Gegen das Fremde
Beispielfilme
Deutsche Tugenden, Kultur, Moral
Bettina Greffrath (1993)
Erst ab Herbst 1948 finden sich in den Westzonen gelegentlich direkte Reflexionen über die Rolle der Besatzungssoldaten und Hinweise auf deren Herkunftsländer.1) Diese späte Thematisierung des „Fremden“, mit dem die Nachkriegsdeutschen alltäglich konfrontiert waren, dürfte sich zumindest teilweise aus der Lizenzierungspflicht für die Filmproduktion und der Filmkontrolle der Alliierten erklären. Doch auch schon in frühen Spielfilmen, insbesondere der britischen Besatzungszone, verweisen Anspielungen und Randbemerkungen auf die Besatzungssituation:
Schwerpunkt in den Motiven sind hierbei kulturelle Einflüsse, wie etwa der Alltagshabitus der Besatzungssoldaten oder die leichte Unterhaltungsmusik. Jazz und Swing, im Deutschland des Dritten Reiches sehr unterschiedlichen Bewertungen bis hin zur vehementen Verfemung ausgesetzt 2), sind in den untersuchten Spielfilmen in aller Regel motivisch an Orte der zügellosen Sinnlichkeit, an einen ethischen Orientierungsverlust von Nachkriegsdeutschen und/oder die bedrohliche und gefährdende Sphäre der Kriminalität gekoppelt. 3) In mindestens 20 % der untersuchten Spielfilme fand sich diese Art von Motivkoppelung.
Diese Bilder bewegen sich in aller Regel zwischen Nachahmung und Abgrenzung, variieren im Verlauf des Untersuchungszeitraumes in den dramaturgischen Funktionen ebenso wie in den bewertenden Konnotationen. Der Jazz ist in den ersten Filmen eher Indiz für die selbstzerstörerischen Impulse wie Verzweiflung, Verlorenheit, Schwäche und Zynismus. 4)
Für das Jahr 1949 konnte die Tendenz beobachtet werden, eine große Differenz zwischen der eigenen deutschen – Mentalität und dem Lebensstil und der Kultur des jeweiligen fremden Landes zu zeichnen. Hier finden sich Kontinuitäten in den Einstellungsmustern, die zur Zeit des Dritten Reiches zu heftigen Kämpfen zwischen Erziehern, HJ-organisierten Jugendlichen und den sogenannten „Swing-Heinis“ führten. Deren zunehmend, aber mindestens zum Ende des Zweiten Weltkrieges immer erfolgloser bekämpfte Selbststilisierung hatte bereits Momente, die wir in den Negativ-Bildern der untersuchten Spielfilme der Nachkriegszeit wiederfinden: Eine zur Schau gestellte Lockerheit, Sinnlichkeit und Lässigkeit, eine Tendenz zum gegenwartsbefangenen Hedonismus und zu „Weichheit“ und „Unmännlichkeit“. 5) Die behauptete oder auch tatsächliche Orientierung am amerikanischen Lebensstil verbindet sich in den untersuchten Nachkriegsfilmen oft mit der (negativ konnotierten) Annahme amerikanischer Vornamen wie Mary, Bobby oder Jonny. Die Bewertung der „fremden“ Einflüsse erfolgt im Untersuchungszeitraum zunehmend häufig, aber weiterhin fast immer indirekt, über eine Stilisierung „deutschen“ Benehmens und „deutscher“ Kultur: Ein „gepflegter“, stark durch äußerliche Rituale und (Kleidungs-) Normen geregelter häuslicher Lebensstil, klassische deutsche Literatur und Musik werden zum positiv inszenierten ruhenden Gegenpol zur Welt der „Fräuleins“ und Schieberbars, des Alkohols und des Zynismus.
