Zeit ist Mangelware

Für das Gros der arbeitenden Bevölkerung war das Zeitbudget in den l920er Jahren recht knapp bemessen. Zwar hatte die Revolution von l9l8/19 als große Errungenschaft den 8-Stunden-Tag gebracht, doch schon ab 192321 wurden wieder längere Arbeitszeiten zugelassen. Zahlreiche Arbeiterlnnen hatten seitdem Überstunden zu leisten, die auf Grund des Arbeitszeitgesetzes von 1927 allerdings auch als solche bezahlt wurden. So betrug z.B. der durchschnittliche Gesamtarbeitstag von Jugendlichen (incl. Weg zur Arbeitsstätle, Pausen, Überstunden etc.) im Jahre 1927 in Städten über 20 000 Einwohner ungefähr 11 l/4 Stunden.22

,,Wenn früh‘ um vier der Wecker klingt,
Für mich der Abeitstag beginnt..“23

Werktag bedeutete für diese Weberin, aber auch für viele andere, frühes Aufstehen. Andere kamen erst am Abend nach Hause. Frreizeit war deshalb unter derWoche äußerst spärlich bemessen. Blieb vor allem das Wochenende.24 Bis Samstag mittag bzw. nachmittag wurde allerdings noch gearbeitet. Doch dann war es so weit ,,Das schönste vom Sonntag ist der Sonnabendabend, so brachte Kurt Tucholsky 1928 das Lebensgefühl vieler Menschen unübertrefflich zum Ausdruck.25 Man unternahm etwas. Die einen suchten den Arbeiterturnverein auf oder wanderten, andere peilten ein Kino oder ein Stadion an, wieder andere machten einen Schaufensterbummel oder gingen zum Tanzen.

Obwohl die mannigfaltigen Freizeitangebote in der Bevölkerung großen Anklang fanden, bot das Wochenende bei weitem nicht allen Menschen Erholung und Vergnügen. Am schlechtesten kamen berufstätige Ehefrauen und Mütter weg. Doppel- und Dreifachbelastungen durch Erwerbsarbeit, Haushalt und Kinderversorgung machten Freizeit zu einem recht raren Gut; Freizeit bestand allenfalls aus klinen Freizeithäpchen, aus kurzwährenden Zeitpassagen. Folgender Bericht über den Verlauf eines Samstags gibt einen Einblick:

,,…heut habe ich doch den Nachmitag frei. Wenn die Arbeit beendet ist, schnell die Kinder holen. Mittags gibt es Kartoffelsuppe, das dauert nicht so lange. Dann die Betten machen, scheuern, die Kinder baden, einkaufen. Immer muß ich schnell laufen, damit ich beizeiten fertig werde. Dann ist es 6 Uhr geworden. Die Kinder bekommen zu Essen. Ich weiche Wäsche ein, denn Sonntag muß ich waschen. Dann lege ich die Kinder schlafen, räume noch auf und flicke bis um 9 Uhr. Dann gehe ich schlafen.“26

Offensichtlich spielte hier Freizeit keine Rolle, weder in kommerzialisierter noch in nichtkommerzidisiemer Fmm. Das Wochenende war zugepackt mit Arbeit, Ruhestunden waren selten, selbst das Vereinsleben kam zu kurz, und es fehlte auch hinten und vorne an Geld, um sich die neurtigen Vergnügen leisten zu können. Kurzum, über ein freies Wochende verfügten zwar viele, aber viele eben auch nicht.

Adelheid von Saldern (1991)


2l In der Arbeitszeitverordnung vom 21.12.l923 blieb zwar der 8-Stundantag und die 48-Stundenwoche im Prinzip bestehen, allerdings wurden eine Reihe von Ausnahmen zugelassen.
22 Detlev Peukert: Jugend, 1987,S. l14.Weitere Zahlen in: Detmar Petzina u.a.: Sozialgeschichtliches Arbeitsbuch, Bd 3, München 1978, S. 98.
23 Aus: Mein Arbeitstag – mein Wochenende, 1930, S. 213.
24 Urlaub war, wenn überhaupt, dann knapp bemessen. 1929 war in fast allen Tarifverträgen zwischen 3 und 14 Tagen Urlaub aufgenommen worden; vgl. Giesecke 1983, S. 42.
25 Kurt Tucholsky, Gesammelte Werke, Bd. 2, Reinbek bei Hamburg 1960, S. 1224.
26 Zitiert nach: Udo Achten: „denn was uns fehlt ist Zeit“. Geschichte des arbeitsfreien Wochenendes, Köln 1988, S.237

 

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