Rotation (1949)

Inhalt

Berlin während der letzten Kämpfe im Frühjahr 1945. Ein Häftling liest in die Zellenwand eingekratzte Inschriften und scheint sich zu erinnern: „Es begann vor 20 Jahren“, erklärt ein über die Bilder geblendetes Insert.

Rückblende: Zwei Arbeitslose, Hans Behnke und Lotte Blank, lernen sich kennen. Sie heiraten, als ein Kind sich ankündigt. Die Arbeitslosigkeit wird zur quälenden Bedrückung, nachdem das Kind geboren ist. Kurt Blank, Lottes Bruder, ist Kommunist, vermag indes seinem Schwager Hans nicht aufzuhelfen. Dieser lebt nach wie vor in weitgehender politischer Naivität.
Nach 1933 (eine genaue Zeitangabe fehlt) verbessert sich die materielle Lage der Behnkes entscheidend: Hans hat Arbeit gefunden in einem Betrieb, der den „Völkischen Beobachter“ druckt. Er erhält Facharbeiterzulage und kann sich eine bessere Wohnung leisten. Helmuth wächst ausreichend versorgt auf. Doch bald beginnt eine andere, eine politische Bedrückung für die Familie. Kurt Blank befindet sich auf der Flucht in die Tschechoslowakei; Hans wird erst zum Rotationsmeister befördert, als er in die NSDAP eintritt; die jüdischen Hausbewohner werden vor Behnkes Augen abtransportiert.
Bombenkrieg. Die Schlacht um Stalingrad ist verloren.
Das Ehepaar Behnke beginnt erst aus seiner politischen Naivität zu erwachen, als der plötzlich zurückgekehrte Kurt Blank sie allmählich von der moralischen Wichtigkeit politischen Widerstands Überzeugen kann. Zunächst noch widerwillig, hilft Hans dann doch dabei, antinazistische Flugblätter zu drucken. Der Sohn Helmuth, inzwischen ein fanatischer Hitlerjunge, findet solch ein Flugblatt, das der Vater zu Hause versteckt hatte.
In einem Verhör des Sicherheitsdienstes wird das Ehepaar Behnke getrennt voneinander nach dem Verbleib Kurt Blanks, befragt. Beide bestreiten, ihn in den letzten Jahren gesehen zu haben. Kurz darauf wird Lotte mit ihrem mißhandelten Bruder konfrontiert. Wenig später erhalten die Behnkes die Nachricht von seinem Tod.
Verzweifelt zertrümmert Hans das Hitler-Bild in der Wohnung. Helmuth verläßt das Elternhaus daraufhin und berichtet seinem HJ-Führer. Hans Behnke wird am Arbeitsplatz von der Gestapo verhaftet, leugnet aber, irgendetwas mit den Flugblättern zu tun zu haben. Da wird ihm sein Sohn gegenübergestellt. Die. Rückblende ist beendet. Der Häftling ist Hans Behnke.
Einige Szenen zeigen die Endkämpfe um Berlin. Das Erscheinen der Roten Armee verhindert in letzter Minute die Erschießung Behnkes und anderer Häftlinge. Helmuth gerät als Volkssturmmann in Gefangenschaft, nachdem er erleben mußte, wie sich sein HJ-Führer in Zivilkleidung aus dem Staube machte. Frau Behnke ist bei den Straßenkämpfen ums Leben gekommen.
Helmuth kehrt aus der Gefangenschaft zurück, doch erst nach sechs Wochen findet er den Mut, seinen Vater aufzusuchen. Seine Furcht ist unbegründet, der Vater verzeiht ihm.
An der gleichen Bahnschranke, an der sich vor über 20 Jahren seine Eltern verabredet hatten, trifft sich Helmuth mit seiner Freundin Inge.

Autoren/Innen

Filmanalyse: Autorengruppe Nachkriegsspielfilme (1993)
Zusammenstellung und Bearbeitung der Materialien: Autorengruppe Nachkriegsspielfilme (1993); aktualisiert: Detlef Endeward (2020)

Film im Nachkriegsdeutschland 1945 bis 1950


Regie: Wolfgang Staudte
Produktion: Deutsche Film AG (DEFA), Berlin
Buch: Wolfgang Staudte, Erwin Klein
Kamera: Bruno Mondi
Musik: H. W. Wiemann
Produktionsleitung: Herbert Uhlich
Länge: 87 Min. / BRD: 81 Min
Zensurdatum: August 1949 (Sowjet. Mil. Z.) / April 1950 (BRD)
Uraufführung: 16.9.1949, Ost-Berlin, Babylon und DEFA-Filintheater, Kastanienallee
Darsteller:  
Paul Esser Hans Behnke
Irene Korb Lotte Behnke
Karl-Heinz Deickert Kurt Blank
Reinhard Kolldehofft Rudi Wille
Werner Peters Udo Schulze
Albert Johannes Personalchef „VB“
Theodor Vogeler 1. SD-Mann
Walter Tarrach 2. SD-Mann
Valeska Stock Hebamme
Ellen Thenn-Weinig Frau Salomon
Brigitte Krause  
Reinhold Bernt  
Klemens Herzberg  
Hans-Erich Korbschmitt  
Maria Loja  
Wolfgang Kühne  
Alfred Maack  
Margit Rocky  
Siegfried Andrich  
Hugo Kalthoff  
Carlo Kluge  
Helmut Hain  
Georg-August Koch  
Kitty Franke  
Herbert Mahlsbender  
Gerd Ewert  
Rudi Beil  
Albert Venohr  
Hans Emons  
Helmuth Bautzmann  
Walter Diehl  
Eduard Matzig  
Peter Marx  
Johannes Knittel  
Hans Schille  
Gerd Robat  
Friedrich Teitge  
Nr.
Inhalt
Länge
Zeit im Film

1

In der Druckerei: Die Abendausgabe des „Angriffs“ wird gedruckt. Hans Behnke in seiner Gefängniszelle. Impressionen aus dem belagerten Berlin 1945. Zusammengedrängte Menschen in der U-Bahn-Station Potsdamer Platz.

4.09

0.00 – 4.09

2

Im Gefängnis beginnt Hans, sich zu erinnern: „Es begann vor 20 Jahren…“ Hans und Lotte treffen einander am Bahnübergang, legen sich in die Sonne und beginnen einander zu duzen.

3.32

4.09 – 07.41

3

Schlangen von Arbeitslosen in Berlin, Hans und Lotte erfolglos auf Stellensuche. Lotte teilt Hans mit, dass er Vater wird. Er ist ausser sich vor Freude. Hans schlägt sich mit Gelegenheitsarbeiten durch.

3.36

07.41 – 11.17

4

Bescheidene Hochzeitsfeier von Lotte und Hans im engen Freundeskreis. Kurt hält eine Rede gegen „Klassendünkel, Völkerhetze, nationale Engstirnigkeit, Kriegsgeschrei“ und äussert die Hoffnung auf eine bessere Welt für die kommende Generation.

4.35

11.17 – 15.52

5

Hans holt die Hebamme und muss in der Küche warten, bis sie ihm seinen Sohn bringt.

3.22

15.52 – 19.14

6

Als Geschenk für den kleinen Helmuth bringt Kurt der jungen Familie einen Laufstall vorbei.

1.42

19.14 – 20.56

7

Hans beobachtet den Wohlstand der anderen, nimmt an Kommunistenaufmärschen teil und landet im Gefängnis. Gespräch Hans mit Kurt: er sorgt sich um seinen kränklichen Sohn und verflucht ihre armseligen Lebensbedingungen. Kurt wirft ihm vor, sich nicht für eine Besserung der Verhältnisse zu engagieren. Ein Hitleranhänger liefert sich ein Streitgespräch mit Kurt. Hans gerät mit streikenden Arbeitern aneinander, die Zeitungen berichten von der Machtergreifung der Nationalsozialisten.

6.24

20.56 – 27.20

8

Hans leistet dem alten Ehepaar Salomon einen Freundschaftsdienst. Beim Abendbrot mit Lotte überlegen beide, ob sie sich einen Urlaub in einem KdF-Bad leisten könnten. Ein Beauftragter der Fachschaft klingelt und sucht das Gespräch mit Hans, der erfolgreich den Hitlergruß vermeidet und durch sein Ausweichen das Misstrauen des Gastes erweckt. Der Rundfunkempfänger sendet einen Bericht vom „Reichsparteitag der Freiheit“ (1935).

6.24

27.20 – 33.44

9

In der Druckerei: Ein Gestapobeamter stattet dem Personalchef einen Besuch ab und erkundigt sich nach Hans Behnke, dessen Beförderung zum Rotationsmeister mit Raum steht. Der Gestapobeamte stößt sich daran, dass Hans kein Parteimitglied ist. Heimlicher Besuch von Kurt bei Lotte. Der Gestapobeamte horcht Hans wegen seines Schwagers aus. Lotte gibt Kurt Geld für dessen Flucht in die Tschechoslowakei.

4.44

33.44 – 38.28

10

Der Personalchef nötigt Hans vor dessen Beförderung zum Eintritt in die Partei.

1.32

38.28 – 40.00

11

Familienalltag bei Behnkes. Eine Postkarte von Kurt trifft aus Prag ein. Hans und Lotte beobachten den Abtransport des Ehepaars Salomon.

3.13

40.00 – 43.13

12

Marschierende HJ, Jungvolk-Unterricht durch den Bannführer. Der Bannführer und ein Adjutant spekulieren über den bevorstehenden Kriegsausbruch. Wehrübungen der Hitlerjungen bilden den Übergang zu Wochenschau-Aufnahmen vom Zweiten Weltkrieg. Gefallenenlisten werden gezeigt, „Stalingrad“.

2.41

43.13 – 45.54

13

Wohnung der Familie Behnke nach Bombenangriff: Ohne Vorwarnung erscheint Kurt und appelliert an Hans, seiner Widerstandsgruppe durch die Inbetriebnahme der Druckerpresse für eine Flugblattaktion einen Dienst zu erweisen. Hans sträubt sich zunächst dagegen, gibt aber schließlich dem Vorwurf der politischen Untätigkeit nach.

