiches in den ersten 30 Spielfilmen des Untersuchungszeitraumes verrät, was auch Mitscherlich/Mitscherlich beobachtet hatten: wie sehr zunächst das Erleben dieser biographischen Periode schmerzhaft fortwirkte und zu einer Selbstdefinition drängte. In der ohnehin eher undeutlichen oder gar ausgesparten Nachzeichnung des eigenen Verhaltens und der Einstellung gegenüber Ideologie, Politik und Realität des Dritten Reiches führt die spezifische egozentrische Opferperspektive 4) in den Spielfilmen zu einer ganzen Reihe von Verzeichnungen und Verkehrungen, in denen Momente einer psychischen Verfassung wie auch von Bewältigungsstrategien erkennbar werden. Die Motivhäufungen in den Filmen verweisen darauf, dass das Selbstbild der Deutschen nicht ohne Zweifel war: Oft führen die positiven Filmfiguren eine „innerlich“ und/oder verbal distanzierte Einstellung gegenüber nationalsozialistischer Politik und ihren Vertretern vor, oder eine der handelnden Personen beweist ihre „Unschuld“. Auch die Beschwörung, Vorführung und gleichzeitige Bewertung widerstehender Handlungen als todessehnsüchtige Verzweiflungstaten sind Indiz für unterschwellige Momente einer Scham und des Selbstzweifels. 5)
Die für die ersten, besonders der in der britischen Zone produzierten, Spielfilme typische düster-depressive Grundstimmung und Erdenschwere der handelnden Personen, insbesondere der männlichen Heimkehrerfiguren, könnte ihren Grund auch in diesen latenten Selbstzweifeln und unterdrückten Schuldgefühlen haben. 6)
Diese Scham wird in den Filmen indes nicht auch auf der Ebene des Bewusstseins erkennbar. Nicht selten finden sich in den Filmen positiv bewertete Protagonisten, die sich zwischen der Geste des Gekränkt- und Beleidigtseins und der trotzigen Abwehr und Selbstidealisierung bewegen. Koebner beschrieb für die Nachkriegsperiode erst jüngst vier Typen von Trotzreaktionen, die sich tatsächlich auch in den Spielfilmen und ihren Hauptmotiven immer wieder in verschiedenen Erscheinungsformen fanden. Diese zeigten sich
„(a) in der Bagatellisierung der Verbrechen, (b) in Selbstrechtfertigung und Schuldabschiebung, (c) in der Aufrechnung der von den Deutschen verübten Verbrechen mit den Versäumnissen und Vergehen der Alliierten, (d) selbst in der Verteidigung der Leistungen im Dritten Reich und im Krieg (das Lob des deutschen Soldaten), schroff abgehoben von den unzweideutigen Gräueltaten.“ 7)
Deutlich wird dies in häufigen Spielfilmmotiven auch in einer trotzigen Abwehr aller von außen (sowohl von anderen Deutschen als auch aus dem Ausland) kommenden Fragen oder Anklagen und in der Rechtfertigung und Propagierung des Verhaltensmodells der „Inneren Emigration“. Die Negativbewertungen von Ausländern und Remigranten in Deutschland, die oft unterschwellig erfolgen und durch Gefühle wie Neid bestimmt sind, sind weitere Indizien für eine grundlegende Verleugnung der eigenen Rolle in der NS-Zeit. 8)
