Die Spielfilmproduktion im ersten Jahr nach der Währungsreform

Die realisierten Spielfilme der JFU 1948/49

In der Zeit nach der Währungsreform bis zum Sommer des folgenden Jahres konzipierte und realisierte die JFU drei Spielfilme, die eine gewisse Produktionsphase dokumentieren.

Allgemeine dramaturgische Überlegungen

Peter Stettner (1992)

Infolge der Währungsreform veränderten sich die ökonomische Situation und – im Zusammenhang mit dem Ende der alliierten Vorzensur – auch die politischen Produktionsbedingungen der JFU. Der Firma stellte sich jetzt in anderer Weise als vorher die Frage, welche Filmstoffe verwirklicht werden sollten und konnten. In der bereits zitierten Äußerung Rolf Meyers „wir können also nun jeden Film herstellen, sofern wir wirtschaftlich dazu in der Lage sind“ spiegelt sich die neue Freiheit und zugleich eine neue Abhängigkeit. Der Blick des Produzenten musste sich jetzt zwangsläufig zuerst auf die ökonomisch-finanziellen Dimensionen der Filmproduktion richten. Und dies in zweifacher Hinsicht: sowohl was die Beschaffung von Finanzmitteln anging als auch was den Rückfluss der investierten Mittel betraf. Der letzte Aspekt zielte auf das Kinopublikum und dessen (Film)-Wünsche. Um in diesem Zusammenhang Erkenntnisse gewinnen zu können, startete Rolf Meyer eine breit angelegte Kampagne: zusammen mit der Frauenzeitschrift „Constanze“ veranstaltete die JFU ein großes Filmpreisausschreiben. Zwischen September 1948 und März 1949 konnten die Leserinnen und Leser ihre Filmideen einsenden. Eine Prüfungskommission, bestehend aus Rolf Meyer, dem Chefredakteur der Zeitschrift „Constanze“, den Filmschaffenden Gustav Fröhlich und Hilde Krahl sowie dem Syndicus des Filmverbandes, begutachtete die eingesandten Manuskripte, wobei die drei „besten“ prämiert werden sollten. Der 1. Preis betrag 12.000,— DM, und der Stoff des Gewinners sollte zudem verfilmt werden.125

Das Preisausschreiben stieß auf große Resonanz: es wurden insgesamt ca. 25.000 Manuskripte eingesandt. Noch im Jahr 1950, als die Aktion längst beendet war, erhielt die JFU zahlreiche Zuschriften in diesem Zusammenhang. Die Entscheidung fiel im Mai 1949: der 1.Preis ging an den Berufsautor P.A. Müller für dessen Stoff GESELLSCHAFTSREISE ALLES INBEGRIFFEN, der später die Grundlage für Film Nr.7 der JFU, DREIZEHN UNTER EINEM HUT, darstellte. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass Rolf Meyer die Filmrechte bereits im September 1948 erworben hatte und den Stoff, den er noch aus der Zeit des Nationalsozialismus kannte, selbst einreichte.126  Die Handhabung der ganzen Aktion lässt darauf schließen, dass es R. Meyer weniger darum ging, die Manuskripte ernsthaft zu prüfen, als vielmehr ein Stimmungsbild zu gewinnen und vor allem eine öffentlichkeitswirksame Werbung zu erzielen.

Die im Zusammenhang des Filmpreisausschreibens angelegten Akten stellen zugleich den Beginn einer dramaturgischen Abteilung der JFU dar. Zu den eingesandten Manuskripten finden sich vereinzelt Hinweise Rolf Meyers bzw. des „Chefdramaturgen“, Herrn Answahl Krüger, die Aufschluss darüber geben, welche Art von Filmprojekten die JFU nach der Währungsreform zu verwirklichen gedachte, was für möglich, vor allem aber was für unmöglich bzw. nicht erstrebenswert erachtet wurde.127 Denn die dramaturgischen Kommentare der JFU sind in der Regel ablehnender bzw. zurückstellender Art, keiner der auf diese Weise eingegangenen Stoffe wurde schließlich realisiert. Die Einwände bezogen sich zum einen auf finanzielle und technisch-dramaturgische Aspekte: ein Stoff sei „filmisch“ nicht zu realisieren oder zu aufwendig und teuer in der Produktion.