5.05

45.54 – 50.59

14

Der Bannführer hält vor den Hitlerjungen eine Ansprache, in der er Männlichkeit und Mut preist und vor „dunklen Elementen“ und „Landesverrätern“ warnt. Hans druckt derweil Flugblätter für die Widerstandsgruppe um Karl: „Schluss mit dem Wahnsinn des Hitlerkrieges“

1.51

50.59 – 52.50

15

Zufällig entdeckt Helmuth eines der Flugblätter. Im Zimmer des Personalchefs wird Hans vom Gestapobeamten zum Schicksal seines Schwagers verhört. Gleichzeitig wird auch Lotte in der Wohnung von einem Beamten befragt. Hans leugnet, das Anti-Hitler-Flugblatt zu kennen, das ihm der Gestapobeamte vorlegt. Ein Funktionär des Sicherheitsdienstes konfrontiert Lotte mit dem inhaftierten Kurt. Sie leugnet, ihn in den letzten Jahren gesehen zu haben.

4.14

52.50 – 57.05

16

Die Todesnachricht von Kurt trifft ein, Todesursache: „Herzinfarkt“. Vor Wut zertrümmert Hans das Hitlerbild in seiner Wohnung. Helmuth, der Zeuge der Szene wird, klingelt seinen Bannführer aus dem Schlaf.

3.16

57.05 – 60.21

17

Hans wird in der Druckerei von der Gestapo verhaftet. Verhör: Hans wird Helmuth gegenübergestellt. Ende der Rückblende.

2.31

60.21 – 62.52

18

Hans in seiner Zelle. Erbitterte Kämpfe im Stadtzentrum. Die Sprengung der Spreebrücken verursacht Überschwemmungen in den U-Bahn-Tunneln: Die dort zusammengedrängten Menschen ertrinken.

4.57

62.52 – 67.49

19

Die Wachmannschaft des Moabiter Gefängnisses treibt die Häftlinge aus ihren Zellen. Als sie auf dem Hof erschossen werden sollen, wird dies durch das Eintreffen von Rotarmisten verhindert.

2.01

67.49 – 69.50

20

Bannführer und Helmuth retten sich in ein Gebäude, wo der Bannführer die Uniform ablegt und gegen Zivilkleidung auswechselt. Helmuth ist fassungslos. Zug der Gefangenen durch das zerstörte erlin, Lotte unter den Toten. Die Zeitungspressen arbeiten wieder: „Bilanz des Zweiten Weltkrieges: 33,8 Millionen Menschen“

3.02

69.50 – 72.52

21

Helmuth und Inge im Treppenhaus von Hans’ Wohnung. Helmuth bringt den Mut auf, Hans aufzusuchen. Der Vater umarmt ihn und vergibt ihm. Helmuth wird zivil eingekleidet. Hans spricht zu ihm von der Schaffung einer Welt ohne Krieg und Not.

5.34

72.52 – 78.26

22

Helmuth und Inge treffen einander am gleichen Bahnübergang. Sie liegen in der Sonne, und Helmuth beharrt darauf, dass sich das Geschehene nicht wiederholen darf. Gemeinsam schlagen sie einen anderen Weg ein als Helmuths Eltern vor zwanzig Jahren.

1.34

78.26 – 80.00

»Als schon im Jahre 1948, also nur drei Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation, im öffentlichen und politischen Leben die ersten Anzeichen einer hemmungslosen Restauration sichtbar wurden, als man erst zaghaft, dann immer unverhüllter die Rehabilitation der faschistischen Führer und Generäle betrieb, die ersten Soldatenzeitungen an den Kiosken auftauchten, der alte nationalistisch-reaktionäre >Stahlhelm-Bund< protestlos von der Bonner Regierung sanktioniert wurde – als man in öffentlichen Kundgebungen von der >deutschen Schmach< sprach, womit man nicht etwa die eigene faschistische Vergangenheit, sondern das Trauma der WehrIosigkeit, der verlorenen Ostgebiete und die Saar meinte -, in dieser Zeit schrieb ich das Szenarium zu dem Film Rotation.

Ich habe in diesem Film versucht, mich gegen die verhängnisvollen Tendenzen der Gegenwart zu stellen – die Entwicklung des politischen Alltags gleicht erschreckend der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg -, ich habe versucht aufzuzeigen, wie es zu der unfaßbaren Katastrophe kommen konnte, um mitzuhelfen, daß es nicht in Zukunft zu einer noch größeren Katastrophe kommt. Zu viele sind heute schon wieder bereit, den gleichen Weg, der Europa erschüttert hat, noch einmal zu gehen.

(…) Und heute wie damals ist in Deutschland die Zahl der Unbelehrbaren groß, die noch immer glauben, >unpolitisch< sein zu können. Deshalb zeigt Rotation die Geschichte eines braven und tüchtigen Mannes. Auch er will nichts damit zu tun haben, auch er ist unpolitisch und wird mitschuldig.

(…) Mein wichtigstes Anliegen aber mit diesem Film war es zu zeigen, wohin die >Politik der Stärke< geführt hat. Damals wie heute entbrannte der Kampf um die Wiederbewaffnung. Damals waren es nur hunderttausend Mann! Heute sind es ja nur zwölf Divisionen. Das Hunderttausend-Mann-Heer aber war nur der Anfang der hitlerischen Wehrmacht.«

Wolfgang Staudte, Deutsche Filmkunst, Heft 2, 1955, Nachdruck in: Stiftung Deutsche Kinemathek [Hrsg.], Wolfgang Staudte, zitiert nach Bandmann/Hembus, a.a.O., S. 161/62

Danach schrieb ich das Drehbuch ,,Rotation“. Dieser Film ist in allen Filmclubs meines Wissens bekannt, und es erübrigt sich so für mich, näher auf diese Arbeit einzugehen. Für das zur Zeit so populäre
Ost-West-Problem jedoch mag es von lnteresse sein, zu erfahren, daß ich nach diesem Film in Wahrung meines Standpunktes mit der Direktion der DEFA so ernste Differenzen bekommen, daß ich meinen Vertrag löste. Man erwartete von mir zwei Veränderungen, die ich nicht akzeptieren wollte und konnte.
So wurde die angesetzte Premiere mehrmals verschoben, denn immerhin hat die DEFA es nicht unternommen, den Film ohne mein Placet herauszubringen. lch machte daraufhin mit der Realfilm einen Vertrag für,,Schicksal aus zweiter
Hand“, dem der Verleiher dann, ohne mich zu fragen, nachträglich einen Titel gegeben hat, den zu verstehen ich offenbar zu beschränkt bin: ,,Zukunft aus zweiter Hand. „
Während meiner Hamburger Dreharbeit haben dann noch einige  Aussprachen mit der Direktion der DEFA stattgefunden, und es kam zu einer Kompromißlösung und damit zur Uraufführung des Films ,,Rotation“ in Berlin.

„Alles darf sich nicht wiederholen“

In einem bestimmten Sinn ist „Rotation“ ein Kriminalfilm, der einem der Täter Fremdbestimmung zuspricht, ihn somit zugleich zum ‚Opfer der Verhältnisse‘ macht und, mindestens auf einen ersten Blick, anschließend zu einem ‚Helden für die Zukunft‘ präparieren kann. Diese Zukunft: Sie soll jenseits der Filmhandlung wie des eigentlichen Films beginnen.

Dieser Held ist Helmuth Behnke, Hitlerjunge und Denunziant seines Vaters Hans Behnke, welcher, vom kommunistischen Schwager Blank gedrängt, mitgeholfen hatte, antifaschistische Flugblätter zu drucken. Die Denunziation, eine bestimmte Form kriminellen Handelns, hat Folgen für den privaten Bereich: Kurt Blank wird aufgegriffen und getötet, Hans Behnke inhaftiert. In diesen beiden Momenten durchdringen sich endlich die Sphären des Privaten und Politischen, nachdem es zuvor um die geradezu verzweifelte Einhaltung ihrer Trennung gegangen war, dies auch formal: „Es gibt keine Geräusche, die von der Straße hereindringen in die Wohnung der Behnkes. Es gibt keine Film-Musik. (Welche über Szenenwechsel hinweg die Kontinuität des Sinnzusammenhangs ausdrückt.) Langsam beginnen sich die Sphären zu durchdringen. Wie Vampire, die sich nach Sonnenuntergang aus ihrem Sarg erheben, kommen aus der anderen Welt herüber die Agenten von der Gestapo, Parasiten mit hochgestelltem Mantelkragen, die in den Angelegenheiten arbeitender Leute herumschnüffeln. Die Mobilisierung großer Bevölkerungsteile durch das System hat Erfolg, so dass die Trennungslinie beginnt, mitten durch die Familie zu laufen: der Sohn verrät seinen eigenen Vater.“[1]

Der Film zeigt, was unter anderem dem NS-Regime als kriminell galt, weswegen Menschen kriminalisiert, verhaftet, verschleppt, gefoltert, liquidiert worden sind. Und der Film zeigt, dass das eigentlich Kriminelle am nationalsozialistischen System dieses System selber ist: wie es seine Menschen zu Jägern ausbildet, die in Wahrheit Wilderer sind. Ihnen wiederum bezeichnen die Regeln des Systems das als kriminell, was im Film keine Ursache hat: die Existenz als Jude und als Kommunist.

Möglicherweise ist dies eine Schwäche des Films: Die als Nebenfiguren eingeführten späteren Opfer des Regimes, ein älteres jüdisches Ehepaar und der Kommunist, können sich selbst lediglich verbal und gewissermaßen ‚immateriell‘ äußern. Ihr Verhalten ist abgelöst von den Lebensumständen und -erfahrungen, aus denen es resultiert.[2]

„Wir sind Juden“, bedeuten die einen konnotativ, während der andere das Sprachrohr für seine Weltanschauung und Überzeugung ist. Beide wirken wie Fremdkörper, weil sie sich erklären müssen, ihre „Determiniertheit, die Zwangsläufigkeit ihres Handelns nicht bzw. nur verbal aus ihren Lebensumständen heraus entwickelt wird (…)“[3] Das schwächt ihre Position denen gegenüber, die in Bewegung gesetzt werden von ihrer Gesamterfahrung von Realität[4], d.h. konkret von ihrer Stellung innerhalb der gesellschaftlichen Hierarchie. Das betrifft in diesem Falle Vater und Sohn Behnke.
Indes geht es hier nicht um reale ‚Kräfteverhältnisse‘ zur Zeit der Handlung des Films, wohl aber um eine Differenz in der ästhetischen Behandlung von Figuren. Wie sich allerdings noch zeigen wird, unterliegt auch diese nicht zwingend einer Kontinuität, sondern erfährt einen durchaus spektakulären Bruch gegen Ende des Films.