Den „guten“, „anständigen“ Protagonisten stellen die Filme neben den Charakterkriminellen mitunter Künstler (vor allem Maler und Schauspieler, seltener auch Musiker) als Negativfiguren entgegen.6) Künstler zeigen sich als moralisch fragwürdige oder schwächliche, mindestens jedoch leichtfertige oder sozial bindungsarme Existenzen. In diesem Motivkomplex dominierten in der Überblicksanalyse – ähnlich wie in der Zeichnung männlicher Intellektuellenfiguren – Negativprofile. Eine besonders deutliche Kontinuität zum Künstlerbild im Staatsfilm des Dritten Reiches wie auch im Film der späteren Bundesrepublik ist anzunehmen. 7)
Motive, die das Verhältnis „Die Deutschen und das Fremde“ kennzeichnen, kreisen vor allem um die Eigenschaftszuschreibungen in zwischenmenschlichen Verhaltensformen, im Verhältnis zum Materiellen und zur Arbeit, sowie um Formen starker Sinnlichkeit. Fleiß und Tüchtigkeit, Ernsthaftigkeit und (eheorientierte) Sittlichkeit und Treue, Bescheidenheit und Traditionsbewusstsein der Deutschen werden dabei der Lässigkeit und Leichtlebigkeit, den materiellen Orientierungen und der Oberflächlichkeit, einem Mangel an Ernst, Verantwortungsbewusstsein, Tradition, Fleiß und Zuverlässigkeit der Ausländer oder auch Künstlerfiguren (und hier insbesondere der Amerikaner und Maler) gegenübergestellt.
Besonders in den Filmen DIE SÖHNE DES HERRN GASPARY, HALLO FRÄULEIN und DIE LETZTE NACHT, aber auch in eskapistischen Versuchen wie DAS GEHEIMNIS DER ROTEN KATZE 8), ist die Darstellung der Ausländer fast nie durch Neugier, Verständnis, und Toleranz gegenüber ihren Ideen, Entwürfen und Gedanken bestimmt. Eine ernsthafte inhaltliche Auseinandersetzung oder Diskussion der von ihnen propagierten oder verkörperten Modelle findet in keinem der Filme statt. Die Darstellung dieser „fremden“ Ansätze ist eher durch überkommene Klischees, Skepsis und Abwehr bestimmt.
Diskreditiert – das zeigte sich deutlich bereits in der Analyse der Gegenwartsbilder 9) – werden kulturelle und ethische Einflüsse der Fremden vor allem indirekt: Figuren, die sich erkennbar dem Lebensstil der Amerikaner annähern, bzw. von deren besserer materiellen Versorgung profitieren (zumeist sind es junge Frauen), werden deutlich in ein moralisches, zumindest aber soziales Abseits gerückt. Eine Ausnahme ist auch in diesem Untersuchungsaspekt der Kortner-Film DER RUF, der ein differenzierteres Bild der Amerikaner zeichnet. 10)
Die exemplarische Analyse dieses Abschnitts gilt einem Film, in dem die Auseinandersetzung mit der anglo-amerikanischen Kultur und Ausländern verschiedenster Nationen ausnahmsweise im thematischen und erzählerischen Mittelpunkt steht: HALL FRÄULEIN
Bettina Greffrath (1993)
Anmerkungen:
- Ausnahme ist hier die Anspielung in FILM OHNE TITEL, bezeichnenderweise auf die Filmkontrolle der britischen Militärregierung. Zu einem Konfliktfall mit der Militärregierung wurde noch 1949 der Spielfilm ZWÖLF HERZEN FÜR CHARLY: Vgl. OMGUS 171/17.2/2. (Der noch in unseren Untersuchungszeitraum fallende Film konnte, da keine vorführbereite Kopie zu ermitteln war, leider nicht gesichtet werden.)