Dieser Verarbeitungsmechanismus, jede Anklage dadurch zu diskreditieren, dass man durch eine kontextuale, unterschwellig-bildliche oder seltener direkt-verbale Abwertung den Anklägern die Kompetenz abspricht, über die Nachkriegsdeutschen zu urteilen, fand sich in der Spielfilmanalyse auch im Kollektiv der Deutschen selbst wieder: Sowohl Frauen als auch männliche Jugendliche erscheinen immer wieder deutlich als Unbeteiligte oder zu einer gerechten Beurteilung nicht in der Lage. Ihre Anklagen erscheinen auch deshalb problematisch, weil diese (wie auch Remigranten- und Ausländer-)Figuren in den Spielfilmhandlungen im Gegensatz zu „den Angeklagten“ keine eigenen Leidenserfahrungen gemacht haben. Einen vorurteilsfreien Blick auf sich selbst und das eigene Erlebnis und Verhalten verstellt auch ein anderes grundlegendes Interpretationsmuster der Realität, das in der Analyse des Menschenbildes in den Filmen deutlich wurde: die Unmöglichkeit, den Menschen in einer Dialektik von Innen- und Außenwelt und in seinen Schwächen und Widersprüchen anzunehmen und – damit verbunden – die Vorstellung vom Charaktermenschen, der „von Natur aus“ entweder gut oder böse sei. 9) Dass auch diese Vorstellungen durch die Konfrontation mit den schrecklichen Verbrechen in der NS-Zeit und im Krieg ins Wanken geraten waren, offenbart sich in der Motivhäufung um die Frage nach dem Wesen des Menschen. 10)
Die deutlichen Verunsicherungen gegenüber den Mitmenschen und sich selbst zeigten sich in den Spielfilmen jedoch überwiegend durch „Theorien der Verlässlichkeit und Eindeutigkeit“ überlagert. Die Herkunft und Bedeutung dieses Interpretationsmusters für die gesellschaftliche Entwicklung im Nachkriegsdeutschland fand sich bereits 1950 bei Adorno beschrieben:
„Heute aber (…) übernimmt man freiwillig ein ganzes Lager von Begriffen und Bildern aus dem autoritären Bereich. Gewiß ist seine Beziehung zur Diktatur durchschnitten. Ihrer inneren geschichtlichen Voraussetzung nach aber sind jene Begriffe und Bilder gekettet an die Vorstellung der Unvermeidlichkeit und Rechtmäßigkeit von Herrschaft und Not. Sie verraten ihre finstere Herkunft durch Klang und Gestus auch dann, wenn sie sich tragisch-humanistisch gebärden.“ 11)
Diese Einsichten hatte Adorno in einem Gruppenexperiment, der Analyse konkreter aktueller Äußerungen von Deutschen, Anfang der 50er Jahre gewonnen. Während Adornos skeptische Diagnose auf einen erkannten Status quo gerichtet war, ließ sich mit Hilfe der Motivanalyse der Spielfilme noch aus dem historischen Abstand dieser Prozess in seinem zeitlichen Verlauf wie in seinen einzelnen konkreten Erscheinungen, Schritten und inneren Begründungszusammenhängen erfassen: Unter den ersten 15 Spielfilmen fand die Analyse noch eine ganze Reihe, die ein breites Spektrum von Figuren zeigen, die sich auch als fehlbar, lernfähig und mit Widersprüchen behaftet offenbaren. Fragen, Selbstzweifel und Kritik am Verhalten der anderen werden noch nicht grundsätzlich abgewertet. Später – das zeigte die Prozessanalyse – kommt es in der Zeichnung der positiv bewerten Hauptfiguren zu bedenklichen Verfestigungen, die sich immer wieder auch in ihrem Blick auf die unmittelbare Vergangenheit zeigen.
Das manische Kreisen um die eigenen Leidenserfahrungen wird in den ersten Spielfilmen zudem durch das Erleben der realen Notlage erleichtert. Als psychodynamisches Ventil dominiert dieses Empfinden direkt oder indirekt auch die kollektiven Bilder der Vergangenheit, indem die eigenen Verluste und Verletzungen, die Leiden in der „Inneren Emigration“ beklagt oder vorgeführt werden.
