Verdrängung – Verunsicherung – Restauration und eine „Keine-Experimente-Mentalität“

Auffällige Merkmale hinsichtlich der Personencharakterisierung und -bewertung bzw. vorherrschender Motive

Peter Stettner (1991)

Die Analyse von über hundert deutschen Spielfilmen, die in der Weimarer Republik aufgeführt wurden, ließ Kracauer zu dem Ergebnis kommen, daß die gesellschaftliche Entwicklung m dieser Zeit, insbesondere der Aufstieg Hitlers und der Nationalsozialisten, einer weit verbreiteten Mentalität entsprach und auf diese aufbauen konnte. Diese Mentalität war vor allem gekennzeichnet durch eine instinktive Abwehr sich zu emanzipieren und „mächtige kollektive Dispositionen, die auf die Wiederherstellung autoritären Verhaltens drängten „381

Im Unterschied zu der Studie Kracauers wurden in der hier vorliegenden Untersuchung nur die Spielfilme einer Produktionsgesellschaft und diese zumal exemplarisch analysiert, was einer Verallgemeinerung der Ergebnisse Grenzen setzt. Innerhalb dieses begrenzten Rahmens zeigen die Filmanalysen auf der Ebene der Personencharakterisierung und -bewertung bzw. hinsichtlich vorherrschender Motive eine Reihe von auffälligen Merkmalen, die sich im wesentlichen zu drei Komplexen zusammenfassen lassen. Die Filme zeigen

  1. Eine Verdrängung der nationalsozialistischen Vergangenheit sowie eine allgemeine Realitätsflucht
    Dieser Komplex bestimmt im Prinzip alle Produktionen der JFU und wurde oft auch schon in den dramaturgischen Vorüberlegungen deutlich. In MENSCHEN IN GOTTES HAND, dem ersten Film der JFU, ist, unterhalb einer zeitnahen Oberfläche, die Betonung eines allmächtigen Schicksals verbunden mit einer (indirekten) Zurückweisung der Schuldfrage von herausragender Bedeutung. Nach dem Ende der alliierten Vorzensur konnte dann die erstrebte „Zeitlosigkeit“ vollends verwirklicht werden. Eine Verdrängung der Vergangenheit und allgemeine Realitätsflucht lagen den folgenden JFU-Produktionen sozusagen a priori zugrunde, spiegeln sich aber auch tiefergehend in Filmen wie DER FALL RABANSER, in dem antirationalistische Dispositionen sowie eine ohnmächtige Vernunft die Hauptperson charakterisieren. Der letzte Erfolgsfilm der JFU, DIE CSARDASFURSTIN, zeigt eine von Politik, jüngster Geschichte und Alltagsrealität gereinigte Traumwelt.
  2. Eine starke Verunsicherung in sittlich-ethischen Fragen sowie ein damit zusammenhangendes Bedürfnis nach Orientierung, Halt und Autoritäten
    Dies wird besonders deutlich, wenn man jene Filme betrachtet, die seinerzeit als anstößig empfunden wurden. Es ist auffällig, daß auch Filme wie DAS FRÄULEIN UND DER VAGABUND und DIE SÜNDERIN letztlich für eine Rückkehr in bürgerlich sanktionierte Verhältnisse argumentierten, vor allem durch die gezeichnete Entwicklung der weiblichen Hauptfiguren. Nicht weniger bemerkenswert ist es, daß diese moralische Argumentation in der Rezeption der Filme kaum wahrgenommen wurde, wohl deshalb, weil eine solche Halt suchende Grundströmung derart dominant und selbstverständlich war. Die aufgeregte Kritik dieser Filme in der Öffentlichkeit, die die angedeutete „freie Liebe“ bzw. die bereits abgemilderte Darstellung der Prostitution angriff, verdeutlicht nochmals die Relevanz dieser sittlich-ethischen Verunsicherung. Auch der ab 1949/50 immer dominierendere Starkult kann in diesem Zusammenhang verstanden werden: im Rückgriff auf die Alt-Stars des Unterhaltungsfilms im Nationalsozialismus fand bei der JFU eine ausgesprochen restaurative Installierung von Autoritäten statt, zu denen die Zuschauer aufblicken konnten, die Orientierung und Halt boten.
  3. Eine Restauration traditionellen geschlechtsspezifischen Rollenverhaltens
    In praktisch allen analysierten JFU-Filmen ist die Personencharakterisierung und -bewertung so angelegt, daß deutlich zwischen „richtigem“ und „falschem“ Rollenverhalten unterschieden wird. Dabei ist insbesondere die Rückbesinnung der weiblichen Hauptfiguren auf fürsorgliche, ganz auf ihren Mann bezogene Wesen hervorzuheben, die Frauen glücklich und erfolgreich zeigt. Frauenfiguren, die diesem Ideal nicht entsprechen, finden in den Filmen entweder den Tod oder müssen sich zumindest mit weit weniger attraktiven Partnern zufrieden geben. Wenn man die Zeichnung der männlichen Hauptfiguren in den JFU-Filmen verkürzt darstellt und den ersten und letzten Film, MENSCHEN IN GOTTES HAND und DIE CSARDASFURSTIN, vergleicht, so wird die Entwicklung von einem unsicheren und entschlußschwachen jungen Mann zu einer überlegenen und souverän agierenden Autorität deutlich, die einer Frau in jeder Lebenslage Schutz zu bieten imstande ist.

