Höhepunkt der Entwicklung – Zwei herausragende Beispiele

Theater am Aegie und Filmstudio am Thielenplatz

Peter Struck (2023)

Eindeutiger Zenit der Kinoneubauten ist das Jahr 1953, sowohl was das quantitative Sitzplatz-Volumen als auch ihr innovatives architektonisches Potential betrifft. In diesem Jahr entstehen mit dem Filmstudio am Thielenplatz und dem Theater am Aegi zwei besonders bemerkenswerte Baulösungen in Architektur und Ausstattung. Mit 1.453 Plätzen ist das Theater am Aegi von Hans Klüppelberg und Gerd Lichtenhahn der größte und modernste Theaterbau in Norddeutschland und ursprünglich als Mehrzweckbau konzipiert: in der Hauptsache UFA-Erstaufführungskino mit einer 18 Meter hohen, 37 Meter breiten und 11 Meter tiefen Theaterbühne für Varieté, Schauspiel und Operette. Von allen anderen hannoverschen Kinobauten unterscheidet es sich daher durch seine prägnante Architektur und exponierte städtebauliche Lage. Deshalb ist dieser Großbau auch eines der wenigen freistehenden Lichtspieltheater in Hannover.

Theater am Aegi (Eröffnung 1953) , Lichtstimmung bei Nacht. Foto von Günther Fischer o.J. (© Filminstitut Hannover)

Der weitgehend geschlossene, schwarz verkleidete, kantige Bau mit flacher Dachkuppel öffnet sich an seiner Schaufront komplett in Glas, im Obergeschoss kragt das Foyer wie eine große, langgestreckte Vitrine vor: »Mit seiner 31 m langen Glasfront und seiner eigenwilligen Form, die wie ein liegender Scheinwerfer wirkt, nimmt das Theater die gesamte Südseite des Aegidentorplatzes ein« (Film-Echo 12/1953). Wie eine Bühne inszeniert sich der Bau bereits von außen, wie eine Verheißung wirkt das festlich beleuchtete Innere schon von weitem. »Den lindgrünen unteren Parkettumgang mit Erfrischungsständen, Vitrinen und Garderobenablage verbinden 2 große freigespannte Treppen mit dem oberen Foyer, das beige und blau gehalten ist und von bizarr gemusterten Säulen getragen wird« (Die Filmwoche 11/1953). Die Breite der Treppen und ihre »frei in den Raum hineinspringende Form vermitteln den Eindruck des Ineinanderfließens beider Geschosse. Das Foyer im Obergeschoss hat eine Höhe von 6,50 m und ist in ganzer Breite und Höhe zum Aegidientorplatz geöffnet, sodaß der Besucher einen reizvollen Blick auf den Aegidientorplatz hat.« (HAZ vom 14./15.3.1953).

Aegi Panorama o.J. (© Foto: Wilhelm Hauschild)

Diese dramaturgische Einstimmung auf das festliche Ereignis bildet jedoch nur den Auftakt zur großen Inszenierung im weitgewölbten, muschelförmigen Festsaal. Der in Birkenholz getäfelte Zuschauerraum »schwingt sich elegant auf die Bühne zu, und dem Schwung der geneigten Wände, der auf den großen Bühnenraum zuführenden Decke, paßt sich die Formgebung des Balkons an, – der Blick wird ganz unbewußt auf die Bühne gezwungen, es gibt nichts, das von ihr ablenkt« (HAZ vom 12.3.1953). Aus der Wölbung der Wände heraus erhellen 500 regelmäßig angebrachte Lichtpunkte direkt den Raum. »Die flimmernde Lichtfülle der einzelnen Lampen wird in ihrer Wirkung gesteigert durch das ruhige, um den Raum herumgreifende Lichtband der Rangbrüstung« (HAZ vom 14./15.3.1953). Durch die indirekte Beleuchtung wirkt der »geräumige, in weichen Wellen kurvende Rang« wie von den Wänden gelöst, »der Eindruck des Unbestimmten in der Linienführung der Brüstung wird durch indirekte Beleuchtung noch verstärkt. […] Die Farbstimmung des Raumes beruht auf dem Zusammenklang von Holzton, dem Lachsrot des Vorhanges und dem Hellgrau der Ranguntersicht. Unregelmäßig verteilte Farbtupfen im Gestühl in Marineblau, Pompejanisch-Rot und Silbergrau sollen den Raum beleben« (Bode, S. 230/231).