Später verschließt sich der Blick zunehmend vor der Wahrnehmung jeglichen Leids: Figuren, die ihre Lage oder auch die Opfer der Vergangenheit beklagen, werden als weinerlich oder auch unecht-theatralisch ebenso diskreditiert wie die, die ihre Anklagen aufgrund der Erfahrungen der deutschen Vergangenheit formulieren. 12)
Adorno wies 1966 noch einmal auf die bedenklichen Folgen eines Männlichkeitsideals hin, wie es – und zwar mit wachsender Ausschließlichkeit auch die Filme unseres Untersuchungszeitraumes bestimmt:
„Das gepriesene Hart-Sein, zu dem da erzogen werden soll, bedeutet Gleichgültigkeit gegen den Schmerz schlechthin. Dabei wird zwischen dem eigenen und dem anderer gar nicht einmal so sehr fest unterschieden. Wer hart ist gegen sich, der erkauft sich das Recht, hart auch gegen andere zu sein, und rächt sich für den Schmerz, dessen Regungen er nicht zeigen, die er verdrängen mußte.“ 13)
In der zweiten Hälfte unseres Untersuchungszeitraumes ist der Blick auf die Vergangenheit und ihre Opfer endgültig verstellt. War das Mitgefühl für die Opfer des nationalsozialistischen Gewaltregimes schon zuvor durch die selbstmitleidige und egozentrische Opferperspektive und den Rechtfertigungs- bzw. Freisprechungswunsch gehemmt und verzerrt, so verfestigt sich nun eine gefühlsmäßige Panzerung. Ab Sommer 1948 verliert sich das Motiv der Verfolgten des NS-Regimes, sieht man von Außenseiterproduktionen 14) ab, aus den Nachkriegsspielfilmen.
Eine Trauer um die Opfer der Jahre 1933-1945 findet in der Mehrzahl der untersuchten Spielfilme nur als melancholisches Beklagen der eigenen Verletzungen und Verluste statt. Eine einfühlende Nähe und mitfühlende Erinnerung, wie sie Ausnahmefilme wie EHE IM SCHATTEN, MORITURI und LANG IST DER WEG versuchten, scheint den Nachkriegsdeutschen in ihrer stark gefährdeten und angezweifelten Identität und zugleich akuten materiellen Notlage in der Nachkriegszeit weder erträglich noch zur Voraussetzung eines lebendigen Neubeginns geworden zu sein. 15)
In sozialpsychologischen Deutungen der in der Realität beobachteten Haltungen und Verhaltensweisen der Nachkriegsdeutschen fanden sich zahlreiche Parallelen zu den Ergebnissen der Motivanalyse der Spielfilme. Die in den Spielfilmen fast durchgängig dominierende Opferperspektive wird hier z.B. aus der spezifischen Ausgangssituation nach dem Krieg erklärt:
„Die siegreichen Gegner (…) konnten ohne Entwertungsgefühle die Realität anerkennen und um die Opfer dieses Krieges trauern; die Deutschen waren zentral in ihrem Selbstwert getroffen, und die Abwehr des Erlebnisses einer melancholischen Abwertung des Selbst war die drängendste Aufgabe für den psychischen Apparat. Die moralische Pflicht, Opfer unserer ideologischen Zielsetzung mit zu betrauern, (…) konnte deswegen nur ein oberflächliches seelisches Geschehen bleiben.“ 16)
Wie die Motivanalyse der Spielfilme zeigte, hält noch die ohnehin seltene Darstellung der tatsächlichen Opfer des NS-Staates diese Figuren – ob bewusst oder unbewusst in der Bewertung oft in einer eigentümlichen Schwebe, die entweder durch Vorurteile oder durch eine unterschwellige Mitschuld-der-Opfer-Hypothese bestimmt ist. Dies gilt teilweise auch für die genannten Ausnahmefilme 17), die sich in der Analyse gleichfalls als Ausdruck biographischer Erfahrungen und als Verarbeitungen von individuellen oder auch kollektiven Schuldgefühlen, Hoffnungen und Ängsten offenbarten.18)
Im Gegensatz zum – teils auch selbstformulierten – Anspruch der Filmschaffenden aufzuklären, sind die Thematisierungen der Vergangenheit eher durch folgende Ziele bestimmt:
Bestraft werden, sich selbst freisprechen – und häufiger und mit größerem Gewicht von anderen freigesprochen werden. Dies ist in den Filmen des gesamten Untersuchungszeitraumes und in verschiedensten thematischen Kontexten, selbst noch in eskapistischen Filmphantasien 19), zumindest unterschwellig immer wieder Motiv. Diese Form der Verarbeitung der kollektiven Erfahrungen des Hitlerfaschismus und des Krieges kommt einer zunehmenden bewusstseins- und gefühlsmäßigen Verzerrung und Verleugnung gleich. Das Erleben konnte so nicht zu Erfahrungen für die Zukunft verarbeitet werden, was als eine schwere Hypothek für den gerade beginnenden Prozess der Konstitution politischer Identität in Deutschland angesehen werden muss.