- So machte z.B. 1938 eine Ausstellung „Entartete Musik“ im Rahmen der Reichstage der Musik nicht nur Front gegen Neutöner wie Paul Hindemith, sondern auch gegen den Jazz. Andererseits wurde gerade der Swing zeitweise zur gesellschaftsfähigen Variante des „Hot-Jazz“, und viele deutsche Filmmusicals waren den amerikanischen Originalen der Swing-Periode deutlich nachempfunden. Nicht selten wurde dabei „Hot-Musik“ zum schlechten beispiel stilisiert und der klassischen Musik gegenübergestellt (z.B.WIR TANZEN UM DIE WELT (1939), TRAUMMUSIK (1940); subtile aber auch in Helmut Käutners WIR MACHEN MUSIK (1942). Bgl. hierzu ausführlich: Eichstedt, Astrif/Polster, Bernd: Wie die Wilden. Tänze auf der Höhe ihrer Zeit. Berlin 1985, S. 73fff
- Vgl. den Beitrag: „Auf Kosten anderer: Ungleichheit durch Schwarzmarktschieber
- Auch in dieser Deutungsweise finden sich durchaus Kontinuitäten zur Rasseideologie des Dritten Reiches, die der „Neger-Musik“ Momente des „Zerbrechen-, Zerhacken und Atomisierenwollen’s“ zuschrieb. Vgl. hierzu: Eichstedt/Polster: a.a.O., S. 84f
- Vgl hierzu wiederum die bei Eichstedt/Polster wiedergegebenen texte der Kontrahenten. A.a.O. S. 82ff
- Vgl.: IN JENEN TAGEN, ZWISCHEN GESTERN UND MORGEN, FINALE, MORITURI, MÄDCHEN HINTER GITTERN, DIE KUPFERNE HOCHZEIT, NACHTWACHE u.a.m.
- Eine Ausnahme ist hierin lediglich die Figur des Malers Eckmann (Hans Leibelt) in IRGENDWO IN BERLIN, der in seiner kargen, aber sauberen Behausung in perfekT geordneter Kleidung (mit Schlips) in einem geradezu väterlichen Verhältnis gegenüber dem streunenden Jungen Willi gezeigt wird, Eckmanns – selbstverständlich naturalistische – Malerei erscheint deutlich in ihrem konservativen Charakter: Als
die Jungenbande durch ihr fahrlässiges Spiel mit Feuerwerkskörpern eines seiner Bilder, das einen Baun gezeigt hatte, zerstört, erklärt er ihnen die persönliche Bedeutung seiner Malerei so: ‚Beim Malen habe ich mich über jedes kleine Blättchen gefreut (…).“ - Vgl. die Filmanalyse zum Film
- Vgl. den Beitrag „Gefahren für die Sittlichkeit“
- DER RUF zeigt nicht nur einen farbigen Hausangestellten, der in einer – inszenatorisch durchweg positiv gestinmten Szene – ein traditionelles Lied singt und damit seine Bindung an Geschichte und Kultur dieses Landes vorführt. In den drei Figuren seiner ihn begleitenden Studenten fächert er auch ein Spektrum von Persönlichkeiten auf, das von einer (moralischen) Lässigkeit, über ein Höchstmaß an verantrortungsvoller Verletzlichkeit bis hin zu großer Ernsthaftigkeit und Hingebung reicht. Alle drei jungen Studenten stehen ihrem Professor fraglos loyal und solidarisch kämpferisch zur Seite.
Dieser Spielfilm wird in der Filmanalyse im Hinblick auf sein außergewöhnliches Menschenbild sowie als Gegenbeispiel zur typischen Tendenz der Intellektuellenfeindlichkeit näher betrachtet.
Auszug aus: Bettina Greffrath: Verzweifelte Blicke, ratlose suche, erstarrende Gefühle, Bewegungen im Kreis. Spielfilme als Quellen für kollektive Selbst- und Gesellschaftsbilder in Deutschland 1945 – 1949. Diss. Universität Hannover 1993
(Orthografie aktualisiert und Anmerkungen der Online-Veröffentlichung angepasst, D.E.)
Grundlagen
Bettina Greffrath: Verzweifelte Blicke, ratlose suche, erstarrende Gefühle, Bewegungen im Kreis. Spielfilme als Quellen für kollektive Selbst- und Gesellschaftsbilder in Deutschland 1945 – 1949. Diss. Universität Hannover 1993