Die ‚Dritte Welt‘ – ein Jagdgebiet?
Thesen zur Diskussion
Asit Datta (1993)
I
Zu dem Begriff Dritte Welt: Der Begriff hatte ursprünglich eine andere Bedeutung als nachträglich daraus gemacht wurde. Da ich den Begriff im Sinne von Bourdet und Sauvy gebrauche, benutze ich die Ausführungsstriche nicht (vgl. Datta: Welthandel…. S. 206 f.).
II
Ich habe erhebliche Zweifel daran, ob die Dritte Welt noch ein Jagdgebiet ist. Der Vorwurf war vielleicht in den 70er und 80erJahren zutreffend, aber jetzt – nach der Auflösung des Ost-West-Konflikts – nicht mehr. Empirisch kann ich zwar nicht nachweisen, es gibt aber Indizien dafür, dass der Anteil der Berichterstattung über die Dritte Welt in den Medien [Print + Audiovisuell] zurückgegangen ist [quantitativ]:
Mit dem Jagdgebiet verhält sich so wie mit dem Wunsch nach der Abkoppelung. Die Abkoppelung hat mittlerweile – unfreiwillig und fast unbemerkt – stattgefunden. Dies mit einem Ergebnis, das genau das Gegenteil von dem ist, was man ursprünglich erhofft hat. Die Klage ist, nicht, dass die Dritte Welt zu einem Jagdgebiet der Medien verkommen ist, sondern dass die Medien Ereignisse der Dritten Welt kaum noch wahrnehmen.
III
Was die Qualität der Fernsehbilder angeht: diese hat sich in den letzten Jahrzehnten kaum geändert. Nach wie vor herrschen Bilder und Berichte über Kriege, Korruption und Katastrophen vor – diese sind eher deskriptiv als investigativ. Da häufig Erklärungsansätze fehlen, sind die Zuschauer 0berfordert. Sie sind nicht in der Lage, die wenigen Bilder richtig einzuordnen.
Beispiele:
1985: Hungersnot in Äthiopien
1993: Bürgerkrieg/Hungersnot in Somalia
Ergebnis: Das Exemplarische erklärt nicht das Phänomen, sondern erscheint als einmalig, als Naturereignis, als Schicksal und verstärkt das Bild, das die Zuschauer schon haben.
Weitere Beispiele: Keine Begründung für den Kurswechsel in der Politik und folglich in den Medien: Warum z. B. der Westen korrupte Politiker wie Marcos, Moi, Mobutu hofiert hat, mit denen glänzende Geschäfte gemacht hat und später mit den bekannten Vorwürfen fallen gelassen hat? Damit geht einher: Volksbewegungen und Demokratisierungstendenzen werden mit Zeitabständen unterschiedlich bewertet.
IV
Kann das Publikum den Vorwurf bestätigen oder widerlegen, den Horkmann [‚Ein Tag für Afrika‘. Berlin 1987, S. 156] gemacht hat? Die Regel ist, ‚daß der Fernsehjournalist die Regie über Wortbeiträge behält, die er meist selber spricht, für alles die richtigen Gründe kennt und sich bestenfalls von ausgewählten Einheimischen durch einfachste Fragestellungen das bestätigen lässt, was er ohnehin schon weiß‘. Das Bild der anonymen Masse in der Dritten Welt wird immer wieder unterstrichen. Dies gilt auch für die Fernsehberichterstattung, die wir [Klaus Strempel und ich] bezogen auf den Film ‚Der Marsch‘ beschrieben haben.
V
Während die Akteure/Protagonisten aus dem Norden handelnde Subjekte sind, sind Menschen aus der Dritten Welt – wie die Teilnehmerlnnen des Hungermarsches – beziehungslos, Gesichter ohne Geschichten [Beispiele: Hungernde als Hilfsobjekte, Analphabeten als dumm und Ahnungslose u.ä.]
VI
Hypothese: Als Journalist kommt man eher zufällig zu diesem Thema? [Verweis auf Loccumer Protokolle 9/901].
These: Dritte Welt hat keine Lobby.
VII
Gut vier Jahre nach der Verabschiedung des ‚Verhaltenskodex‘ durch die europäischen NGOs, scheint es so, dass die Journalisten, die in diesem Bereich arbeiten, kaum Notiz davon genommen haben.
VIII
Alternativ-Vorschlag: Wie wäre es z. B., eine Reihe über erfolgreiche NGO-Projekte im Fernsehen zu zeigen [NAAM, Grameen-Bank, Villa El Salvador Chipko, Green-Belt-Movment u.a.]?
Die ‚Dritte Welt‘ – ein Jadgebiet?
Hungersnot zum Abendbrot