Den Zusammenhang zwischen der mangelnden Bereitschaft und/oder dem Unvermögen, die Bewegungsgesetze und Strukturen des Vergangenen zu begreifen, und einer frühzeitigen Eingleisigkeit und Erstarrung der Individuen und der Nachkriegsgesellschaft beschrieb Adorno auf der Grundlage seiner Realbeobachtungen 1950 so:
„Wenige bemühen sich um Einsicht in die Gesetze, welche das jüngst vergangene Unheil zeitigten, um den Begriff einer menschenwürdigen Einrichtung der Welt und seine theoretische Begründung, oder gar um die Analyse der heute aktuellen Möglichkeiten zur ganzen, inhaltlichen Verwirklichung der Freiheit. Nicht, daß die Menschen auf solche Fragen nicht ansprechbar wären, im Gegenteil: in den Augenblicken, in denen es einem gelingt, sie sichtbar zu machen und das Bewußtsein darauf zu lenken, glaubt man oftmals, eine lösende, befreiende Erkenntnis sei gelungen. Aber nur selten wird unmittelbar daran gerührt. Es ist, als ständen die Menschen unter einem geistigen Bann. Unfreiheit und Autoritätsglaube, wäre es auch bloß der Glaube an die Autorität dessen, was nun einmal ist, sind ins allgemeine Bewußtsein eingewandert. Niemand traut sich so recht an das Drängende, Brennende heran, von dem in Wahrheit doch alle wissen. Fast empfindet man den Gedanken, der über den Umkreis des Bestehenden und Approbierten hinausgeht, als Frevel.“ 20)
Vergleicht man die Beschreibung von Alexander und Margarete Mitscherlich in „Die Unfähigkeit zu trauern“ 21) mit den Persönlichkeitsprofilen und typischen verbalen Äußerungen der positiven Protagonisten der untersuchten Filme, so stellt man eine ganze Reihe von Übereinstimmungen fest, die den Quellenwert der Spielfilme für Stimmungslagen, Einstellungen und Orientierungen im normativen Bereich bestätigen. So fanden sich in der Analyse etwa die „instinktiv und unbewusst arbeitenden Kräfte des Selbstschutzes im Vergessen, Verleugnen, Projizieren und ähnlichen Abwehrmechanismen“ 22), die Deutungsmuster „Der ‚Führer‘ war an allem schuld“ 23) oder auch „das Hereinbrechen einer Diktatur sei ein Naturereignis“24). Doch werden diese Deutungsmuster in ihrer alltagspraktischen Logik und Komplexität in den Spielfilmmotiven anschaulich und offenbaren in den massenkulturellen Objektivationen ihren kollektiven Charakter. während Adorno und Mitscherlich ihre Einsichten aus einer Vielzahl von Beobachtungen tatsächlichen konkreten Verhaltens einzelner gewannen, verweisen Motivhäufungen in Spielfilmen auf – mindestens antizipierte – allgemeine, gesamtgesellschaftlich bedeutsame Deutungsmuster.
Bettina Greffrath (1993)
Anmerkungen
- Vgl. den Beitrag „Bilder des Dritten Reiches“
- Die Unfähigkeit…. (1967), a.a.O.