Diese Ergebnisse der Filmanalysen weisen deutliche Entsprechungen auf zu Befindlichkeiten und Prozessen, wie sie in verschiedenen soziokulturellen und sozialpsychologischen Untersuchungen zur deutschen Nachkriegszeit konstatiert wurden. 382) Für alle drei skizzierten Komplexe gilt im Übrigen eine „Keine-Experimente-Mentalität“, die insbesondere nach der Währungsreform dominant wurde und die dazu beigetragen haben dürfte, daß die Produktionen der JFU in vieler Hinsicht in einer Kontinuität zum „unpolitischen“ Unterhaltungsfilm vor 1945 stehen.

Was den referierten Kracauer-Ansatz betrifft, so stützen die Ergebnisse der Filmanalysen die Hypothese, daß Spielfilmen ein Wert als historische Quellen für Mentalitäten zugemessen werden kann. Dabei hat die Untersuchung der JFU und ihrer Spielfilme auch gezeigt, daß eine Kontextualisierung der Filme äußerst hilfreich ist, um den Quellenwert zu erschließen. Wenngleich die Filme selbst im Mittelpunkt der Analyse stehen, so sind sowohl den Filmen vorausgehende Produktionsüberlegungen, soweit diese überliefert sind, als auch die Rezeption der Filme beim Publikum, bei der Fachkritik, bei politisch-administrativen Institutionen etc. geeignet, den Stellenwert der jeweiligen filmischen Aussagen, ihre historische Relevanz genauer zu bestimmen. Denn die Spielfilme zeigen ja nicht direkt „wie es gewesen ist“, sondern sie können als Stationen eines soziokulturellen und sozialpsychologischen Prozesses verstanden werden: verbreitete Hoffnungen, Wünsche, Bedürfnisse, Ängste usw. flossen bewußt oder unbewußt in die Filme ein, konkretisierten sich in den Filmbildern und wirkten auch wieder auf das Filmpublikum zurück: „Die Strukturmuster, die auf diesem Weg vermittelt werden, bestätigen
a) nicht nur bereits verinnerlichte Bilder, sie verfestigen
b) nicht nur latente und noch amorphe Vorstellungen, sondern sie fixieren
c) auch die Grenzen für den Bereich des ‚imaginativen Denkens.“383

Wenngleich sich diese prägende Dimension des Unterhaltungsfilms empirisch kaum ermitteln läßt, so ist doch festzustellen, daß sowohl mit dem Film befaßte Zensurinstanzen wie die FSK als auch die JFU als Produzent davon ausgingen, daß dies der Fall sei: waren erstere vor allem besorgt um die „sittlich-ethische“ Wirkung, so hoffte die Produktionsfirma den Publikumsgeschmack nicht nur zu treffen, sondern ihm eine Richtung zu geben, wenn etwa die äußerliche Erscheinung von Filmstars Maßstäbe setzen sollte.

Anmerkungen

381 Ebenda, S 134
382 Vgl. vor allem Hermann Glaser, Kulturgeschichte der Bundesrepublik, Bd. 1 und 2, a. a. Ο. , hier finden sich auch weitere Literaturangaben, Alexander und Margarete Mitscherlich, a. a. Ο. , Hannah Arendt, a. a. Ο (…)
283 Jürgen Weber, Politischer Idyllismus. Formen, Folgen und Ursachen eines politischen Einstellungsmusters, in: aus politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung das Parlament, Β 26/73, 30.6.1973, S. 26.


Auszug aus: Peter Stettner: Vom Trümmerfilm zur Traumfabrik. Die >Junge Film-Union< 1947 – 1952, S. 175-177

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