Spielfilmanalyse und sozialpsychologische Beschreibungen

Vernetzung der einzelnen Beobachtungsmomente und Vergleich der Befunde

Bettina Greffrath (1993)

Die folgende Gesamtzusammenfassung versucht, die in den Einzeldarstellungen enthaltenen Beobachtungen noch einmal in ihrem inhärenten Zusammenhang anzudeuten und hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Nachkriegsentwicklung und Ausprägung einer kollektiven politischen Identität zu reflektieren.

Brechungen dieses Identitätsbildungsprozesses wurden in typischen Momenten und den für diesen Prozess bedeutsamen äußeren Faktoren besonders in der Prozessanalyse der Motivhäufungen deutlich. In dieser Gesamtzusammenfassung finden deshalb die typischen, d.h. mehrheitlich dominierenden, Wahrnehmungsformen, Deutungsmuster und Handlungsorientierungen eine besondere Berücksichtigung, da diese als entscheidende Kräfte im Rahmen der Ausbildung kollektiver politischer Identität angenommen werden. Notwendig erfolgte diese Konzentration zu Lasten der Differenzierungen 1). Zentral für die Nachzeichnung dieser in den Filmen modellhaft erscheinenden Prozesse war neben der Detailanalyse der Äußerungen und des konkreten Verhaltens der handelnden Personen deren Inszenierung und (ästhetische) Bewertung (z.B. as ‚angemessen‘, ‚problematisch‘ oder‘ gefährdend‘ ).

Zugleich werden noch einmal 2), wenn auch nur an besonders bedeutsamen Punkten, vorliegende sozialpsychologische Beschreibungen und Diagnosen der (Nachkriegs-) Deutschen zum Vergleich mit den eigenen Ergebnissen herangezogen. Übereinstimmungen oder aufgrund der eigenen Untersuchungsergebnisse mögliche Differenzierungen können dabei den Quellenwert der Spielfilme für die gewählte Fragestellung bestätigen.

Eine besondere Aufmerksamkeit galt entsprechend der eigenen Fragestellung und Methode zeitgenössischen und wegen ihrer historischen Nähe möglicherweise besonders verlässlichen Beschreibungen. Zum Vergleich boten sich aber auch retrospektive Befunde an, wenn sie sich aufgrund breiter „Spontanbeobachtungen“ 3) auf das reale Verhalten und sichtbare Bewusstseins- und (emotionale) Reaktionsformen beziehen. Es lag nahe, die eigenen Ergebnisse auch mit Forschungsansätzen zu vergleichen, die – wie die vorliegende Arbeit – von der Annahme ausgehen, dass massenkulturelle Erzeugnisse als Quellengrundlage für die Untersuchung individueller wie kollektiver Gefühls- und Bewusstseinslagen dienen können. Auswahlkriterium war dabei auch die Fragestellung, unter der die Beobachtungen und Diagnosen erfolgten: Sie sollten Versuche sein, gesamtgesellschaftliche und politische Entwicklungen im Nachkriegsdeutschland in ihrer Struktur und auf der Seite der Subjekte verständlich zu machen. 4)


Anmerkungen

  1. S, Abschniite 5.1-5,6, besonders die’Ausnahmefilre‘
  2. Iigl. hierzu Iapitel i dieser ,trbeit
  3. Z.B, Mitscherlich/Mitscherlich, 1967, a,a.0,
  4. Verzichtet wurde jedoch auf einen m. E. auch sinnvollen Vergleich mit Selbstbeschreibungen der Nachkriegsdeutschen, wie sie aufgrund der Vielzahl der zeitgenössischen Betrachtungen, die z.B. in der umfangreichen Zeitschriftenliteratur aufbewahrt sind, möglich wäre. Ein solcher Vergleich könnte nach meiner – allerdings beschränkten Kenntnis – die Befunde der Spielfilmanalyse vielfach, wenn auch indirekt, d.h. durch eine analytische Interpretation, bestätigen.
    Auch Zustandsbeschreibungen und Orientierungsschriften wie die von Hans Peters, die in den Jahren 1945-1949 oft in Broschürenform zu massenhafte Verbreitung fanden, mussten weitgehend unberücksichtigt bleiben, obgleich sie wegen ihrer zumeist sehr ähnlichen Sichtweisen und Deutungsmuster durchaus zur Verifizierung der eigenen Quellenbefunde hätten herangezogen werden können. (Vgl. Hans Peters: Zwischen Gestern und Morgen. Betrachtungen zur heutigen Kulturlage, Berlin 1946.) Das bei Peters bereits schon wegen des Titels, der identisch für den 1947 in der amerikanischen Besatzungszone uraufgeführten Spielfilm ZWISCHEN GESTERN UND MORGEN gewählt wurde, zu vermuten war, bestätigt sich auch im Inhaltlichen und Unterschwelligen des Textes. So findet sich z.B. in der Schrift von Peters noch einmal deutlich die charakteristische 0pferperspektive auf NS- und Nachkriegszeit: Das ‚ganze Volk‘ sei das „0pfer dieser verbrecherischen Handlungsweisen der Nationalsozialisten“ geworden. Es sei einem ‚riesenhaften Volksbetrug‘ erlegen. Die Mehrheit des deutschen Volkes wird bewusst von einer Verantwortung für diese unheilvollen Verbrechen freigesprochen und den Nationalsozialisten gegenübergestellt. (a.a,0., S. 14f)

Grundlagen

 
Die hier veröffentlichten Ausführungen fassen die Untersuchungsergbenisse von Bettina Greffrath zusammen. Ihre Filmanalyse sind bei den Materialien zu den einzelnen Filmen zu finden. Einzelne Kapitel der Untersuchung hier in der Lernwerkstatt:


Auszug aus: Bettina Greffrath: Verzweifelte Blicke, ratlose Suche, erstarrte Gefühle, Bewegungen im Kreis. Spielfilme als Quellen für kollektive Selbst- und Gesellschaftsbilder in Deutschland 1945-1949. Diss. Universität Hannover 1993, S. 427-452
[Orthographie aktualisiert und Anmerkungen an die Online-Veröffentlichung angepasst. D.E.]

Die Analyse der Bilder der Vergangenheit zeigte, dass der Blick zurück in den deutschen Nachkriegsspielfilmen allenfalls in Ausnahmefilmen durch ein tatsächliches Interesse an einem umfassenden Verständnis dieser unmittelbaren Vergangenheit oder gar an tabuloser Selbsterkenntnis gelenkt wird. Die Darstellungen der Vergangenheit gewinnen von Anfang an eher den Charakter einer Selbstabgrenzung und Rollendefinition. Das Selbstbild, das in den häufigen Spielfilmmotiven deutlich wird, ist zentral bestimmt durch das Empfinden eines ohnmächtigen Unterworfenseins und – als Folge die Behauptung einer Sinnlosigkeit und Unmöglichkeit von Widerstand im Dritten Reich. 1)

Mitscherlich/Mitscherlich 2) hatten ihre weitreichenden Diagnosen auf der Grundlage von alltäglichen „Spontanbeobachtungen“ und Erfahrungen mit Psychotherapiepatienten gewonnen. Der Schluss von diesen Einsichten auf gesamtgesellschaftlich typische psychische Verarbeitungsmechanismen, Strukturen und Funktionen erfolgte rein theoretisch. Die vorliegenden Ergebnisse der Spielfilmmotivanalysen können folgende Annahmen in einigen Zügen bestätigen und sie gleichzeitig differenzieren:

„Der kollektiven Verleugnung der Vergangenheit ist es zuzuschreiben, daß wenig Anzeichen von Melancholie oder auch von Trauer in der großen Masse der Bevölkerung zu bemerken waren. (…)
Genau betrachtet sind es (…) drei Reaktionsformen, mit denen die Einsicht in die überwältigende Schuldlast ferngehalten wird. Zunächst ist es eine auffallende Gefühlsstarre, mit der auf die Leichenberge in den Konzentrationslagern, das Verschwinden der deutschen Heere in Gefangenschaft, die Nachrichten über den millionenfachen Mord an Juden, Polen, Russen, über den Mord an den politischen Gegnern aus den eigenen Reihen geantwortet wurde. Die Starre zeigt die emotionelle Abwendung an; die Vergangenheit wird im Sinne eines Rückzugs alles lust- und unlustvollen Beteiligtseins an ihr entwirklicht, sie versinkt traumartig. Diese quasi-stoische Haltung, dieser schlagartig einsetzende Mechanismus der Derealisierung des soeben noch wirklich gewesenen Dritten Reiches, ermöglicht es dann auch im zweiten Schritt, sich ohne Anzeichen gekränkten Stolzes leicht mit den Siegern zu identifizieren. Solcher Identitätswechsel hilft mit, die Gefühle des Betroffenseins abzuwenden, und bereitet auch die dritte Phase, das manische Ungeschehenmachen, die gewaltigen kollektiven Anstrengungen des Wiederaufbaus, vor. 3)