- Die Unfähigkeit…. (1967), a.a.O., S. 40
- Mitscherlich/Mitscherlich fassten sie als „autistische Haltung“ (a.a.O., S. 38)
- u.a. Mitscherlich/Mitscherlich, a.a.O., s. 71ff
- Hans-Eberhard Richter beschrieb sein Empfinden retrospektiv folgendermaßen: „Wir alle, die wir jetzt in diesem Elend und in dieser Stadt der Ruinen und Scherben herumkrochen, durften nicht hinausschreien: Was habt ihr, die Sieger, uns angetan! Wir konnten nicht gerecht leiden, wenn wir nicht Widerständler oder Verfolgte gewesen waren. Wir selbst hatten – genau bedacht – unsere Angehörigen mit umgebracht, unsere Häuser mit zerstört, andere Länder mit verwüstet, die Juden mit ermordet. (…) Wer nicht mehr Kind war, hatte für alles einzustehen.“ (Die Chance des Gewissens. München 1988, S. 51)
- Koebner: Die Schuldfrage, in: ders. (1987), a.a.O., S. 303
- hierzu z.B. Mitscherlich/Mitscherlich, a.a.O., S. 43 und hier auch die Skizze „Emigration als Makel“, S. 65ff
- hierzu auch Maaz: Gefühlsstau, a.a.O., S. 96f
- den Beitrag „Das Menschenbild im Nachkriegsspielfilm“
- Adorno (1950): Auferstehung der Kultur…, a.a.O., S. 28f
- „Die Unfähigkeit zum Leiden war zum Sieg der Stärke uminterpretiert.“ (Richter: a.a.O., s. 57)
- Adorno: Erziehung nach Auschwitz, a.a.O., S. 96. Vgl. hierzu auch Mitscherlich (1987), a.a.O., S. 164
- Diese Ausnahmen wurden – zumindest überwiegend – von realen Opfern der NS-Zeit (mit)gestaltet. Z.B.: MORITURI und LANG IST DER WEG (beide 1948), DER RUF (1949) oder Peter Lorres DER VERLORENE (1951)
- Hans-Eberhard Richter gewann – aus seiner rückerinnernden Selbstreflexion, wie auch aus den Erfahrungen mit seinen Zeitgenossen – eine in der Quintessenz ähnliche Einsicht in die typischen inneren Bewegungen der Deutschen “zwischen Gestern und Morgen“. In seinem Buch „Die Chance des Gewissens“ macht er emphatisch deutlich, welche Bedeutung eine einfühlende Haltung auf Seiten der Deutschen für den Neubeginn und die weitere Entwicklung einer freiheitlichen, humanen und demokratischen Gesellschaft hätte gerinnen können:
„Erst auf dem Wege zur Selbstfindung gewinnt man den Mut zu einem Mitfühlen, das nicht mehr eingeengt ist von vorgeschriebener Parteilichkeit. Man läßt sich nicht mehr gefallen, daß die Anteilnahme dort enden soll, wo die Herrschenden Barrieren gegenüber Andersdenkenden, Fremden, Gefangenen, Feinden errichtet haben. Und man durchschaut, dass die übliche Verächtlichmachung des Gefühls nur aus der Schwäche des Verdrängenden stammt, Die Warnung vor fürsorgender Angst, Leiden, Mitgefühl verkünden immerfort diejenigen, die im Innern nicht zulassen können, was ihre krampfhafte narzißtische Selbstbehauptung gefährdet. In Wahrheit erweitert das freiströmende Mitfühlen zugleich den Horizont für soziale Verantwortung.“ (Richter: a.a.O., S. 277) Vgl. hierzu auch Mitscherlich (1987), a.a.O., S. 16ff - Mitscherlich/Mitscherlich (1967): a.a.O., S. 35
- Diese fanden in der Regel nur ein sehr kleines Publikum und wurden in ihrem Wahrheitsgehalt in der Öffentlichkeit nicht selten auch noch angezweifelt.
- Besonders deutlich wurde dies in der Untersuchung des Films EHE IM SCHATTEN; vgl. auch die Analyse von DER RUF.
