Zugvögel (1947)

Inhalt

Im Sommer 1946 treffen vier junge Menschen – Hansi und Anna, Tobby und Timm – auf der Land-straße zusammen. Gemeinsam ihren Weg fortsetzend, kommen sie zufällig auf einen Bauernhof an der Weser, wo Wolfgang auf seine frühe­ren Mitschüler wartet. Mit diesen hatte er, bevor sie eingezogen worden waren, Paddelboote hierher gebracht und sich versprochen, nach dem Krieg gemeinsam eine Fahrt zur Nordsee zu unternehmen. Als Wolfgang jedoch ver­gebens auf seine Freunde wartet, beschließt er, mit den eingetroffenen Jugendlichen, das Mädchen Christine ist noch dazugestoßen, weserabwärts zu paddeln. Unterwegs treffen sie auf Georg, den hoch verehrten Freund Wolfgangs und ehemaligen Vorsitzenden seines Paddelclubs, der sich ihnen an­schließt. Er ist, obwohl äußerlich gesund erscheinend, unheilbar kriegsver­letzt. Auch das Mädchen Renee, das von der Gruppe auf einem Flussbagger ent­deckt wird, bleibt bei ihnen. In ausgelassener Stimmung paddeln sie gemein­sam in Richtung Nordsee. Bald ergeben sich Liebesbeziehungen zwischen den jungen Leuten, und nach anfänglichen Schwierigkeiten finden Tobby und Anna sowie Timm und Christine zueinander. Georg verliebt sich, genauso wie Wolfgang, in Renee. Die junge Frau entscheidet sich für Georg, und die bei­den sind kurze Zeit glücklich miteinander. Im Verlauf der Paddeltour führen die jungen Leute jedoch auch ernste Gespräche über die richtige Lebensein­stellung: sich-treiben-lassen oder tatkräftig zupacken und arbeiten. An erster Stelle Georg, im Verlauf des Films schließlich auch die anderen, sehen sie die Zukunft letztlich in dem Glück von Aufbau und Arbeit. Das ausgelassene Leben im Zeltlager an der Nordsee wird jedoch durch ein tragi­sches Ereignis beendet: Georg, sich seiner unheilbaren Verletzung bewusst, fährt eines Nachts mit seinem Boot aufs Meer hinaus und kehrt nicht zurück. Renee und Wolfgang gedenken seiner, indem sie sich noch einmal der von ihm propagierten Lebenseinstellung vergewissern: arbeiten und zupacken, Mut haben zum Leben.

Autoren/Innen

Filmanalyse: Peter Stettner (1992), Bettina Greffrath (1993)
Zusammenstellung und Bearbeitung der Materialien: Autorengruppe Nachkriegsspielfilme (1993); aktualisiert: Detlef Endeward (2023)

Film im Nachkriegsdeutschland 1945 bis 1950


Originaltitel Zugvögel
Produktionsland Deutschland (BBZ)
Originalsprache Deutsch
Erscheinungsjahr 1947
Länge 80 Minuten

Stab

Regie Rolf Meyer
Drehbuch Rolf Meyer
Produktion Helmuth Schönnenbeck
Musik Werner Eisbrenner
Kamera Albert Benitz
Klaus von Rautenfeld
Schnitt Helmuth Schönnenbeck
DarstellerInnen
  • Carl Raddatz: Georg
  • Lotte Koch: Renée
  • Gerta Böttcher: Christine
  • Fritz Wagner: Wolfgang
  • Addi Adametz: Anna
  • Gert Schaefer: Tobby
  • Peter-Timm Schaufuß: Timm
  • Eva Barlog: Hansi