Die Häufigkeit der Thematisierung der Zeit des Dritten Reiches in den ersten 30 Spielfilmen des Untersuchungszeitraumes verrät, was auch Mitscherlich/Mitscherlich beobachtet hatten: wie sehr zunächst das Erleben dieser biographischen Periode schmerzhaft fortwirkte und zu einer Selbstdefinition drängte. In der ohnehin eher undeutlichen oder gar ausgesparten Nachzeichnung des eigenen Verhaltens und der Einstellung gegenüber Ideologie, Politik und Realität des Dritten Reiches führt die spezifische egozentrische Opferperspektive 4) in den Spielfilmen zu einer ganzen Reihe von Verzeichnungen und Verkehrungen, in denen Momente einer psychischen Verfassung wie auch von Bewältigungsstrategien erkennbar werden. Die Motivhäufungen in den Filmen verweisen darauf, dass das Selbstbild der Deutschen nicht ohne Zweifel war: Oft führen die positiven Filmfiguren eine „innerlich“ und/oder verbal distanzierte Einstellung gegenüber nationalsozialistischer Politik und ihren Vertretern vor, oder eine der handelnden Personen beweist ihre „Unschuld“. Auch die Beschwörung, Vorführung und gleichzeitige Bewertung widerstehender Handlungen als todessehnsüchtige Verzweiflungstaten sind Indiz für unterschwellige Momente einer Scham und des Selbstzweifels. 5)

Die für die ersten, besonders der in der britischen Zone produzierten, Spielfilme typische düster-depressive Grundstimmung und Erdenschwere der handelnden Personen, insbesondere der männlichen Heimkehrerfiguren, könnte ihren Grund auch in diesen latenten Selbstzweifeln und unterdrückten Schuldgefühlen haben. 6)

Diese Scham wird in den Filmen indes nicht auch auf der Ebene des Bewusstseins erkennbar. Nicht selten finden sich in den Filmen positiv bewertete Protagonisten, die sich zwischen der Geste des Gekränkt- und Beleidigtseins und der trotzigen Abwehr und Selbstidealisierung bewegen. Koebner beschrieb für die Nachkriegsperiode erst jüngst vier Typen von Trotzreaktionen, die sich tatsächlich auch in den Spielfilmen und ihren Hauptmotiven immer wieder in verschiedenen Erscheinungsformen fanden. Diese zeigten sich

„(a) in der Bagatellisierung der Verbrechen, (b) in Selbstrechtfertigung und Schuldabschiebung, (c) in der Aufrechnung der von den Deutschen verübten Verbrechen mit den Versäumnissen und Vergehen der Alliierten, (d) selbst in der Verteidigung der Leistungen im Dritten Reich und im Krieg (das Lob des deutschen Soldaten), schroff abgehoben von den unzweideutigen Gräueltaten.“ 7)

Deutlich wird dies in häufigen Spielfilmmotiven auch in einer trotzigen Abwehr aller von außen (sowohl von anderen Deutschen als auch aus dem Ausland) kommenden Fragen oder Anklagen und in der Rechtfertigung und Propagierung des Verhaltensmodells der „Inneren Emigration“. Die Negativbewertungen von Ausländern und Remigranten in Deutschland, die oft unterschwellig erfolgen und durch Gefühle wie Neid bestimmt sind, sind weitere Indizien für eine grundlegende Verleugnung der eigenen Rolle in der NS-Zeit. 8)

Dieser Verarbeitungsmechanismus, jede Anklage dadurch zu diskreditieren, dass man durch eine kontextuale, unterschwellig-bildliche oder seltener direkt-verbale Abwertung den Anklägern die Kompetenz abspricht, über die Nachkriegsdeutschen zu urteilen, fand sich in der Spielfilmanalyse auch im Kollektiv der Deutschen selbst wieder: Sowohl Frauen als auch männliche Jugendliche erscheinen immer wieder deutlich als Unbeteiligte oder zu einer gerechten Beurteilung nicht in der Lage. Ihre Anklagen erscheinen auch deshalb problematisch, weil diese (wie auch Remigranten- und Ausländer-)Figuren in den Spielfilmhandlungen im Gegensatz zu „den Angeklagten“ keine eigenen Leidenserfahrungen gemacht haben. Einen vorurteilsfreien Blick auf sich selbst und das eigene Erlebnis und Verhalten verstellt auch ein anderes grundlegendes Interpretationsmuster der Realität, das in der Analyse des Menschenbildes in den Filmen deutlich wurde: die Unmöglichkeit, den Menschen in einer Dialektik von Innen- und Außenwelt und in seinen Schwächen und Widersprüchen anzunehmen und – damit verbunden – die Vorstellung vom Charaktermenschen, der „von Natur aus“ entweder gut oder böse sei. 9) Dass auch diese Vorstellungen durch die Konfrontation mit den schrecklichen Verbrechen in der NS-Zeit und im Krieg ins Wanken geraten waren, offenbart sich in der Motivhäufung um die Frage nach dem Wesen des Menschen. 10)

Die deutlichen Verunsicherungen gegenüber den Mitmenschen und sich selbst zeigten sich in den Spielfilmen jedoch überwiegend durch „Theorien der Verlässlichkeit und Eindeutigkeit“ überlagert. Die Herkunft und Bedeutung dieses Interpretationsmusters für die gesellschaftliche Entwicklung im Nachkriegsdeutschland fand sich bereits 1950 bei Adorno beschrieben:

„Heute aber (…) übernimmt man freiwillig ein ganzes Lager von Begriffen und Bildern aus dem autoritären Bereich. Gewiß ist seine Beziehung zur Diktatur durchschnitten. Ihrer inneren geschichtlichen Voraussetzung nach aber sind jene Begriffe und Bilder gekettet an die Vorstellung der Unvermeidlichkeit und Rechtmäßigkeit von Herrschaft und Not. Sie verraten ihre finstere Herkunft durch Klang und Gestus auch dann, wenn sie sich tragisch-humanistisch gebärden.“ 11)

Diese Einsichten hatte Adorno in einem Gruppenexperiment, der Analyse konkreter aktueller Äußerungen von Deutschen, Anfang der 50er Jahre gewonnen. Während Adornos skeptische Diagnose auf einen erkannten Status quo gerichtet war, ließ sich mit Hilfe der Motivanalyse der Spielfilme noch aus dem historischen Abstand dieser Prozess in seinem zeitlichen Verlauf wie in seinen einzelnen konkreten Erscheinungen, Schritten und inneren Begründungszusammenhängen erfassen: Unter den ersten 15 Spielfilmen fand die Analyse noch eine ganze Reihe, die ein breites Spektrum von Figuren zeigen, die sich auch als fehlbar, lernfähig und mit Widersprüchen behaftet offenbaren. Fragen, Selbstzweifel und Kritik am Verhalten der anderen werden noch nicht grundsätzlich abgewertet. Später – das zeigte die Prozessanalyse – kommt es in der Zeichnung der positiv bewerten Hauptfiguren zu bedenklichen Verfestigungen, die sich immer wieder auch in ihrem Blick auf die unmittelbare Vergangenheit zeigen.

Das manische Kreisen um die eigenen Leidenserfahrungen wird in den ersten Spielfilmen zudem durch das Erleben der realen Notlage erleichtert. Als psychodynamisches Ventil dominiert dieses Empfinden direkt oder indirekt auch die kollektiven Bilder der Vergangenheit, indem die eigenen Verluste und Verletzungen, die Leiden in der „Inneren Emigration“ beklagt oder vorgeführt werden.

Später verschließt sich der Blick zunehmend vor der Wahrnehmung jeglichen Leids: Figuren, die ihre Lage oder auch die Opfer der Vergangenheit beklagen, werden als weinerlich oder auch unecht-theatralisch ebenso diskreditiert wie die, die ihre Anklagen aufgrund der Erfahrungen der deutschen Vergangenheit formulieren. 12)

Adorno wies 1966 noch einmal auf die bedenklichen Folgen eines Männlichkeitsideals hin, wie es – und zwar mit wachsender Ausschließlichkeit auch die Filme unseres Untersuchungszeitraumes bestimmt:

„Das gepriesene Hart-Sein, zu dem da erzogen werden soll, bedeutet Gleichgültigkeit gegen den Schmerz schlechthin. Dabei wird zwischen dem eigenen und dem anderer gar nicht einmal so sehr fest unterschieden. Wer hart ist gegen sich, der erkauft sich das Recht, hart auch gegen andere zu sein, und rächt sich für den Schmerz, dessen Regungen er nicht zeigen, die er verdrängen mußte.“ 13)

In der zweiten Hälfte unseres Untersuchungszeitraumes ist der Blick auf die Vergangenheit und ihre Opfer endgültig verstellt. War das Mitgefühl für die Opfer des nationalsozialistischen Gewaltregimes schon zuvor durch die selbstmitleidige und egozentrische Opferperspektive und den Rechtfertigungs- bzw. Freisprechungswunsch gehemmt und verzerrt, so verfestigt sich nun eine gefühlsmäßige Panzerung. Ab Sommer 1948 verliert sich das Motiv der Verfolgten des NS-Regimes, sieht man von Außenseiterproduktionen 14) ab, aus den Nachkriegsspielfilmen.