Interessanter sind diejenigen Stellungnahmen, die inhaltlich auf die Stoffe Bezug nehmen. Häufig erscheint die Bemerkung, dass man sich genug mit Zeitproblemen befasst habe. So heißt es etwa: „Wir haben in der letzten Zeit meist nur Filme mit ‚Heimkehrer-Schicksal‘ gesehen und wollen versuchen, einmal zeitlose Filme zu machen.“ 128 An anderer Stelle: „Wir haben uns nun genug mit Flüchtlingsproblemen beschäftigt und wollen endlich dazu kommen, zeitlose Filme zu drehen.“129 Anlässlich der Stoffeinsendung für einen „Versehrten-Spielfilm“ führte Rolf Meyer zudem aus, dass er „keine Geldleute (fände, d.V.), die mir in der augenblicklichen Kreditsituation die Mittel für die Realisierung eines solchen Filmes geben.“ 130 Weitere Ablehnungsgründe allgemeinerer Art waren, wenn ein Stoff als „zu düster und belastend“ empfunden wurde oder einfach als zu „unerfreulich“. Die JFU wurde auch mit Stoffen konfrontiert, die den organisierten Massenmord im 3. Reich aufgriffen. In einem solchen Schreiben heißt es:

„Wollen Sie Stoff für einen Film haben, für den nach meinem Dafürhalten in der ganzen Welt Interesse sein dürfte, so könnte ich Ihnen diesen Stoff liefern. Es handelt sich um Zigeuner und Zigeuner-Mischlinge, die ausgerottet und sterilisiert wurden, so dass eine ganze Rasse buchstäblich ausgelöscht werden sollte. 20.000 wurden im Konzentrationslager Auschwitz vergast, der Rest sterilisiert. Diese Tatsache dürfte nur wenig bekannt sein. Meine Familie, die Eltern und neun Geschwister hatte viel unter den Nazis zu leiden. Die Brüder wurden sterilisiert, sie waren im KZ, wovon zwei vergast wurden. Mutter aus Gram an Herzschlag gestorben. Vater in einer Heilanstalt. Ich selbst bin jetzt der Älteste der Familie, 50 Jahre alt. Was wir mitmachen mußten, kann in keiner noch so vollendeten Dichtung drastischer sein. Ein Film über meine Rassegenossen dürfte auf der ganzen Welt großes Interesse hervorrufen.“

Der Dramaturg der JFU konzidierte, dass „vielleicht eine gewisse Verpflichtung bei uns Deutschen besteht, diese Dinge der breiten Öffentlichkeit in einer einmaligen Weise vor Augen zu führen“, wandte aber ein, „daß der Zeitpunkt für eine solche Arbeit im Augenblick noch nicht gegeben ist, da sowohl von seiten der Hersteller (beim Drehbuchautor angefangen), wie besonders in hohem Maße von Seiten des Publikums der Abstand zwischen diesen Dingen noch zu gering ist.“ 131

Dass das Interesse, die Verbrechen des Nationalsozialismus aufzuarbeiten bei der JFU kaum vorhanden war, zeigt die Stellungnahme zu einem weiteren Stoff. Dort heißt es:

„Auch heute noch wird in halb Europa, um nicht zu sagen in der halben Welt, das Recht des einzelnen zu Gunsten eines subjektiven Staatsrechts gebrochen. Wir können unserem deutschen Publikum in der augenblicklichen Situation nicht zumuten, daß wieder nur am deutschen Beispiel allein dieses ungeheuerliche Unglück der Menschheit demonstriert werden soll.“132

Doch die JFU wies nicht nur die Thematisierung von Verbrechen, die zur Zeit des Nationalsozialismus begangen wurden, zurück – als bedenklich galt Rolf Meyer auch der Defa-Austauschfilm AFFÄRE BLUM, der einen authentischen Justizirrtum in der Weimarer Republik aufgreift. Im Folgenden wird zum besseren Verständnis kurz der Inhalt des Films skizziert.

