„Noch nie so grausame Bilder gesehen“

Christoph Maria Fröhder im Interview mit Klaus-Rüdiger Metze

Christoph Maria Fröhder, drei Wochen lang ARD-Korrespondent in Bagdad und Ende letzter Woche nach Deutschland zurückgekehrt, war am 24. Februar 1991 Gast in der „Wechselrede“ in Hessen 3. Klaus-Rüdiger Metze, stellvertretender Chefredak­teur des HR-Fernsehens, sprach mit ihm. (Die Mitschrift aus epd/Kirche und Rund­funk ist für die vorliegende Fassung leicht überarbeitet worden.)

Klaus-Rüdiger Metze: Christoph Maria Fröhder, geboren am 23. September 1942 in Fulda, Beruf: Fernsehjournalist. Nach Universitätsbesuch in Tübingen Volontär bei der „Stuttgarter Zeitung“, wo er sich die ersten journalistischen Sporen verdiente. Ab 1965 drei Jahre lang landespolitischer Korrespondent im Hörfunkstudio des Hessi-schen Rundfunks in Wiesbaden, danach Wechsel zum Regionalfernsehen, wo Fröh-der für die „Hessenschau“ hauptsächlich von der Uni Frankfurt über die damalige Studentenbewegung berichtete. Mit Beginn des Biafrakrieges startete Christoph Maria Fröhder seine Filmberichterstattung für die ARD aus dem Ausland. Als freier Journalist war er von da ab, wenn nötig auch als sein eigener Kameramann, an allen Krisenherden der Weit mit an vorderster Front zu finden. Nach der Vietnam-Bericht-erstattung wohl am spektakulärsten seine Reportagen aus Kambodscha, wo er sich in der Hauptstadt Pnom Penh als einziger ausländischer Fernsehreporter von den angreifenden Roten Kmer hatte überrollen lassen und so zu einmaligen Bildern kam, die er später auf abenteuerliche Weise aus Kambodscha herausschmuggeln konnte. In den 80er Jahren drehte Christoph Maria Fröhder zahlreiche Features, Doku-mentarfilme, für den HR und die ARD, meist komplizierte Filme, die mit aufwendigen Recherchen verbunden waren, im Englischen „investigative journatism“ genannt, im Deutschen nicht ganz korrekt als Enthüllungsjournalismus bezeichnet. Schließlich, und deshalb haben wir ihn heute eingeladen, war Christoph Maria Fröhder bis vor wenigen Tagen ARD-Korrespondent im Bombenhagel von Bagdad.

Christoph, nach so vielen Jahren erfolgreicher Dokumentarfilmerei, warum jetzt wieder Kriegsberichterstattung, Frontberichterstattung aus Bagdad, was treibt Sie, was interessiert Sie an diesem Himmelfahrtskommando?

Christoph Maria Fröhder: Es ist sicher nicht die Lust am Abenteuer gewesen. Ich habe die ersten drei Sondersendungen mitgefahren, die vom Westdeutschen Rund-funk unmittelbar nach Kriegsbeginn gemacht wurden. Wir haben dort im Kollegen-kreis darüber diskutiert, dass es im Grunde erschreckend ist, diese klinisch reinen Bilder zu zeigen, die wir größtenteils von der amerikanischen Fernsehgesellschaft CNN überspielt bekamen. Diese Bilder vermittelten fast wie beim Videospiel den Eindruck, in der Kanzel des Jagdflugzeuges zu sitzen und auf das Objekt, meistens irgendwelche Fabriken, zuzufliegen. Man hörte auf Englisch den Countdown, man konnte genau zusehen, bis der Pilot abdruckte, man sah die Rakete, die ging dann mitten ins Ziel.