Eine Trauer um die Opfer der Jahre 1933-1945 findet in der Mehrzahl der untersuchten Spielfilme nur als melancholisches Beklagen der eigenen Verletzungen und Verluste statt. Eine einfühlende Nähe und mitfühlende Erinnerung, wie sie Ausnahmefilme wie EHE IM SCHATTEN, MORITURI und LANG IST DER WEG versuchten, scheint den Nachkriegsdeutschen in ihrer stark gefährdeten und angezweifelten Identität und zugleich akuten materiellen Notlage in der Nachkriegszeit weder erträglich noch zur Voraussetzung eines lebendigen Neubeginns geworden zu sein. 15)

In sozialpsychologischen Deutungen der in der Realität beobachteten Haltungen und Verhaltensweisen der Nachkriegsdeutschen fanden sich zahlreiche Parallelen zu den Ergebnissen der Motivanalyse der Spielfilme. Die in den Spielfilmen fast durchgängig dominierende Opferperspektive wird hier z.B. aus der spezifischen Ausgangssituation nach dem Krieg erklärt:

„Die siegreichen Gegner (…) konnten ohne Entwertungsgefühle die Realität anerkennen und um die Opfer dieses Krieges trauern; die Deutschen waren zentral in ihrem Selbstwert getroffen, und die Abwehr des Erlebnisses einer melancholischen Abwertung des Selbst war die drängendste Aufgabe für den psychischen Apparat. Die moralische Pflicht, Opfer unserer ideologischen Zielsetzung mit zu betrauern, (…) konnte deswegen nur ein oberflächliches seelisches Geschehen bleiben.“ 16)

Wie die Motivanalyse der Spielfilme zeigte, hält noch die ohnehin seltene Darstellung der tatsächlichen Opfer des NS-Staates diese Figuren – ob bewusst oder unbewusst in der Bewertung oft in einer eigentümlichen Schwebe, die entweder durch Vorurteile oder durch eine unterschwellige Mitschuld-der-Opfer-Hypothese bestimmt ist. Dies gilt teilweise auch für die genannten Ausnahmefilme 17), die sich in der Analyse gleichfalls als Ausdruck biographischer Erfahrungen und als Verarbeitungen von individuellen oder auch kollektiven Schuldgefühlen, Hoffnungen und Ängsten offenbarten.18)

Im Gegensatz zum – teils auch selbstformulierten – Anspruch der Filmschaffenden aufzuklären, sind die Thematisierungen der Vergangenheit eher durch folgende Ziele bestimmt:

Bestraft werden, sich selbst freisprechen – und häufiger und mit größerem Gewicht von anderen freigesprochen werden. Dies ist in den Filmen des gesamten Untersuchungszeitraumes und in verschiedensten thematischen Kontexten, selbst noch in eskapistischen Filmphantasien 19), zumindest unterschwellig immer wieder Motiv. Diese Form der Verarbeitung der kollektiven Erfahrungen des Hitlerfaschismus und des Krieges kommt einer zunehmenden bewusstseins- und gefühlsmäßigen Verzerrung und Verleugnung gleich. Das Erleben konnte so nicht zu Erfahrungen für die Zukunft verarbeitet werden, was als eine schwere Hypothek für den gerade beginnenden Prozess der Konstitution politischer Identität in Deutschland angesehen werden muss.

Den Zusammenhang zwischen der mangelnden Bereitschaft und/oder dem Unvermögen, die Bewegungsgesetze und Strukturen des Vergangenen zu begreifen, und einer frühzeitigen Eingleisigkeit und Erstarrung der Individuen und der Nachkriegsgesellschaft beschrieb Adorno auf der Grundlage seiner Realbeobachtungen 1950 so:

„Wenige bemühen sich um Einsicht in die Gesetze, welche das jüngst vergangene Unheil zeitigten, um den Begriff einer menschenwürdigen Einrichtung der Welt und seine theoretische Begründung, oder gar um die Analyse der heute aktuellen Möglichkeiten zur ganzen, inhaltlichen Verwirklichung der Freiheit. Nicht, daß die Menschen auf solche Fragen nicht ansprechbar wären, im Gegenteil: in den Augenblicken, in denen es einem gelingt, sie sichtbar zu machen und das Bewußtsein darauf zu lenken, glaubt man oftmals, eine lösende, befreiende Erkenntnis sei gelungen. Aber nur selten wird unmittelbar daran gerührt. Es ist, als ständen die Menschen unter einem geistigen Bann. Unfreiheit und Autoritätsglaube, wäre es auch bloß der Glaube an die Autorität dessen, was nun einmal ist, sind ins allgemeine Bewußtsein eingewandert. Niemand traut sich so recht an das Drängende, Brennende heran, von dem in Wahrheit doch alle wissen. Fast empfindet man den Gedanken, der über den Umkreis des Bestehenden und Approbierten hinausgeht, als Frevel.“ 20)

Vergleicht man die Beschreibung von Alexander und Margarete Mitscherlich in „Die Unfähigkeit zu trauern“ 21) mit den Persönlichkeitsprofilen und typischen verbalen Äußerungen der positiven Protagonisten der untersuchten Filme, so stellt man eine ganze Reihe von Übereinstimmungen fest, die den Quellenwert der Spielfilme für Stimmungslagen, Einstellungen und Orientierungen im normativen Bereich bestätigen. So fanden sich in der Analyse etwa die „instinktiv und unbewusst arbeitenden Kräfte des Selbstschutzes im Vergessen, Verleugnen, Projizieren und ähnlichen Abwehrmechanismen“ 22), die Deutungsmuster „Der ‚Führer‘ war an allem schuld“ 23) oder auch „das Hereinbrechen einer Diktatur sei ein Naturereignis“24). Doch werden diese Deutungsmuster in ihrer alltagspraktischen Logik und Komplexität in den Spielfilmmotiven anschaulich und offenbaren in den massenkulturellen Objektivationen ihren kollektiven Charakter. während Adorno und Mitscherlich ihre Einsichten aus einer Vielzahl von Beobachtungen tatsächlichen konkreten Verhaltens einzelner gewannen, verweisen Motivhäufungen in Spielfilmen auf – mindestens antizipierte – allgemeine, gesamtgesellschaftlich bedeutsame Deutungsmuster.

Bettina Greffrath (1993)