Ein durchaus typisches Produkt der Nachkriegszeit

Peter Stettner

„Zugvögel“, 1946/47 von Rolf Meyer (Drehbuch und Regie) verfasst, ist ein durchaus typisches Produkt der Nachkriegszeit. Wenngleich kein Trümmerfilm – die Außenaufnahmen zeigen von der Weserlandschaft bis zur Nordsee nur Natur, einzig in einer Einstellung erfolgt ein Schwenk über eine Trümmer­landschaft -, so erweist sich der Zeitbezug doch in sinnfälliger Weise. Zu­nächst durch die Voraussetzungen, mit denen die Personen in das Geschehen eintreten: Georg ist schwer verletzt aus dem Krieg zurückgekehrt, Wolfgang wartet vergebens auf die Rückkehr seiner anderen Freunde aus dem Krieg, die Übrigen haben zumindest zum großen Teil ihr Zuhause verloren. Dabei wird die Vergangenheit selbst, die die Personen in der vorgeführten Form präg­te – Faschismus, Krieg, Kapitulation, Besatzung etc. -, im Film nicht ex­plizit thematisiert. In diesem Zusammenhang ist auch die Erörterung einer richtigen Lebensführung, die Frage nach Sinn und Moral, die den Film in­haltlich bestimmt, zu sehen. [1] Dass da etwas an Sinn zerbrochen ist, wird zwar deutlich, aber nicht wie dieser Sinn eigentlich aussah, wie und warum er zerbrochen ist. Der Film bleibt hier, obwohl es rein immanent gesehen dabei um die entscheidende Frage geht, sehr vage und allgemein: Mut haben zum Leben, Gesundheit allein ist Grund genug zum hoffnungsvollen Anfang, Liebe zur Arbeit usw. Gerade hierin liegt aber auch die zeitgeschichtliche Dimension des Films, eben in dem bemühten, aufgesetzt wirkenden, nicht­historisch-gesellschaftlich bewussten Appell an die „Zupack- und Aufbau­moral“. Auffällig, dass auch hier, wie in vielen anderen Spielfilmen der Nachkriegszeit, die Protagonisten erst dann die Aufbaumoral für sich über­nehmen, wenn das private Liebesglück gesichert ist bzw. damit gesichert werden kann.

So gesehen erweist sich „Zugvögel“ als eloquente Quelle für die Nachkriegsmentalität: die Verdrängung der faschistischen Vergangenheit, das sich selbst als Opfer sehen, die spezifische Mischung aus privater Orientierung und einer Aufbaueuphorie, zu der für viele ein Schuss metaphysischer Überre­dung gehörte. Das Ausblenden der gesellschaftlichen Verhältnisse in ihrer historischen Entwicklung manifestiert sich zudem in einer auffälligen Hin­wendung zur Natur (Weserbergland, Flusslandschaft, Nordsee). Hier zeigen sich bereits deutlich die Motive und Stilelemente des erst später dominant v/erdenden deutschen Heimatfilms.

Wenngleich diese Tendenzen an dem Film recht deutlich werden und ihn somit als Zeitdokument wertvoll erscheinen lassen, so weist „Zugvögel“ jedoch einen entscheidenden Nachteil auf. Die Konstruktion des Filmgeschehens und deren filmische Umsetzung stützen das eindeutige Anliegen des Films, näm­lich zu sinnvoller Aufbauarbeit zu überreden, nicht überzeugend: Das Sich-treiben-lassen wird durchaus als angenehme Alternative ins Bild gerückt, zu der die Dialoge in einem merkwürdigen Gegensatz verbleiben. Zudem beein­trächtigen die häufig ungeschickt agierenden Nachwuchsschauspieler, eine in ihren Wirkungen nicht selten fehlgehende Kameraführung sowie eine recht aufdringliche Musikuntermalung das Sehen des Films erheblich.

[1]  Die entscheidenden Dialoge unter Schlüsselsequenzen


 Tiefe physische und psychische Zerstörtheit

Bettina Greffrath (1993)

Der Schauspieler Carl Raddatz, als heiterer Kradfahrer in IN JENEN TAGEN noch sehr dem „Hart-wie-Kruppstahl-Ideal“ der NS-Propagandafilme verbunden, spielt in ZUGVÖGEL den kriegsbeschädigten Georg. Als Zentralfigur dieses Films „verpackt“ Georg im Gespräch mit einem Arzt seine tiefe physische und psychische Zerstörtheit zunächst als „Schicksal eines Freundes“. Doch fasst seine laute Klage in Worte, was sich in den meisten Gestalten des Heimkehrer-Motivs eher in langen lautlosen Bildsequenzen oder indirekt in ihren Handlungen ausdrückt:

(Georg hat dem Arzt von ‚einem Freund‘ erzählt, der seit einer Kriegsverletzung des Gehirns unter ‚furchtbaren Anfällen‘ zu leiden habe. ‚Moribundus‘ sei die Vokabel, die ‚der Freund‘ immer wieder von den Ärzten gehört habe.)

Georg: Es ist das Grauen. Wir Jungen haben alles kennenlernen müssen, jede Art von Qual und Entsetzen. Aber dieses ist das Grauen…Jede fünfte Nacht überfällt ihn dieser furchtbare Feind… (ist dabei aufgesprungen und immer mehr in entsetztes Schreien verfallen)

Arzt: Ihr bedauernswerter Freund.