Wir haben uns damals gemeinsam gefragt, zeigen diese Bilder eigentlich den Krieg, erkennt man nicht vielmehr erst in den Opfern das wahre Gesicht eines Krieges? Aus diesen Überlegungen heraus habe ich zugesagt, als man mich gefragt hat, ob ich nach Amman gehen will. Amman, das war die erste Etappe. Ich habe gesagt, ja ich mache es, wenn ich von dort aus über die Wirklichkeit des Krieges berichten kann. Dann ergab es sich durch einen glücklichen Zufall – und meine Hartnäckigkeit, dass ich dem irakischen Botschafter in Amman ein Visum für mich abschwätzen konnte. Auf diese Art bin ich nach Bagdad gekommen.

So wenig das Fernsehen die wahre Realität des Krieges zeigt, so wenig hat das Fernsehen auch die Arbeitsbedingungen der Kriegsberichterstatter gezeigt, nämlich unter Lebensgefahr. Wenn Sie das jetzt in der Rückschau sehen: Lohnt sich der Einsatz, sein Leben als Journalist einzusetzen für eine Berichterstattung, die die Zensur überhaupt noch zulässt?

Wenn man der Überzeugung ist, dass diese Berichterstattung dabei helfen kann, diesen Krieg zu verkürzen und damit Menschenleben zu retten, dann lohnt sich der Einsatz immer. Das war meine feste Überzeugung, solange ich in Bagdad geblieben bin. Ich wäre wahrscheinlich auch länger geblieben, wenn das Informations-ministerium mir nicht gesagt hätte, dass ich an sich nur ein Visum für vier bis fünf Tage hätte und jetzt schon über drei Wochen im Land sei, jetzt müsse dringend ein anderer für mich ran.

Wenn Sie in den Bunkern in Bagdad gesessen haben, den Bombenhagel über dem Kopf, gab es da Momente, wo Sie bereut haben, dass Sie wieder an die Front gegangen sind?

Ich habe nie in dem Bunker gesessen, außer wenn ich mal runtergegangen bin, um die Herren des Informationsministeriums zu suchen, die sich da meist verkrochen hatten. Ich hatte immer Sorge, dass ich allein durch den Geruch in diesem Bunker nachts umkommen würde, und habe deshalb lieber in meinem Zimmer geschlafen. Aber es hat solche Momente in der Tat gegeben. Ich habe einmal versucht, Hamburg anzurufen, da flog eine Cruise missile im Abstand von vielleicht 50 oder 60 Metern an uns vorbei. Ich habe erst das surrende Geräusch gehört. Als ich hochguckte, sah ich diesen schwarzen Raketenkörper und hinten den Feuerschweif. Die Rakete ist in einer Entfernung von vielleicht 700 oder 800 Metern von mir entfernt auf das internationale Kongreßzentrum von Bagdad geknallt und hat es komplett zerstört. Das war ein Moment, da ist mir schon sehr weich in den Knien geworden, weil die Splitter des Kongreßzentrums bis zu uns herüberflogen. Als ich dann anschließend ins Studio ging, um ein Live-Interview zu geben, musste ich mir erstmal den Pullover ausschütteln, weil alles verstaubt und verdreckt war. Da habe ich mich in der Tat gefragt, ob es dafür steht. Aber auf der anderen Seite hat natürlich die Permanenz der Arbeit – ich habe teilweise 18 bis 19 Stunden am Tag gearbeitet – solche Gedanken sehr leicht weggedrückt. Ich konnte mich einfach auf die Arbeit konzen­trieren und die eigene Gefühlswelt, das eigene Gefühlsleben, schlicht ignorieren.

Auch bei der Kriegsberichterstattung schleicht sich nach einer gewissen Zeit Routine ein, das bleibt nicht aus. Wie schützt man sich eigentlich selbst vor dem täglichen Grauen, das man sehen muss, über das man berichten muss, wie schützt man sich davor, Schaden an seiner Seele zu nehmen?