Anmerkungen

  1. Vgl. den Beitrag „Bilder des Dritten Reiches“
  2. Die Unfähigkeit…. (1967), a.a.O.
  3. Die Unfähigkeit…. (1967), a.a.O., S. 40
  4. Mitscherlich/Mitscherlich fassten sie als „autistische Haltung“ (a.a.O., S. 38)
  5. u.a. Mitscherlich/Mitscherlich, a.a.O., s. 71ff
  6. Hans-Eberhard Richter beschrieb sein Empfinden retrospektiv folgendermaßen: „Wir alle, die wir jetzt in diesem Elend und in dieser Stadt der Ruinen und Scherben herumkrochen, durften nicht hinausschreien: Was habt ihr, die Sieger, uns angetan! Wir konnten nicht gerecht leiden, wenn wir nicht Widerständler oder Verfolgte gewesen waren. Wir selbst hatten – genau bedacht – unsere Angehörigen mit umgebracht, unsere Häuser mit zerstört, andere Länder mit verwüstet, die Juden mit ermordet. (…) Wer nicht mehr Kind war, hatte für alles einzustehen.“ (Die Chance des Gewissens. München 1988, S. 51)
  7. Koebner: Die Schuldfrage, in: ders. (1987), a.a.O., S. 303
  8. hierzu z.B. Mitscherlich/Mitscherlich, a.a.O., S. 43 und hier auch die Skizze „Emigration als Makel“, S. 65ff
  9. hierzu auch Maaz: Gefühlsstau, a.a.O., S. 96f
  10. den Beitrag „Das Menschenbild im Nachkriegsspielfilm“
  11. Adorno (1950): Auferstehung der Kultur…, a.a.O., S. 28f
  12. „Die Unfähigkeit zum Leiden war zum Sieg der Stärke uminterpretiert.“ (Richter: a.a.O., s. 57)
  13. Adorno: Erziehung nach Auschwitz, a.a.O., S. 96. Vgl. hierzu auch Mitscherlich (1987), a.a.O., S. 164
  14. Diese Ausnahmen wurden – zumindest überwiegend – von realen Opfern der NS-Zeit (mit)gestaltet. Z.B.: MORITURI und LANG IST DER WEG (beide 1948), DER RUF (1949) oder Peter Lorres DER VERLORENE (1951)
  15. Hans-Eberhard Richter gewann – aus seiner rückerinnernden Selbstreflexion, wie auch aus den Erfahrungen mit seinen Zeitgenossen – eine in der Quintessenz ähnliche Einsicht in die typischen inneren Bewegungen der Deutschen “zwischen Gestern und Morgen“. In seinem Buch „Die Chance des Gewissens“ macht er emphatisch deutlich, welche Bedeutung eine einfühlende Haltung auf Seiten der Deutschen für den Neubeginn und die weitere Entwicklung einer freiheitlichen, humanen und demokratischen Gesellschaft hätte gerinnen können:
    „Erst auf dem Wege zur Selbstfindung gewinnt man den Mut zu einem Mitfühlen, das nicht mehr eingeengt ist von vorgeschriebener Parteilichkeit. Man läßt sich nicht mehr gefallen, daß die Anteilnahme dort enden soll, wo die Herrschenden Barrieren gegenüber Andersdenkenden, Fremden, Gefangenen, Feinden errichtet haben. Und man durchschaut, dass die übliche Verächtlichmachung des Gefühls nur aus der Schwäche des Verdrängenden stammt, Die Warnung vor fürsorgender Angst, Leiden, Mitgefühl verkünden immerfort diejenigen, die im Innern nicht zulassen können, was ihre krampfhafte narzißtische Selbstbehauptung gefährdet. In Wahrheit erweitert das freiströmende Mitfühlen zugleich den Horizont für soziale Verantwortung.“ (Richter: a.a.O., S. 277) Vgl. hierzu auch Mitscherlich (1987), a.a.O., S. 16ff
  16. Mitscherlich/Mitscherlich (1967): a.a.O., S. 35
  17. Diese fanden in der Regel nur ein sehr kleines Publikum und wurden in ihrem Wahrheitsgehalt in der Öffentlichkeit nicht selten auch noch angezweifelt.
  18. Besonders deutlich wurde dies in der Untersuchung des Films EHE IM SCHATTEN; vgl. auch die Analyse von DER RUF.
  19. die Analysen von z.B. DAS GEHEIMNIS DER ROTEN KATZE; TRÄUM NICHT ANNETTE; SCHULD ALLEIN IST DER WEIN und DER HERR VOM ANDEREN STERN
  20. Adorno: Auferstehung der Kultur… (1950) S. 23
  21. Mitscherlich (1967): Die Unfähigkeit…, a.a.O., S. 24
  22. a.a.O., S. 24
  23. a.a.O., S. 27
  24. a.a.O., S. 28

 

 

 

Die Mitscherlichs beobachteten eine Grundstimmung, in der die Melancholie als Ausdruck einer „krankhaften Steigerung der Trauer“ über den Verlust der übersteigert libidinös besetzten Führerfigur schließlich abgewendet wird. Auch diese heute noch umstrittene Interpretation ließe sich aus unseren Befunden eventuell belegen. Indizien in den Spielfilmen für eine solche untergründig fortwirkende Depression könnten etwa die folgenden sein: die oft hilflos wirkende Inszenierung von Heiterkeit und Lebensfreude und die weiterhin gefühlsmäßig positive Zeichnung traditioneller patriarchaler Autoritäten, die nicht selten als rettende, ordnende und heilende Kräfte auftreten.

Diese Verletzungen erscheinen nur in Ausnahmefällen auch als physische Verletzungen. In den trotzigen oder auch verzweifelten Selbstanklagen der männlichen Protagonisten (vor allem Heimkehrerfiguren) werden Verletzungen offenbar, die an jenes Syndrom erinnern, das Mitscherlich/Mitscherlich mit Freud als Spezifikum der Melancholie fassen:

„In der Trauer fühle ich mich verarmt, aber nicht in meinem Selbstwert erniedrigt. Diese letztere Erfahrung macht jedoch der Melancholiker. Ihm widerfährt `eine außerordentliche Herabsetzung seines Ich-Gefühls, eine großartige Ich- Verarmung“‚. 1)

Erich Fromm beschrieb 1947 strukturell den Zusammenhang zwischen einem tiefgreifenden Orientierungsverlust, Selbstzweifeln und einer – auch in den Heimkehrerfiguren der Spielfilmmotive immer wieder vorgeführten – Unfähigkeit zur Neuorientierung und zum Handeln. Bis in die Metaphorik hinein („Staubkorn“) finden wir in den Filmen direkt und unterschwellig Momente der Angst (besonders vor sozialer Ausgrenzung) und das Empfinden individueller Ohnmacht. Allgemein formuliert Fromm 1947 in seinem Buch mit dem symptomatischen Titel „Escape from freedom“ (deutscher Titel:“Die Furcht vor der Freiheit“) :

„Wenn er (der Mensch) nicht irgendwohin gehört und dort sein Dasein keine Bedeutung und keine Richtung empfängt, fühlt er sich wie ein einzelnes Staubkorn und wird von seiner eigenen Nichtigkeit übermannt. Unfähig, sich einem System anzuschließen, das seinem Leben Richtung und Inhalt gibt, wäre er von Zweifel erfüllt, und dieser Zweifel würde seine Fähigkeiten zu handeln – und damit zu leben – lahmlegen. “ 2)

Wie drängend insgesamt die Infragestellung männlicher Identität in der Nachkriegssituation empfunden wurde, lässt sich an der Dauer ermessen, in der in den zeitbezogenen Filmen für die Männerbilder Selbstentwertung, depressive, oft todessehnsüchtige Melancholie, Abhängigkeit, Ohnmacht und Schwäche dominant bleiben. Erst ab 1949 zeigen Männerfiguren Anzeichen neuer Festigungen, werden gerade auch wieder in der Konfrontation mit Frauenfiguren zu überlegenen und Anpassung fordernden Menschen.

Starke Verunsicherungen in der ersten Nachkriegsperiode zeigen sich auch in der besonders für die ersten 15 Spielfilme bedeutsamen Auseinandersetzung des einzelnen mit dem Kollektiv, das ihm hilft, seine eigene (Opfer-) Perspektive und die Deutungsmuster des Vergangen zu bestätigen. Zu den schädigenden Einflüssen der Vergangenheit 3) – es sind fast ausschließlich

Erlebnisse der Kriegsperiode – kommen in den gegenwartsnahen Filme neue Belastungen, Kränkungen und Infragestellungen. In der Differenziertheit und spezifischen Zeichnung der Gegenwartsbilder der deutschen Nachkriegsspielfilme wurde offenbar und sehr konkret fasslich, welche Momente dieser Realität als extrem verunsichernd und belastend und auf welche Weise sie von den Nachkriegsdeutschen erfahren wurden.

Bettina Greffrath (1993)


Anmerkungen

  1. Die Unfähigkeit… (1967), a.a.O., S. 37; zit. Von Siegmunf Freud aus: Trauer und Melancholie. Ges. Werke X, S. 431
  2. Fromm, a.a.O., S. 28f
    In Horst-Eberhard Richter Rückerinnerungen finden wir jenes besonders für die ersten, in der britischen und der sowetischen Zone produzierten deutschen Nachkriegsspielfilme typische Bild des orientierungslosen, von einem tief empfundenen Sinnverlust geplagten Heimkehrers und zwar explizit als – äußeres und in seiner Substanz nicht bestimmtes – „Bild“ gekennzeichnet: „Typisch war das Bild der aus Gefangenschaft heimkehrenden ‚Helden‘, die von ihren weniger deformierten Frauen wie hilflose Kinder an die Hand genommen und wieder lebensfähig gemacht werden mußten.““ (Richter, a.a.0., S. 52)
    Die Überwindung der Depression, der Abschied vom Schatten des Vergangenen und die Rückgewinnung von Anerkennung und Liebenswürdigkeit ist dann auch das eigentliche Thema dieser Filme
  3. Doch wird nur selten diese Vergangenheit und wenn dann allenfalls Erlebnisse des Kriegsgeschehens zum zentralen Thema. 0hne die Ursachen zu entfalten, wird deutlich, dass diese Heimkehrer in tiefgreifender Weise in ihrem Selbstbewusstsein und ihrer Lebensorientierung geschädigt sind.

Auszug aus:

Die Mikroanalyse der Bilder eines chaotisch und gefährdend erlebten Außen, das ist in den Filmen primär die Realität der zerstörten Großstädte, fand nicht nur eine Reihe typischer Motivhäufungen in den Bereichen Existenznot (Wohnung; Nahrung), sittliche Gefährdung, (Kapital-) Verbrechen und Jugendkriminalität, Autoritätsverlust in Schule und Familie, Geschlechtsrollendiffusion und Arbeitslosigkeit. Sie deckte zugleich spezifische Strukturen der Wahrnehmung und Verarbeitung dieser Realität auf.