„Rotation“ schlägt einen großen zeitgeschichtlichen Bogen, ohne eine chronikartige Verbindlichkeit dabei zu beanspruchen. Nicht die historische Zeit soll in der Inszenierung gespiegelt, sondern der inszenierte Blick auf die historische Zeit vermittelt werden.

Einmal von einer selektierenden Perspektive auf das Leben einer Arbeiterfamilie, das andere Mal von einer methodischen Perspektive, die ihren Fixpunkt in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs hat.

In zwölf Einstellungen produziert der Film anfangs Bilder über diese Zeit: ängstlich kauernde Leute in Kellern, zerberstende Gebäude, sterbende Menschen, Soldaten zwischen Trümmern, zuletzt ein Mann in einer Gefängniszelle. Dann ein Bildinsert: „Es begann vor 20 Jahren“, das zusammen mit dem nachlassenden Bombenlärm in der Durchblendung zu einer hellen Landschaftsaufnahme die Rückblende einleitet. Bis zu diesem Übergang zur dreizehnten Einstellung ist bereits eine Bilanz dessen gezogen worden, was im Folgenden erzählt wird. Diese Methode ist konventionell, sie schafft aber Distanzierungsmöglichkeiten für den Betrachter, denn sie arbeitet weniger mit der Spannung auf das Folgende im Sinne eines ‚Was‘, als mit dessen Hergang auf der Folie der Bilanz im Sinne eines ‚Wie‘. Dies ist tendenziell ein eher analytisches denn ein chronologisch narratives Verfahren.

1925 – aber der Film macht nur geringe Anstrengungen, durch Wahl der Drehorte und Kostüme das Malerische und Zeittypische der Vergangenheit zu beschwören. So etwa in den Szenen mit Hans Behnke (dem Zelleninsassen aus der Exposition) und Lotte Blank am ländlichen Bahnübergang, auf Wiesen, Feldern und Wegen. Als zunächst nichts weiter bedeutende Bilder von unberührter und offener Natur aus der Zeit vor dem Krieg werden sie, indem sie eine Entsprechung aus der Zeit nach dem Krieg am Ende des Films erhalten werden, einem Bedeutungswandel unterworfen: von der Abbildung zur Metapher. In der Spanne dazwischen liegt die Dunkelheit, die Repression, das Gegenteil von Freiheit. Und eben sie wird am Ende vor dem gleichen hellen Hintergrund eingefordert worden.

Der Film erzählt mit Ellipsen, was Psychologisierung weitgehend vermeidet. Er reiht Szenenblöcke aneinander: Haus Behnkes vergebliche Suche nach Arbeit / die Ankündigung von Nachwuchs in der Familie / die Annahme von Aushilfsarbeit / die Heirat mit Lotte Blank / die Geburt des Sohnes Helmuth. Dazwischen, wie schon in der Exposition, immer wieder Zeitungsschlagzeilen: „4 Millionen Arbeitslose“ usw. Der Rückgriff auf diese publizistische Mitte, befreit von absichtsvoller Erzeugung von Atmosphäre und Zeitkolorit.

Die Hochzeitsfeier (Sequenz 04) findet statt in der Souterrain-Wohnung der Behnkes, einer ehemaligen Dampfwäscherei mit niedrigen Decken, kahlen Wänden, karger Möblierung und schlechter Beleuchtung. Kurt Blank, der kommunistische Schwager von Hans, hält eine Rede. Anfangs noch verbindlich, wird sie bald schon politisch. Ihr thesenartiger Charakter wirkt der Situation übergestülpt, kann durch das ‚Anschauungsmaterial‘ der naßkalten Unterkunft nicht von ihrer Fremdheit gelöst werden. Während der Rede, die zumeist von distanzierten Kamerastandpunkten, verfolgt wird, ein Umschnitt zur Ehefrau, die in der Küchennische dabei ist, Gläser zu polieren. Ein kleines filmisches Element nur, das in einem ‚regelgerechten‘ Sinne gar nicht nötig wäre, würde es nicht dazu beitragen, die „durch das Kunstmachen gewonnenen Elemente des wirklichen Chaos in der alten Weise zusammenzufügen.“ (Brecht) Die Männer reden / Schnitt / Die Frau putzt Gläser. Ein Dokument „nicht der Absicht des Künstlers, sondern der Wirklichkeit, welche die Absicht, sie zu ändern im Künstler erzeugt hat und in dem ‚zum Künstler gemachten Zuschauer‘ (Brecht) erzeugt ( … )“.[5]

Das Verlassen der einen Einstellung und die Hinwendung zur anderen im selben Raum bei Kontinuität des Tons: Was der Zuschauer vergessen hat, darauf macht der Film aufmerksam. Der Prozeß der Montage bleibt nicht verborgen. Die Hochzeitssequenz wird abgeschlossen von einer sich immer mehr distanzierenden Kameraposition, die bis in den dunkelsten Winkel der Wohnung, bis zu einem Mauervorsprung reicht, an den sich ein Holzgitter ohne genauere Funktion anschließt. Das Motiv der Vergitterung, so unbedeutend es hier sein mag, gewinnt an anderen Stellen eine eigene Qualität. Vielleicht am deutlichsten ist das in der Sequenz 06, die eingeleitet wird von Kurt Blank, der seinem Neffen Helmuth ein Geschenk macht: ein Laufgitter, „jene moderne Erfindung, die den Zweck hat, Kindern das Laufenlernen zu erleichtern. Außerdem ist es ein wirksames Mittel gegen allzu großen Freiheitsdrang.“[6] Die Geschenkübergabe wird bei Staudte zum optischen Ereignis: Aus der Bodenperspektive des Kindes senkt sich das Gitter über dessen Kopf und vor das Kameraobjektiv. Es folgen, durch Überblendungen verknüpft, kürzere Einstellungen, die im Verlauf Hans Behnkes Blick durch Gitter thematisieren: auf Familienidylle, reichlich gedeckte Restauranttische, Fabriktore (Tafel: „Keine Einstellungen“) bis hin zur Gefängniszelle, in die er zusammen mit anderen nach Teilnahme an einer Demonstration für einige Stunden verbracht wird.

Die Konzentration des Gittermotivs drängt dem Betrachter bestimmte Aussageintentionen auf, mitunter so deutlich und ‚aggressiv‘, dass nicht viel mehr als Formalismus übrigbleibt. Was auch immer jedoch in einzelnen Szenen[7] beabsichtigt ist, so scheint mir die wesentliche inhaltliche Komponente dabei Staudtes soziale und politische Vorstellung von der Gesellschaft zu sein. Dies wäre die Formulierung von sozialen Grenzen, welche die Gesellschaft durchziehen. Menschen stehen immer wieder nebeneinander und sich fern. Es geht hier tatsächlich um so etwas wie ein sichtbar gemachtes Bild vom Verhältnis zwischen Klassen. Was beispielsweise mit einfacher Kontrastmontage gleichfalls zu verdeutlichen wäre, versucht Staudte durch das Herausinszenieren des Bildwerts einzelner, ‚geschlossener‘ Einstellungen, die er dann häuft. Diese Orientierung an sichtbaren (Alltags)Erscheinungen macht die Sache weniger propagandistisch als sie durch Montage wäre. Wird auf solche Weise vom Trennenden in der Gesellschaft ‚gesprochen‘, oder vielmehr: das Trennende festgestellt in der Kontinuität von Weimarer Republik und NS-Staat, so fällt zugleich aber eine ästhetische Operation als Korrelat dazu auf: der Kameraschwenk und die Kamerafahrt. Beide sind – im Unterschied zur Bildmotivik der Gitter – Momente des Zusammenfügens, des Überwindens von Grenzen, Momente einer filmischen ‚Rede in der Horizontalen‘.

Einige Beispiele:

  • Die erste Einstellung des Films beginnt im Rotationssaal des ‚Völkischen Beobachter‘ während der letzten Tage der NS-Herrschaft.[8] Eine Kamerarückfahrt entlang der Druckmaschine mit Arbeitern, eingehüllt vom Lärm des Druckvorganges. Am Ende der Rotationsmaschine angelangt, mündet die Rückfahrt ohne Schnitt in eine Seitfahrt nach rechts bei gleichzeitigem Nachlassen des Maschinenlärms. Der Blick der Kamera erfaßt nun ängstlich wartende Menschen, Alte vor allem, auch Soldaten. Die herrschende Tonkulisse wird abgelöst vom Lärm niedergehender Bomben, was zur zweiten Einstellung überleitet. In nicht unterbrochener Einstellung werden so verschiedene ‚Welten‘ präsentiert: der Arbeitsalltag der Drucker des größten Propagandablattes im NS-Staat in unmittelbarer Nähe zum Alltag der Bevölkerung, die dem Ende eines Bombenangriffs harrt. Welten, die auch einen möglichen Widerstreit der Interessen repräsentieren – doch ihre greifbare Nachbarschaft macht eine strikte Trennung unmöglich, bringt beide auf einen Nenner: den der Beteiligung am System des Nationalsozialismus. 
  • Die achte Einstellung ist ähnlich gestaltet, legt das Gewicht jedoch auf die Leute selbst, die sich in einem großen, dunklen Raum aufhalten. Die Kamera ‚durchwandert‘ diesen Raum, immer wieder Plakatanschläge streifend wie „Wir kapitulieren nie!“ oder „Schweig!“, und registriert zunächst dessen Funktionen: Er ist gleichzeitig Lazarett für Verwundete, Luftschutzkeller, Radioraum für Nachrichten des OKW wie „Betreuungs- und Verpflegungsstelle“. Allmählich führt ein Kameraschwenk – immer noch ohne Unterbrechung durch einen Schnitt – zu den Menschen und ihren Gesichtern. Sie sind leer. Ein Mann liest in einer Ausgabe der Zeitschrift „Panzerbär“. Eine Frau schminkt ihr Gesicht. Eine andere geht verloren durch den mit Menschen dicht gefüllten Raum, nähert sich der Kamera, sieht aus dem Bild, dreht sich um, läuft erst einige Treppenstufen hoch, dann wieder durch den Raum. 
    Fahrt und Schwenk können hier als inhaltliches Merkmal verstanden werden für die Nähe und Konzentration der verschiedenen Leute in bestimmten Situationen. Ähnliche und identische Erfahrungen und Bedürfnisse (hier: nach Schutz und Hilfe) können Leute zusammenführen, die ’normalerweise‘ getrennt voneinander sein würden. Beispielsweise durch Klassenschranken.
  • Diese visuell und ohne jede Verbalisierung formulierte These findet ihren prägnantesten Ausdruck vielleicht in der zwölften Einstellung, der letzten der Exposition. Der Großaufnahme des Gesichts des Zelleninsassen Hans Behnke folgt der Umschnitt auf einen langsamen Kameraschwenk über die Zellenwand, auf welche er starrt. „In die Wand eingekratzte Inschriften erzählen von Leiden, Hoffnungen, Schicksalen und Erinnerungen früherer Zelleninsassen.“[9] Der Schwenk erfaßt aber auch Worte wie „Hingerichtet am…“. Keiner weiß, wer diese Menschen waren, welchen Klassen zugehörig. Der Tod macht sie gleich, der Schwenk vollzieht nach, dass Leid keine Klassenschranken kennt.