Ich wollte mich nie davor schützen, weil ich der Überzeugung bin, wenn man nicht wirklich teilnimmt an dem Elend, das man sieht – an den Verletzten und Toten -, wenn man das nicht wirklich mit- und nacherlebt, auch durch Gespräche, die man mit Überlebenden führt, dann ist man im Grunde falsch am Platze. Und ich habe ganz bewusst immer wieder die Orte aufgesucht, an denen sowas passiert ist, um mit den Leuten ins Gespräch zu kommen, um nachvollziehen zu können, was sich in den Leuten abgespielt hat, um den Zuschauern das wahre Gesicht des Krieges zeigen zu können. Denn Krieg ist eben nicht das, was wir in der letzten Zeit häufig gesehen haben, rollende Panzerkolonnen und nahezu ästhetische Bilder von Waffen. Das wahre Gesicht des Krieges ist in der Regel der blanke Mord an Zivilisten.

Das wahre Gesicht des Krieges: Ich erinnere mich an eine Diskussion, die wir beide vor vielen Jahren hatten. Es ging damals im Vietnamkrieg darum, ob Sie sich unter hohem persönlichen Risiko in die sogenannte Fire Base 6, die berühmt-berüchtigte, einfliegen lassen, um hautnah heranzukommen, um wirklich das Grauen dieses Krieges und der Soldaten dort, die im wahrsten Sinne des Wortes im Dreck ver-recken, um diese Bilder zu bekommen. Ich hatte damals großen Zweifel, ob sich ein solcher Einsatz lohnt, weil ich nicht geglaubt habe, dass Menschen, wenn sie zu Hause in einer wohlbehüteten Umgebung vor ihrem Fernsehapparat sitzen, sich durch grauenhafte Bilder von einem Antikriegsgefühl überzeugen lassen. Ich sage noch ein Beispiel: Der Golfkrieg zwischen Iran und Irak, der wirklich grauenhafte Bilder produziert hat, hat eigentlich bei den Menschen überhaupt nichts bewirkt, das war ein vergessener Krieg, der acht Jahre so weglief, die Gasopfer etc. Wie sehen Sie das heute?

Ich würde das beim Vietnamkrieg anders sehen als bei dem Iran-Irak-Konflikt. Beim Vietnamkrieg war es ja möglich, ohne Zensur unmittelbar heranzukommen. Man hat mit den GIs sprechen können, die wussten, dass sie auf verlorenem Posten sind, die diesen Krieg schon längst nicht mehr wollten, die am liebsten desertiert wären, die uns auch gefragt haben, habt ihr irgendeine Möglichkeit, uns rauszukriegen, und wenn wir uns in Deutschland verkriechen oder sonst wo. Das haben wir mit unseren Bildern schon transportieren können. Da, glaube ich, war es weiß Gott gerechtfertigt, dieses Risiko einzugehen. Bei dem Iran-Irak-Konflikt war die Situation schon deshalb anders, weil wir ständig in diesem Pulk von Journalisten fahren mussten, die vom Informationsministerium an genau ausgewählte Stellen gebracht wurden, und nur das filmen konnten, was dem jeweiligen Informationsministerium, sei es dem iranischen oder irakischen, gefiel. Da kann man natürlich solche Bilder nicht überbringen, die das wirkliche Gesicht des Krieges zeigen und die Leute nachdenklich machen könnten. Da hat man im großen und ganzen nur die Behaup­tungen reproduzieren können, die das Informationsministerium zum besten gegeben hat. Man hat teilweise Berge von Leichen gesehen. Wenn man ganz genau hingesehen hat, wusste man, dass diese Leichen zusammengetragen worden waren. Viele Kollegen haben das in ihrem Kommentar anschließend auch deutlich gemacht. Insofern konnte man die Leute gar nicht so ansprechen, wie bei der Berichterstattung aus dem Vietnamkrieg.

Der Vietnamkrieg war frei von Zensur, Sie konnten frei berichten, und Sie konnten überall hin, wo Sie hinwollten, jetzt gibt es eine massive Zensur. Es gab ja im Zusammenhang mit dem Vietnamkrieg die weitverbreitete Auffassung, dass die Medien den Krieg einfach durch die brutale Darstellung beendet hätten. Teilen Sie diese Auffassung?