Typisch für die ersten Spielfilme ist, dass dieses Außen in aller Regel schockhaft und befremdend, in seiner Totalität auf den Neuankömmling einwirkend, gezeigt wird. Durch die Konfrontation mit einer durch und durch leidbesetzten Brechung der Realität in einem ganzen Kaleidoskop von Nachkriegsdeutschen, erscheint diese Realität als gesamtgesellschaftliche und gleichsam unausweichliche Belastung.

Durch die Fokussierung und Perspektive eines Menschen, der seine Umwelt erkennbar als denaturiert und unberechenbar erlebt, sind bereits Vorentscheidungen für die spätere Neuorientierung getroffen. Erscheint diese Wahrnehmung der für den Betrachter neuen Lebenssituation geradezu als Überflutung mit negativen Reizen, ist die Abtrennung von dieser Welt und die Aufwertung des geschützten Innenraumes, aus dem geblickt wird, bereits vorbereitet. 1)

Hannah Arendt fasste ihre im Wortsinn scharfsinnige Deutung ihrer Realbeobachtungen bei einem „Besuch in Deutschland“ 2) 1950 unter anderem folgendermaßen zusammen:

„Der Durchschnittsdeutsche sucht die Ursachen des letzten Krieges nicht in den Taten des Naziregimes, sondern in den Ereignissen, die zur Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies geführt haben.
Eine solche Flucht vor der Wirklichkeit ist natürlich auch eine Flucht vor der Verantwortung. (…) Es sieht so aus, als ob sich die Deutschen nun, nachdem man ihnen die Weltherrschaft verwehrt hat, in die Ohnmacht verliebt hätten (…).“ 3)

Diese typische Sichtweise wurde besonders in der Mikroanalyse der Motivbereiche Krieg, Politik und Bürokratie deutlich. Vom einzelnen in Grenzen gestaltbar erscheint in der Mehrzahl der Filme nur das, was im Innenbereich von Haus und Heim und – mittelbar mit diesem verbunden – im Rahmen der eigenen Erwerbstätigkeit angesiedelt ist.

Bettina Greffrath (1993)


Anmerkungen

  1. Dies gilt umso mehr, als in der Regel in der Fabel im Folgenden die negativen Folgen dieses Gewahrwerdens zwischen Depression, Todessehnsucht, Zynismus oder auch moralisch-sittlichem Scheitern erzählt werden, der Nachkriegsmensch also durch dieses Außen wiederum nur negativ beeinflusst erscheint.
  2. Besuch in Deutschland. Die Nachwirkungen des Naziregimes. (1950) In: Zur Zeit. Politische Essays. Berlin 1986, S. 43-70
  3. a.O., S. 44f

„Es ist nicht leicht, verständlich zu machen, warum es uns nicht bedrückte, sondern irgendwie angemessen schien und sogar eine gewisse Genugtuung bereitete, daß wir noch 1953 in der Halbruine meines elterlichen Wohnhauses dicht am Berliner Kurfürstendamm lebten in zweieinhalb Zimmern mit Rissen in den Wänden, die wir selber notdürftig zugemauert hatten.
(…) in der lebendigen Halbruine war etwas von unserer inneren Gegensätzlichkeit erhalten: Tod und Lebenswille, Behinderung und Gesundheit, Trauer und Hoffnung. Wir wollten nicht verlieren, was in uns noch Ruine war. Wir wollten keine Umwelt haben, aus der die Spuren von gestern getilgt waren. Wir mißtrauten dem anbrechenden gewaltigen Wettlauf des Wirtschaftswunder-Marathons, dem Glauben an den wunderbaren Fortschritt zur narzißtischen Großartigkeit und Unversehrbarkeit. “ 1)

In der Art der Beschreibung drückt sich ein Empfinden und die Einsicht aus, einen für die Zeit untypischen Weg im Umgang mit Vergangenheit und Gegenwart gewählt zu haben.

Horst-Eberhard Richter, der in seinem Buch „Die Chance des Gewissens“ auf sein Leben in Deutschland kritisch zurückblickt, muss sich eingestehen, dass es auch für ihn ein schmerzlicher Prozess war, bis er zu dieser Nähe zur eigenen Geschichte und den eigenen Verletzungen gefunden hatte. Tatsächlich brachte die Motivanalyse der Spielfilme eine zunehmende Verlagerung in der Realitätswahrnehmung zutage. Ab 1948 gelingt es in den Filmen, immer mehr zumindest von den äußeren Trümmern abzusehen.

Die in den Spielfilmen deutlich erkennbare Polarisierung von Außen und Innen schreitet im Untersuchungszeitraum fort. Das wird beispielsweise im Motivkomplex der sittlichen und kriminellen Gefährdung erkennbar: Während in den ersten Filmen für den Begründungszusammenhang des moralischen Scheiterns zwei Stränge bestimmend waren – die charakterliche „Vorherbestimmung“ und die These, dass insbesondere Frauen und junge Menschen durch die Zeitumstände zu ihren Taten gezwungen („Opfer der Zeit“) werden können -, so verliert sich dieses letzte Deutungsmuster im Untersuchungszeitraum zunehmend.

Bettina Greffrath (1993)


Anmerkung

  1. Richter, a.a.O., S. 110

Auszug aus:

Immer deutlicher grenzt sich die Gesellschaft der integren „Guten“, die sich zunehmend an abstrakten Prinzipien der Rechtschaffenheit und als feststehend und natürlich geltenden Regeln orientieren, ab: von der Sphäre der „charakterlich Schwachen“ oft sind es Künstler, Intellektuelle, Süchtige, Verbrecher. 1)

In den als „natürlich“ gekennzeichneten individuellen Lösungen gegenüber dieser Bedrohung durch das „Außen“ der zunächst als Ganzes, später nur noch in der Gegenwelt des Halbweltlichen und Fremden als bedrohlich erlebten Nachkriegswirklichkeit, werden Schutzmechanismen erkennbar: Der Innenraum wird durch starre und zugleich sichere Gesetzmäßigkeiten geordnet.

In einem innerlich von heftigen, spontanen und damit unberechenbaren Gefühlsäußerungen gereinigten FamiIienleben scheint schon früh ein neuer Fixpunkt für die eigene Existenz gefunden. Ein innerer, psychodynamischer Begründungsstrang für die einseitige Propagierung einer privatistischen Perspektive dürfte in verschiedenen, nach den Erlebnissen in Kriegs- und Nachkriegszeit offenbar großen Bedürfnissen zu suchen sein: dem Wunsch nach heilender Pflege und einer deutlichen Abtrennung von der als feindlich und unbeeinflussbar erlebten Außenwelt.

 

  1. Unter diesen sind häufig auch Menschen, die sich offenkundig am amerikanischen Lebensstil orientieren.

Eine rationale Analyse von Vergangenheit und Gegenwart, eine kritische Distanz zu sich selbst und zu anderen wird allenfalls in Ausnahmefilmen 1) propagiert und zugleich als positives Handlungsmodell vorgeführt. Diese Äußerungen des Eigensinns, die deutlich aus dem typischen Deutungshorizont der Filme heraustreten, wurden für die Untersuchung zu Kontrastfällen. Diese verwiesen indirekt auf die zeitgenössisch an sich mögliche Reflexionstiefe und ließen die typischen Sichtweisen, Wahrnehmungsbegrenzungen und Tabus der Durchschnittsfilme umso deutlicher hervortreten. Die Gegenwartsbezogenheit oder (in der Terminologie der Entstehungszeit) „Zeitnähe“ – die Pleyer für den wirtschaftlichen Misserfolg der Filme verantwortlich macht – besteht also nur in Ausnahmefällen darin, das die deutschen Spielfilme dieser Zeit zu Medien, symbolischen Präsentationen für eine Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Strukturen und Zusammenhängen, für ein Begreifen der Ursachen und Mechanismen akuter wie zukünftiger sozialer Probleme wurden. Nur einige wenige Filme behandeln Leiden, Handeln, Ereignisse als aus einem überindividuellen historischen und strukturellen Zusammenhang verstehbare Phänomene. Fast alle diese Filme sind entweder von Remigranten gestaltet oder entstanden – wie Wolfgang Staudtes ROTATION oder SCHICKSAL AUS ZWEITER HAND erst aus einer historischen Distanz zu den geschilderten Problemlagen. Fabeln und Motive der Durchschnittsfilme unterstützen dagegen die Vorstellung, dass Bereiche wie Verwaltung, Wirtschaft, Demokratie, Öffentlichkeit dem alltäglichen Leben unversöhnlich und fremd gegenüberstehen, von ihm völlig getrennt existieren.

Psychodynamisch ist ein solches Deutungsmuster gut dazu geeignet, zum einen sich von den Zweifeln und der Scham gegenüber der eigenen Rolle zur Zeit des Dritten Reiches zu entlasten und zum anderen einen Rückzug aus einer neuen gesellschaftlichen Verantwortung zu begründen.