- die Analysen von z.B. DAS GEHEIMNIS DER ROTEN KATZE; TRÄUM NICHT ANNETTE; SCHULD ALLEIN IST DER WEIN und DER HERR VOM ANDEREN STERN
- Adorno: Auferstehung der Kultur… (1950) S. 23
- Mitscherlich (1967): Die Unfähigkeit…, a.a.O., S. 24
- a.a.O., S. 24
- a.a.O., S. 27
- a.a.O., S. 28
Die Mitscherlichs beobachteten eine Grundstimmung, in der die Melancholie als Ausdruck einer „krankhaften Steigerung der Trauer“ über den Verlust der übersteigert libidinös besetzten Führerfigur schließlich abgewendet wird. Auch diese heute noch umstrittene Interpretation ließe sich aus unseren Befunden eventuell belegen. Indizien in den Spielfilmen für eine solche untergründig fortwirkende Depression könnten etwa die folgenden sein: die oft hilflos wirkende Inszenierung von Heiterkeit und Lebensfreude und die weiterhin gefühlsmäßig positive Zeichnung traditioneller patriarchaler Autoritäten, die nicht selten als rettende, ordnende und heilende Kräfte auftreten.
Diese Verletzungen erscheinen nur in Ausnahmefällen auch als physische Verletzungen. In den trotzigen oder auch verzweifelten Selbstanklagen der männlichen Protagonisten (vor allem Heimkehrerfiguren) werden Verletzungen offenbar, die an jenes Syndrom erinnern, das Mitscherlich/Mitscherlich mit Freud als Spezifikum der Melancholie fassen:
„In der Trauer fühle ich mich verarmt, aber nicht in meinem Selbstwert erniedrigt. Diese letztere Erfahrung macht jedoch der Melancholiker. Ihm widerfährt `eine außerordentliche Herabsetzung seines Ich-Gefühls, eine großartige Ich- Verarmung“‚. 1)
Erich Fromm beschrieb 1947 strukturell den Zusammenhang zwischen einem tiefgreifenden Orientierungsverlust, Selbstzweifeln und einer – auch in den Heimkehrerfiguren der Spielfilmmotive immer wieder vorgeführten – Unfähigkeit zur Neuorientierung und zum Handeln. Bis in die Metaphorik hinein („Staubkorn“) finden wir in den Filmen direkt und unterschwellig Momente der Angst (besonders vor sozialer Ausgrenzung) und das Empfinden individueller Ohnmacht. Allgemein formuliert Fromm 1947 in seinem Buch mit dem symptomatischen Titel „Escape from freedom“ (deutscher Titel:“Die Furcht vor der Freiheit“) :
„Wenn er (der Mensch) nicht irgendwohin gehört und dort sein Dasein keine Bedeutung und keine Richtung empfängt, fühlt er sich wie ein einzelnes Staubkorn und wird von seiner eigenen Nichtigkeit übermannt. Unfähig, sich einem System anzuschließen, das seinem Leben Richtung und Inhalt gibt, wäre er von Zweifel erfüllt, und dieser Zweifel würde seine Fähigkeiten zu handeln – und damit zu leben – lahmlegen. “ 2)
Wie drängend insgesamt die Infragestellung männlicher Identität in der Nachkriegssituation empfunden wurde, lässt sich an der Dauer ermessen, in der in den zeitbezogenen Filmen für die Männerbilder Selbstentwertung, depressive, oft todessehnsüchtige Melancholie, Abhängigkeit, Ohnmacht und Schwäche dominant bleiben. Erst ab 1949 zeigen Männerfiguren Anzeichen neuer Festigungen, werden gerade auch wieder in der Konfrontation mit Frauenfiguren zu überlegenen und Anpassung fordernden Menschen.