Gegeneinander stehen so das Bildmotiv der Gitter und die ästhetische Operation von Fahrt und Schwenk. Problematisch ist hier beides. Jenes gelangt selten hinaus über den Symbolwert zu konkreter Konfrontation. Diese verliert sich bald in generalisierenden Aussagen ‚allzumenschlichen‘ Charakters.

Die Rückblende, eingeleitet durch Überblendung von der Zellenwand auf die Landschaft ‚im Jahre 1925‘, endet mit der Denunziation des Vaters durch den Sohn. Auf die Großaufnahme von Helmuth folgt, um die narrative Klammer zu schließen, wieder eine langsame Überblendung auf die Zellenwand. Gesagt wurde eingangs, Helmuth sei der Held des Films. Weshalb? Er wird geboren, wird erzogen, wird fanatischer Hitlerjunge. Er meldet seine Entdeckung eines vom Vater für dessen Schwager gedruckten Flugblattes („Schluß mit dem Wahnsinn des Hitlerkrieges!“), denunziert den eigenen Vater, weil der – nach der Nachricht von der Ermordung des Schwagers im KZ Oranienburg – das Hitlerbild an der Stubenwand zertrümmert. Peter Nau: „In der HJ-Stunde schauen die Hitlerjungen gläubig zu ihrem Bannführer auf. ‚Warum sind wir Deutsche den anderen Völkern überlegen?‘ Hitlerjunge: ‚Weil wir eine Herrenrasse sind.‘ Die Leichtigkeit, mit welcher diese Jugendlichen sich in ihrer Vorstellung von der Wirklichkeit bewegen, erinnert an das Verhalten der Priester, die zu jeder Situation ein Bibelzitat parat haben. An einen Priester, der sein Amt verleugnet und die Soutane ablegt, gemahnt dieser Bannführer, wenn er, beim Herannahen des Feindes, seine Uniform mit Zivilkleidung vertauscht.
Das idealistische Bild des jungen Behnke von ihm zerfällt in Stücke, wie die Häuserwände ringsum unter den Granaten.“[10]

Es ist, darauf wurde bereits hingewiesen, die Gesamterfahrung von Realität, welche die Figur des Sohnes – genau wie die des Vaters – in Bewegung setzt. Der großen Selbstverständlichkeit, mit der diese – ohne verbale Erklärungen und also auch ohne Bruch – als realistische Komponente den Film durchzieht und ihm Glaubwürdigkeit und Stimmung verleiht[11], eignet genau jenes Moment an Fremdbestimmtheit durch das soziale System, welches eine spätere Entlastung dieses kriminell Vorbelasteten erleichtert. Der junge Behnke erscheint in hohem Maße als ein ‚Opfer der Verhältnisse‘. Nur Spurenelemente von Zweifel und Bewußtheit am eigenen Verhalten lassen sich finden in der Großaufnahme seines Gesichts, wenn er den Vater verrät. Er sieht nach unten, sagt auch jetzt kein Wort. Man meint, eine Spur von Scham bemerkt zu haben. Ein Bruch innerhalb der Persönlichkeit – und damit in der ästhetischen Behandlung der Figur – läßt sich darin allerdings noch nicht erkennen. Auch die weitere Schilderung liegt konsequent im Rahmen der Figur: Helmuth ist erschüttert, als sein Begleiter, der HJ-Bannführer, bei Kriegsende problemlos in Zivilkleidung schlüpft, und er starrt wie abwesend ins Nichts, als er zusammen mit Tausenden von anderen im Gefangenenzug marschiert.

Der Film beginnt die Figur des Sohnes erst dann kräftig zu biegen, als dieser, aufgemuntert durch Inge, die Schwester eines Freundes, bei dem er nach der Gefangenschaft untergekommen ist, an der Wohnungstür des Vaters erscheint.[12] Die Begegnung zwischen Vater und Sohn (Sequenz 21), somit auch zwischen Opfer und Täter, ist geprägt von Versöhnlichkeit. Besonders der Vater strebt danach, seinen Sohn wiederzugewinnen. Nicht er fühlt sich aufgefordert zu verzeihen, sondern er meint: „Ach, Junge … verzeihen müßt ihr.“[13] Er sucht für ihn zivile Kleidung hervor[14] und meint:

„Ja, jetzt beginnt das Leben für Dich. Das Leben kann sehr schön sein, Helmuth, sehr schön. Ich habe lange darüber nachgedacht – Zeit hatte ich ja genug. In meiner Zelle – da standen Namen an den Wänden. Erst waren es nur Namen, dann wurden es Schicksale – Leidensgefährten – Menschen wie du und ich aus der großen Familie aller Völker – Franzosen, Polen, Russen, Italiener, Holländer. Sie haben alle gelitten, unvorstellbare Qualen erduldet – sind gestorben, nur weil sie nicht schuldig sein wollten – nicht vor einem irdischen Richter oder vor einem himmlischen, sondern nicht schuldig vor der kommenden Generation. Wenn man sein Amt niederlegt, hat man Rechenschaft zu geben dem, der es übernehmen soll. Siehst Du, Helmuth, einmal denen, die nach uns kommen, eine Welt zu hinterlassen, die frei ist von Gefahr und Not – ich glaube, darauf kommt es an. Verstehst du das?“
Helmuth: „Ich weiß es, Vater.“[15]

Die Figur des Sohnes beginnt hier, sich abzuheben vom konkreten Realitätsbezug und nur noch schablonenhaft zu werden. Dem Bruch in ihrer ästhetischen Behandlung ist im Kontext des gesamten Films jedoch keinerlei Glauben zu schenken. Die Leichtigkeit, mit der die Figur vorher der alten Ordnung folgte, macht diejenige, mit der sie nun den neuen Verhältnissen folgen wird, suspekt. Wiewohl sicher intendiert als pädagogisches Moment, erreicht der Film hier das Gegenteil: Er verrät die Aufgesetztheit der Übernahme des neuen Denkens in der Person Helmuths, welche eine dem Zuschauer bekannte Vergangenheit, doch eine unbekannte Zukunft besitzt.

Als Option auf eine Zukunft ohne „Gefahr und Not“ und in der Freiheit, die bislang abwesend war, ist auch der Schluß des Films angelegt. Nach Helmuths letzten Worten („Ich weiß es, Vater“) Durchblendung auf eine helle Landschaftsaufnahme mit Bahnschranke, ganz ähnlich dem Beginn der Rückblende 1925. Wieder treffen sich zwei junge Menschen, diesmal Helmuth und Inge (Sequenz 22). Er erzählt, wie seine Eltern sich damals an derselben Stelle getroffen haben. Die Szene ist auf den ersten Blick nicht mehr als die Anknüpfung an eine Erinnerung, die bereits selbst einmal filmisch motiviert worden war – in der Erinnerung Hans Behnkes nämlich. Das macht die Szene schwach. Kaum mehr als eine Reminiszenz wird so aus ihr. Sie ist vor allem sentimental, denn ihr deutlicher Zeigegestus: einen neuen Anfang zu machen, der wird geschluckt von der Erinnerung des Betrachters, dass es doch nur wieder der alte Anfang ist.

Nicht zuletzt offenbart das Primat des Bildes vor dem Wort sich in der allerletzten Einstellung, der dieser Dialog vorausgeht: Inge: „Siehst du Helmuth, es wiederholt sich eben alles im Lehen.“ Helmuth: „Alles? Nein, alles darf sich nicht wiederholen.“ Im Anschluß daran eine Totale, die eine Weggabelung zeigt. Die Eltern haben damals, in Hans Behnkes Erinnerung, den rechten Weg eingeschlagen. Die jungen Leute nehmen jetzt den linken.

“Alles darf sich nicht wiederholen“: Verbale und visuelle Botschaft scheinen zusammen überdeutlich zu wirken. Doch dürfte gerade die marginale Änderung der visuellen Information ein Nebenaspekt sein, der lediglich dem Wunsche des Autors, jedenfalls seiner Phantasie entspringt. Filmisch real scheint hier eher die generelle Wiederholung der Geschichte gegeben, die verbal formulierte Hoffnung auf ihre Nicht-Wiederholbarkeit somit schon aufgegeben. Man könnte es so sehen: Dokumentiert wird gerade nicht mehr das Beabsichtigte, sondern das Unbeabsichtigte – vermutlich das Reale: Insofern möglicherweise ein fatalistisches Ende.

