,,Wer kann das bezahlen?“
Kommerzialisierte Freizeitangebote hatten ihren Preis, schließlich handelte es sich dabei um Waren oder Dienstleistungen. Für einen Filmbesuch beispielsweise mußten ungefähr 60 Pfennige bis eine Mark bezahlt werden, die Preise für eine Abendvorstellung im Zirkus wiesen eine Spannweite von 30 Pfennige bis 3 RM auf; wer am Eilenriede Motorradrennen teilnehmen wollte, hatte 1 – 1.50 RM bereitzuhalten. Eine Schallplatte war 0.75 bis 0.90 RM wert, der Preis für einen Schallplattenkoffer- oder Tischapparat belief sich je nach Qualität und Marke zwischen 12 und 35 RM,27 und ein Radio kam auf 40 bis 500 RM, je nachdem ob man sich mit einem sog. Ortsempfänger zufrieden gab oder unbedingt ein Spitzengeät erwerben wollte.28
Die meisten Löhne waren damals noch so niedrig, daß Ausgaben für Freizeitangebote nur in recht eingeschränkter Weise möglich waren, vor allem wenn eine Familie versorgt werden mußte. Die tarifmäßigen Stundenlöhne der Facharbeiter beliefen sich 1928 auf 95,9 Pfennige und der Hilfsarbeiter auf 75,2 Pfennige.29 Die Bruttolohneinkommen von hannoverschen Arbeitem lagen in etwa zwischen 190 und 260 RM im Monat, wie eine kleine Stichprobe aus dem Jahre 1927/28 ergeben hatl.30 Große Sprünge konnten diese Familien nicht machen, denn der überwiegende Teil ging für Ernährung und Wohnung weg, und selbst wenn das Familieneinkommen häufig höher als das Lohneinkommen des Mannes war, wurde bei Vergnügungen am ehesten gespart.
Die Auswertung von 2.000 Arbeiter-, Angestellten- und Beamtenhaushalten aus dem ganzen Reichsgebiet brachte folgendes an den Tag: Die Ausgaben für „Vergnügungen und andere gesellige Anlässe“ lagen im allgemeinen zwischen 0,6 und l,6% der Gesamtausgaben. Diese Ausgaben paßten sich den Veränderungen des Einkommens nach oben und nach unten hin stark an. Ein Vergleich mit entsprechenden Statistiken aus der Zeit vor dem Ersten Weltlrieg zeigt, daß die Ausgaben fürdiesen Bereich gestiegen waren.31
In dem Bericht heißt es weiter: In fast allen Einkommensstufen der Arbeiterhaushaltungen in allen Einkommensstufen der Angestellten- und Beamtenhaushaltungen entfielen verhältnismäßig geringe Ausgaben (je Haushaltung) auf Kinos; die Aufwendungen für Theater und Konzerte waren fast immer höher als die für Kino, jedoch in der Regel (bei den Angestellten- und Beamtenhaushaltungen) geringer als die für Rundfunk. Offensichtlich hatte die seit 1927/28 eingetretene Verbreitung des Rundfunks und der allmähliche Übergang vom Detektor- und Batterieempfänger zum Netzanschlußgerät die Struktur der Vergnügungsausgaben in allen Einkommensstufen der Arbeiter-, Angestellten- und Beamtenhaushaltungen wesentlich beeinflußt;32 bei den Ausgaben für Theater und Konzerte sowie für Kino sei jedoch zu berücksichtigen, so ist in der Auswertung der Statistik zu lesen, daß der Besuch von Kinos im allgemeinen billiger war als der von Theatern und Konzerten; aus den Unterschieden in den Ausgabenbeträgen lassen sich daher die unterschiede in der Häufigkeit des Besuchs von Theatern und Kinos nicht erkennen.
Die Ausgaben für ,,sonstiges Vergnügen“ (z.B. für Sportveranstaltungen, Sport-,Tanzfeste, Kostüm-, Maskenbälle, Zirkus, Grammaphonbedarf) spielten im Rahmen der Aufwendungen für den gesamten Vergnügungsbereich in allen Einkommensstufen eine bedeutende Rolle.