Ich bin fest davon überzeugt. Diese Überzeugung ist für mich eine ganz wichtige Triebfeder gewesen, in den Golfkrieg zu gehen, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass Bilder, so wie ich sie jetzt auch aus Bagdad herausgebracht habe, bei den Leuten keine Wirkung hinterlassen. Ich bin zwar der Meinung, dass Saddam Hussein ein Verbrecher ist, dass solche Leute nun wirklich kein Volk regieren, kein Volk unterdrücken dürfen und dass die Völkergemeinschaft dringend etwas dagegen unternehmen musste. Aber ich kann nicht akzeptieren, dass die Zivilbevölkerung, die sowieso schon unter diesem Diktator leidet, noch zusätzlich bestraft wird, indem sie durch amerikanische Bomben mehr oder weniger ausradiert wird.

Zensur in Bagdad. Wie muss man sich das eigentlich vorstellen, wie hat das konkret stattgefunden?

Es fing morgens damit an, dass das Informationsministerium gesagt hat, heute fahren wir da und da hin. Das war die ersten sechs, sieben Tage so, da hat es auch halbwegs so geklappt. Meistens hatten sie den Bus, es fehlte jedoch das Benzin, dann mussten wir das eigene Benzin, das wir aus Jordanien mitgebracht hatten, dazuschütten, damit sie überhaupt fahren konnten. Die meiste Zeit, anfangs zumindest, hat beim Drehen jemand neben einem gestanden, auch Interviews wurden grundsätzlich durch die Zensurbeamten, Angestellte des Informations­ministeriums, wie uns immer gesagt wurde, abgenommen. Mein Begleiter beispielsweise war beim Staatssicherheitsdienst der DDR geschult worden und war in Wirklichkeit ein hoher Geheimdienstoffizier. Der sprach Sächsisch, ich habe ihm gelegentlich auf hessisch geantwortet, was er nicht verstanden hat. Wenn wir dann abends nach Hause kamen, hat dieser Beamte versucht, sich mit in den Schneideraum zu setzen. Da nur ich ein Visum bekommen hatte und das Team in Amman zurückbleiben musste, habe ich die Filme selbst geschnitten. Mein Zensor hat gelegentlich versucht, mir in die Schnittarbeiten hereinzureden. Ich habe das dann einfach dadurch unterbunden, dass ich an immer anderen Plätzen – es gab da sechs oder sieben Schneideplätze – geschnitten habe und er einfach nicht wusste, wo ich bin, und mich im ganzen Hotel gesucht hat. Ich kam meistens mit dem fertigen Film an. Dann kam die sogenannte Abnahme durch die Zensur, da wurde erst das Bild angesehen, dann wurde der von mir meist schon fertig verfasste Kommentar vorgelesen. Später habe ich ihn schon auf Band gesprochen, so dass er einfach schon fertig war. Man kann beispielsweise durch die Intonation viel machen, denn die Überwacher verstehen zwar Deutsch, aber wenn man die Sätze ein bisschen anders betont, dann haben sie doch meist den Gehalt nicht verstehen können. Später, im Grunde schon am dritten Tag, habe ich eine andere Methode entwickelt. Ich habe eine Kassette mit Bildern vollgedreht, die verboten waren, nämlich von Soldaten, von Militärfahrzeugen und militärischen Einrichtungen, die man in der Nähe des Hotels sehen konnte. Es ist mir mal gelungen, für drei Stunden rauszukommen und diese Kassette zu drehen. Ich habe dann an den Anfang der Filme eine solche Einstellung gesetzt, in die Mitte und an das Ende noch einmal eine. Und dann hat der Zensor voller Stolz gesagt, die erste Einstellung müsse natürlich weg, die in der Mitte müsse auch weg, die letzte auch. Dann hat er ein Kreuzchen in sein Notizbuch gemacht, hatte sein Erfolgserlebnis, und ich hatte genau den Film, den ich produzieren wollte.

Wie viele westliche Kollegen waren zu Ihrer Zeit in Bagdad, und nach welchen Kriterien wurden sie ausgesucht? Und was passierte, wenn sie bei massiven Betrügereien, wie Sie sie gerade geschildert haben, um die Zensur zu umgehen, erwischt wurden?