Georg: Ach, Mitleid verträgt er am wenigsten…. Mein Freund hat ein Mädel kennengelernt, auf das er gewartet hat, dass es eines Tages kommen würde (ringt dabei die Hände). Gibt es für meinen Freund eine Chance, ein Experiment, das ihn retten kann, (…) es kann das gewagteste sein, etwas einer Chance von 1.000:1, er wird es wagen, (G. ist aufgestanden‘ zum Arzt hinübergegangen und hat ihn an die Schulter gefasst)

Arzt: Er soll glauben, an das Wunder.

(Georg wendet sich mit dem Ausdruck des Entsetzens ab und geht.)

Arzt: (als G. schon aus der Tür ist) Der Krieg, der verfluchte Krieg. (Er streicht den Namen „Georg Rittberg“ auf seinem Terminkalender mit einem Kreuz aus.)1)

Geschickt wird in dieser Sequenz der Eindruck vermieden, dass hier ein Mann sein Schicksal larmoyant beklagt. Gegenüber seinen etwas jüngeren Freunden, mit denen er in Paddelbooten die Weser bis zum Meer hinauffährt, wahrt Georg das Gesicht, bleibt Autorität und Vorbild als sportlicher, mahnender, ermutigender und moralisierender „ganzer Kerl“. Durch ihn gewinnen die Jungen um ihn herum immer mehr Einsicht in die Notwendigkeit, nicht länger haltlos umher zu vagabundieren, sondern sich beruflich und auch in der Liebe eine Zukunft zu suchen.

Umso mitleidserheischender ist unterschwellig die Schilderung von Georgs Leidensgeschichte, die ihm, wie der Film erzählt, schließlich endgültig die Zukunft verstellt. Georg fährt mit seinem Boot in das vom Sturm auf gewühlte Meer hinaus und begeht Selbstmord. Die Ursachen dieses Leides wurden im oben zitierten Gespräch bereits angesprochen: Schuld ist „der Krieg“. Er erscheint in den Äußerungen Georgs als eigenständige, unbeeinflussbare Kraft.

Angesichts der Beschädigung der eigenen Person ist auch die Bindung an eine, genauer an „die“ – vom „Schicksal für ihn bestimmte“ – Frau letztlich unmöglich. Auch bleibt auf der Seite dieser Frauenfigur (Renée/Lotte Koch) undeutlich, wie ihre Gefühle zu Georg sind, ob sie den Wunsch nach einer gemeinsamen Zukunft miteinschließen. Die Liebe der beiden besiegt Georgs Todessehnsucht nicht. Sind die Verletzungen zu groß?


Auszug aus: Bettina Greffrath: Verzweifelte Blicke, ratlose Suche, erstarrte Gefühle, Bewegungen im Kreis. Spielfilme als Quellen für kollektive Selbst- und Gesellschaftsbilder in Deutschland 1945-1949. Diss. Universität Hannover 1993
[Orthographie jeweils aktualisiert und Anmerkungen an die Online-Veröffentlichung angepasst. D.E.]

Szene am Lagerfeuer

Tobby:        … bin neugierig, wo ich im nächsten Jahr pennen werde.

Timm:         Kann man heut’ nicht wissen, wo man morgen ist. Bloß nicht nachdenken.

Wolfgang:  In einem Jahr, da bringen wir schon die ersten selbstgebauten Sportboote auf die Ausstellung, was Georg!

Tobby:        Denkste, und dann kommt wieder was dazwischen, ne, ne, ne ohne mich. Ich wart’ erstmal ab!

Wolfgang:   Was hast du denn gelernt, Timm?

Timm:         Nischt, wir haben zu Haus ’ne Tischlerei. Aber jetzt als Lehr­ling anfangen, als oller Mann?

Wolfgang:   Na Mensch, anfangen muss doch jeder mal wieder!

Christine:    Ich glaub‘, der Tobby hat recht, wir können nichts tun. Es ge­schieht ganz einfach mit uns. Wo sind denn all unsere Hoffnun­gen, unsere Träume? Nichts hat gehalten, das Große nicht und das Kleine auch nicht. Nichts hat mehr Gültigkeit. Entschuldigt bitte, ich wollt’ euch eure Stimmung nicht verderben.

Timm:         Wenn du mal jemand brauchst Christine, auf mich kannst du dich verlassen.

