Ausklang des Kinobooms Ende der fünfziger Jahre

Peter Struck (2023)

Das nur zwei Jahre später ebenfalls unter dem Straßenniveau installierte City-Theater könnte kaum unterschiedlicher gestaltet sein, keine vergleichbar sprechende Lichtwerbung lockt hier das Publikum. Das Kino gegenüber dem Bahnhof erreicht man durch eine Passage, lediglich bizarr geformte Leuchten erhellen hier das organisch geschwungene Treppenhaus. Dafür gestaltet Architekt Ernst Friedrich Brockmann 1955 den ovalen Zuschauerraum sehr eigenwillig als »Schauraum«, der vom üblichen Aussehen der Theaterräume völlig abweicht: Das Kino überrascht durch seine originelle künstlerische Gestaltung mit großflächigen, expressiven Ornamenten an den Wänden, »die so vielfarbig sind, wie kaum ein Raum in Hannover.« Mit der fast schon übertriebenen Farbigkeit will Brockmann dem Eindruck eines »Keller-Kinos« entgegenwirken. Die aus der Eisenbetonkonstruktion heraus entwickelte, »wannenförmig gegliederte Decke« soll den Raum durch »quergelagerte Lichtvouten« gleichsam großflächig »aufschlitzen« und im übertragenen Sinne »gleißendes Tageslicht« von oben hereinlassen. Im Gegensatz zu Dieter Oesterlen versucht Brockmann hier erst gar nicht, die Illusion eines grenzenlosen Raumes mit unbestimmten Abmessungen zu erzeugen, sondern arbeitet mit farbenfrohen Elementen und einem bizarren Deckenlicht gleichsam psychologisch wie psychedelisch gegen die Lage im Keller an. Dabei gelingt ihm kein vergleichbar stimmiges, gleichwohl sympathisches Ergebnis und ganz eigenständiges Erlebnis.

1955 werden schließlich noch zwei bemerkenswerte freistehende Neubauten verwirklicht: das »Riki« und das »Resi«. Für den Stadtteil Ricklingen errichtet Adolf Springer 1955 endlich den langersehnten Neubau des Ring-Theaters oder Riki. Um dem Bau die Monumentalität zu nehmen, setzt Springer zwei unterschiedlich große und verschieden hohe Baukörper mit trapezoiden Grundrissen aneinander, die sich von ihrem Schnittpunkt aus in gegensätzlicher Richtung verjüngen. Das eigenwillig geformte Ensemble spielt zusätzlich mit konvexen und konkaven Wölbungen: An seiner Eingangsfront weicht das flache Foyer schwungvoll zurück und erzeugt in Verbindung mit dem gegenläufig geschwungenen Vordach ein einladendes Entrée. Das filigrane, gläserne Foyer setzt sich deutlich vom geschlossenen Block des Kinosaales ab, die organischen Wölbungen der Schaufront und des Daches mildern jedoch die Kontur des großen Körpers.

1955 errichtet Kurt Rietdorf schließlich zwei grundverschieden konzipierte Filmtheater, die »Holzklasse« der geräumigen, aber einfachen Camera-Lichtspiele am Vahrenwalder Platz und das elegante Residenz-Theater im Vorort Mittelfeld. Der fast 30 Meter lange Zuschauerraum der Camera-Lichtspiele ist fächerförmig gestaltet und ohne Rang konzipiert, seine Atmosphäre zeichnet sich eher diffus durch »vornehme Schlichtheit und kultivierte Behaglichkeit« aus. Ein kleines Schmuckstück ist dagegen das organische »Resi« in Mittelfeld: Die asymmetrische Eingangshalle ist ganz in Glas aufgelöst, wirkt filigran und elegant. Neu und ungewöhnlich am Zuschauerraum ist die geradezu ornamental verwendete Beleuchtung, die sich den geschwungenen Linien der Wandtäfelung anpasst, gleichsam organisch mit der Architektur verschmilzt. Neu und ungewöhnlich ist hier auch die Idee, hinter dem Vorführraum des Kinos eine Dreizimmerwohnung für die Familie des Vorführers einzurichten. Und auch als eine Art neues Stadtteilzentrum will der Bau verstanden werden: »Gut gelöst wurde der zur Sehnder Straße gelegene Anbau des Lichtspielhauses, in dem ein reich mit Glas ausgestatteter Laden für ein Tabakwarengeschäft und eine gemütliche Gaststätte untergebracht sind.« Mit diesem schönen Beispiel läuft der hannoversche Kinoboom der fünfziger Jahre langsam aus. Letzte Nachzügler sind das Theater am Damm, das Savoy-Theater und die bereits erwähnten Rivoli-/Roxy-Lichtspiele. Hier kündigt sich bereits die aufkommende sachlichere Sprache der sechziger Jahre an.

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