In Bezug auf Größe und Ausstattung nimmt das Theater am Aegi unter den hannoverschen Kinos eine einzigartige Sonderstellung ein. Der Film hat sich jedoch bereits aus dem Theater verabschiedet, als es 1964 ausbrennt. Die außergewöhnliche Lichtdramaturgie geht bei dem Brand verloren, der elegante Schwung der prächtigen »Auster« weicht dem kantigen Stil der sechziger Jahre. Dass eine derart kohärente architektonische Inszenierung nicht nur in dieser Größenordnung gelingt, zeigt das Beispiel des intimen Filmstudios am Thielenplatz, das ebenfalls 1953 eröffnet wird und von der Presse einhellig als »Schmuckkästchen«, »Juwel« und »Perle« unter den hannoverschen Kinos gehandelt wird (alle folgenden Zitate vgl. Henninger, S. 213–215).

Filmstudio am Thielenplatz

Von 1951 bis 1953 entsteht nach Plänen von Dieter Oesterlen der Neubau eines Hotels, in dessen Untergeschoss das Filmstudio am Thielenplatz eingerichtet wird. Um den Eindruck zu vermeiden, dass die Besucher in den Keller hinabsteigen müssen, konzipiert Oesterlen das Foyer über zwei Ebenen und stellt das ganze Haus auf das Spiel mit dem Licht ein, »indem er ganz eindeutig einen Lichtspielraum im wörtlichen und wahrsten Sinn dieses Begriffs baute; denn eines der wesentlichsten Gestaltungsmittel ist hier – das Licht selbst, das Licht an sich! […] Das Reizvolle dieser Aufgabe lag also in der Schwierigkeit, schon dem Eingang des Kinos einladende, ja verlockende Akzente zu geben.«

Das gläserne Foyer sorgt für größtmögliche Transparenz, eine raffinierte Lichtregie nötigt den neugierigen Blick der Passanten schon von weitem: »Eyecatcher« und suggestives Hauptelement der Lichtdramaturgie ist eine frei im Raum schwebende Lichtschlange aus Neon, »deren kühn geschwungenes Spiel, von der Decke ausgehend, der kreisförmigen Biegung der Treppe ins Untergeschoß folgt. Als raumschmückendes und blickfangendes Element entspringt diese Neonschlange gleichsam dem großen ›F‹ des Wortes ›Film-Studio‹ an der Außenfront, so daß es bis zum Bahnhofsvorplatz hin sichtbar ist.« Drei Leuchtbänder führen an der Fassade herab, knicken unter dem vorkragenden ersten Stockwerk im rechten Winkel ab und führen unter den Arkaden entlang in das Gebäudeinnere hinein. Dort leitet die organische Leuchtschlange den Besucher weiter zur weitschwingenden, durch Glaswände hinterleuchteten Treppe bis »hinab in den Wandelgang des Kinos, aus dem eine Mosaiksäule aufsteigt, um welche die Treppe kreist.« Die Leuchtschlange windet sich hier um die zentrale Säule und ein geradezu unwiderstehlicher Sog zieht den Besucher in das Souterrain hinab.

»Im Wandelgang angelangt, der in schöner Kurve den Lichtspielraum umfaßt, dürfte sich kaum jemand in die ›Unterwelt‹ versetzt fühlen …« Im Souterrain folgt dann die nächste Überraschung: Der Zuschauerraum »besteht aus zwei Räumen, einem niedrigen mit seitlichen Umgängen, und dem hellen höheren Raum, der eine Breite von nur 14 m und eine Länge von nur 17 m aufweist.« Doch der geschickte Einsatz des Lichts erzielt hier eine geradezu erstaunliche Ausweitung des Zuschauerraumes. Diese Wirkung ist weniger »›Beleuchtungskörpern als raumschmückenden und stimmungserzeugenden Hilfsmitteln‹ zu verdanken«, als vielmehr dem subtilen Einsatz von indirekter Beleuchtung, die geschickt die Begrenzungen des Raumes kaschiert und ihn eigentümlich verwandelt sowie für »Weite, Geschlossenheit und eine verhaltene Feierlichkeit« sorgt.