Im Jahre 1926 ermordet der arbeitslose Karl Heinz Gabler, ein ehemaliger Freikorpsmann, in Magdeburg den Buchhalter Platzer. Gabler wird kurze Zeit später bei dem Versuch, mit einem Scheck Platzers in einem Waffengeschäft zu zahlen, von Kommissar Schwerdtfeger verhaftet. Der Polizeibeamte Schwerdtfeger behandelt Gabler aufgrund dessen Freikorpsvergangenheit – auch Schwerdtfeger war Freikorpsmann – bevorzugt. Gabler macht sich den vorhandenen Verdacht Schwerdtfegers, dass das Verschwinden Platzers mit angeblichen Steuerhinterziehung in der Firma des Juden Dr. Blum in Zusammenhang steht, zunutze und belastet diesen. Blum wird verhaftet und im Unterschied zu Gabler wie ein Schwerverbrecher behandelt. Dabei wird Kommissar Schwerdtfeger in seinem Verdacht gegen Blum von Vertretern des Landgerichts unterstützt. Doch Präsident Wilschynsky, der ein persönlicher Freund Blums ist, fordert aus Berlin einen unabhängigen Kriminalbeamten an. Kommissar Bonte wird nach Magdeburg geschickt, aber seine Mitarbeit an dem Fall wird vom zuständigen Landgerichtsrat abgelehnt. Bonte führt die Ermittlungen auf eigene Faust weiter, findet die Leiche Platzers im Keller Gablers und überführt diesen schließlich des Mordes. Blum wird schließlich freigelassen und kehrt nach Hause zurück.

Diese Defa-Produktion aus dem Jahre 1948 zeichnet sich durch einen klaren historisch-politischen Zeitbezug aus, der Film ist „engagiert“: ÄFFARE BLUM zeichnet ein Bild der Notwendigkeit und der Möglichkeit nüchterner, sachlicher Aufklärung. Aber AFFÄRE BLUM ist kein Film, der, wie manche Defa-Produktionen der 50er Jahre, „sozialistische Propaganda“ betreibt. Um so bemerkenswerter, dass Rolf Meyer diesen Film hinsichtlich der Publikumsreaktionen in Westdeutschland skeptisch beurteilte und zwar im Hinblick auf dessen politische Aussage: Rolf Meyer hielt AFFÄRE BLUM „wegen seiner stark politischen Linkstendenz für nicht ganz geschäftssicher“.133 Wenn ein auf die historisch-politische Realität der Weimarer Republik bezogener Film, der „lediglich“ ein Plädoyer für unvoreingenommene, sachliche und nüchterne Aufklärung darstellt, als linkslastig und deswegen als risikoreich angesehen wird, dann wirft auch dies ein Licht darauf, wo die Tabuzonen dessen lagen, was die JFU/Rolf Meyer filmisch realisieren wollte.