Die Zahl der Journalisten hat ständig gewechselt. Als ich nach Bagdad kam, waren nur sechs Journalisten da. Wir kamen zu fünft, also waren es dann elf. Am Wochenende kamen dann noch einmal 20 bis 30, zum Schluss waren es etwas über hundert. Wenn sie einen bei Verstößen gegen die Zensurbestimmungen erwischt haben, wurden sie in der Regel sehr massiv. Ich bin bei einer solchen Gelegenheit auch sehr massiv geworden. Das Interessante war, man konnte sich sehr wohl auch gegen diese Zensurbeamten durchsetzen. Ich habe zum Beispiel diesem Stasi-Mann gesagt, eines musst du dir von Anfang an mal merken: Ich bin ein Journalist, der völlig unabhängig ist. Ich bin es nicht gewöhnt, Befehle entgegenzunehmen, und ich werde mich auch nicht daran gewöhnen, und wenn du dir das nicht merkst, dann können wir hier nicht zusammenarbeiten, dann gehe ich zu dem Direktor des Informationsministeriums oder schlimmstenfalls zum Staatssekretär – das war der einzige Mann, der für uns noch zugänglich war, weil der Minister meist nicht in der Stadt war – und werde mich massiv über dein Verhalten beschweren. Und denk vor allem mal daran, es gibt auch eine Zeit nach dem Krieg, und ich habe ein sehr gutes Gedächtnis, und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass die Situation in Bagdad nach dem Krieg ganz anders aussieht. Da war plötzlich alles ein Missverständnis. Er wurde ungeheuer freundlich und sagte, es sei ja nicht mein Fehler, dass diese Einstellung da reingekommen ist, in Wirklichkeit sei das der Fehler des Begleiters gewesen, und es hat sich alles mehr oder weniger zerläppert.

Nach welchen Kriterien wurden die Kollegen ausgesucht?

Das hat sich mir nie richtig erschlossen. Die Grundabsicht war natürlich, die Presse für Propagandazwecke zu instrumentalisieren, und zwar – natürlich, ganz klar – indem wir die zivilen Opfer zeigen sollten. Das hat mich nicht sehr berührt, weil ich sowieso angereist war, um vornehmlich diesen Aspekt zu zeigen. Ich habe nie diesen Militärfetischismus teilen können, den viele Kollegen haben, die ganz genau wissen, diese Kanone schießt so weit und der Bomber hat die und die Fähigkeiten und diese Rakete kann dieses und jenes, das hat mich nie besonders fasziniert oder interes­siert, insofern war das für mich nicht besonders schwierig. Die Grundabsicht war natürlich, dass wir über die zivilen Opfer berichten, und wir haben auch eingeplant, dass dies eine ähnliche Wirkung wie im Vietnamkrieg haben sollte.

In der ersten Zeit war der Kollege von CNN, Peter Arnett, der einzige, der dort unten in Bagdad saß, und ich habe sehr häufig das Gefühl gehabt, ich sage ganz bewusst, Gefühl gehabt, dass da ein Mann ganz bewusst als Propagandainstrument eingesetzt wird. Sehen Sie das auch so?

Ich habe Peter Arnett so häufig mit den Leuten vom Informationsministerium zusammensetzen sehen und sich mit denen abends auch vollaufen lassen, dass ich da die notwendige Distanz vermisst habe, auf die ich ganz klar geachtet habe. Bei mir hat keiner der Informationsbeamten abends auf dem Zimmer gesessen, wenn die Arbeit zu Ende war, dann war sie zu Ende, dann wollte ich auch keinen von den Jungs mehr sehen. Peter Arnett hat da sehr intensive Kontakte gehabt. Dadurch hat er natürlich auch gelegentlich bessere Chancen bekommen, an irgendwelche Plätze zu kommen. Das waren dann aber Erfolge, von denen ich nicht weiß, ob sie wirklich diese Verbeugungen wert waren. Der durfte dann halt eine zerstörte Brücke einen Tag früher drehen als wir. Ich fand es ziemlich egal, ob das deutsche Fernsehen die Brücke am Dienstag oder erst am Mittwoch sieht, mir war es wirklich wichtiger, die Leiden der Zivilbevölkerung darzustellen.

