Die Anfänge in Bendestorf

Vom Tanzsaal zum Filmatelier

Peter Stettner( 1995)

Dass in Bendestorf überhaupt eine Filmproduktion aufgebaut werden konnte, ist eng verbunden mit der Besatzungspolitik der Alliierten, insbesondere mit deren Filmpolitik. Der einst mächtige deutsche Film, der den Nationalsozialisten als Propagandawaffe gedient hatte, sollte zerschlagen werden. So verfolgten die Westalliierten ein dezentrales Konzept für das Filmwesen, das innerhalb der jeweiligen Besatzungszonen kontrolliert bzw. organisiert wurde. Da die Briten bereits früh eine liberale Haltung in der Filmpolitik einnahmen und es zudem auf dem Gebiet der britischen Besatzungszone vor 1945 keine bedeutende Filmproduktion gegeben hatte, an die angeknüpft werden konnte, eröffneten sich hier gute Chancen für neue Standorte. (1)

Rolf Meyer, der im April 1945 nach Bendestorf gekommen war, gewann das Vertrauen britischer Besatzungsoffiziere, rückte an die Stelle des politisch belasteten Bürgermeisters des Ortes und arbeitete ab 1946 wieder im Filmgeschäft. (2) Am 1. April 1947 erhielt er die britische Lizenz für eine eigene Filmproduktion die ,,Junge Film- Union Rolf Meyer“ (JFU) war geboren. (3) Wie viele andere im Nachkriegsdeutschland, die auf diese Weise zu Filmproduzenten wurden, besaß der gelernte Musiker und Drehbuchautor Meyer praktisch keine kaufmännischen Kenntnisse. Ein nennenswertes Grundkapital war genau so wenig vorhanden wie die notwendigen filmtechnischen Geräte.

1947 hinter dem ,,Schlangenbaum“: Gastwirt ,,Schlangen-Meier“, Kurt E. Walter, Gerti Soltau, Frau Meier, Rolf Meyer (v.l.)

In der Zeit vor der Währungsreform stellte dies aber – trotz zahlloser Schwierigkeiten kein unüberwindbares Hindernis dar, sofern man über die richtigen Beziehungen verfügte und zu improvisieren in der Lage war. Von der Defa, zu deren Mitarbeitern er noch Kontakte aus Ufa-Zeiten hatte, erhielt Rolf Meyer die Kameratechnik für seine ersten Filme (wie er später selbst sagte, gegen „wertlose Reichsmark“), das Rohfilmmaterial wurde vornehmlich von der britischen Kontrollstelle zur Verfügung gestellt, wo die Filmstoffe im Rahmen der Vorzensur genehmigt werden mussten. Unzählige Materialien wurden auf dem Schwarzmarkt oder anderweitig organisiert, wie etwa die für den Kulissenbau massenhaft benötigten Nägel, die man aus Weidezäunen gewann. Und nicht zuletzt: Es gab noch kein Filmatelier! Die Innenaufnahmen für den ersten Spielfilm MENSCHEN IN GOTTES HAND (1947/48) Regie: Rolf Meyer) entstanden im Tanzsaal der Dorfgaststätte ,,Zum Schlangenbaum“ – eines der legendären Ereignisse in Bendestorf. Der Film erzählt die Geschichte eines jungen Mannes, der – infolge des Krieges entwurzelt – zwischen einem Bauernleben an der Seite seiner Frau und den Verführungen der Stadt (Geliebte, Schwarzmarkt) hin- und hergerissen ist, schließlich aber den Weg ins ehrliche, bäuerliche Leben findet. Der erste deutsche Heimatfilm nach t945 wurde in Bendestorf produziert.

Erste Filmproduktion im eigenen Atelier

Bis zum Sommer 1948 stellte die JFU neben mehreren Kurzfilmen drei Spielfilme her, deren Stoffe – für die damalige Zeit typisch – im zeitnahen Umfeld angesiedelt waren: Neben MENSCHEN IN GOTTES HAND waren es WEGE IM ZWIELICHT (1948, Regie: Gustav Fröhlich) und DIE SÖHNE DES HERRN GASPARY (1948, Regie: Rolf Meyer).

Aufbau des§Hintersetzers im Atelier für DIE SÖHNE DES HERRN GASPARY

Die Innenaufnahmen für den zuletzt genannten Film konnten bereits in der Atelieranlage erfolgen, die in Bendestorf errichtet worden war. Anlässlich der Dreharbeiten wurde ein Reporter der Zeitschrift ,,Der neue Film“ hier Zeuge „einer handfesten Auseinandersetzung in einem Berghotel“, das auf diese Weise in der Lüneburger Heide entstanden war. (4) Auch wenn Teile der Dreharbeiten für DIE SÖHNE DES HERRN GASPARY im Kleinwalser Talgemacht worden waren, wo das Filmteam sich wegen ungünstiger Wetterbedingungen mehrere Wochen aufhielt, setzte man bei den Aufnahmen in und um den Berggasthof doch lieber auf die nachgebaute Kulisse. (5) Bereits im Jahre 1947 hatte Rolf Meyer ein 11.000 qm großes Grundstück von dem Gastwirt des ,,Schlangenbaum“ gepachtet, worauf im Laufe des Jahres 1948 eine erste Atelieranlage entstand: zwei kleine Hallen mit je 200 qm Fläche, dazu ein sogenanntes Wirtschaftsgebäude (Verwaltung, Garderobe, Schneide- und Vorführräume), ein Kesselhaus, ein Pumpenhaus, ein Trafogebäude, eine Fundushalle, ein Filmbunker und ein Wagenschuppen.

So wurde bereits in der Zeit vor der Währungsreform der Grundstock für eine kleine Filmindustrie in Bendestorf gelegt.

Kreditfinanzierte Produktion

Dass Rolf Meyer die Filmfirma fast ausschließlich mit Krediten finanziert hatte, spielte zunächst noch keine große Rolle, da das Geld nicht knapp war und die Filme gute Einspielergebnisse brachten. Nach der Währungsumstellung trat jedoch ein grundsätzlicher Wandel ein: Das fehlende Eigenkapital bzw. der langsame Rückfluss des Kapitals (Einspielergebnisse der Filme) machten sich schmerzlich bemerkbar in einer Zeit, als das Haben oder Nicht-Haben von Geld plötzlich zum wichtigsten Faktor wurde. Neue Filmprojekte kosteten viel Geld, das schneller gebraucht wurde, als es durch bereits fertiggestellte Filme zurückfloss. Zum ersten Mal wurde deutlich, dass die Konstellation der JFU, die darin bestand, dass Produktionsfirma und Atelierbetrieb in einer Hand lagen, auch Probleme mit sich brachte. Der Atelierbetrieb hatte erhebliche laufende Kosten, und es stellte sich die Frage nach der Auslastung der Produktionsanlagen.


Anmerkungen

  1. In diesem Zusammenhang es wirkte positiv aus, dass die einst mächtige Filmregion Berlin-Babelsberg aufgrund des sich verschärfenden Ost-West-Konfliktes als Konkurrenz für Nord-West-Deutschland ausfiel.
  2. Näheres zum Werdegang Rolf Meyers findet sich im CineGraph. Lexikon zum deutschsprachigen Film, hrsg. von Hans Michael Bock, Hamburg 1984 ff. Stichwort Rolf Meyer (Biografie, Filmografie sowie ein Essay des Verfassers).
  3. Zur ,,Junge Film-Union“ vgl. ausführlicher meine Darstellung: Vom Trümmerfilm zur Traumfabrik. Die ‚Junge Film-Union‘ 1947-1952. Eine Fallstudie zur westdeutschen Filmproduktion, Hildesheim, Zürich, New York 1992. Falls nicht weiter nachgewiesen, stammen die folgenden Angaben zur JFU/Rolf Meyer aus dieser Darstellung.
  4. ,,Der neue Film“, 1948, Nr. 17, S.3.
  5. Wie Rolf Meyer knüpften im Übrigen die meisten deutschen Regisseure und Filmproduzenten nach 1945 in dieser Hinsicht an typische Traditionen des deutschen Films an: die Bevorzugung der nachgebauten, künstlichen Welt gegenüber der vorgefundenen Realität – auch dann, wenn die entsprechenden Sujets und Motive sozusagen vor der Tür lagen.

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