Möglich ist es allerdings auch, folgendermaßen darüber zu reden: Interviewer: „Wie steht es eigentlich mit der letzten Szene von „Rotation“, in der sich der Anfang noch einmal wiederholt, diese Gabelung, an der die Protagonisten, die jungen Leute schließlich einen anderen Weg einschlagen als ihre Eltern zu Beginn, ist das auch eine ursprüngliche Konzeption von Ihnen?“
Staudte: „Sicher, ja. Aber da ist mir dann so was mit links ausgelegt worden, dabei war das doch reiner Zufall!“
Interviewer: „War es wirklich Zufall? Ursprünglich sind sie den rechten Weg gegangen, aber die jungen Leute am Ende des Films gehen links!“
Staudte: „Sie gehen einen anderen Weg, aber letztlich lag es am Gelände. Eigentlich war es nicht so gemeint, aber ich habe nichts dagegen, dass es so ausgelegt wurde!“
Interviewer: „Unbewußt mag es vielleicht doch so gewesen sein?“[16]

Autorengruppe Nachkriegsspielfilme 1992/93


[1] Peter Nau: Rotation, Filmkritik Nr.10/1975, 459.
[2] Vgl. ebd., 458.
[3] Peter Nau: Über Dramatik im Spielfilm, b) L’assedio dell’Alcazar, Filmkritik Nr.10/1974, 455; Hervorhebung im Original.
[4] Ein markantes Beispiel für eine solche Gesamterfahrung von Realität ist in diesem Film die Konfrontation der Behnkes mit dem Erlebnis des Abtransportes des jüdischen Nachbar-Ehepaares Salomon. Daraus resultiert ein Teil der Entwicklung ihres Handelns, was im Gesamtkontext des Films klar wird.
[5] Nau: Rotation, 459, der einige andere Beispiele für die ‚Reproduktion‘ des ‚wirklichen Chaos‘ durch die filmische Montage in „Rotation“ gibt.
[6] Filmtext „Rotation“, Filmstudio Nr.49 vom 1.April 1966, 59; wobei interessant ist, dass ausgerechnet der Kommunist Kurt Blank dieses besondere Gitter installiert.
[7] Wie übrigens auch in Staudtes Film „Die Mörder sind unter uns“.
[8] Nach Filmtext „Rotation“, 47.
[9] Ebd., 50.
[10] Nau: Rotation, 459.
[11] Erscheint es als übertrieben, darüber nachzudenken, inwieweit es Absicht gewesen sein mag, Helmuths Lebensweg, welcher im Nationalsozialismus auf so kriminelle Weise eine Erfüllung findet, einzuleiten von einem Kommunisten, der das Kind in ein Gitter sperrt?
[12] „Eines der unzähligen Opfer dieses Wahnsinns ist Lotte Behnke. Sie liegt getroffen am Straßenrand – wie so viele,“ heißt es im Filmtext „Rotation“, 60. Ob Helmuth zur Mutter ebenso zurückgekehrt wäre wie zum Vater?
[13] Filmtext „Rotation“, 63.
[14] Die mir vorliegende Fassung des Films zeigt anschließend eine Überblendung auf Helmuths Uniform, die auf einer Couch liegt. In einer anderen Fassung, die in die westlichen Zonen gelangte, soll der Vater zunächst sagen: „Und das ist die letzte Uniform in deinem Leben“, um sie anschließend den Flammen des Herdfeuers zu übergeben (Vgl. Der Spiegel vom 22.9.1949). Der Filmtext „Rotation“ enthält diese Einstellung ebenfalls (als Einstellung 495 A, Seite 64). Wolfgang Staudte dagegen spricht von einer „ersten Fassung des Films“ einschließlich der fraglichen Szene, gibt aber keinen Hinweis darauf, dass diese neben der geänderten und endgültigen weiterhin existierte und in Umlauf gelangte (Vgl. Wolfgang Staudte zu seinem Film, in: „Die Mörder sind unter uns“ – „Ehe im Schatten“ – „Die Buntkarierten“ – „Rotation“. Filmerzählungen, hg. v. Ellen Blauert, Berlin/DDR 1969, 10-75, hier zitiert nach Begleitblatt F 23 zur Filmreihe „Film und Gesellschaft in der DDR“, hg. v. Metropolis-Kino und Cinegraph, Hamburg 1988).
[15] Filmtext „Rotation“, 63/64.
[16] Ulrich Gregor/Heinz Ungureit: Interview mit Wolfgang Staudte, in: Wie sie filmen. Fünfzehn Gespräche mit Regisseuren der Gegenwart. Herausgegeben und eingeleitet von Ulrich Gregor, Gütersloh 1966, 42.

Mit Sauberkeit der Gesinnung. „Rotation“ in Babylon und in der Kastanienallee.

In zwei Kinos gleichzeitig wurde der Wolfgang Staudte-Film „Rotation“ uraufgeführt: im Babylon, und in der Kastanienallee, wo die Defa als eigenes Theater das Haus übernommen hat, in dem früher die Volksbühne spielte. Die Eröffnungsvorstellung, durch eine Rede des Defa-Direktors Sepp Schwab eingeleitet, fand vor einem Parkett von Arbeitern, Künstlern und Schriftstellern statt, zu, denen aus Dänemark Martin Andersen Nexö gekommen war.
Wolfgang Staudte, der Regisseur des inzwischen auch im Ausland berühmt gewordenen Films „Die Mörder sind unter uns“, der als erste große Filmpremiere nach 1945 in der Staatsoper uraufgeführt wurde, hat sich auch in diesem Film ernsthaft mit der Zeit, in diesem Fall mit den letzten zwanzig Jahren auseinandergesetzt. Es ist ein Film über Jahrzehnte hinweg, wie „Die Buntkarierten“, ein Arbeiterschicksal. An der Rotationsmaschine in der Zeitungsdruckerei steht Hans Behnke. Dreht sich auch die Entwicklung der Menschheit immer auf derselben Stelle? Ist alles nur eine Wiederholung des Gleichen? Dagegen muß sich der Mensch wehren.
Aber sehen wir von dieser etwas billigen Symbolik ab. Wenden wir uns den Realitäten zu, die der Film zeigt. Stimmen sie? Nicht immer, denn die Jahre vor 1933, die Jahre der Arbeitslosigkeit sind ungenau dargestellt, sind romantisiert und sentimentalisiert. Es fehlt die klare verzahnte, zwingende Story, die Geschichte, die Fabel, die für die Zeit steht, es sind Momentbilder, und diese ohne Härte und Kraft. Es werden Folgen, aber nicht Ursachen gezeigt.
Trotzdem gehört Wolfgang Staudte zu unseren besten Filmregisseuren. Wohltuend auch hier der Ernst seiner Arbeit und die Zugehörigkeit zum Stoff und zum Thema, die Sauberkeit der Gesinnung. Staudte arbeitet nicht, wie viele andere, ein übliches Handlungsschema auf Zeit und Gegenwart um. Eher Ist das Gegenteil der Fall. Er sieht Menschen und Konflikte der Zeit und setzt sie nicht klar auf den Grund einer überzeugenden Handlung. Einzelne Bilder sind besonders in der rücksichtslosen Darstellung der Nazizeit außerordentlich. Es gibt eine aufwühlende Szene: ein SD-Chef schaltet beim Verhör das Radio ein. Beethoven wird gespielt. Er sagt ergriffen: „Fünfte Symphonie!“ und dabei geht das Verhör mit allen seinen Gemeinheiten weiter, und der Sohn verrät den eigenen Vater.
Der Wert des Films, der für den Frieden nach innen und den Frieden nach außen arbeitet, liegt noch anderswo. Wolfgang Staudte versucht hier die schauspielerische Tradition, die vor 1933 die „Gruppe junger Schauspieler“, Wangenheims „Truppe 1931″ und die „Junge Volksbühne“ begannen, für den Film fortzusetzen: Damals gab es Schauspieler, denen man einen Arbeiter nicht nur in einer menschlichen Situation glaubte, sondern auch in seiner Handhabung und im ganzen Umkreis seiner Tätigkeit. Reinhold Bernd kommt aus dieser Welt. Hier hat er in der Rolle des sozialistischen Arbeiters und Illegalen Kurt Blank wieder seinen glaubwürdigen Ton gefunden. „Rotation“ Ist einer der wenigen Filme, in denen kein Schauspielergesicht beleidigt, und neue Gesichter Typen prägen konnten. In Nazirollen eindringlich Theodor Vogeler, Werner Peters und Walter Tarrach. Paul Esser, der aus Düsseldorf ans Deutsche Theater kam, fügt sich in seiner ersten Filmrolle gut in die Wirklichkeit. Er gibt den Arbeiter Hans Behnke, einen anständigen Kerl, der aber in der Nazizeit aus Sorge für seine Familie schwach wird und sich später wieder findet. Esser hat Kraft, Ernst und Humor, trägt nicht theatralisch auf und ist für den Film ein Gewinn. Auf eins muß hingewiesen werden: wenn Esser im Zuge mit vielen Arbeitern geht, wenn er sich In Ensembleauftritten bewegt, bleibt sein Gang betont. Er hebt sich ab, darf es aber nicht. Er muß selbstverständlich und unbetont unter der Menge gehen. Das sind nicht Kleinigkeiten. Wer erst kürzlich in dem Film „Eine große Liebe“ erlebt hat, daß eine ungewöhnlich begabte Schauspielerin wie Elisabeth Flickenschildt sich an falsche und pathetische Theatertöne gewöhnt hat, seitdem wir sie in Berlin nicht gesehen haben, der muß darauf achten, daß der Film ein Hüter und Bewahrer der echten Begabungen bleibt. Man muß fast pedantisch aufpassen, wo gerade bei den Erfolgsrollen die Stellen sind, die zu Unarten werden und das Talent selbst gefährden können.
So wachsam müssen wir die Dramaturgie, so wachsam die Schauspielkunst des Films beobachten. „Rotation“ gehört zu den wichtigsten Filmversuchen der deutschen Nachkriegszeit. Gerade deshalb müssen wir auf fundierte Drehbücher und eine immer motivierte Schauspielkunst dringen. Der Erfolg war groß. […]

Herbert Ihering: Mit Sauberkeit der Gesinnung. „Rotation“ in Babylon und in der Kastanienallee. In: Berliner Zeitung, 18.09.1949

Rotation:

„Rotation“ ist ein großartiger Titel. Er umreißt alles, was dieser Film sagen will: die ungeheuerliche Walze der Maschine des Bösen, die mit immer schneller, immer rasender werdender Umdrehung ein Volk zermalmte — zum anderen die Rotationsmaschine, die millionenfach Lüge, Haß und Gift auf bedrucktem Papier ausspie.
Es war ein ausgezeichneter Gedanke von Wolfgang Staudte, die Symbolik dieser Idee in dem Einzelschicksal der Familie eines Berliner Setzers aufzuzeigen, das Große am Kleinen erklären zu wollen. Die Volksausgabe einer Geschichte des kleinen Mannes von 1933-45. Arbeitslosigkeit, Not, Sorge, trügerischer Aufstieg, tönernes Glück, falsche Hoffnungen, Angst, immer stärker werdender Druck, Ohnmacht, Terror, Entsetzen, Katastrophe. Bis dahin bleibt der Film ein Dokument der Wahrhaftigkeit, einfach und nüchtern, von leidenschaftsloser, harter Sachlichkeit. Wenn er aber Tatsachen berichten will, so hätte er bis zur letzten Konsequenz gehen und nicht nur zuletzt das ganze Chaos der „Befreiung“ zeigen müssen, sondern auch die bitterste Wahrheit, daß ein System nur vernichtet wurde, um mit der gleichen grausamen Unerbittlichkeit unter anderem Vorzeichen wieder aufgerichtet zu werden. Solange die KZs geblieben sind, ist es müßig, Filme zu drehen wie diesen, dessen Schluß der Wahrheit ins Gesicht schlägt und im übrigen nur die platteste DEFA-Apotheose mit der üblichen optimistischen Einheitssauce darstellt. Dieser Schluß hebt den ganzen Film auf, wir stehen wieder am bitteren, traurigen Anfang. Es heißt, daß es zwei Fassungen des Films gibt, eine „östliche“ und eine „westliche“. Allein das ist bezeichnend. Wir sahen die östliche, und das genügt. Es heißt, daß sich Wolfgang Staudte nicht mehr mit seinem Werk identifiziert, das man ihm aus den Hände nahm, und dessen Schnitt er nicht mehr kontrollieren konnte. So bleibt lediglich festzustellen, daß seine Begabung für reportageartige, wirklichkeitsnahe Bildhaftigkeit, für die scharfe Setzung der dramatischen Akzente auch hier spürbar ist. Die Anonymität bisher unbekannter Darsteller erhöht die realistische Wirkung. Der Setzer Hans Behnke von Paul Esser steht in seiner biederen Einfalt und schlichten Gradlinigkeit für die Millionen kleiner Männer. Allerdings beschränkt sich der Film mehr auf das Familienleben als auf das Berufsleben des Setzers.
[…] Die Fotografie (Bruno Mondi) bleibt der Wirklichkeit auf den Fersen, die Bauten (Willi Schiller) vollenden den absoluten Naturalismus, der seinen Höhepunkt in den grausigen Untergrundbahnszenen erreicht. Dem Publikum bleibt nichts erspart, weder die schreckliche Erinnerung noch die erneute Lüge. Und beides zusammen ist zu viel.Rotation.