Hansi:         Auf mich natürlich auch, immer,

Tobby:        Amen! So, jetzt hört endlich mal auf mit dem sentimentalen Gequaddel. ‚Nen dickes Fell haben, sich treiben lassen, alles andere ist Quatsch! Je mehr du krabbelst, desto tiefer krabbelst du dich rein in die Tinte. Es lohnt sich nicht!

Wolfgang:   Was sagst du denn dazu, Georg? Lohnt es sich wirklich nicht?

Georg:        Im Lazarett, da hatten wir einen, der hatte eine ziemlich böse Sache, ’ne innere Geschichte, ’s ist auch ganz gleich. Die Ärzte gaben ihm höchstens ein halbes Jahr. Sie redeten so drumherum. Aber er wusste Bescheid. Er ging im Lazarettgarten spazieren, die Kirschen waren gerade reif, ’ne wunderbare Sache sage ich euch, und alles war so, wenn nichts wäre, und es war doch das letzte Mal für ihn. Und er wollte doch leben! Er hatte doch gerade erst angefangen. Ja wisst ihr denn, was das heißt, dass ihr noch eure Augen habt. Und eure Hände und eure Gedanken, dass ihr lebt und leben dürft, dass ihr schaffen könnt, wisst ihr das? Und in diesem armen Luder, da schrie es auf, nach jedem Tag und nach jedem dieser Jahre, die ihr verschwenden wollt; dass ihr undankbar seid, wisst ihr das?

– Abblende –


Szene in den Dünen

Nachdem Christine und Timm, Tobby und Anna sowie Georg und Renee sich ge­funden haben, berichtet Renee den Freunden von einem Bekannten, der seine Lebensaufgabe im Aufbau gefunden hat – er baut Brücken!

Georg:        Eine herrliche Aufgabe, Renee, der Junge braucht seinem Glück nicht erst nachzulaufen, der hat es schon, trotz aller Schufterei.

Wolfgang:   Ich versteh‘ schon ganz gut, Georg. Brücken bau’n ist natürlich ’ne ganz andere Sache. Meine kleinen Boote, was ist das schon!

Georg:        Wolfgang, Menschenskind, oller Seehund! Was redest du denn da für’n Quatsch zusammen! Auf die Liebe kommt es an! Zu geben, was du machen kannst. Hörst du, Wolfgang, du sollst deine kleinen Boote bauen. Auch weil ich es möchte.

Timm:         Wirklich, das ist bestimmt ’ne prima Sache, Menschenskinder, ich seh‘ mich doch schon zu meinem Alten in die Tischlerwerkstatt kommen. „Morgen Papi, hier ist der neue Lehrling. Nicht mehr so ganz taufrisch, aber immerhin.“ Der fällt mit seinem Stuhl glatt hintenüber … Aber das sag1 ich dem alten Herrn: „Liegt nicht mindestens jede Woche ein Brief von einer gewissen Christine an meinem Arbeitsplatz, dann hau’ ich ab!“ Dann macht mir die Arbeit keinen Spaß mehr.

Anna:          Nur bei Tobby braucht ihr euch keine Mühe zu geben. Der sagt ja doch nur „hat alles keinen Zweck“.

Tobby:        Ich soll so einen Blödsinn behauptet haben? Dass ich nicht lache! Hier, siehste das? Das ist ’ne Faust, die sucht sich was zum Packen, und hier ist noch eine, die wird auch noch was finden! Und der Kopf, der ist nicht zu blöd, um ’nen bisschen nachzugrü­beln, was man anfangen könnte. Und mit solchen Kompagnons in einer Firma, da willst du Giftnudel behaupten, es lohnt sich nicht?


In der Schlusseinstellung, nach Georgs tragischem Freitod, sinnieren Renee und Wolfgang über Sinn und Zukunft.

Wolfgang:   Weißt du, was er einmal zu mir gesagt hat? Man muss an das Leben glauben. Ich weiß auch, wie er es meinte. Wir dürfen uns nicht länger nur treiben lassen. Wir müssen arbeiten und zupacken. Vielleicht wird er dann doch eines Tages bei mir in der Werk­statt stehen; er wird sie doch sehen wollen, meine Boote.

Renee:        Ach, Wolfgang, das glaubst du doch auch nicht. Aber vielleicht kommt es darauf auch gar nicht an. Wenn er dir nur Mut gemacht hat neu anzufangen und zu arbeiten. Und das wollen wir nie ver­gessen und das ist wichtig: Mut haben zum Leben!

