Interessenverbände der Wirtschaft und die NSDAP
Politisch opportun war, was dem Geschäftsinteresse diente (1)
Weder die Großagrarier noch die Großindustrie waren monolithische Blöcke, die stringent eine Strategie verfolgten. Der weitaus größte Teil der großindustriellen Eliten handelte nach ökonomischem Kalkül: politisch opportun war, was dem Geschäftsinteresse entsprach. Man kann wohl festhalten, dass dabei ein demokratisch strukturierter Staat für die Großindustrie kein verteidigungswürdiges Gebilde darstellte. Ihre Vertreter arrangierten sich, wenn es gar nicht anders ging, wie nach der Revolution von 1918; sie nutzten die demokratischen Spielräume, um die sozialpolitischen Zugeständnisse wieder einzukassieren und sie waren bereit, jede politische Grenze zu überschreiten – unabhängig von individuellen parteipolitischen Vorlieben – wenn es ökonomisch notwendig erschien. Zahlreiche Interessenverbände und Klubs und Vereinigungen existierten, mit denen versucht wurde, die jeweiligen partikularen Interessen in Politik umzusetzen. Durchaus auch gegen andere Partikularinteressen. Mit dem großagrarischen „Reichslandbund“ und dem schwerindustriell dominierten „Reichsverband der deutschen Industrie“ (RDI) verfügten sie über die beiden mächtigsten Interessenverbände.
Darauf deutet auch das Verhalten nach 1933 hin. Die meisten Vertreter der Großindustrie arrangierten sich nicht nur mit den neuen politischen Machtverhältnissen, sondern wurden zu aktiven Unterstützern der faschistischen Politik, politische Verfolgung bejahend, rassistische Verfolgung tolerierend und Kriegspolitik ermöglichend.
Das ist eines der erschreckenden Merkmale des Zusammenhangs von Kapitalismus und Faschismus – die kapitalistische ökonomische „Vernunft“ erfordert es eben manchmal, politische Demokratie und Humanität zur Disposition zu stellen.
Die konservativen und völkischen Parteien
Die Rolle des Militärs
Politische Justiz in der Weimarer Republik
Netzwerk aus konservativen – nationalistischen – völkischen – faschistischen (Interessen)-Verbänden
Harzburger Front – Im Gleichschritt zur Diktatur
Interessenvertretung – „nur dem Gewissen unterworfen“
Daß solche stillen Pakte mit den Inhabern der eigentlichen Macht über dem parlamentarischen Alltag nicht in Vergessenheit gerieten, dafür sorgten in den Fraktionen schon die hauptamtlichen Industrievertreter: Im Reichstag des Jahres 1928 teilten sich, nur »ihrem Gewissen unterworfen und an Aufträge nicht gebunden«, 68 von insgesamt 490 Abgeordneten in 275 Aufsichtsratssitze.
Zwei Jahre später war zwar die Zahl der im Reichstag mit Sitz und Stimme präsenten Kapitalgesellschaften noch weiter angestiegen. Auf 311 Aufsichtsratssitze brachten es die getrennt marschierenden Industrielobbyisten beim Zentrum, bei der Deutschen und Bayerischen Volkspartei, den Deutschnationalen und der linksliberalen Deutschen Staatspartei. Die 19 Aufsichtsräte der SPD-Fraktion vertraten bis auf eine Ausnahme öffentliche Unternehmen, Gewerkschafts- und Parteibetriebe.
Von der Deutschen Bank bis zur Landshuter Keks- und Schokoladenfabrik, von der I. G. Farben bis zu den Vereinigten bayerischen Spiegel- und Tafelglaswerken reichte die Schar der gewerblichen Wohltäter, die Geld gaben und Einfluß nahmen – beides am liebsten unter der Hand.
Das Große Schmieren
Korruption in Deutschland (IV): Geld und Politik in der Weimarer Republik / Von Jörg-R. Mettke
aus: DER SPIEGEL 50/1984 – 09.12.1984
(1) Eine ausführliche Darstellung zu diesem Komplex von Interessen, Beziehungen und politischen Entwicklungen bieten folgende Texte:
Reiner Zilkenat: Das deutsche Großkapital, der „Keppler – Kreis“ und die NSDAP vom Oktober 2012.
Karsten Heinz Schönbach: Die Illusion der „Volksgemeinschaft“ – Bündnis zwischen Großindustrie und NS-Führung gegen die Arbeiterschaft, in: JahrBuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung, 12. Jahrgang, Heft I -Januar 2013, S. 30-46
Die Großindustriellen und ihre Finanziers sind in der Lage gewesen, strategisch zu planen
Ich erwarte von unseren Ergebnissen schon einen kleinen Feuersturm in der Zunft der Historiker. In den vergangenen Jahren ist ja eine sehr groß angelegte unternehmensloyale Historikeroffensive gestartet worden, mit Henry A. Turner und dann der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte, die die offizielle Daimler–Benz–Geschichte publiziert hat. Die Gesellschaft für Unternehmensgeschichte ist insofern nochmal interessant, als sie 1973/74 von der Deutschen Bank reorganisiert worden ist – Abs wie immer, geschichtsbewußt an erster Stelle. Und die haben versucht, die Wirtschaftsgeschichte aus der kritischen Aufarbeitung des Nazismus endgültig zu eliminieren. Ich glaube, daß es uns gelungen ist nachzuweisen, wie sich der Zusammenhang zwischen Finanzkapital und Großindustrie seit der wilhelminischen Ära konstitutiert hat. Wir haben gezeigt, was eine Industriefiliale der Deutschen Bank ist – das wußten wir bisher nicht. Und wir haben vor allem gelernt zu sehen, daß die deutsche Wirtschaft, die Großindustriellen und Finanziers in der Lage gewesen sind, strategisch zu planen und daß im Zentrum dieser Planung die wirtschaftspolitischen und die allgemeinpolitischen Rahmenbedingungen stehen. Das heißt: Das Finanzkapital plant die politischen Rahmenbedingungen strategisch vor und das, was dort drei Jahre zuvor diskutiert wird, wird dann in der politischen Klasse in merkwürdigen Ausuferungen umgesetzt, debattiert, strukturiert. Wir haben gezeigt, wie 1943/44, als die Analyse des Finanzkapitals zu dem Ergebnis kommt, daß der Krieg verloren ist und der Hauptsieger die USA sein werden, wie gerade bei Daimler–Benz, dem am weitesten nazifizierten Konzern der Motoren–Kraftfahrtindustrie, eine Absetzbewegung von der politischen Macht stattfindet. Für die Führung des Konzerns begann 1943/44 das politische Schicksal des Machtsystems, das sie 1931/32 selbst etabliert hatten, völlig uninteressant zu werden und sie begannen die Früchte ihrer Politik zu sichern: die taylorisierte Massenproduktion, das Fließband, modernisierte Produktionsanlagen. Das wurde in den Nachkrieg gerettet. Wir haben mit diesem Nachweis einen Punkt erreicht, wo wir synthetisch darstellen könne, was den Linken in der amerikanischen Militärregierung schwante – mit diesem Buch beenden wir also ein Stück weit die Aufarbeitung einer zerstörten kritischen Analyse des nazistischen Wirtschafts– und Machtpotentials durch linke Amerikaner und beginnen mit unseren eigenen Forschungen.
Karl–Heinz Roth zum Verhältnis von Finanzkapital, Großindustrie und Politik im Nationalsozialismus. Interview in der taz vom 15.04.1987