Sie haben für sich persönlich nie das Gefühl gehabt, dass Sie als Propaganda-Instrument hätten missbraucht werden können?

Ich habe immer versucht, mich dagegen zu wehren, und habe meine Filme, bevor ich sie gezeigt habe, unter diesem Aspekt ganz kritisch durchgesehen. Mir ist mehrfach vorgehalten worden, dass ich sehr distanziert berichtet habe. Wenn es zum Beispiel um Angaben über Verletzte oder Tote ging, die uns durch das Informationsminis­terium gegeben wurden, dann habe ich immer gesagt, laut Informationsministerium oder laut offizieller Angabe sollen es soundsoviele sein. Das hat sie sehr geärgert und sehr erregt, und das haben sie mir auch sehr lautstark vorgehalten. Aber ich glaube schon, dass ich es geschafft habe, einen Mittelweg zu finden, mich nicht instrumentalisieren zu lassen.

Es gab hier in Deutschland heftige Kritik an uns Fernsehjournalisten, weil wir unter diesen harschen Zensurbedingungen überhaupt über diesen Krieg berichteten. Wir sollten, wurde uns gesagt, die Berichterstattung überhaupt einstellen, gar keine Bilder mehr zeigen, den Zeitungskollegen wurde geraten, weiße Flecken in die Zeitung einzurücken. Wie stehen Sie solchen Forderungen gegenüber, sind solche Forderungen berechtigt?

Nein, das wäre der Offenbarungseid des Journalismus. Ich bin der Meinung, dass man das Maximum versuchen muss, um doch berichten zu können. Man muss aber ganz deutlich machen, dass man unter Zensur steht, und das auch sagen. Ich habe das den Zensurbeamten immer wieder gesagt, wenn sie mit mir gestritten haben. Ich hatte in einem Bericht über eine Moschee gesagt, die Christen hätten Angst, dass sich der sogenannte Heilige Krieg auch gegen die Christen wenden könnte. Da wurde mir vorgehalten, dass ich das Wort Heiliger Krieg in dem Zusammenhang nicht verwenden dürfe. Da habe ich gesagt, wenn ich das Wort nicht verwenden kann, dann läuft nur das Bildmaterial, und es wird in Deutschland mit Sicherheit erstens ein neuer Text geschrieben und zweitens quer über das Bildmaterial ein Schriftzug gezogen, in dem gesagt wird, dass dieses Material von der irakischen Informationsbehörde zensiert wurde, deshalb könne der Originalkommentar nicht gesendet werden. Wollt ihr das wirklich haben, habe ich sie gefragt. Und dann war wieder so eine Situation da, dass der Konflikt mehr oder weniger in sich zerflossen ist. Also dann sag es halt, haben sie gesagt, und ich konnte den Film senden, wie ich wollte. Wenn man Rückgrat gezeigt hat, konnte man auch bei der Zensur im großen und ganzen die Dinge machen, die man wollte. Es gibt einige Tabus. Die betreffen u.a. die gesamten militärischen Vorgänge. Dass man dem Feind die Informationen nicht frei Haus liefern kann, dafür habe ich auch begrenztes Verständnis. Sie wollten vor allem nicht, dass wir noch intakte militärische Anlagen zeigen. Dass man da auch in Konfliktsituationen kommt, ist irgendwie nachvollziehbar.

Sie haben in diesen Tagen gesagt, die Bilder der Zivilopfer dieses Krieges seien schrecklicher als alles, was sie in Vietnam, Kambodscha oder Afghanistan gesehen haben. Wie soll man das verstehen?