– Abblende –

Rolf Meyer

1947 debütiert Meyer als Regisseur mit Zugvögel, den die Berliner Studio 45-Film GmbH produziert. Am 1.4.1947 erhält er als einer der ersten Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg die (britische) Lizenz zur Gründung einer Filmproduktion. 

> weiter

Zugvögel entstand 1946 im Atelier Berlin-Tempelhof aber vor allen in Außenaufnahmen im Wesergebiet: So wurde der Film „ein Trümmerfilm ohne Trümmer, gedreht im Freigelände außerhalb der zerbombten Großstädte.“ (Filmdienst) Die Uraufführung fand am 23. Mai 1947 im Berliner Astor-Kino statt. Der Film war das Regie-Debüt von Rolf Meyer, der am 1. April desselben Jahres die britische Lizenz zur Gründung seiner Junge Film-Union in Bendesdorf erhielt.


Bilder von den Dreharbeiten

Die Wochenschau 72/1946 vom 11.10.1946 berichtet über den „Filmstart in der britischen Zone“:

Die beiden ersten Spielfilme: „In Jenen Tagen“ und „Zugvögel“
Hamburg: Beginn der Aufnahmen zum 1. Spielfilm: „In jenen Tagen“. Hans Nielsen im Gespräch, halbnah. Helmut Käutner gibt Regieanweisungen im Ledermantel, halbnah. Scheinwerfer. Tonmeister. Aufnahmeklappe. Kamera fährt hinter fahrendem Auto her. Gisela Tantau steht neben Hans Nielsen an einer Gartenpforte.

2. Film: „Zugvögel“. Paddler tragen ihre Boote zum Wasser. Karl Raddatz setzt sich in ein Paddelboot. Kamera auf einem Floß, total. Die Darsteller gehen an Bord eines alten Dampfers. Sie essen. Karl Raddatz sitzt neben Fritz Wagner. Die Schauspieler sprechen über den Film (O-Ton).

Der Bericht  über die Dreharbeiten von ZUGVÖGEL ist auch in der Dokumentation NIEDERSACHSEN – JAHRE DES AUFBAUS (Sequenz 19) enthalten

Die insgesamt eher negativ gestimmte Kritik konnte sich allenfalls für die Naturaufnahmen des Films und nur ausnahmsweise auch für die Figur des Georg erwärmen: „Carl Raddatz wirkte durch die Verhaltenheit seiner Lebensqual erschütternd‘, (NDE, 28.5.1947) Eine ganze Reihe der Besprechungen nimmt gerade die Besetzung der Figur mit Raddatz aufs Korn, so z.B. folgende vom 20.6.1947: „Carl Raddatz spricht oft sehr schöne Worte von verfluchtem Krieg usw., sauer stößt es dabei allerdings denjenigen auf, die z.B. seine Rolle als Stukkakommodore noch nicht vergessen haben.“(JUG, Materialsammlung des DiF)

Roter Faden für Selbstanalysen

 

Im jüngsten deutschen Film geht es, ei potz, lustig zu. Da, in „Zugvögel“, werden Schuhe (heutzutage!) „aus Ulk“ in den Fluß geworfen. Da gehen improvisierte Badehosen verloren. Da wird so recht jugendlich mit Liebesabenteuern geprotzt, um Feuer getanzt, geschmollt, geküßt, ein Röckchen mit sanfter Gewalt gehoben und zur Strafe dafür gar schmerzhaft in den Finger gebissen. ⇒ weiter

Im Sommer 1946 trifft sich eine Gruppe junger Leute am Ufer der Weser; gemeinsam fahren sie in einem Boot nach Bremen. Ihre Erlebnisse und Gespräche spiegeln die Mentalität einer durch Krieg und Zusammenbruch entwurzelten Jugend, führen jedoch zu der Einsicht, daß man sich nicht weiter treiben lassen soll. Einer der ersten westdeutschen Spielfilmversuche: ein Trümmerfilm ohne Trümmer, gedreht im Freigelände außerhalb der zerbombten Großstädte. Das Wiederaufbaupathos und der didaktisch vorgetragene Optimismus wirken verkrampft und naiv; die akuten Nachkriegsnöte kommen zwar zur Sprache, werden aber allzu voreilig ins Positive gewendet. Die Produktionsfirma stellte nur drei Filme her, dann wurde ihr im Mai 1948 von der britischen Militärregierung die Lizenz entzogen. 