  1. Z.B.: UND WIEDER 48, DER GR0SSE MANDARIN, AFFAIRE BLUM oder DER RUF

Sowohl in den erkennbaren Einstellungsmustern als auch in den typischen Orientierungsverläufen der positiv bewerteten Hauptfiguren der Filme, werden sehr früh für die Entwicklung politischer Identität im Sinne der Entwicklung von personaler Autonomie und sozialer Kompetenz und Phantasie problematische Momente deutlich. Personale Qualitäten, wie eine realistische und tabufreie Verarbeitung der Wirklichkeit, wie Einfühlung in andere Menschen 1), wie vernunftgeleitetes und phantasievolles überschreiten der Gegenwart, werden in den Westzonenproduktionen allenfalls im Ansatz und nur in einigen Ausnahmefilmen modellhaft vorgeführt oder verbal propagiert.

Die vorliegenden Untersuchungsergebnisse legen den Schluss nahe, dass es die psychologisch in mehrfacher Hinsicht problematische Ausgangssituation nach dem Krieg war, die statt einer Neuorientierung eine Suche nach (alten) Sicherheiten förderte. Allgemein wirksame politische Einflüsse, wie z. B. die weitere Stärkung eines (schon über Generationen stark ausgeprägten) Ohnmachtsgefühls durch die Situation der Besatzung und die frühzeitige ideologische Polarisierung zwischen Ost und West, bestimmen allenfalls in satirisch gestalteten Ausnahmefilmen den manifesten Inhalt der Filme. Als Grundgefühle und Anspielungen sind sie unterschwellig dennoch schon sehr früh erkennbar.

Eine Überlastung der Nachkriegsdeutschen (mit den Fragen nach individueller bzw. kollektiver Schuld, Existenznöten, Autoritätsverlusten in der Familie und Bedrohung insbesondere der männlichen Überlegenheitsrolle und beruflichen Identität) dürfte als ein wichtiger Grund für einen kollektiven Rückzug anzusehen sein. Offene gesellschaftliche Entscheidungsstrukturen und Organisationsformen hätten in dieser Situation neue Verunsicherungen und Belastungen bedeutet.

Da das biographische und aktuelle Erleben in den Filmen eher als Überkrustung gedeutet wurde, die dem einzelnen nur äußerlich anhaftet, konnten die in den bis zur Mitte des Jahres 1948 auch hauptmotivisch bedeutsamen Störungen im Bereich der Identität und des Selbstwertgefühles in einer erträglichen Distanz zur eigenen Person gehalten werden. Folgendes Grundempfinden trat in den Filmen im Prozessverlauf immer deutlicher hervor: Es galt „zu sich“ und den als positiv „natürlich“ gewerteten Rollen und Orientierungsmustern zurückzufinden. Dieser Prozess – und das wurde insbesondere im Bereich der mit der Vergangenheit verbundenen Selbstbilder deutlich – wurde um den Preis der Abspaltung eigener Erfahrung vollzogen.

  1. Diese wird allenfalls Frauenfiguren im privaten Unraum abverlangt.

„Es ereignet sich aber auch oft, dass einzelne Gruppen Ideensannehmen, ohne infolge der Eigentümlichkeiten ihres Gesellschaftscharakters von ihnen tief berührt zu sein. Dann bilden die Ideen zwar einen Vorrat bewusster Überzeugungen, aber in kritischen Zeiten, wenn es gilt, nach diesen Ideen zu handeln, versagen die Gruppenmitglieder.“ 1)

Diese 1947 von Erich Fromm in „Escape from freedom“ 2) formulierte Strukturbeschreibung – trifft sie auch den Prozess der Identitätsbildung der Deutschen nach dem Krieg?

Für die in den DEFA-Spielfilmen propagierten Gesellschaftsmodelle lässt sich das am ehesten annehmen, obgleich hier besonders deutlich zwischen vordergründigem Inhalt und unterschwellig fortwirkenden Sichtweisen zu differenzieren ist. Radikale, vorurteilsfreie und zugleich transparent mit Interessen und Emotionen verbundene Analysen, die auch das Verhalten der Menschen und dessen Voraussetzungen mit in den Blick nehmen, finden sich in der Produktion aller vier Besatzungszonen allenfalls in Ausnahmefilmen.

Auch in zeitgenössischen Betrachtungen des Nachkriegsspielfilms finden wir immer wieder die Annahme, dass der Abstand für einen solchen analytischen Blick 3) noch nicht groß genug war. Nach der Analyse der Motive, die zu einer Gegenwartsbeschreibung in den Filmen beitragen, scheint eher die aus der akuten materiellen und seelischen Not der Nachkriegsdeutschen und den spezifischen Strategien ihrer Bewältigung erklärbare egozentrische Opferperspektive und die tiefe Verunsicherung der personalen Identität der Hintergrund für die Unfähigkeit zur rationalen Analyse zu sein.

Nur in einigen Ausnahmefilmen 4) werden Aspekte alternativer Lebens- und Gesellschaftsentwürfe und lebendige, differenzierte Persönlichkeiten dargestellt, die in sich auch humane Widersprüche tragen. Der typische Film der Westzonen und der jungen Bundesrepublik 5) ist dagegen durch eine zunehmende Gefühlsentleerung, eine Erstarrung im normativen Bereich und eine Wiederaufnahme traditioneller Orientierungsmuster bestimmt.

Strukturell ähneln sich die gezeigten und positiv bewerteten Wahrnehmungs-, Bewusstseins- und Verhaltensmuster in der gesamten Spielfilmproduktion Nachkriegsdeutschlands. Momente einer narzisstisch gestörten Selbstsicht, eine Tabuisierung grundlegender inner- und intersubjektiver Bereiche, eine starke Außenleitung und Idealisierung sind typisch. 6)

In den Inhalten der Orientierung ergeben sich dagegen signifikante Unterschiede zwischen den Produktionen der einzelnen Besatzungszonen und im Prozessverlauf. In den DEFA-Spielfilmen, die noch unter recht liberalen Produktionsbedingungen entstanden, sind eine Reihe von Versuchen der Situationsanalyse und Neuorientierung erkennbar, die den typischen Verarbeitungsweisen in den Filmen der Westzonen weitgehend entsprechen. Der Anteil an Diskussion und transzendierenden Entwürfen für gesamtgesellschaftliche und im engeren Sinne politische Probleme ist jedoch in den DEFA-Spielfilmen wesentlich höher. Dies ist sicherlich mit dem von Anfang an und dann zunehmend höheren Anteil von Remigranten und Neulingen unter den Filmschaffenden zu, erklären.

Als besonders interessant erwies sich folgende Beobachtung: Die verbal und im äußeren Handlungsverlauf mit dem Anspruch einer neuen Sicht und der Veränderung und Neugestaltung gesellschaftlicher Realität auftretenden Filme bleiben in ihren grundlegenden – oft unterschwellig bleibenden – Deutungsmustern in ähnlichen Kontinuitäten befangen wie die Filme, die in den Westzonen Deutschlands entstanden. 7) Inwieweit hat also nach Kriegsende die Chance zu einem originär demokratischen Neubeginn bestanden? Welche Faktoren wurden aus spezifischen Motivhäufungen als verhindernde oder retardierende erkennbar?


Anmerkungen

  1. Fromm, 1947, aa.0. , S.2?3.
  2. a.0.
  3. hierzu Abschnitt 4,4 dieser Arbeit
  4. v,a, Abschnitt 5,6 dieser Arbeit
  5. Hier wurden allerdings wie auch für die DEFA nur wenige Vergleichsfilme in die Analyse miteinbezogen.
  6. In den nicht selten deutlich durch Unsicherheiten bestimmten Menschenbildern und Erörterungen ethischer 0rundfragen erscheinen die Triebfedern menschlicher Bewegung auf spezifische Art: außer sich, fremd, unheimlich. Häufige Motive wie Telepathie, Hypnose, Wahrsagerei und an Ende des Untersuchungszeitraumes auch immer häufiger der Glaube an übermenschliche Mächte verweisen auf diesen Zusammenhang ebenso wie auf eine ausgeprägte Psychologiefeindlichkeit und Schicksalsgläubigkeit.
  7. Das gilt insbesondere für die normativen Vorstellungen der Geschlechtsrollen, für das Verhältnis zu Autoritäten und für die Gestaltung privater Lebensverhältnisse, die immer wieder deutlich der Vorstellung von Ehe, Mütterlichkeit und einen gutbürgerlich geordneten Haushalt verhaftet sind.

„Die Menschen waren jedenfalls bereit zu sagen, jetzt kommt etwas ganz Neues. Ja, davon laß‘ ich mich nicht abbringen.“
Axel Eggebrecht 1)

Nur kurze Zeit, so läßt sich in den Rückerinnerungen Axel Eggebrechts und anderer kritischer Publizisten der Nachkriegsperiode nachlesen, habe die Chance für eine kritische und zugleich innovatorische Reflexion des in Vergangenheit und gegenwärtig Erlebten bestanden. Über eine längere Periode real vertreten und auch gegen Widerstände gesetzt sei sie lediglich von einer Minorität Intellektueller. 2)

Im Blick auf die analytische und transzendente Substanz der untersuchten Spielfilme lässt sich dies in der Tendenz bestätigen. Die in dieser Untersuchung als „Ausnahmefilme“ apostrophierten deutschen Nachkriegsspielfilme erwiesen sich als außergewöhnlich, insbesondere hinsichtlich ihrer Erfahrungs- und Differenzierungsfähigkeit.