Zusammengenommen ergeben die dramaturgischen Kommentare der JFU ein recht deutliches Bild dessen, was die Filmfirma im ersten Jahr nach der Währungsreform meinte an Filmstoffen nicht aufgreifen zu können oder auch von sich aus nicht für angemessen hielt. Man wollte möglichst schnell weg von den zeitnahen Stoffen, die von der britischen Film Section im Zusammenhang der Rohfilmzuteilung bis zur Währungsreform tendenziell bevorzugt worden waren. Auf diese Weise wird noch einmal bestätigt, wie wenig die Zeitnähe und die realistischen Bezüge in den ersten Filmen der JFU vor der Währungsreform wirklich auf das ernsthafte Bemühen um eine „realistische“ filmische Auseinandersetzung mit der frühen Nachkriegszeit zurückzuführen sind. Doch nun sollte es keine Auseinandersetzung mehr mit aktuellen Zeitproblemen geben noch sollte an die jüngste deutsche Vergangenheit, vor allem nicht an die Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus, gerührt werden. Zur Begründung führte die JFU sowohl die Interessen der Kapitalgeber als auch und vor allem diejenigen der Konsumenten an, also den vermuteten Publikumsgeschmack. Aber diejenigen Stellungnahmen, die eine „eigene“ Meinung deutlich werden lassen, rücken die JFU, Rolf Meyer selbst und die leitenden Mitarbeiter der Filmfirma, ebenfalls in den von ihnen selbst angeführten zeitgenössischen Geschmacksund Urteilszusammenhang. Hier wird eine Mentalität deutlich, die geprägt ist durch eine politisch-gesellschaftliche Realitätsflucht, insbesondere durch eine massive Verdrängung der nationalsozialistischen Vergangenheit, die damals gerade wenige Jahre zurücklag und in die kaum jemand nicht irgendwie verstrickt gewesen war. Begründungen wie diejenige, dass der nötige „Abstand“ fehle, gehören zu den Kunstgriffen dieser Realitätsflucht. Zugleich macht eine solche Formulierung deutlich, wie bedrohlich eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit für die psychische Stabilität gewesen wäre. Zu einer solchen Auseinandersetzung wollte man eben auf „Abstand“ gehen. Deutlich wird auch ein Mechanismus, der darauf abzielte, durch ein tatsächliches oder vermeintliches Unrecht, das „in halb Europa, um nicht zu sagen in der halben Welt“ geschah, die „eigenen“ Verbrechen zu relativieren und dadurch eine Auseinandersetzung mit denselben abwehren zu können. So spiegelt sich in den zitierten Stellungnahmen der JFU das, was Alexander und Margarete Mitscherlich die „Unfähigkeit zu trauern“ nannten: Rolf Meyer und andere leitende Mitarbeiter der JFU wollten nicht etwa eine klärende Auseinandersetzung im Sinne des „erinnern, wiederholen, durcharbeiten“, wie die Mitscherlichs in Anlehnung an Freud formulierten, sondern die Filmschaffenden der JFU wollten möglichst schnell zur „Normalität“ übergehen. Und das hieß für sie, endlich „zeitlose“ Filme zu drehen.134

(…)

Anmerkungen

125 Vgl. hierzu den Schriftwechsel in JFU 26 und JFU 126

126Laut der Zeitschrift „Filmpress“ hatte die UFA den Stoff hn Jahre 1941 von Herrn Müller erworben Rolf Meyer, damals Drehbuchautor, soll den Stoff zur Bearbeitung bekommen haben Die damalige Verfilmung unterblieb jedoch Vgl Filmpress Nr.5, 7.7.1949, S. 1.

127Diese Stellungnahmen, soweit sie überhaupt schriftlich fixiert wurden, sind meist als Durchschlage der an die Autoren gerichteten Schreiben erhalten. Die kommentierten Exposés existieren demgegenüber oft nicht mehr, da diese, wenn sie auf eindeutige Ablehnung stießen, zurückgesandt wurden. Die Begründungen in den Stellungnahmen der JFU sprechen jedoch meist für sich Die folgende Auswertung bezieht sich auf Exposés, die seitens der JFU in dem Zeitraum 1048 49 bearbeitet wurden Der entsprechende Schriftwechsel ist in den Akten JFU 67-72 abgelegt

128 Schreiben der JFU vom 30.7.1948, in· JFU 71

129 Schreiben der JFU vom 8.6.1949, in JFU 68

130 Schreiben Rolf Meyers vom 16.2.1949. in JFU 71

131 Schreiben der JFU vom 24.6.1949, in: JFU 70.

132 Schreiben der JFU vom 10.9.1949, in: JFU 72

133 Schreiben Rolf Meyers an den Verleiher Schorcht vom 24.1.1949, in: JFU 588

134 Vgl Alexander und Margarete Mitscherlich, Die Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollektiven Verhaltens, München 1967, S. 24.


Auszug aus: Stettner, Peter (1992): Vom Trümmerfilm zur Traumfabrik. Die ‚Junge Film-Union‘ 1947-1952, Hildesheim 1992, S: 61-65

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