Starke Verunsicherungen in der ersten Nachkriegsperiode zeigen sich auch in der besonders für die ersten 15 Spielfilme bedeutsamen Auseinandersetzung des einzelnen mit dem Kollektiv, das ihm hilft, seine eigene (Opfer-) Perspektive und die Deutungsmuster des Vergangen zu bestätigen. Zu den schädigenden Einflüssen der Vergangenheit 3) – es sind fast ausschließlich
Erlebnisse der Kriegsperiode – kommen in den gegenwartsnahen Filme neue Belastungen, Kränkungen und Infragestellungen. In der Differenziertheit und spezifischen Zeichnung der Gegenwartsbilder der deutschen Nachkriegsspielfilme wurde offenbar und sehr konkret fasslich, welche Momente dieser Realität als extrem verunsichernd und belastend und auf welche Weise sie von den Nachkriegsdeutschen erfahren wurden.
Bettina Greffrath (1993)
Anmerkungen
- Die Unfähigkeit… (1967), a.a.O., S. 37; zit. Von Siegmunf Freud aus: Trauer und Melancholie. Ges. Werke X, S. 431
- Fromm, a.a.O., S. 28f
In Horst-Eberhard Richter Rückerinnerungen finden wir jenes besonders für die ersten, in der britischen und der sowetischen Zone produzierten deutschen Nachkriegsspielfilme typische Bild des orientierungslosen, von einem tief empfundenen Sinnverlust geplagten Heimkehrers und zwar explizit als – äußeres und in seiner Substanz nicht bestimmtes – „Bild“ gekennzeichnet: „Typisch war das Bild der aus Gefangenschaft heimkehrenden ‚Helden‘, die von ihren weniger deformierten Frauen wie hilflose Kinder an die Hand genommen und wieder lebensfähig gemacht werden mußten.““ (Richter, a.a.0., S. 52)
Die Überwindung der Depression, der Abschied vom Schatten des Vergangenen und die Rückgewinnung von Anerkennung und Liebenswürdigkeit ist dann auch das eigentliche Thema dieser Filme - Doch wird nur selten diese Vergangenheit und wenn dann allenfalls Erlebnisse des Kriegsgeschehens zum zentralen Thema. 0hne die Ursachen zu entfalten, wird deutlich, dass diese Heimkehrer in tiefgreifender Weise in ihrem Selbstbewusstsein und ihrer Lebensorientierung geschädigt sind.
Auszug aus:
Die Mikroanalyse der Bilder eines chaotisch und gefährdend erlebten Außen, das ist in den Filmen primär die Realität der zerstörten Großstädte, fand nicht nur eine Reihe typischer Motivhäufungen in den Bereichen Existenznot (Wohnung; Nahrung), sittliche Gefährdung, (Kapital-) Verbrechen und Jugendkriminalität, Autoritätsverlust in Schule und Familie, Geschlechtsrollendiffusion und Arbeitslosigkeit. Sie deckte zugleich spezifische Strukturen der Wahrnehmung und Verarbeitung dieser Realität auf.
Typisch für die ersten Spielfilme ist, dass dieses Außen in aller Regel schockhaft und befremdend, in seiner Totalität auf den Neuankömmling einwirkend, gezeigt wird. Durch die Konfrontation mit einer durch und durch leidbesetzten Brechung der Realität in einem ganzen Kaleidoskop von Nachkriegsdeutschen, erscheint diese Realität als gesamtgesellschaftliche und gleichsam unausweichliche Belastung.
Durch die Fokussierung und Perspektive eines Menschen, der seine Umwelt erkennbar als denaturiert und unberechenbar erlebt, sind bereits Vorentscheidungen für die spätere Neuorientierung getroffen. Erscheint diese Wahrnehmung der für den Betrachter neuen Lebenssituation geradezu als Überflutung mit negativen Reizen, ist die Abtrennung von dieser Welt und die Aufwertung des geschützten Innenraumes, aus dem geblickt wird, bereits vorbereitet. 1)
Hannah Arendt fasste ihre im Wortsinn scharfsinnige Deutung ihrer Realbeobachtungen bei einem „Besuch in Deutschland“ 2) 1950 unter anderem folgendermaßen zusammen:
„Der Durchschnittsdeutsche sucht die Ursachen des letzten Krieges nicht in den Taten des Naziregimes, sondern in den Ereignissen, die zur Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies geführt haben.