Dagegen sind die ersten mit britischer Lizenz produzierten Filme deutlich von idealistischen Vorstellungen geprägt. 3) In den mit abstrakten „Idealen“ eng verknüpften Deutungsmustern von der „eigentlichen“ und allenfalls durch „die Zeit“ überkrusteten Güte und Moralität des einzelnen Deutschen zeigt sich die von Koebner apostrophierte „zeittypische Schwierigkeit“, „zukunftsgerichtete Hoffnung mit realitätskundiger Skepsis zu verschränken“ 4). Diese Filme zeichnet weniger eine Hoffnung auf eine grundsätzliche Wandlung des einzelnen und der Deutschen als Kollektiv aus, wie sie etwa in den von Koebner gesammelten Zukunftsideen und Zeitanalysen von exilierten und innerdeutschen Schriftstellern, Publizisten, Historikern und Politikern 5) ihren emphatischen Ausdruck fanden. 6)

Als weitere hemmende und lähmende Momente erscheinen in den Filmen mittelbar nicht nur tiefe Verunsicherungen im Bereich des Menschenbildes und der Alltagsethik, sondern auch die Besatzungssituation selbst. Diese förderte – das zeigte insbesondere die Analyse der Motivkomplexe „Ausländer“, „Politik“ und „Bürokratie“ 7) offenbar noch die Kontinuität im Bereich der Deutungsmuster politisch-sozialer Prozesse, die als „Verliebtheit in die eigene Ohnmacht“ beschrieben wurde. Dieser Topos von Hannah Arendt verweist bereits auf die auch in den Motivhäufungen erkennbare Ambivalenz. Als wichtiges Moment im Konstitutionsprozess politischer Identität könnte sich aus diesem Grundgefühl erklären, warum keine Neuorientierung, sondern eher eine Rückkehr erfolgte. Hannah Arendt beschrieb dieses Festhalten bzw. kreisende Wiederaufnehmen tradierter Orientierungsmuster 1950 folgendermaßen:

„Es gibt ein fast instinktives Bedürfnis, bei den Gedanken und Vorstellungen Zuflucht zu suchen, die man hatte, bevor irgend etwas Kompromittierendes geschehen war. Das hat zum Ergebnis, daß die Menschen, während sich Deutschland äußerlich und innerlich bis zur Unkenntlichkeit verändert hat, so oberflächlich daherreden und sich so benehmen, als ob seit 1932 absolut nichts geschehen wäre.“ 8)

Im Überblick über Motivhäufungen und vor allem -koppelungen im Verlauf des Untersuchungszeitraumes, in spezifischen Bewertungen von Personen und ihren Haltungen und Einstellungen gab es Hinweise darauf, welche psychischen Bedürfnisse im Mechanismus des weitestgehenden Rückzugs aus dem öffentlichen Realität Erfüllung fanden:

  • Die Entlastung von Selbstzweifeln und Schuldbewusstsein gegenüber den Ereignissen der NS-Zeit. Als „eigenes“ und „eigentliches“ Leben erscheint das der „privaten“ Existenz in Ehe und Familie. Für diese „Insel“ gewinnt die Außenwelt wenn überhaupt nur negativ an Bedeutung als feindliche, antagonistische Kraft.
  • „Der Schock der Freiheit“ 9) oder auch „Die Furcht (oder besser noch, wie im Originaltitel: die Flucht, B.G.) vor der Freiheit“ 10) findet sich in seiner Struktur in den häufigen Spielfilmmotiven gebrochen: der Außenbereich wird nicht als durch eigenes Handeln gestaltbarer erlebt. Die Motivanalyse zeigte deutlich eine typische bewusste und unterschwellige Angst und Abwehr insbesondere gegenüber den „neuen“ Momenten der Nachkriegswirklichkeit: Von außen kommende Impulse wie die direkte Konfrontation mit anderen Kulturformen und einem abweichenden (freieren) Alltagshabitus 11) wurden offenbar alsBelastung empfunden.

Bis in die Erscheinungsformen große Ähnlichkeiten zeigten sich im Vergleich der eigenen Untersuchungsergebnisse mit denen der sozialpsychologisch angelegten Arbeiten, die ebenfalls bildliche Quellen untersuchen. Besonders gilt dies für den Vergleich mit Theweleits „Männerphantasien“ und selbstverständlich Kracauers „Von Caligari bis Hitler“ 12), die beide den Anspruch haben, Aussagen über die Genese der Gesellschaft des Dritten Reiches zu machen. Wenige Stichworte müssen hiernam Ende genügen:

Strukturelle Ähnlichkeiten – und d.h. letztlich Kontinuitäten in der Realitätssicht wurden insbesondere im metaphorischen Bereich offenbar. Wiederum erscheinen äußere wie innere (triebhaft-psychische) Realität in den ästhetischen Präsentationen als „Sumpf“, „Dschungel „, „Flut“, Chaos“, „Abgrund“ usw. .13)

Im Prozessverlauf zeigten sich in den häufigen Spielfilmmotiven zunehmend Mechanismen der gefühlsmäßigen Erstarrung, Panzerung und eine deutliche Abgrenzung sowohl zwischen den Geschlechtern als auch gegenüber dem andersartigen Fremden. Die mit dem Erstarken und der Selbständigkeit der Frauen in Kriegs- und Nachkriegszeit einhergehende Diffusion der Geschlechtsrollen, deutlich als Identitätsbedrohung der Männer erscheinend, wird abermals mit ähnlichen Abwehrstrategien, wie sie Theweleit etwa für den „soldatischen Mann“ herausfand, beantwortet. Bis in wichtige Motive der Filme hinein finden sich in diesem Komplex Übereinstimmungen: so beispielsweise in der Gleichsetzung von Hausarbeit, der offenen Äußerung von Gefühlen, des Auslebens von Sinnlichkeit mit (verachteter und lächerlich gemachter) „Unmännlichkeit“. Mit wachsender Ausschließlichkeit wird auch Sexualität als unheimliche und der befriedeten bürgerlichen Gesellschaftsordnung antagonistische Kraft gezeigt, Liebe immer ausschließlicher in den Umraum der Ehe verwiesen. 14)

In den gesellschaftlichen Strukturbildern geht die relative Offenheit der frühen „Kaleidoskope des Elends“ ebenso verloren, wie im Verlauf die Formalisierungen und sozialen Abgrenzungsprozesse im zwischenmenschlichen Bereich wieder zunehmen. In den Filmen der Westzonen wächst mit der materiellen Festigung nach der Währungsreform das Empfinden, sich als einzelner und als Kollektiv wieder gefunden zu haben. Das gesellschaftliche Leben, wie es uns in den Ende 1948 uraufgeführten und den allerdings nur wenigen untersuchten Spielfilmen des Jahres 1949 entgegentritt, erscheint in seinen Ordnungs- und Orientierungsmustern überwiegend als Fortsetzung, kaum als Neubeginn. Die Wiederaufnahme wirkt allenfalls in Ausnahmefilmen problenatisch. 15) Die ‚inneren Strategien‘, die sich aufgrund der genauen Analyse der Spielfilmmotive nachzeichnen lassen, weisen strukturelle Ähnlichkeiten etwa zu folgender auf: Theweleit spricht von einer

„(…)Entschlossenheit, der eigenen zerreißenden Gefühle, all der unintegrierbaren Körperregungen (ließe man ihnen freien Lauf) ledig sein zu wollen: in anti-erotischen Ehebeziehungen, formalisierten Nachbarschaften, in den kalten Abgrenzungen der allgegenwärtigen Stufenleitersysteme, im Bewußtsein der Existenz gut dichtender Gefängnisse, als Träger eines Granitgesichts. „16)

Diese und ähnliche Strategien obsiegen nach einer kurzen Karenzzeit tatsächlich auch in den Spielfilmen der zweiten Nachkriegsperiode. Die Gesellschaft formiert sich in alten Abgrenzungsmechanismen (Sozialschichtsschranken, Verhaltenskodexen, Geschlechtsrollenstereotypen etc.) in der Bundesrepublik neu.

