Menschen in Gottes Hand (1947/48)

 

Inhalt

Der Film beginnt mit der Rückkehr des Bauern Renken aus einem Flüchtlingslager auf den Hof seines durch den Krieg aus der Bahn geratenen Sohnes Karl. Seine Schwiegertochter Lena versucht, den Hof über Wasser zu halten, indem sie Land an Nachbarn verpachtet und Flüchtlinge aufnimmt. Karl lebt überwiegend in Hamburg bei seiner Geliebten Marianne, die in einem in Schwarzmarkthandel verwickelten Fuhrunternehmen arbeitet. Karls Vater will den Hof wieder auf Vordermann bringen und versucht, zuerst Marianne zur Aufgabe Karls, dann diesen zur Rückkehr auf den Hof zu bewegen, bleibt aber in beidem erfolglos. Schliesslich fährt Lena in die Stadt, um Karl zu überreden. Sie trifft ihn eher zufällig und sie verbringen die Nacht zusammen in einem Bunkerhotel. Karl möchte danach mit Lena auf den Hof zurückkehren. Zuvor begegnet er jedoch noch einmal Marianne. Er stösst sie im Laufe ihres Gespräches unsanft von sich und sie schlägt mit dem Kopf unglücklich auf eine Kante auf. Sie sagt noch aus, dass es ein Unfall war, bevor sie im Krankenhaus stirbt. Nachdem Karl seine Strafe abgesessen hat, trifft er in einem Bunkerhotel zufällig einen Professor wieder, der früher auf dem Hof wohnte. Sie unterhalten sich über den Hof und der Professor berichtet ihm, dass Karls Vater den Hof wieder bewirtschaftet. Karl fährt daraufhin nach Hause und findet bei seiner Frau und seinem in der Zwischenzeit geborenen Sohn endlich seinen Platz.


Buch: Gustav Kampendonk

Regie: Rolf Meyer; begonnen von Erich Waschneck

Regieassistenz: Walter Fredersdorf

Kamera: Albert Benitz

Kameraassistenz: Emil Eisenbach, Eberhard Köner

Schnitt: Martha Dübber

Ton: Fritz Schwarz

Musik: Werner Eisbrenner

Darsteller: Marietheres Angerpointner (Lena), Paul Dahlke (Vater Renken), Rainer Penkert (Karl Renken), Gerty Soltau (Marianne), sowie Walter Kohls, Karl Kramer, Richard Laufen, Justus Ott, Gerhard Ritter, Hedwig Wangel

Uraufführung: 27.01.1948, Hamburg, Harvestehuder Lichtspiele; Berlin-West 08.04.1948 / Berlin-Ost 17.09.1948

Genehmigung des Filmstoffes durch die britische Film Section

Als Rolf Meyer die JFU gründete, hatte er schon Vorstellungen über zumindest zwei Spielfilmprojekte. Bereits Anfang April 1947 wurden einige Verträge mit Filmschaffenden, Technikern, Schauspielern usw. abgeschlossen, die meist auf den 15.6.1947 als Arbeitsbeginn datiert sind. In diesen Verträgen wurden die Betreffenden für einen „Rolf Meyer-Film und einen Gustav Fröhlich-Film“ engagiert. Die Gültigkeit der Verträge ist vorbehaltlich der Genehmigung der Projekte durch die Film-Section gefaßt. Überdies ist in jedem Vertrag festgelegt, daß die Filmschaffenden eine entsprechende Arbeitsgenehmigung der alliierten Kontrolle vorzulegen haben. Im Mai 1947 konkretisierten sich die Spielfilmpläne der JFU offensichtlich. In einigen Verträgen sowie Briefwechseln ist von einem Film I DAS FRÄULEIN UND DER VAGABUND (Regie: Rolf Meyer) sowie einem FilmII MENSCHEN IN GOTTES HAND die Rede, der von Gustav Fröhlich inszeniert werden sollte. Die genauen Besetzungspläne (Stab und Schauspieler) scheinen zu diesem Zeitpunkt aber noch recht vage gewesen zu sein. Am 23.5.1947 erbat die JFU von der Film-Section Rohfilmmaterial für DAS FRÄULEIN UND DER VAGABUND und MENSCHEN IN GOTTES HAND. Am 3.6. reichte die Filmfirma offensichtlich auf Anforderung der Film-Section die Drehentwürfe zu den genannten Filmprojekten ein. In der unmittelbaren Folgezeit haben die Filmplanungen der JFU unter Einflußnahme der Film-Section einige Änderungen erfahren.

Am 10.6.1947 schloß Meyer mit Erich Waschneck einen Vertrag, in dem dieser für die Regie des Films MENSCHEN IN GOTTES HAND verpflichtet wurde. Am 13.6. schrieb Herr Fichtner, der als Aufnahmeleiter für die ersten beiden Filme eingestellt worden war, in einem Telegramm, daß „durch Drehbuchschwierigkeiten alles in Frage gestellt“ sei, ohne sich auf einen bestimmten Film zu beziehen. Der Produktionsleiter Wiesner telegrafierte am 19.6. an den Autor Kurt E. Walter, der anfänglich mit Drehbucharbeiten an MENSCHEN IN GOTTES HAND beauftragt worden war, daß das Drehbuch im Prinzip genehmigt worden sei, allerdings mit der Auflage einiger Änderungen, die der Regisseur Waschneck in das Drehbuch einzuarbeiten bereits im Begriff sei. Am 20.6. telegrafierte der Produktionsleiter Wiesner nach München, daß Gustav Fröhlich mit einem Kurzmanuskript am 26.6. zum persönlichen Vortrag bei dem britischen Filmoffizier Major Dessauer erscheinen solle. Um welchen Stoff es sich hierbei handelt, wurde nicht erwähnt. Am 27.6. telegrafierte die JFU an Herrn RA. Stemmle, Drehbuchautor in München, daß „der Film genehmigt“ sei. Stemmle war der spätere Verfasser des Drehbuches für den zweiten realisierten Spielfilm der JFU, WEGE IM ZWIELICHT, der zu dieser Zeit noch unter dem Arbeitstitel SOLANGE DAS HERZ SCHLÄGT geführt wurde. In verschiedenen Schreiben Ende Juni/Anfang Juli 1947 ist dann nur noch von den beiden Filmprojekten

  1. MENSCHEN IN GOTTES HAND, Regie: Erich Waschneck, Buch: Gustav Kampendonk (von K.E. Walter übernommen)
  2. SOLANGE DAS HERZ SCHLÄGT, Regie Gustav Fröhlich, Buch: RA Stemmle

die Rede. Der ursprünglich geplante Film DAS FRÄULEIN UND DER VAGABUND erscheint i der Korrespondenz nicht mehr Schließlich erhielt die JFU am 15.7.1947 für das Drehbuch von MENSCHEN IN GOTTES HAND einen schriftlichen positiven Bescheid von der Film-Section. Dann hieß es, daß die Film-Section „has read the above mentioned script and considers that it should be classified as a Ά‘ script“. Kategorie „A“ besagte „Containing nothing contrary to the policies of the British Zone Commander and is suitable for production in the British Zone of Occupation in Germany and the British Sector of Berlin“78 Am 1.8.1947 erhielt die JFU den positiven Bescheid für das Drehbuch SOLANGE DAS HERZ SCHLAGT, ebenfalls eigestuft in Kategorie „A“.


aus: Peter Stettner: Vom Trümmerfilm zur Traumfabrik. Die ‚Junge Film-Union‘ 1947-1952, Hildesheim/Zürich/New York 1992, S. 35/36


Zu den Dreharbeiten

„Nachdem die grundlegenden Voraussetzungen für den Drehbeginn geschaffen waren – sieh dazu den Beitrag Ökonomische Bedingungen für den Aufbau der Filmproduktion – gestalteten sich die praktischen Filmarbeiten als schwierig. Ein Atelier stand für die ersten Spielfilme nicht zur Verfügung. Füt MENSCHEN IN GOTTES HAND nutzte Meyer den Tanzsaal der Bendesdorfer Gaststätte „Zum Schlagbaum“ als Behelfsatelier. (…) Mehrstündige Stronsperren verzögerten die Dreharbeiten häufig, gedreht werden konne häufig nur nachts oder in den frühen Mprgenstunden. ein häufiges wiederholen von einstellungen verbot sich zudem infolge des  knappen Rofilmmaterials.“ (Peter Stattner, a.a.O. S. 13/14)

Privataufnahme B. Knoche von den Dreharbeiten zu „Menschen in Gottes Hand“ (Filminstitut Hannover)

Der erste Spielfilm der ‚Junge Film-Union‘

Peter Stettner (1992)

Die Entstehung des ersten Films der Jungen Film-Union aus dem Jahr 1948 ist typisch für Filme aus dieser Zeit. Da die Film Section das von Rolf Meyer favorisierte Drehbuch DAS FRÄULEIN UND DER VAGABUND ablehnte, jedoch das ebenfalls eingesandte Drehbuch MENSCHEN IN GOTTES HAND akzeptierte, wurde dieser zum ersten von der Jungen Film Union hergestellten Film.

Die Handlung dieses Films ist deutlich m der frühen Nachkriegszeit der Jahre 1946-1948 angesiedelt Dies wird gleich m der ersten Einstellung klar, die zeigt, wie der alte Renken aus einem Flüchtlingslager entlassen wird Die Kamera bewegt sich in einer Parallelfahrt zu dem Gitterzaun, hinter dem Flüchtlinge aus dem Osten auf eine Einreiseerlaubnis in die Westzonen warten. Aufnahmen, wie diese haben einen dokumentarisch beobachtenden Charakter. Dazu zählt auch die Einstellungsfolge, die Menschen in einer überfüllten Straßenbahn in Hamburg zeigt. Aber in MENSCHEN IN GOTTES HAND gibt es nicht viele Einstellungen  oder gar Szenen, die so gestaltet sind. Es sind gerade die Szenen, die man braucht, um ein typisches Zeitkolorit zu schaffen. Die Inszenierung und Charakterisierung der handelnden Personen, die Erzählung der eigentlichen Geschichte, ist demgegenüber nicht dokumentarisch-beobachtend, sondern nach den Mustern „bewährter“ Konfliktstellungen und entsprechend typisierter Figuren gestaltet.

Im Zentrum steht ein verunsicherter junger Mann, hin und her gerissen zwischen zwei Frauen, der braven und häuslichen Gattin einerseits und der verführerischen Stadtfreundin andererseits. Nachdem die reizvolle, aber auch verdorbene Stadtfreundin den Tod gefunden hat, kann er zu der guten Frau zurückkehren. Ober diesen nicht gerade neuen Plot hinaus sind den Figuren jeweils eindeutige Eigenschaften zugeschrieben, die sie die Grenzen bekannter Klischees kaum überschreiten lassen. Karl Renken ist ein im Herzen guter, etwas eigensinniger Kerl, der nur vorübergehend nicht weiß, wohin er gehört. Sein Vater, der alte Großbauer, erscheint als resoluter und bodenständiger alter Haudegen. Lena ist Karls brave, hausbackene, verständnisvolle, nie fordernde Ehefrau, deren ordnende Hand permanent über irgendwelche Tischdecken oder Bettbezüge streicht. Marianne ist die selbstsüchtige, dämonische femme fatale, die sterben muß. Ein Herr Petermann stellt einen Fuhrunternehmer dar, der schon durch sein gestreiftes, hochgekrempeltes Hemd und seinen in den Nacken geschobenen Hut als Ganove zu erkennen ist.

Neben den Personen sind auch die wichtigsten Handlungsorte nicht dokumentarisch beobachtet, sondern überdeutlich als „typische“ Lokalitäten inszeniert. An der Stadtwohnung Mariannes, die vor allem durch ein „Lotterbett“ mitsamt Spiegel charakterisiert ist, rattert ständig ein Zug vorbei, Lichtquellen von außen und innen werfen harte, dämonische Schatten. Demgegenüber scheint auf dem Bauernhof meist die Sonne, Lena verrichtet ordentlich ihre Hausarbeit, ein Pferdepflug zieht über den Acker. Abends sitzen die Bewohner in der gemütlichen Stube. Wenig Interesse an einer realistischen Beobachtung zeigt auch die Inszenierung des Bunkerhotels. Wenn Karl und Lena hier eine Nacht verbringen, ist der Raum bis auf die beiden Hauptpersonen menschenleer – für die Handlungszeit im Jahre 1946 sehr unrealistisch, der Bunker hat schon eine sterile „Atelier-qualität“. Als zwei Polizisten das junge Paar dort kontrollieren, symbolisiert ein Plakat im Hintergrund, dass „Die zehn Gebote“ zeigt, die moralische Dimension der Szene. Solche Einstellungen zeichnen sich dadurch aus, daß sie dem Zuschauer die „Botschaft“ vorsichtshalber überdeutlich erklären. In diesen Zusammenhang gehört auch, daß der Film es nicht dabei beläßt, Karl Renken als hin und her gerissen zwischen Bauernhof und Großstadtfreundin zu zeigen. Karl muß es dem Zuschauer auch noch verbal übermitteln: „Was bin ich denn eigentlich?“, sagt er zu seinem Vater (und dem Zuschauer), als er wieder einmal nachdenklich wird. In der Charakterisierung der handelnden Personen sowie der Handlungsorte zeigt sich der Film so nicht „realistisch“ inspiriert im Sinne einer beobachtenden oder auch künstlerisch verdichteten Realität, sondern aufgrund klischeehafter Vorstellungen und „Ideen“ sind die Figuren des Films und die wichtigsten Handlungsräume überdeutlich-eindeutig gestaltet. Dies fiel auch einem Rezensenten auf, der meinte: „Die Schicksale, die Gustav Kampendonk für den Film zusammengetragen hat, sind zu schöne Musterexemplare von Zeit und Schicksal, um auf die Dauer glaubhaft zu wirken.“83

Ein weiteres, für den Film entscheidendes Merkmal ist die Art und Weise, wie der Hauptkonflikt, das Schwanken Karls zwischen Bauernhof und Großstadtfreundin, gelöst wird. Weder der alte Renken noch Karls Frau Lena schaffen es zunächst, den jungen Mann zu einem geordneten Bauernleben zu bewegen. Argumente allein reichen nicht. Erst als Karl später zufällig Lena in der Stadt trifft, wird die Wende eingeleitet. Doch endgültig vollzogen werden kann diese erst nach zwei weiteren schicksalhaften Ereignissen: das Großstadtliebchen Marianne, das einer Lösung im Wege steht, fallt unglücklich und stirbt. Und erst nachdem Karl Jahre später zufällig den Professor trifft und mit ihm über den Bauernhof spricht, kehrt er noch einmal zurück.  An den eigentlichen Wendepunkten sind es stets schicksalhafte Ereignisse, die den Verlauf bestimmen

Auch in der Lösung eines Nebenkonfliktes spielt der Zufall eine Rolle. Der Professor, das Klischee eines liebenswerten, etwas schrulligen Genies, der unter schwierigsten Bedingungen sein Lebenswerk vollenden möchte – die Herausgabe des siebten Bandes seiner „Kosmologie“, auf den die ganze Wissenschaftswelt wartet -, dieser alte Professor sieht sein Lebenswerk vernichtet, da das Manuskript auf dem Postweg verschollen ist. In seiner Verzweiflung will er Selbstmord begehen. In diesem Moment überrascht ihn zufällig der alte Renken und eröffnet ihm, daß er den Hof verlassen müsse, da jetzt die Bauernarbeit wieder neu beginne und man Platz brauche. Daß der alte Renken noch einmal anfangen will, gibt auch dem Professor neuen Lebensmut, sein Werk noch einmal zu vollenden. 84

Neben der Schicksalshaftigkeit des Geschehens gibt es ein weiteres zentrales Motiv m dem Film den bereits angedeuteten Stadt-Land-Gegensatz. Die Stadt erscheint als ein Ort des Verbrechens und der Sünde. Dies geschieht vornehmlich durch die Charakterisierung von Karls Stadtfreundin Marianne und deren Wohnung, die als eine wahre Lasterhöhle erscheint. Dazu kommt der bis zur Karikatur negativ gezeichnete Fuhrunternehmer, der einen Schwarzhandel betreibt. Die Charakterisierung der Stadt erfolgt interessanterweise vor allem mittels Innenaufnahmen, der Film zeigt nur in einer einzigen Szene Trümmer und Ruinen, als Lena vergeblich vor der Stadtwohnung Mariannes auf Karl wartet. Insgesamt spielt die Handlung überwiegend in einer ländlichen Gegend. Das Leben ist hier als ein positives Gegenbild zur Stadt gezeichnet. Es dominiert die ehrliche und anständige Arbeit, hier lebt auch die ordentliche Lena, und hier findet schließlich auch das happy end statt, nachdem Karl zurückgekehrt ist. Die Schlußsequenz erscheint geradezu als ein Sinnbild des schönen und guten Lebens Vorbeigeführte Pferde und Kühe sowie ein voller Heuwagen demonstrieren einen wiedergewonnenen Wohlstand. Karl wird von seinem kleinen blonden Sohn empfangen, der ihm in seiner zweijährigen Abwesenheit geboren wurde und der – eine der Drehbuchunwahrscheinlichkeiten – redet und läuft wie ein Vierjähriger. Sein Sohn, den Karl zum ersten Mal sieht, ist es, der den letzten Ausschlag für das Bleiben des jungen Mannes gibt. Karl folgt der „Stimme des Blutes“. 85 Um das Gluck vollkommen zu machen, muß noch dramaturgisch völlig unbegründet ein Kinderchor an dem Bauernhof vorbeiziehen. „Schau dir die anderen Kinder an“, sagt Lena zu ihrem Sprößling, „wie schön artig die sind. “ MENSCHEN IN GOTTES HAND besitzt in diesem Zusammenhang als einer der ersten deutschen Nachkriegsfilme deutliche Merkmale eines Heimatfilms. Solch ein Kinderchor als ein Sinnbild der Harmonie stellte in den Heimatfilmen der 50er Jahre einen nicht wegzudenkenden Bestandteil dar.

Rolf Meyer selbst hat in einem Brief aus dem Sommer 1948 gewisse Grundmuster für seine ersten Spielfilme angedeutet. Auf die nach seinen Worten von den alliierten Stellen geforderten Umerziehungs- bzw. Aufbautendenzen Bezug nehmend heißt es

„Es hat sich nun jeder Produzent, Regisseur oder Autor um diese Aufgabe herumgewunden, die ja nicht gerade als künstlerisch anzusprechen ist. Der eine mit kabarettistischem Geschick, der andere in dem er sich mehr auf die einfachen, menschlichen, immer gültigen Gefühle verlassen hat. „86

Der zuletzt beschriebene Weg ist offensichtlich derjenige, den die JFU/Rolf Meyer zu verwirklichen gedachte. Wenn Rolf Meyer hier von „einfachen, menschlichen, immer gültigen Gefühlen“ spricht, so lassen sich die beschriebenen Merkmale von MENSCHEN IN GOTTES HAND doch durchaus vor dem soziokulturellen Hintergrund der frühen Nachkriegszeit verstehen.

Da ist zunächst die Betonung des Schicksals, die sich nicht aus den Intentionen der britischen Besatzungsmacht erklären läßt. Diese hatte ja gerade deutlich gemacht, daß sie die Eigeninitiative der deutschen Bevölkerung fordern wollte. Das Schicksalsmotiv hat allerdings eine gewisse Tradition im deutschen Spielfilm. Dieses Motiv war besonders dann virulent, wenn große gesellschaftliche Veränderungen die Menschen verunsicherten und gleichzeitig die Bereitschaft zur rationalen Auseinandersetzung mit diesen Veränderungen, ihren Ursachen und Folgen nicht vorhanden war. Siegfried Kracauer hat dieses Phänomen für die frühen zwanziger Jahre der Weimarer Republik beschrieben.87 In den ersten Jahren nach dem zweiten Weltkrieg war eine solche Situation der gesellschaftlichen Verunsicherung ohne Frage vorhanden. Dazu zählte auch, daß das Gros der Deutschen nicht in der Lage bzw. nicht willens war, sich mit dem Nationalsozialismus (und der eigenen Verstrickung in denselben) als Ursache des Nachkriegselends auseinanderzusetzen. Zwei kurze Dialogstellen in dem Film MENSCHEN ΓΝ GOTTES HAND weisen auch in diese Richtung. Im ersten Teil des Films unterhalten sich Karl und seine Frau über „Schuld“

Karl: „Ich hab‘ eben zu viel mitgemacht „
Lena: „Und daran bin ich schuld?“
Karl: „Schuld, Schuld, du bist nicht schuld und ich bin nicht schuld. Ach, Schuld, weiß der Teufel, wer Schuld hat!“

Wenngleich es hier zunächst um die Schuld für Karls Befindlichkeit und Verhalten geht, so im Kontext der Nachkriegszeit wohl implizit auch um die (Kollektiv-) Schuldfrage an den nationalsozialistischen Verbrechen. Deutlicher wird Marianne in einem Gespräch mit dem alten Renken. Als dieser die junge Frau in der Stadt aufsucht, entspinnt sich ein Streitgespräch. Marianne sagt zu Renken, daß er ihr wohl auch am liebsten „eine ‚runterhauen‘“ würde wie schon seinem Sohn. „Heute noch“, antwortet der Alte, „wozu? Das hätte ‚mal lieber ihr Vater vor zehn Jahren machen sollen. Das hat er nämlich versäumt.“ „Unsere Väter haben noch mehr versäumt als das!“ kontert Marianne. Auf die Versäumnisse wird aber nicht weiter eingegangen, stattdessen schildert Marianne kurz, was sie für Karl im Krieg getan hat (u.a. sich mit einem fremden Offizier eingelassen, weil Karl sonst vor’s Standgericht gekommen wäre). Das hier momentan aufkommende Mitgefühl für die junge Frau wird jedoch sofort wieder zunichte gemacht, wenn Marianne sagt „Es wird meine glücklichste Stunde, wenn ich mit ihm kaputtgehe“ und „Es gibt nur einen Ausweg – bringen Sie mich um.“ Im Verlauf der Filmhandlung ist Mariannes Tod dann tatsächlich eine wichtige Etappe auf dem Weg in ein geordnetes Leben. Karls Vergangenheit und auch die Frage nach „Versäumnissen“ verschwinden mit Mariannes Tod. So ist es für den Film bezeichnend, daß das Stellen von Fragen nach Schuld und Versäumnissen in der Vergangenheit als unangemessen und nicht sinnvoll dargestellt wird. Die Zuflucht zum alles lenkenden Schicksal lag in diesem Zusammenhang sehr nahe.

Die Inszenierung der Überlegenheit des bäuerlichen Lebens gegenüber der Stadt läßt sich ebenfalls nicht aus Intentionen der britischen Besatzungsmacht erklären. Ja, die unterschiedliche Bewertung steht geradezu im Gegensatz zu diesen Intentionen, wie sie die Film Section mit dem von ihr gesponserten Kurzfilm STADTMEIER UND LANDMEIER deutlich machte: nämlich für ein gegenseitiges Verständnis der Probleme in der Stadt und auf dem Land wirken zu wollen. Auch hier scheinen eher Einflüsse des sozio-kulturellen Hintergrundes durch. Mit der Darstellung der Schönheit der Dorflandschaft knüpfte die JFU/Rolf Meyer an gewisse Traditionen des „unpolitischen“ Unterhaltungsfilms vor 1945 an, etwa an sogenannte Volksstücke mit dörflichem Charakter. Rolf Meyer selbst hatte Erfahrung in der Darstellung dieses Milieus.88 Doch in dem Film MENSCHEN IN GOTTES HAND zeigen sich noch weitergehende Entsprechungen. Der Filmhistoriker Toeplitz zitiert in seiner „Geschichte des Films“ eine im nationalsozialistischen Deutschland des Jahres 1943 erschienene Broschüre mit dem Titel „Trugbild und Wirklichkeit“, in der der Autor Peter Werder forderte, das Bauerntum noch stärker in den Dienst der nationalsozialistischen Ideologie zu stellen. Nach Toeplitz zielten Werders Überlegungen auf eine moralische Einstellung, „die bei einem Dorfbewohner und einem Stadtmenschen genau entgegengesetzt ist. Für Werder ist die Stadt ein Symbol für verdorbene Einflüsse orientalisch-christlicher Kultur, die den germanischen Idealen widerspricht (… ) Man muß die Überlegenheit der Bauern zeigen, und das Dorf als eine Quelle für die Tiefe und die Beständigkeit menschlicher Gedanken und Gefühle.“89 Diese Forderungen, die nach Toeplitz im NS-Unterhaltungsfilm so nicht mehr realisiert wurden, weisen erstaunliche Entsprechungen zu den Aussagen auf, die in MENSCHEN IN GOTTES HAND für das Verhältnis von Stadt und Land getroffen werden. Es ist nun nicht anzunehmen, daß Gustav Kampendonk (Drehbuch), Rolf Meyer oder auch Erich Waschneck, der am Drehbuch dieses Films ebenfalls mitarbeitete und auch mit der Führung der Regie begann, hier bewußt nationalsozialistische Ideologie verarbeiten wollten. Aber die Entsprechungen ließen sich dadurch erklären, daß eine kulturhistorisch rückwärtsgewandte, zivilisationskritische Mentalität das Ende des Nationalsozialismus überdauerte und sich in der frühen Nachkriegszeit bemerkbar machte, so auch in dem Film MENSCHEN IN GOTTES HAND.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß der erste Spielfilm der JFU nicht so stark, wie dies für die Kurz- und Dokumentarfilme gilt, von der britischen Filmpolitik bestimmt worden ist. Unterhalb einer zeitnahen Oberfläche ist MENSCHEN ΓΝ GOTTES HAND durch konventionelle Konflikte und klischeehafte Figuren geprägt. Knüpft der Film in dieser Hinsicht an den deutschen Unterhaltungsfilm vor 1945 an, so gibt es eine Ausnahme bei den Schauspielern wagte die „Junge Film-Union“ das Experiment, neben dem bekannten Paul Dahlke die weiteren Hauptrollen mit Nachwuchsschauspielern zu besetzen: Marietheres Angerpointner, Gerty Soltau und Rainer Penkert. Der übrige Stab, vor allem natürlich Drehbuch und Regie, war allerdings mit „bewährten“ Kräften besetzt Besonders deutlich werden gesamtgesellschaftlich-kulturelle Einflüsse in der Betonung der Schicksalshaftigkeit und in der Kontrastierung von Stadt und Land. Daß dies den Bedürfnissen vieler Zuschauer entgegenkam, wird in der Betrachtung der Rezeption des Films offensichtlich.