Ein deutscher Nachkriesgfilm zum Abhaken

Die „Alleinige Erstaufführung” verkündet das Filmtheater Luxor am Hauptbahnhof in Frankfurt am 28. August 1948 stolz in einer Anzeige der Tageszeitung „Frankfurter Rundschau”. Es geht um den Film Zugvögel, dem klar und unzweideutig bescheinigt wird, „von Jugend und Liebe in herrlicher Landschaft” zu handeln. Mal sehen.

Zugvögel ist allerdings auch ein Film, bei dem sich der Autor und Regisseur Rolf Meyer nicht so richtig zu entscheiden vermag, in welche Richtung er den Film dirigieren soll. Zwar ist Zugvögel einer der ersten Spielfilme nach dem Krieg, es wird aber vermieden, die Trümmer zu zeigen. Insofern bleibt er zwiespältig, wobei eine Gruppe von Jugendlichen, die gerade die Schrecken des Krieges und der Zerstörung erlebt haben, reden und diskutieren, wie es nun weiter gehen soll mit ihnen, ihrem zerstörten Land und überhaupt… Bei einem gemeinsamen Bootsausflug auf der Weser kommen sie gemeinsam zu der Erkenntnis, die Vergangenheit hinter sich zu lassen ohne zu Vergessen und beim Wiederaufbau zu helfen. Aufbruchstimmung ja, aber vieles wirkt übertrieben und voller Pathos; es ist eine eher verkrampfte Aufforderung, sich der Zukunft zuzuwenden. Von den täglichen Alltagssorgen der Menschen wird im Film zwar auch einige Male geredet, aber es bleiben doch nur Streiflichter, so als wolle der Filmemacher nur eine gewisse Anstandspflicht erfüllen.

Die Nachkriegsnöte spielen keine wirkliche Rolle, es geht vor allem um die Verbreitung von Optimismus und gespielt wird eine Zukunftsmusik, die zu dieser Zeit noch nicht richtig zu hören ist. Wer das Luxor nach der Vorstellung verlässt und sich auch 1948 noch von zahlreichen Trümmer-Grundstücken umgeben sieht, bleibt nach den oft aufgesetzt wirkenden Übertreibungen skeptisch, obwohl jeder neue und frische Film, der nicht in reinen Unterhaltungsklamauk verfällt, ja nur zu begrüßen ist…

https://damals-im-kino.stoer.de/zugvogel-verbreiten-aufbruchstimmung/ [abgerufen am: 03.06.2021]

 

Der Film eignet sich weder zum Einsatz im Sinne einer Illustration der Nachkriegszeit noch stellt er ein pädagogisch bzw. filmästhetisch wertvol­les Produkt dar. Seine Bedeutung liegt ausschließlich in seiner Qualität als Quelle für Nachkriegsmentalität. Aus diesem Grund kommt ein Einsatz in der Sekundarstufe I kaum in Frage. Der Film eignet sich in erster Linie für die Sekundarstufe II bzw. für die Erwachsenenbildung, hier besonders für die Bereiche, in denen Multiplikatoren angesprochen werden, z. B. Universitäts- bzw. Referendarsseminare sowie Lehrerfortbildungen.

Insgesamt gilt, dass fundierte Kenntnisse über die Geschichte des Nationalsozialismus und die politische Nachkriegs-geschichte vorausgesetzt werden müssen. Als Arbeitsschwerpunkte kommen die Erörterung einer wünschenswerten Lebensein­stellung im Nachkriegsdeutschland, der unhistorische, metaphysisch verbräm­te Aufbauwille sowie die Fragen nach Sinn und (kleinbürgerlicher) Perspek­tive in Betracht. Da hierfür vor allem einige komprimierte Dialoge interes­sant sind, bietet sich ein sequenzieller Einsatz dieser Stellen an, wenn­gleich der ganze Film wenigstens einmal vollständig vorgeführt werden soll­te. Der Einsatz des Films erfolgt am besten in einem Unterrichtszusammen­hang, der den vergleichenden Einsatz von verschiedenen Nachkriegsfilmen er­möglicht. Als Vergleichsbeispiele bieten sich insbeson-dere an: „In jenen Tagen“, Regie: Helmut Käutner, 1947 („32 41733/34) sowie der Film „Unser täg­lich Brot!, 1949 von Slatan Dudow (32 42172/73).

Das könnte dich auch interessieren …