Auch zwischen der Stabilisierungsphase der Jahre nach 1924, wie sie Siegfried Kracauer aufgrund der Spielfilmuntersuchung beschreibt, und den Ergebnissen meiner Analyse für die Periode in den Westzonen nach der Währungsreform lassen sich strukturelle Parallelen auffinden:

Die zunehmende Tendenz, filmische Sphären zu konstruieren, „die gesellschaftliche Realität nicht zur Kenntnis nehmen“ 17), geht im Regelfall mit einer eigentümlichen Erstarrung und einem Verlust an Lebendigkeit einher. Komödien und inszenierte Heiterkeit verrieten in der Mikroanalyse – wie in der von Kracauer analysierten Periode 1924-1929 „eskapistische Bedürfnisse“ 18) Doch zeigte die genauere Analyse der Filme, dass die identitätsbedeutsamen Fragen der Schuld und Verantwortung, des Selbstwert- und Zukunftsverlustes zumindest bis zum Ende des Jahres 1948 einer tatsächlichen Loslösung ebenso entgegenstehen wie einem phantasievollen Überschreiten und einer tatsächlichen Neuorientierung.


Anmerkungen

  1. In einem Gespräch mit Charles Schüddekopf. In: Schüddekopf (Hrsg:): Vor den Toren der Wirklichkeit, Deutschland 1946-47 im Spiegel der Nordtestdeutschen Hefte, Berlin/Bonn 1980, S. 19
  2. auch Richter, Hans Werner: Erfahrungen mit Utopien. A,.a.0., 1981
  3. Abschnitt 6, I
  4. Koebner, Einleitung zum o.a. Sammelband, S. 8
  5. a,0.
  6. Eine solche Sichtweise bestimmt allenfalls Ausnahmefilme wie DER GR0SSE MANDARIN oder DER RUF,
  7. Siehe Abschnitt 5,2
  8. Arendt, a,a,0,, S,49
  9. Kapitelüberschrift bei Kracauer: Caligari, a.a.0., S. 49ff,
  10. Fromm, 1947, a.a.0.
  11. Meint hier v.a. auch den Ausdruck von Gefühlen, ein anderer Umgang mit den eigenen Körper, andere Alltagsrituale etc.
  12. Theweleit: a.a.0.; Kracauer, Caligari, a.a.0.
  13. hierzu z.B. Kracauer: a.a.0., S. 105 ff; Theweleit: a.a.0., Bd. l, S. 425 ff,
  14. hierzu auch Theweleit, u.a., Bd. I, S.378 ff,
  15. vielleicht am deutlichsten in DER GR0SSE MANDARIN und DER RUF
  16. a.0., Bd. 2, S.342
  17. Kracauer, Caligari, a.a.0., S, 149
  18. a.a.0., S. 151

Folgendes läßt sich auf der Grundlage der Ergebnisse der Themen- und Motivanalyse der deutschen Nachkriegsspielfilme annehmen: Die erste, noch relativ offene Karenzphase blieb insbesondere wegen des inneren Problemdruckes wie auch der äußeren Beschleunigung und zunehmenden Steuerung des Orientierungsprozesses ohne grundlegende Resultate hinsichtlich der Neukonstitution einer demokratisch orientierten, autonomen Form politischer Identität. Vielmehr scheint wiederum eher die Unterwerfung unter von außen kommende Gesellschaftskonzepte 1) dem Sicherheitsbedürfnis in einer extrem verunsichernden Lebenswirklichkeit entsprochen zu haben. 2) Allenfalls finden sich Grundgedanken einer liberalen Wirtschaftsordnung, die mitunter zugleich als sozial ausgleichende entworfen wird. Aufgrund der Mikroanalyse der Spielfilmmotive kann aber eine Interpretation von Mitscherlich/Mitscherlich differenziert werden, die sich in ähnlicher Form bei Hans-Eberhard Richter formuliert findet:

„Aber wer sagte ihnen jetzt, wer sie waren, welche Sprache sie sprechen, welchen Konzepten sie folgen sollten? All das lieferten uns im Westen umgehend die Sieger, an deren Spitze die Amerikaner. Die funktionierten wie ein neues Animationssystem, das die Identitätsleere ausfüllte. Es war keine mühsame, sondern eine ersehnte, rettende Anpassung, freilich ein eher mechanischer Prozeß, eine Flucht aus einer Hörigkeit in die nächste. (…) Das scheinbar schlagartig funktionierende demokratische Gewissen schlug von außen. Es sprach Englisch. Ein Volk von verwaisten Kindern war in neuer Vormundschaft untergekommen. “ 3)

Die Motivanalyse im Bereich der Bilder und verbalen Reflexionen der ethischen Orientierungen, der beruflichen Tüchtigkeit, der Kultur (Jazz!) und des Lebensstils von Ausländern, gerade der Amerikaner, zeigte mehr eine abgewehrte Faszination, Diskreditierung 4) oder positive Abgrenzung der Deutschen von diesem Fremden.

Aufgrund dieser Ergebnisse wäre der Verlauf des Konstitutionsprozesses politischer Identität im Nachkriegsdeutschland wohl eher – wie jüngst von Koebner – folgendermaßen zu kennzeichnen:

„Mit scheinen vor allem vier Hemmnisse dieser erhofften ‚Reinigung‘ nach dem Zusammenbruch im Wege gestanden zu haben:
(a) Die entleerte oder erschütterte Identität der Nachkriegsdeutschen war keineswegs einfach ‚umzuschalten‘, sondern stabilisierte sich zunächst (auch in der Opposition gegen die Alliierten als Besatzer) nach vertrauten, vielfach im Nazismus befolgten Mustern. Die Krise der alten Werte kam beinahe zum Stillstand, als die Siegermächte nicht unmittelbar vorführen konnten, daß ihre Prinzipien dazu tauglich seien, für eine bessere Zukunft zu sorgen.
(b) Der Konflikt zwischen Siegern und Unterlegenen verhinderte das Entstehen einer neutralen Situation, in der allein für die Unterlegenen ein Neubeginn möglich gewesen wäre.
Deutschland war besetzt und blieb nicht der eigenen Dynamik überantwortet.
(c) Die Verbrechen waren zu groß und unvorstellbar (…). Jede ernsthafte Auseinandersetzung mit der eigenen Mitschuld oder dem Problem nachbarlicher Zeitgenossenschaft mußte sehr bald in Dimensionen hineinführen, in denen das Schuldgefühl alle anderen Lebensregungen geradezu zu überdecken drohte.v(…)
d) Die Überlebensnot in den ersten drei bis vier Nachkriegsjahren war so eingreifend, daß die Diskussion der Schuldfrage individuell und allgemein beiseite gedrückt wurde. “ 5)

In den Motivgruppen „Heimkehr“, „Jugend“, „Lebensgier“, „Feste“, in der spezifischen Zeichnung von Intellektuellen und der Bewertung von Rationalität, Psychologie, rückblickendem Selbstzweifel etc. wurden ähnliche Deutungs- und Orientierungsmuster in ihrer Komplexität, ihrem inneren Zusammenhang und ihrem Prozessualen in den Spielfilmmotiven erkennbar. Die von Koebner in Anlehnung an Jaspers und andere vorgenommene Diagnose, dass in der existentiellen Notlage nach der Kapitulation „die Neigung zu leben (wenn auch ohne viel Zukunftspläne), aber nicht die Neigung nachzudenken“ 6) dominierte, wird durch die vorliegenden Untersuchungsergebnisse bestätigt. 7) Dies gilt auch für seinen im Wesentlichen theoretisch erarbeiteten Begriff der „Lähmungskrise“ 8).

In der Analyse der ersten Spielfilme des Untersuchungszeitraums wurden durchaus noch suchende und zweifelnde Impulse und Bewegungen als Ausdruck und Chance einer Identitätskrise offenbar. In den Spielfilmen, die bis Ende 1947 fertiggestellt wurden, zeigen sich noch eine Reihe von Aufbruchsmomenten, Widersprüchen und offenen Fragen, aber auch bereits erste Strategien der Abwehr und Abspaltung, die im Verlauf des Untersuchungszeitraums zu dominanten werden. Das von außen kommende Angebot einer Identität aus zweiter Hand, wie es insbesondere von der amerikanischen Besatzungsmachtattraktiv repräsentiert und z.T. mit erheblichem Anpassungsdruck verbunden wurde, schließt ebenso die Lücken wie das Wiederaufleben rigider Abgrenzungsmechanismen (auslebbar in beiden deutschen Staaten im Zeichen der zunehmenden Ost-West- Spannungen) und die rasch restabilisierte bürgerlich-materiell orientierte Lebensordnung.


Anmerkungen

  1. hierzu z.B. Richter: H, 8, a.a.0., S. 269 ff,
  2. hierzu auch die Analyse von Hans-Dieter Schäfer, a.a.0.
  3. Richter, H.8,, a,a,0,, S,52/53
  4. B. durch Motivkoppelung: Schwarzmarkt – Prostitution – Jazz – materielle 0rientierung und Sympathien für den amerikanischen ‚way of life‘
  5. Koebner, a.a.0,, S,314 (Absatzeinteilung der Übersichtlichkeit halber neu)
  6. a,0., S. 315
  7. u. a. Abschnitt 5.3
  8. hierzu Abschnitt 5.4

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