Bei einer Gegenüberstellung der Ausgaben (je Haushaltung) innerhalb gleicher Einkommensstufen zeigte sich, daß die Angestellten fast immer für Kino, aber auch für
Theater und Konzerte sowie für Rundfunk am meisten aufwendeten. Die Arbeiter hatten
in alle Einkommensstufen etwas höhere Ausgaben für Kino als die Beamten, während die Geldsummen für Theater und Konzerte sowie für Rundfunk teils bei den Arbeitern, teils bei den Beamten größer waren.33
Interessant ist auch, daß bei den Arbeiterfamilien in allen Einkommensstufen die Beträge für Verbands- und Vereinsmitgliedschaften am höchsten lagen, während solche Aufwendungen bei Beamtenhaushaltungen durchweg. am.geringsten waren: In keiner Einkommensstufe erreichten Beamtenhaushalte die Hälfte der Beiträge, die Arbeiterhaushalte dafür aufwandten.34 Daran zeigt sich, daß.Arbeiterfamilien vergleichsweise noch stark im Vereinsmilieu eingebunden eingebunden, d.h. in sog. Arbeiterkulturvereinen organisiert waren. Allerdings handelte es sich bei dieser Erhebung nur um Haushalte und Familien, nicht um Einzelpersonen. So steht die Aussage, daß das Kinopublikum überwiegend aus Arbeitern (und Arbeiterinnen) bestanden habe, 35 in keinem Widerspnrch zu der reichsamtlichen Erhebung, wobei auch noch zu bedenken ist, daß die Arbeiterschaft als die weitaus größte Bevölkerungsgruppe in vielen
Untersuchungsbereichen entsprechend berücksichtigt wurde. Überdies betrug der Anteil
der Jugendlichen (1925) bei den Arbeitern 42 % und,56 % bei den Arbeiterinnen, und
sie waren den kommerzialisierten Freizeitangeboten am zugänglichsten.36
Zwar stieß man überall, wo kommerzialisierte Freizeitangebde zu finden waren, auf zahlreiche Arbeiter und Arbeiterinnen, gleichwohl ist es, zumindest unter qualitativen Gesichtspunkten berechtigt, die neue Freizeitkultur der Zwanziger Jahre weniger mit der Arbeiterschaft und eher mit der Angestelltenschaft in Verbindung zu bringen. Das Zeitalter der Angestelltenzivilisation habe damals begonnen, wie Sloterdjik feststellte.
Adelheid von Saldern (1991)
27 Im Jahre 1929 wurden rund 60 Millionen Schallplatten in Deutschland produziert und ungefähr 30 Millionen verkauft.
28 Rudolf Herzog: Zur Entwickung der Rundfunkgeräte, in: 60 Jahre Rundfunk in Hannover, hrsg. von Waldemar R. Röhrbein, Hannover 1984, S. 117f
29 Aus: Petzina u.a. 1978, S. 99.
30 Die Lebenshaltung von 2000 Arbeiter-, Angestellten- und Beamtenhaushaltungen, bearbeitet im Statistischen Reichsamt (Einzelschriften zur Statistik des Deutschen Reiches, Nr. 22, Teil II), Berlin 1932, S. 7l ff. Unter den 2.000 untersuchten Penonen befanden sich auch 35 Arbeiterfamilien aus Hannover.
3l Wilhelm Leo Guttsman: Workers‘ Culture in Weimar Germany, New Yort etc. 1990, S. 116.
32 Im Durchschnitt des Jahres 1927/28 verfügten teilweise rund 11% der Haushaltungen über ein Radio; vgl. Die Lebenshaltung…. 1932, Bd. 1, S 57
33 Die Lebenshaltung… Bd. l, S. 56 f‘
34 Ebda., S.51.
35 Vgl. Giesecke 1983. S.49.
36 Dietrich Mühlberg: Neuartige Ansprüche veränderter Menschen. Modernisierungstendenzen in der proletarischen Lebensweise, unveöff. Vertragsmanuskript für die Konferenz „Das Eigene und das Neue – Arbeiterleben der l920er Jahre zwischen Organisationskultur und Freizeitkommerz“, Hannover 1990 (Masch.schriftl.Man.), S. 13.