Anmerkungen:

83) Der Spiegel, Nr.5, 2.Jg., 31.1.1948, S.24.
84) Diese kleine Szene ist die einzige im Film, wo eine Person durch ein positives Beispiel einer anderen Mut zum Neuanfang gewinnt. Ich halte es für möglich, daß der Vorbildcharakter dieser Szene – eine gewisse Propaganda für die Wiederaufbauaktivität des einzelnen – auf den Einfluß der Film Section zurückgeht, die wie gesagt kleine Veränderungen am Drehbuch wünschte. Genauer belegen läßt sich dies mit den zur Verfügung stehenden Quellen allerdings nicht.
85) Ein Werbeprospekt pries den Film seinerzeit mit einem Vokabular an, das sehr deutlich an den Sprachgebrauch im Nationalsozialismus erinnert. Es hieß dort unter anderem: „Stärker als die Pflicht ist die Stimme des Blutes, die in diesem Film den Menschen zum Schicksal wird “ Vgl. Werbeprospekt für MENSCHEN IN GOTTES HAND, in JFU 677.
86) Schreiben Rolf Meyers an Doris Eckert vom 20 9 1848, in JFU 27
87) Vgl. Siegfried Kracauer, Von Caligari zu Hitler, a. a. Ο. , S 96ff
88) Vgl. Kapitel 1.1.1.
89) Jerzy Toeplitz, a. a. Ο. , S 1563


aus: Peter Stettner: Vom Trümmerfilm zur Traumfabrik. Die ‚Junge Film-Union‘ 1947-1952, Hildesheim/Zürich/New York 1992, S. 38-44

 

MENSCHEN IN GOTTES HAND wurde vom Schorcht-Verleih ausgewertet, die Uraufführung fand am 27 1 1948 statt.90 Die professionelle Kritik verriß den Film weder einhellig, noch lobte sie ihn besonders. Es wurde bemerkt, daß MENSCHEN IN GOTTES HAND „sauber“ gemacht sei. Die Bauernhäuser der Heide wurden als ein angenehmer Gegensatz zur Stadt empfunden. Es wurde aber  auch festgestellt, daß der Film trotz Zeitnähe an bewährte Konstellationen anknüpfe, gewisse Unwahrscheinlichkeiten wurden attestiert und auch, daß es stellenweise nach „Blut und Boden“ rieche.91 Den Filmbesuchern im allgemeinen gefiel der Film, geht man von den überlieferten Zuschauerzahlen aus. Von den sechs bis Ende 1948 fertiggestellten neuen deutschen Filmen, die im Verleih der Schorcht GmbH liefen, konnte MENSCHEN IN GOTTES HAND mit 3,2 Millionen Zuschauern den 2. Platz belegen. 92 Ein geschäftlicher Erfolg wurde der Film in jedem Fall: bis zur Währungsreform spielte er einen Produzentenanteil von ca. 480.000,RM ein, danach noch 1.010.000,DM.93 Zu dem Publikumserfolg trug sicherlich auch die Vermeidung von Trümmerbildern bei, denn als die JFU den Film realisierte, war bereits deutlich, daß das Publikum die Darstellung von Trümmern in Filmen ablehnte. „Die Klassifikation ‚Trümmierfilm‘ beinhaltete eine allgemein negative Bewertung, die bei der Filmauswahl eine bedeutende Rolle spielte. Für viele Deutsche genügte es, auf einem vor dem Kino ausgehängten Werbefoto eine Hausruine oder auf einem Verleihplakat ärmlich gekleidete Menschen zu sehen, um den angekündigten Film als Trümmerfilm zu kennzeichnen und das Filmtheater nicht zu besuchen.“94 Dem Publikum dürfte es auch entgegengekommen sein, daß in MENSCHEN IN GOTTES HAND den „inneren Trümmern“, wie sie vor allem bei Marianne deutlich werden, eindeutige Identifikationsfiguren wie Lena und der alte Renken gegenüberstehen, denen sich schließlich auch Karl anschließt. Und auch die angedeutete Zurückweisung der Schuldfrage sowie der Verweis auf ein allmächtiges Schicksal boten Entlastung für ein verunsichertes Gewissen.


90) Zu den ersten für die Bi-Zone zugelassenen freien Verleihern gehörte der Schorcht-Verleih, der im November 1947 lizensiert wurde. Vgl. Horst G Feldt u. a., a. a. Ο. , S 64 Von diesem Verleih ließ Rolf Meyer seine ersten beiden Spielfilme auswerten. Anders als es später Praxis wurde, bot Rolf Meyer diese Filme dem Verleih erst an, als die Dreharbeiten bereits abgeschlossen worden waren. Die Gewinnbeteiligung lag für die JFU mit 81% der Filmleihgebühren deutlich über derjenigen, späterer Abschlüsse, was auf eine relative Stärke des Produzenten hinweist.
91) Vgl. die Kritiken des Films in Frankfurter Rundschau vom 28 9 1948, Der Spiegel Nr. 5, Jg. 2, 31 1 1948, S 24, Kritik vom 21. 2.1948, ο.A, im Micro-Fiche-Archiv des Deutschen Filminstituts in Frankfurt/M
92Vgl. Peter Pleyer, a. a. Ο. , S 155
93 Der zweite Spielfilm der JFU, WEGE IM ZWIELICHT, erreichte nicht so viele Zuschauer, wurde aber im Zusammenhang der Währungsumstellung ebenfalls ein finanzieller Erfolg für die JFU. Auch DIE SÖHNE DES HERRN GASPARY, der erst nach der Währungsreform zur Aufführung kam, warf aufgrund des Umstellungsunterschiedes einen Gewinn für die Filmfirma ab. Zu den Umstellungsmodalitäten vgl. Kapitel 2.1
94) Peter Pleyer, a.a.Ο. , S 155. Diese Tendenz wurde bereits im Frühjahr 1947 deutlich, als die JFU ihre ersten Projekte vorbereitete. Vgl. Helmut Käutner, Demontage der Traumfabrik, in Film-Echo, Juni 1947, Nr. 5, S. 1


aus: Peter Stettner: Vom Trümmerfilm zur Traumfabrik. Die ‚Junge Film-Union‘ 1947-1952, Hildesheim/Zürich/New York 1992, S. 44/45

„Der deutsche Nachkriegsfilm hat mutig das Problem angepackt, von der Traumfabrik billiger Illusionen wegzukommen und unsere bittere Gegenwart geistig zu röntgen und zu erhellen. Auch die Produzenten [von] … ‚Menschen in Gottes Hand‘ sind mit großem Ernst ans Werk gegangen. (…) Man glaubt tatsächlich, die Begeisterung und Filmfreudigkeit des Aufnahmestabs und der Schauspieler noch spüren zu können. Wenn trotzdem kein künstlerisches Meisterwerk zustande kam, so liegt dies keineswegs am mangelnden guten Willen, es liegt auch nicht allein an den außerordentlichen materiellen Schwierigkeiten der Herstellung, es liegt vielmehr daran, dass schon im Drehbuch die große Wahrheitsliebe hinter der kleinen Liebe zur niedlichen Verharmlosung zurücktrat. Sollte man unser Nachkriegsschicksal nicht dort anpacken, wo es am problematischsten, am grellsten und damit am dramatischsten ist, anstatt dort, wo es von Zufällen gelenkt, einigermaßen im Gleich und Mittelmaß bleibt und zum harmlosen happyend führt?“


Die Zeit, Ausgabe vom 5. Februar 1948

Der Filmdienst urteilt Knapp

Ein aus Ostpreußen vertriebener Bauer findet auf dem Hof seines Sohnes bei Hamburg eine neue Heimat. Das Familienglück kann allerdings erst nach einer Tragödie gefestigt werden. „Aufbaufilm“ mit einer recht oberflächlichen Konfliktlösung, zum Ende hin zunehmend niveauloser. 

Zwei Dinge machen diesen Film heute sehenswert: einmal die Bilder aus dem Jahre 1948, die Schlangen von Flüchtlingen, die für einen Platz, für ein Zimmer, für ein Bett in einem Lager anstehen, alles verloren haben und nicht wissen, was morgen ist. Da ist nichts gestellt, nichts hergerichtet. Das zerstörte Hamburg, die nackten Häuser, die Ruinen, die leeren Straßen, das Übernachten in Bunkerhotels, mit jenen fensterlosen Zimmern und den sechs bis acht Doppelstockbetten. Hier entsteht ein beeindruckender filmischer Raum. Das Zweite aber ist etwas heute ganz und gar Verlorenes:…

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