Eine solche Flucht vor der Wirklichkeit ist natürlich auch eine Flucht vor der Verantwortung. (…) Es sieht so aus, als ob sich die Deutschen nun, nachdem man ihnen die Weltherrschaft verwehrt hat, in die Ohnmacht verliebt hätten (…).“ 3)
Diese typische Sichtweise wurde besonders in der Mikroanalyse der Motivbereiche Krieg, Politik und Bürokratie deutlich. Vom einzelnen in Grenzen gestaltbar erscheint in der Mehrzahl der Filme nur das, was im Innenbereich von Haus und Heim und – mittelbar mit diesem verbunden – im Rahmen der eigenen Erwerbstätigkeit angesiedelt ist.
Bettina Greffrath (1993)
Anmerkungen
- Dies gilt umso mehr, als in der Regel in der Fabel im Folgenden die negativen Folgen dieses Gewahrwerdens zwischen Depression, Todessehnsucht, Zynismus oder auch moralisch-sittlichem Scheitern erzählt werden, der Nachkriegsmensch also durch dieses Außen wiederum nur negativ beeinflusst erscheint.
- Besuch in Deutschland. Die Nachwirkungen des Naziregimes. (1950) In: Zur Zeit. Politische Essays. Berlin 1986, S. 43-70
- a.O., S. 44f
„Es ist nicht leicht, verständlich zu machen, warum es uns nicht bedrückte, sondern irgendwie angemessen schien und sogar eine gewisse Genugtuung bereitete, daß wir noch 1953 in der Halbruine meines elterlichen Wohnhauses dicht am Berliner Kurfürstendamm lebten in zweieinhalb Zimmern mit Rissen in den Wänden, die wir selber notdürftig zugemauert hatten.
(…) in der lebendigen Halbruine war etwas von unserer inneren Gegensätzlichkeit erhalten: Tod und Lebenswille, Behinderung und Gesundheit, Trauer und Hoffnung. Wir wollten nicht verlieren, was in uns noch Ruine war. Wir wollten keine Umwelt haben, aus der die Spuren von gestern getilgt waren. Wir mißtrauten dem anbrechenden gewaltigen Wettlauf des Wirtschaftswunder-Marathons, dem Glauben an den wunderbaren Fortschritt zur narzißtischen Großartigkeit und Unversehrbarkeit. “ 1)
In der Art der Beschreibung drückt sich ein Empfinden und die Einsicht aus, einen für die Zeit untypischen Weg im Umgang mit Vergangenheit und Gegenwart gewählt zu haben.
Horst-Eberhard Richter, der in seinem Buch „Die Chance des Gewissens“ auf sein Leben in Deutschland kritisch zurückblickt, muss sich eingestehen, dass es auch für ihn ein schmerzlicher Prozess war, bis er zu dieser Nähe zur eigenen Geschichte und den eigenen Verletzungen gefunden hatte. Tatsächlich brachte die Motivanalyse der Spielfilme eine zunehmende Verlagerung in der Realitätswahrnehmung zutage. Ab 1948 gelingt es in den Filmen, immer mehr zumindest von den äußeren Trümmern abzusehen.
Die in den Spielfilmen deutlich erkennbare Polarisierung von Außen und Innen schreitet im Untersuchungszeitraum fort. Das wird beispielsweise im Motivkomplex der sittlichen und kriminellen Gefährdung erkennbar: Während in den ersten Filmen für den Begründungszusammenhang des moralischen Scheiterns zwei Stränge bestimmend waren – die charakterliche „Vorherbestimmung“ und die These, dass insbesondere Frauen und junge Menschen durch die Zeitumstände zu ihren Taten gezwungen („Opfer der Zeit“) werden können -, so verliert sich dieses letzte Deutungsmuster im Untersuchungszeitraum zunehmend.
Bettina Greffrath (1993)
Anmerkung
- Richter, a.a.O., S. 110
Auszug aus: