Wiederaufbau und Modernisierung der Vorkriegskinos
Peter Struck (2023)
Doch zurück zu den ersten Nachkriegsjahren: Anfangs werden einige der zerstörten Filmtheater auf ihren alten Grundmauern wieder errichtet oder zumindest notdürftig hergerichtet. Viele dieser Provisorien bestehen oft nur wenige Jahre, bis genügend finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, um größere Umbauten und Modernisierungen vorzunehmen. In den meisten Fällen werden ehemalige Gasthaussäle zu Spielstätten umgerüstet, die das Prädikat eines Kinosaals oft nicht verdienen. Wieder steht der Film im Vordergrund, das Vergnügen und die Ablenkung vom allzu tristen Alltag, weniger das Ambiente und die Atmosphäre. Damit gleicht die Situation direkt nach Ende des Zweiten Weltkriegs den Gründerjahren des Mediums, als ein Großteil der Spielstätten in umfunktionierten Tanz- und Festsälen oder in Ladenlokalen installiert wird.
Die Standorte der meisten dieser frühen Nachkriegskinos liegen jetzt aber wegen der weitreichenden Zerstörungen des Stadtkerns vor allem in den äußeren Stadtteilen und gehören wie die Schule und die Kirche bald zum festen Inventar der kulturellen Infrastruktur eines jeden Wohnviertels. Dort entstehen in der Regel zunächst kleinere Saalkinos ohne Rang mit bis zu 500 Sitzplätzen. Reichen die finanziellen Mittel anfangs oft nur für einen gebrauchten Filmprojektor, so werden die meisten Spielstätten schon nach kurzer Zeit technisch nachgerüstet, mit einer moderneren und bequemeren Ausstattung versehen und auch modisch auf den neuesten Stand gebracht. Und so führen die inhärenten technischen Nachrüstungen und kontinuierlichen Umbauten in immer kürzeren Intervallen zu regelrechten »Häutungen« der Kinos, bei denen der übliche Farbakkord der Ausstattung meist durch einen neuen ersetzt wird. So eröffnen die Adler-Lichtspiele 1947 mit einer Farbkombination von Rot, Beige und Silbergrau, ab 1955 erstrahlt der Zuschauerraum dagegen in Beige, Hellblau und Königsblau. Das Farbkleid der Goethehaus-Lichtspiele wechselt bereits 1951 von Blau-Rot zu Gelb-Grün.
Die regelmäßigen Modernisierungsschübe betreffen auch die großen Häuser. Im Oktober 1945, kein halbes Jahr nach Kriegsende, bekommt Hannover mit dem wiedereröffneten Gloria-Palast sein erstes und für längere Zeit einziges Erstaufführungstheater der Nachkriegszeit. Dabei ist die architektonische Lösung von 1945 selbstredend nicht von Dauer, und fünf Jahre später muss der Gloria-Palast mit den Weltspielen und dem Palast-Theater gleichziehen, um nicht ins Hintertreffen zu geraten. Bereits 1950 wird es vollständig umgestaltet, die Leinwand für bessere Sicht angehoben, die Tonwiedergabe verbessert und eine »ideale Klimaanlage« eingebaut. Der Zuschauerraum ist mit blauem Samt ausgeschlagen, über den sich goldene Leisten ziehen. Das Gloria verdient nun wieder die Bezeichnung »Palast«, der »in blaugoldener Eleganz, in raffinierter Beleuchtung prächtig erstrahlt«.
Das im Februar 1948 wiedereröffnete Palast-Theater zieht bereits im Jahr darauf nach, wird im Juli 1951 »nach vollständiger Renovierung« wiedereröffnet. Der Zuschauerraum zeigt sich in leuchtendem Rot, der Bühnenrahmen ist in Rot und Silber gehalten und die Decke in einem sanften Grau getönt. Erneute Renovierungen folgen 1954, 1956 und 1960. 1956 erhält das Kino einen neuen Farbklang aus gelber Decke, blauen Wänden und einer Brüstung in Rot und Gelb. Damals wird auch hier die inzwischen obligatorische Cinemascope-Breitwand installiert.
Die im März 1949 wiedereröffneten Weltspiele warten mit einer grundlegenden Renovierung bis 1954. Seit 1949 führt ein langer Gang mit Schaukästen und Vitrinen von der Straße in den grün gestrichenen Kassenraum. Das geräumige Foyer ist cremefarben getönt, der Boden mit Terrazzoplatten ausgelegt. An der Decke hängen wuchtige Leuchterkronen, an den Wänden große Spiegelkonsolen mit Spiegelleuchten und Gemälden. Eine breite Treppe führt zum oberen Foyer, das in gleicher Weise ausgestattet ist. Der Zuschauerraum fasst anfangs 1.160 Sitze, 700 im Parterre und 460 im Rang. Die Wände des Zuschauerraums sind rot verputzt, die Decke besteht aus hellblauen Akustikplatten, der Vorhang schimmert dunkelblau. Im Sommer 1954 wird das Kino für drei Wochen geschlossen und gründlich modernisiert. Nach der Renovierung hat das Kino etwas weniger Plätze, es bietet dafür aber eine bessere Sicht. »Dieses bekannte Uraufführungstheater Norddeutschlands ist ein gutes Beispiel dafür, wie durch veränderte Raumaufteilung – hier Fortfall der Mittelgänge und Verkleinerung der Seitenbalkons – ein völlig neuartiges Aussehen erzielt werden kann.« Die Bildwand wird von 9 auf 13 Meter verbreitert, vor der Leinwand wird eine größere Fläche für die Auftritte der Stars zu den Premierenfeiern geschaffen, die der besseren Sicht wegen zudem tiefer gelegt wird. Auffälligste Veränderung ist die schachbrettartig gemusterte, grau-grün aufgeteilte Decke im Kontrast zu den maisfarbenen Wänden, »an den Balkenbrüstungen befinden sich die Sternbilder.«
Im Februar 1949 wird auch das UFA Oberstraße, das mit 1.316 Plätzen einst größte Kino der Stadt, als verkleinertes Metropol-Theater wiedereröffnet. Hier geht man einen anderen Weg: Anstatt das zerstörte Kino wieder aufzubauen, wird das neue Metropol-Theater im ausgedehnten Souterrain unter dem früheren Kino eingerichtet. Dabei wird der Eingang von der Oberstraße an den Engelbosteler Damm verlegt. Auch wenn das Metropol-Theater an derselben Stelle wiederentsteht, gleicht das neue Kino unter dem einstigen Saal einem Neubau. Es ist jetzt nur noch halb so groß und wirkt eher gedrungen. »Der amphitheatralische, terrassenförmig aufgegliederte« Zuschauerraum ist »ein kleiner, intimer Raum, der vollkommen von der herkömmlichen Bauweise der üblichen Lichtspieltheater abweicht und den Kammerspielcharakter des Theaters außerordentlich betont.« In diesem Fall bleibt es bei einem Provisorium, das die Pracht seines Vorgängers nicht annähernd erreicht. In dieser Form und ohne größere Modernisierungen besteht das Metropol-Theater als größtes Kino in der Nordstadt bis 1961.