In: Der Neue Film, Nr. 27, 01.09.1949

Bild 117 für den Westen

„Die Frau muß raus, die Frau hat das erlebt“, sagte eine Russin. Frau Bongers, ehemals die Nachwuchs-Pflegerin der UFA, war bei den letzten Szenen des Wolfgang Staudte-Films „Rotation“ ohnmächtig geworden. Angestellte des Babylon-Kinos trugen sie hinaus.

„Ich mag keinen Film, bei dem man ‚Au‘ schreit“, sagte Frau Bongers, als sie sich erholt hatte.

Dabei waren die Bilder, die das Publikum so anstrengte, durchaus nicht dokumentarisch. Aber die Szenen sind packender, als sie der authentische Dokumentarfilm zeigen könnte.

Wolfgang Staudte läßt im S-Bahn-Tunnel am Potsdamer Platz kurz vor der Kapitulation schreiende Menschenmassen ertrinken. Die SS hat gesprengt.

Man hatte in zwei Atelierhallen tiefe Bassins ausgeschachtet. 300 m3 Wasser wurden mit einer Flutwelle in den künstlichen S-Bahnhof hineingepumpt. Die Unterwasser-Aufnahmen ließen mit ihrer Grausamkeit nicht nur die Frauen wegsehen.

Immerhin enthält der Film 200 m echte Aufnahmen vom Kampf um Berlin. Deutsche Kriegsberichter haben das Material geliefert

Echt, wenn auch nicht dokumentarisch, gibt Staudte, der Regisseur und Autor, die Lebensumstände eines Berliner Arbeiters wieder. Um 1930 geht Hans Behnke stempeln, nach 1933 hat er Arbeit als Mechaniker, aber er kauft kein Führerbild.

Später tritt er doch in die Partei ein, wird Rotationsmeister beim „Völkischen Beobachter“. 1943 kommt er zur Widerstandsbewegung. Im Moabiter Gefängnis enwartet er das Ende des Krieges. Sein Sohn, der Hitlerjunge, hat ihn verraten.

Neu für den Film sind die Hauptdarsteller: Paul Esser, jetzt in Berlin am Deutschen Theater, als Behnke und Irene Korb aus Dresden als seine Frau. Der natürliche Redewitz in den Dialogen und die anspruchsvolle Kamera Bruno Mondis helfen ihnen.

Wolfgang Staudte kam nicht wie die Schauspieler zur Premiere. Er blieb in Westdeutschland.

Er soll sich, der „Rotation“ wegen, mit der Defa und den Herren von der russischen Zensur zerstritten haben.

Die Premiere von „Rotation“, mit 53 Mio. DM der teuerste Nachkriegsfilm, war zuerst für den 4. Mai angekündigt. Riesige Plakate hingen schon auf allen U-Bahnhöfen. Die Russen aber waren noch unzufrieden.

Sie ließen Aufnahmen vom Reichsparteitag herausschneiden. Die deutschen Zuschauer seien noch zu anfällig. Auch die Szene 117 paßte nicht in die volkspolizeiliche SMA-Linie.

„Und das ist die letzte Uniform in Deinem Leben“, sagt da der alte Behnke und wirft die Lanzerklamotten seines heimgekehrten Sohnes in die Flammen des Herdfeuers. „Wenn die Szene fällt, fällt auch mein Name als Regisseurautor“, hatte sich damals Wolfgang Staudte stark gemacht. Auch Erich Engel drohte mit dem Rücktritt.

Defa-Direktor Andrijewski reiste ostwärts. Die Entscheidung war ein Kompromiß: Für den Westen bleibt die Originalfassung mit Bild 117 und der Uniformverbrennung. Für den Osten gilt-die Fassung ohne die Szene in Behnkes Küche.

Der Spiegel, 22.09.49

Mitläuferproblematik im Film. Bemerkungen zu dem DEFA-Streifen „Rotation“.
Was Mittwoch nacht in einer Pressevorführung („Urania“, Hamburg) mit allzuviel Vorschußlorbeeren angekündigt wurde – als ob die eingeladenen Journalisten und Filmfachleute sich nicht selbst ein Urteil bilden könnten – ist ein Film, der nicht etwa, wie sein Titel vermuten lassen könnte, die Zeitung zum Thema hat. Er ist nämlich, wie schon so viele Filmtitel vor ihm, höchst symbolischer Natur und meint die „Lügenpresse“ im Dienst des Nationalsozialismus, die damalige Propaganda überhaupt, die den kleinen Mann, das Volk erst reif gemacht haben. Der Held der Fabel ist schließlich auch ein Symbol: Rotationsmeister im „Völkischen Beobachter“, steht er als kleiner Mann für alle seiner Art: ein hochanständiger Mensch, ein ganzer Kerl und deshalb – für den Kommunismus wie vorherbestimmt; denn dieser, der Kommunismus, wird hier als das antinazistische Element schlechthin dargestellt, von irgendwelchen bourgeoisen Demokraten erfährt man nichts. Der Mann konnte, wie es den kleinen Leuten damals so erging, nicht umhin, Pg zu werden, wenn er seine Stellung nicht verlieren wollte.
Und damit wird jener Punkt im Film erreicht, an dem sich der Pferdefuß der politischen Tendenz bemerkbar zu machen beginnt; hier setzt die Problematik dieses Films ein, der sich bislang als ein künstlerisches Dokument zu geben versprach. Er ist jedoch nicht, was er, zumindest in erster Linie sein sollte, ein absichtsloses Kunstwerk, wenngleich er zum Teil von starker Intensität der schauspielerischen Leistung und mit tiefem Sinn für die Effekte eines erbarmungslosen Realismus photographiert ist. Vielmehr ist er in erster Linie ein politisches Tendenzwerk; die Kunst nimmt hier den Rang ein, der ihr bisher noch in jeder Diktatur zugewiesen wurde: der politischen Propaganda zu dienen.
Rechtfertigte Harlans „Jud Süß“ künstlerisch das nazistische Verbrechen gegen die Menschlichkeit, so bucht „Rotation“ dieses Verbrechen zu Lasten des Nazismus. Der Nazismus und seine Untaten sind historische Fakten geworden, und der Film hätte lediglich diese mit seinen künstlerischen Mitteln heraufbeschwören und als Realitäten moralisch-menschlich von sich aus wirken lassen sollen, weil die Erschütterung durch das Werk nur künstlerisch stichhaltig ist, wenn sie im Menschlichen liegt. Das hat denn auch die Photographie mit gutem Erfolg besorgt, während in der Fabel der erwähnte Pferdefuß steckt: der zu rehabilitierende kleine Pg, seinen menschlichen Qualitäten nach eigentlich Kommunist und nach anfänglichem Zögern auch zur Hilfeleistung für eine kommunistische Untergrundbewegung bereit, kann nunmehr, wie der Film es im Grunde demonstriert, unbeschadet des verzeihlichen Fehltritts von einst in die mütterlichen Arme der SED sinken.
Das ist die hintergründige, unausgesprochene Tendenz des Films, und mit ihr geht ein politisches Moment in das künstlerische über: dieser Mann, eine Seele von Mensch und eingeschworener Feind der Nazis, wird ohne seelische Konflikte ein braver „Mitläufer“, der sich freilich sein Teil denkt, aber um Weibes und Kindes willen Augen und Ohren verschließt. Es geht umgekehrt auch für den Familienvater ohne inneren Konflikt ab, sich für die illegale Sache überreden zu lassen, die die kommunistische ist. Und dann, was künstlerisch am schwächsten ist: der Konflikt, den es bedeutet, nach Kriegsende den Sohn, der den Vater ans Messer der Nazis geliefert hat, in die Arme zu schließen, wird umgangen zugunsten eines mageren Happy-Ends: der Vater lebt dennoch, und auch dem Verräter ist heute verziehen. Dieser Schluß ist künstlerisch schwach. Hier merkt man die verstimmende Absicht am deutlichsten, und es ist klar, daß der Film um jener Tendenz willen die sowjetrussische wie die sowjetdeutsche Zensur hat passieren dürfen. Dafür hat man die ebenfalls aus dem Film sprechende Parallele zwischen dem nazistischen Gestern und dem kommunistischen Heute in Kauf genommen; die Sätze über die Zukunft, die die Vergangenheit nicht wiederholen dürfe, klingen wie eine Parodie angesichts der Tatsache, daß die Erben jener Widerstandsleute, deren tragisches Schicksal der Film sich angelegen sein läßt, längst für die gespenstische Wiederkehr jener Vergangenheit gesorgt haben.

Karl Andreas Eppenhagen: Mitläuferproblematik im Film. Bemerkungen zu dem DEFA-Streifen „Rotation“. In: Die Welt, 25.05.1950

Zeitdokument ohne Knüppeltendenz

In der Brücke wird heute um 18.30 Uhr für die Mitglieder des Essener Filmklubs der Defa-Film „Rotation“ gezeigt. Die Aufgabe, die sich der Filmclub gestellt hat, ist bekannt. Es geht ihm nicht um die Vorführung bekannter Filme schlechthin. Er will vielmehr avantgardistische Filme oder Filme, die sonst in den Lichtspieltheatern nicht zu sehen sind, seinen Mitgliedern bieten, um die Diskussion im Filmgeschehen anzuregen. Mit dem Film „Rotation“ hat er zweifellos wieder einen guten Griff getan. Es ist ein Zeitdokument, das Wolfgang Staudte inszenierte. Dieser Regisseur ist vielen bereits bekannt durch den Film „Die Mörder sind unter uns“.

Wir sagten: Der Film ist ein Zeitdokument. Das mag manchen vielleicht im Augenblick abschrecken, denn Zeitdokumente – wir wissen es nur zu genau – sind nicht selten tendenziös. Tendenziöse Filme – und dafür gibt es Beispiele genug – hinterlassen gar zu oft einen bitteren Nachgeschmack, weil ihre Tendenz eben zu dick aufgetragen wurde. „Man merkt die Absicht und ist verstimmt“, sagt man in solchen Fällen. Doch dieses Attribut wird man diesem Film nicht geben. Das ist wohl auch der Grund, daß er in der Ostzone nicht gezeigt werden kann, obwohl er in der Ostzone gedreht wurde. Die dortigen Machthaber hätten gern mehr Farbe, d.h. in diesem Falle dicker aufgetragene Tendenz gesehen. Damit ist dem Film bereits ein ernstliches Lob gespendet, das er verdient: Ein Zeitdokument zu sein, das kaum Widerspruch finden dürfte.

Worum es geht? Wenn die Kamera aufblendet, erleben wir die letzten Tage des Kampfes um Berlin. Doch dann dreht die Kamera20 Jahre zurück und läßt in präziser Kürze den Weg erkennen, der zu diesem Vernichtungskampf führte. Mit sparsamen Mitteln, aber sehr gekonnt, hat Wolfgang Staudte das gestaltet. Es läßt sich vielleicht einiges gegen den Dialog sagen. Man könnte sich ihn geschliffener denken. Doch sagt er das Wesentliche. Vor allem tragen dazu die Darsteller bei. Es sind keine in der Westzone bekannten Stars. Ihre Namen nennt kein Vorspann. Aber alle sind Könner. Einprägsam, wie man es seiten erlebt, sind ihre Gesichter. Natürlich ist ihr Spiel. Man wird es nicht so schnell vergessen. […] Der Höhepunkt: Das grausame Spiel zwischen Vater und Sohn! Auf der einen Seite die echte, auf der anderen Seite die vermeintliche, durch falsche Erziehung eingeimpfte Pflicht. Sie führt zur Qual, aber zum Glück nicht zur endgültigen Katastrophe. Mit sparsamen Mitteln ist das ausgezeichnet. Man soll darum nicht immer sagen, daß nur Geld einen guten Film gestalten kann.

Wir wollen uns ersparen, eine genaue Inhaltsangabe zugeben, denn der Film soll heute seine Besucher unmittelbar ansprechen und sie zur Diskussion anregen.

Filmklub stellt zur Diskussion: „Rotation“ – Zeitdokument ohne Knüppeltendenz. In: Essener Tageblatt, 10.10.1950.

Wolfgang Staudtes „Rotation“:

„Rotation“ ist eines der künstlerisch interessanten Werke der frühen Defa-Produktion, die sich damals noch bemühte, hin und wieder frei von Tendenzen zu arbeiten oder wenigstens diesen Eindruck zu erwecken. Da ertönen noch keine Propaganda-Phrasen von der „Befreiung“ durch die Russen, keine SED-Fanfaren, keine FDJ-Gesänge. Es Ist ein anti-nazistischer Film, wie er ähnlich auch im Westen hätte gedreht werden können. Er schildert des Schicksal eines anständigen und unpolitischen Mannes: Arbeitslosigkeit in den zwanziger Jahren, wirtschaftlicher Aufstieg im Dritten Reich, halb widerwillig Eintritt in die Partei, später, wiederum halb widerwillig, Mitarbeit an geheimen Flugblättern, Verrat durch den eigenen Sohn, einem ehrlich hitlergläubigen Buben, Verhöre, Haft. Nach dem Kriegsende Heimkehr des irregeführten Sohnes und versöhnlicher Ausklang. Wolfgang Staudtes optische Gestaltung brilliert mit kühnem und dennoch maßvollem Avantgardismus: Großaufnahmen, Überblendungen, Montagen, rhythmische Rasanz und gleichwohl souveräne epische Ruhe. Nur wenige deutsche Nachkriegsfilme haben die Kraft und die Klarheit dieses erstaunlichen Werkes erreicht.

Wolfgang Staudtes „Rotation“. In: Süddeutsche Zeitung, München, 11.09.1953.

Ein interessanter Briefwechsel:

Diskussion um den DEFA-Film „Rotation“ im Fernsehprogramm:
Um den am 13.Mai im Abendprogramm des Deutschen Fernsehens gesendeten Spielfilm der sowjetzonalen DEFA „Rotation“ ist in der Öffentlichkeit stark diskutiert worden. Nachstehend veröffentlichen wir den Briefwechsel zwischen dem Mitglied des bayerischen Rundfunkrats, dem BHE-Landtagsabgeordneten Dr. Walter Becher, und dem Fernsehdirektor des Bayerischen Rundfunks, Dr. Clemens Münster vom 14. bzw. 28 Mai 1958:

„Ich halte es für geradezu irrsinnig…“

Sehr geehrter Herr Direktor
Im gestrigen Abendprogramm des Deutschen Fernsehens mußte ich zu meinem Erstaunen feststellen, daß man Veranlassung nahm, den ausgewachsenen DEFA-Film „Rotation“ dem deutschen Publikum ohne Kommentar vorzuführen. Der Film schildert den Werdegang einer arbeitslosen Familie aus dem Blickpunkt der kommunistischen Klassenkampf-Tendenz und schildert die Entwicklung bis zum Zusammenbruch Berlins in der üblichen östlichen Diktion. Abgesehen davon, daß die Rote Armee zuletzt als Retter aus der Not auftritt, erblicke ich die besondere Gefahr dieses Filmerzeugnisses darin, daß es in starker Schwarz-Weiß-Färbung genau dieselben Verbrechen und politischen Fehler der Nationalsozialisten anprangert, die es z. Zt. und zur Stunde nicht nur in der Sowjetzone, sondern im Ganzen kommunistischen Machtbereich begeht. Als da sind: absolute Militarisierung dar Jugend; völlige Ausbeutung der Arbeiterfamilien; Überwachung das Privatlebens durch Parteifunktionäre; Beherrschung der Öffentlichkeit durch den Staatssicherheitsdienst; Denunzierung der Eltern durch ihre Kinder und generelle Mißachtung von Menschenleben. Ich halte es für geradezu irrsinnig, wenn wir daran glauben, das Rückgrat der Freien Welt könne durch Machwerke sowjetischer Herkunft gestärkt werden, welche nach der Methode „Haltet den Dieb“ die Verbrechen des eigenen Systems durch Hinweis auf Verbrechen des anderen Systems verdecken wollen. Die Wiedergabe des geschilderten Films im Deutschen Fernsehen wirft ein bezeichnendes Licht auf die Persönlichkeiten, die für dessen Programmgestaltung verantwortlich sind. Solange sich das Deutsche Fernsehen als Plattform für bolschewistische Propaganda-Aktionen etabliert, werde ich sehr davor warnen, seinen jetzigen Regisseuren auch noch die Verantwortung über das Zweite Programm zu übertragen.
Ich weiß, daß Sie persönlich z. Zt. für die Programmgestaltung nicht zuständig sind und daß auch der Bayerische Rundfunk im geschilderten Falle keine Feder führte. Ich bitte Sie daher um Klärung der Zuständigkeit und tue dies nicht nur als Mitglied des Bayerischen Rundfunkrates, sondern auch als Staatsbürger. Da ich den Vorfall für außerordentlich bezeichnend halte, darf ich mir erlauben, von diesem Schreiben der Presse Mitteilung zu machen, und es im Durchschlag auch dem Vorsitzenden das Rundfunkrates, dem Herrn Bayerischen Ministerpräsidenten und dem Herrn Bundespostminister zur Kenntnis zu bringen.
Mit dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung Ihr sehr ergebener
gez. Dr. Walter Becher MdL
Mitglied des Rundfunkrates

Protest gegen einen „ungeheuerlichen Vorwurf“
Sehr geehrter Herr Doktor Becher,
Ihr Brief vom 14.Mai wurde mir nach Baden-Baden nachgesandt, wo er mich während der Sitzungen der Ständigen Fernsehprogrammkonferenz und des Fernsehbeirates der Arbeitsgemeinschaft erreichte. Ich hatte so Gelegenheit, die von Ihnen erhobenen Vorwürfe mit dem Beirat und meinen Kollegen von den anderen Stationen zu besprechen. Es herrschte Übereinstimmung, daß es richtig gewesen wäre, dem Film einen Kommentar vorauszuschicken, in dem etwa darauf hingewiesen worden wäre, daß dieser um 1947 von der DEFA gedrehte Film heute in der Ostzone nicht mehr gezeigt werden könnte, aus Gründen, auf die auch Sie hinweisen. Dieser Auffassung schloß sich auch die Anstalt an, die den Film gesendet hat (Nord- und Westdeutscher Rundfunkverband). Daß man von einem Kommentar Abstand genommen hat, lag nicht zuletzt daran, daß der Film von der Filmselbstkontrolle für jugendfrei sowie frei für Sonn- und Feiertage erklärt und auch von der Katholischen Filmprüfstelle empfohlen worden ist. Trotzdem wird es notwendig sein, bei Streifen und Themen dieser Art, zumal wenn sie in Filmen von jenseits des eisernen Vorhangs behandelt werden, besonders sorgfältig zu verfahren und Mißverständnisse durch erläuternde Hinweise auszuschließen.
Soweit stimmt Ihre Auffassung mit der meinen und der meiner Kollegen überein. Ich muss jedoch zu meinem Bedauern energisch gegen die Unterstellung Einspruch erheben, die in dem folgenden Absatz Ihres Briefes enthalten ist: „Die Wiedergabe des geschilderten Films im Deutschen Fernsehen wirft ein bezeichnendes Licht auf die Persönlichkeiten, die für die Programmgestaltung verantwortlich sind. Solange sich das Deutsche Fernsehen als Plattform für bolschewistische Propaganda-Aktionen etabliert, werde ich sehr davor warnen, seinen jetzigen Regisseuren auch noch die Vorantwortung für das zweite Fernsehprogramm zu übertragen“. Ich kann mir nicht denken, daß Sie sich selbst über den ungeheuerlichen Vorwurf klar sind, den Sie da mit der durch nichts gerechtfertigten Verallgemeinerung einer sicher bedauerlichen Unterlassung begründen. Wenn Sie, sehr verehrter Herr Dr. Becher, „den Vorfall für außerordentlich bezeichnend halten“, so darf ich das auch meinerseits tun und die Art und Weise, wie durch Mitteilung an den Herrn Bayerischen Ministerpräsidenten, den Herrn Bundespostminister, den Herrn Rundfunkratsvorsitzenden und die Presse aus einem einmaligen und verhältnismäßig bedeutungslosen Versehen schwerste persönliche Diffamierungen ausgesprochen werden und rundfunk-politisches Kapital geschlagen wird, ebenfalls vor den genannten Herrn und der Presse zurückweisen.
[…]
Mit vorzüglicher Hochachtung Ihr sehr ergebener
gez. Dr. Clemens Münster

Ein interessanter Briefwechsel. In: Fernsehen und Film: Fernseh-Film. Nachrichten-Informationen-Kommentare. Nr. 17 vom 05.06.1958.

Bedrückende Wirklichkeit:

Meschede. Der Film-Club Meschede zeigte am Donnerstagabend „Rotation“, einen Film aus der Produktion der DEFA von Wolfgang Staudte. […] Es ist kein Film, dessen außerordentliche künstlerische Ansprüche einen in Erstaunen setzen – wie Orphée“, dessen Atmosphäre einen bezaubert […], und doch ist es ein Film, der durch seine Wirklichkeitsnähe beeindruckt.
Ein politischer Häftling steht vor der Wand seiner Zelle und erlebt in einer Rückblende noch einmal die Nöte und Sorgen seiner Familie. Die Bilder der letzten Jahre ziehen wieder an ihm vorbei: entmutigende Arbeitslosigkeit, der Anbruch der „neuen Zeit“, die politischen Zugeständnisse, mit denen er seinen wirtschaftlichen Aufstieg erkaufen mußte, der Verrat seines eigenen Sohnes, der ihn in die Zelle brachte. Das ist eine traurige Bilanz, und ein Film, der solche Ereignisse behandelt, zwingt zum Nachdenken. […]
Allerdings erhebt sich die Frage, in welcher Form man wieder daran erinnert werden soll. „Rotation“ beschränkt sich darauf, die psychologische Situation jener Zeit mit realistischen Bildern wieder wachzurufen. Der Kampf um Berlin, die Überflutung des von Menschen besetzten U-Bahn-Tunnels, der Aufmarsch deutscher Truppen und der HJ nehmen einen verhältnismäßig großen Raum ein, während geistige Probleme nur gestreift werden. Der Film enthält wenige dramatische Konflikte, und der Zuschauer, der von „Rotation“ die Schilderung des Ringens um die Pressefreiheit oder die Gewissenskämpfe eines Redakteurs erwartete, mußte enttäuscht sein. Der folgenschwere Entschluß des Druckers, die Druckpresse der Widerstandskämpfer wieder instand zu setzen, wurde nicht als sittliche Entscheidung, sondern fast als private Gefälligkeit für seinen Schwager dargestellt.
In dieser Verschwommenheit der Motive liegt – bei allen guten Ansätzen, die der Film sicherlich hat – seine Schwäche, und über diese Lockerheit des dramatischen Aufbaus täuscht auch nicht die gelungene optische Gestaltung hinweg. Die leerlaufende Schallplatte und der metaphorisch in seinem Käfig ertrinkende Kanarienvogel bleiben bloß eingestreute Bilder, und die gut getroffene Atmosphäre jener Zeit trägt noch nicht zur Klärung der Problematik bei. Die Gefahr das Films liegt darin, daß die Schuldigen – für jeden an Ledermantel oder Parteilabzeichen kenntlich – so stark typisiert sind, daß jeder, der nicht zu diesem Typus gehört, sich frei von Schuld wähnen muss. Das Schuldbekenntnis des Vaters an den Sohn wirkt nicht recht überzeugend, weil sein Versagen vorher nicht deutlich gemacht worden ist. Deshalb ist es aber nicht minder schwer. Davon zeugt – die seelische Erschütterung des Jungen, als ihn sein Führeridol verläßt – eine der besten Szenen des Films.
Es wäre falsch, den Film als Tendenz-Film im üblichen Sinne zu bezeichnen; doch tendiert er zu einer naturalistischen Gestaltungsweise, die das geistige Moment vernachlässigt und in lockerer Form Wirklichkeitsausschnitte aneinanderreiht. […] Man muß sich hüten, den Film schon nach seiner östlichen Herkunft zu beurteilen. Vielleicht wäre es für das Film-Club-Publikum interessant zu erfahren, wie ein Dichter diese Probleme gesehen hat. Wolfgang Liebeneiners Film „Liebe 47“, der auf Borcherts gleichnamiges Drama zurückgeht, böte hierzu eine gute Gelegenheit.

Bedrückende Wirklichkeit. Der Club Meschede zeigt den DEFA-Film „Rotation“. In: Westfalen Post, 13.11.(?).1970.

Kleinbürgermoral:

Hans Behnke war arbeitslos gewesen. Jetzt kann er beim „Völkischen Beobachter“ als Maschinenmeister arbeiten. Ihm geht es unter Hitler nicht schlecht. Er ist ein unpolitischer Mensch, kümmert sich um nichts. Sohn Helmut ist bei den Pimpfen. Eines Tages kommt Kurt aus der Tschechoslowakei, wird verhaftet, in der Todesnachricht heißt es lakonisch „Herzschlag‘. Hans zertrümmert vor Wut ein Hitlerbild, bei ihm ist der Groschen gefallen.
Doch Helmut ist ein begeisterter Pimpf, er zeigt den Vater an, der kommt nach Moabit, kurz vor der Hinrichtung befreit ihn die Rote Armee. Wolfgang Staudte hat diesen Film 1949 für die Defa gedreht, in der Bundesrepublik fehlt das Bild des Kleinbürgers im Film über die Nazi-Zeit.
Den Widerstand der kleinen Leute – wie hier Kurt – gab es bei uns erst in Hauffs „Zündschnüren“ nach Degenhardt (1974!).
„Rotation“ ist auch innerhalb der DDR-Filmproduktion eine der besten Arbeiten, zumal hier das Verhalten des Durchschnittsbürgers und seine Ablehnung aller politischen Verantwortung als Gefahr und Hilfe für das Regime kenntlich gemacht wird.

Kleinbürgermoral: Wolfgang Staudtes „Rotation“. In: Rheinische Post, Düsseldorf, 18.03.1975.

Staudte attackiert den unpolitischen Kleinbürger, der gefangen in seinem Fatalismus. sich später zu rechtfertigen sucht, daß er den Krieg ja nicht gemacht, sondern lediglich seine Pflicht getan habe. Paul Esser spielt nicht nur diese eine Seite. Er ist nicht nur dieser sture und rigide Mitläufer-Typ, der sich die entsprechenden Parolen auch gleich zu eigen macht, sondern er ist einer derjenigen, die ganz dunkel etwas von ihrer Mittäterschaft ahnen. So spiegelt sich in Essers Augen permanent das schlechte Gewissen und der Anflug von Unmut über die eigene Tranigkeit. Dieses Spiel von Paul Esser erlaubte es Staudte, ohne auch nur den Bruchteil einer Sekunde Peinlichkeit oder Aufdringlichkeit zu erregen, Esser in Sträflingskleidung mit dem gequälten Gesichtsausdruck eines Kindes, endlos lange vor der von namenlosen Opfern bekritzelten Wand stehen zu lassen.

Der Motor dreht sich. Ewig läuft die Walze im Kreis. Über den Helden aus „Rotation“ sagt Wolfgang Staudte: „Im Grunde war ich jener Typus Deutscher, wie ich ihn in meinem Film im Maschinenmeister Behnke gezeigt habe.“ Der Mitläufer: Für ein bißchen gutes Leben klebt irgendwann das Parteiabzeichen am Kragen. Der Wegseher: Als die jüdischen Nachbarn abgeholt werden, schließt er das Fenster. Der Gedankenlose: Als der Schwager, ein Widerständler, ins Ausland fliehen muß, freut sich Behnke, daß er sich dort doch erholen könne. Die vermeintlich unpolitische Sicht auf die Dinge, das Heraushalten aus den mit eigenen Augen und Ohren wahrgenommenen Untaten macht aus Menschen Werkzeuge. Behnke, der brave Kleinbürger, wird Handlanger der Verbrecher. Was ist er selbst? Opfer, Täter, oder beides?

„Rotation“, gedreht 1948, kommt im September 1949 in die Kinos der Sowjetischen Besatzungszone. Zuvor mußte Staudte auf Verlangen der DEFA-Direktion seinen ursprünglichen Schluß ändern. Ein bekenntnishafter Nachkriegsdialog zwischen Behnke und seinem Sohn, dem noch vor kurzem arg fanatischen Hitlerjungen, der sogar den Vater an die Gestapo verriet, entfällt. Der Satz des Vaters, daß der Sohn nie wieder eine Uniform tragen solle, wird eliminiert; im deutschen Osten ist man gerade dabei, über die Gründung einer kasernierten Polizei nachzudenken und kann solche pazifistischen Sentenzen nicht gebrauchen. Staudte läßt sich, nach mehrmonatiger Funkstille zwischen ihm und der DEFA, dazu überreden, den beanstandeten Text zu streichen: Nun sieht man nur noch, wie der Junge die Soldatenkluft ablegt, um wenig später mit einer Freundin in die lichte Zukunft zu wandeln (mit entsprechend optimistischem Dialog).

Dieses rosige Finale klebt wie ein Fremdkörper am dem Psychogramm eines deutschen Kleinbürgers. Die Symbolik des Titels „Rotation“, die Verwendung zahlreicher Gittermotive, in denen sich die Figuren bewegen, die Bitternis des Familiendramas, in dem der minderjährige Sohn zum Judas wird spricht dagegen von anderen Ahnungen Staudtes: Wäre es nicht auch denkbar, daß der Mensch, die Menschheit nicht zu bessern wäre?


Auszug aus: Ralf Schenk: Im Jahr ‘49. Die „dunklen“ Filme von Wolfgang Staudte (filmdienst 21/1996)

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