Raumbestimmendes Element ist eine doppelschichtige Wandgestaltung, gegliedert in »eine offene, silbrig glänzende ›Lamellenwand‹, deren einzelne Teile mit Stoff überzogen sind, und eine dahinter liegende verputzte Wand, die von unten indirekt angestrahlt wird und im Zusammenwirken mit der ›Lamellenwand‹ eine entmaterialisierende Wirkung hat. Derart werden die verschiedenen Beleuchtungsarten überall gleichsam zum Mitspieler: die indirekte Beleuchtung von der Decken-Voute, welche die Decke anstrahlt und auflöst – die Streiflichtaufhellung der Seitenwände hinter den im Gegenlicht erscheinenden, mit Stoff bespannten Holzlamellen – die von oben mit Streiflicht beleuchteten Glasmosaiksäulen vor der schwarzen Sperrholzwand der niedrigen seitlichen Umgänge – der herumlaufende Kranz der kleinen, mit Plexiglas versehenen Wandlampen.«

Die subtile Lichtregie des Filmstudios am Thielenplatz wird um so deutlicher, wenn man sie mit der Beleuchtung des kurz zuvor eröffneten Theater am Kröpcke vergleicht, das von den Hausarchitekten der UFA, Hans Klüppelberg und Gerd Lichtenhahn, konzipiert wird. Bei der Einordnung der »eigenwilligen Wandleuchten« in Form von Blumensträußen sind sich die Rezensenten uneins: Einerseits verleihen sie dem Raum »als heitere und beschwingte Schmuckstücke« eine besondere Note und »tragen zur Auflockerung des Gesamteindrucks wesentlich bei«, andererseits wirken sie unruhig und wollen nicht recht zur übrigen, fast nüchternen Ausstattung passen. »Die Blumensträußchen als Wandleuchten sind sicher eine Lösung, die aus der Terminnot gefunden werden mußte. Sie sind ein Spaß, der sicher bald korrigiert wird.« Im Filmstudio am Thielenplatz ergänzen die umlaufend angeordneten Wandleuchten lediglich die beherrschenden indirekten Beleuchtungseffekte und fügen sich mit ihrem Rhythmus in den Grundton der vertikalen Wandverkleidung ein.

Das eigenwilligste Attribut des Filmstudios am Thielenplatz ist jedoch die Kinoleinwand selbst, deren Klappflügel mit filigranen Linien aus Leichtmetalldraht geschmückt sind. Dieter Oesterlen verzichtet hier konsequent auf die obligatorischen Theaterattribute wie Vorhang, Bühne und Podium, und so scheint die aufgehängte Panorama-Bildwand mit den beiden Klappflügeln frei im Raum zu schweben. Die Presse bemüht hier den Vergleich mit einem »Buchdeckel«, der sich für eine »Erzählung in Bildern« öffnet. Die originelle Konstruktion erinnert jedoch weit eher an einen geschlossenen Altar, dessen Flügel an besonderen Festtagen geöffnet werden, um die eigentliche lithurgische Botschaft zu präsentieren. Nichts anderes geschieht bei der Zeremonie im Filmstudio am Thielenplatz, wenn sich die Flügel des »Filmaltars« mit einem Fanfarenstoß für die Filmmesse öffnen.

Bedauerlicherweise wurde auch dieses unerreichte Kinojuwel vor zwanzig Jahren geschlossen und einige Jahre später abgerissen. Die zentrale Treppe mit ihrem Belag aus Marmorsplitt, die Säule mit ihrem Besatz aus gelben Mosaiksteinen und die Wände aus gebrochenen, schichtweise verlegten Juraplatten im einstigen Foyer sind heute die letzten Überbleibsel der ehemaligen Ausstattung, von der subtilen Dramaturgie der Wegeführung und der raffinierten Lichtinszenierung hat sich dagegen nichts erhalten.

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