Ich habe in Vietnam und Kambodscha – es ist makaber, wenn man das so formuliert – im Grunde immer nur 70 bis 80 Leichen an einer Stelle gesehen. Die einzige Ausnahme war My Lai. Als dort ausgegraben wurde, hat man rund 500 Tote gefun­den, aber die waren bereits völlig verwest, insofern war das nicht der Alltag, es war die Ausnahme. Meistens haben die Waffen, auch wenn es sich um Napalm handelte – also um die schlimmste Waffe im Vietnamkrieg – maximal ein Gebiet von vielleicht 200 Quadratmetern bestrichen und dort jedes Lebewesen vernichtet. Gott sei Dank haben sich da nie so viele Leute befunden.

Was ich in Bagdad gesehen habe, war dieser Bunker, in dem mindestens 500 Leute, möglicherweise sogar mehr, umgekommen sind. Ich habe noch nie so grausame Bilder gesehen. Die Leichen waren komplett verkohlt, verstümmelt. Man hatte in der Zwischenzeit versucht zu löschen. In dem Löschwasser schwammen einzelne Glieder herum. Es war so, dass ich immer kurz davor war, mich zu übergeben, und habe trotzdem versucht, weiter zu arbeiten. Zudem war da ein penetranter Rauch. Durch die Explosion der Bomben war der ganze Sauerstoff verbraucht worden. Es war eine wirklich fürchterliche Situation. Draußen standen die Angehörigen, die Männer, die ihre Frauen abends abgegeben hatten, weil sie dachten, dass sie da sicher sind. Ich bin zum Beispiel mit einem Mann ins Gespräch gekommen, der zwölf Familienmitglieder in diesem Bunker verloren hatte. Das ist einfach eine völlig andere Dimension, das habe ich in Vietnam nicht erlebt. In Vietnam habe ich zwar den Ehemann erlebt, der seine Frau und seine beiden Kinder verloren hatte, aber dass ein Mann zwölf Familienmitglieder verliert und sagt, ich habe überhaupt keinen mehr von meiner Familie, ich weiß überhaupt nicht, was ich in Zukunft tun soll, ich bin völlig entwurzelt, das war in der Tat ein völlig neuer Eindruck. Und das, muss ich sagen, ist ein Eindruck gewesen, der mich in der Nacht nicht hat schlafen lassen.

Sie sprachen vorhin von dem berühmt-berüchtigten Dorf My Lai, wo eine wild gewordene Gl-Soldateska eine ganze Dorfbevölkerung mit Maschinenpistolen abgeschlachtet hat, meist Kinder, Frauen und Greise, und haben die Parallele zu dem Bunker-Massaker in Bagdad gezogen. Würden Sie sagen, dass die Amerikaner ganz gezielt auf diesen Bunker gegangen sind, wohl wissend, dass dort nur Zivilbevölkerung sitzt?

Sie haben ganz gezielt den Bunker angegriffen, da besteht kein Zweifel, dafür haben die Bomben viel zu präzise gesessen. Die Bomben sind im Abstand von nur drei bis vier Metern gefallen. Nach der Beschreibung der Anlieger sind die Bomben in einem Abstand von zehn Minuten geworfen worden, insofern war es ganz klar geplant. Ich gehe davon aus, dass die Amerikaner der Illusion oder der Falschinformation aufge­sessen sind, dass dieser Bunker militärisch genutzt wird, und diese Annahme war für sie aufgrund ihrer Satellitenbilder naheliegend. Die haben mittlerweile ein blindes Vertrauen in ihre Elektronik und ein ausgesprochen schlechtes Spionagesystem in Bagdad. Zwei Drittel des Bunkers waren für die Anlieger ringsum reserviert, die unterste Etage war für Angestellte der Regierung, höhere Beamte, aber auch für Ver­wandte der Militärs reserviert. Wie das eben in einer Diktatur üblich ist, hat abends der Offizier seine Frau und seine sechs oder sieben Kinder mit seinem Dienstwagen zum Bunker fahren lassen. Und diese Dienstwagen waren dann häufig größere Jeeps, teilweise waren es sogar LKWs, mit denen die Leute hingebracht wurden, alles Militärfahrzeuge. Die haben die Amerikaner auf ihren Satellitenbildern gesehen und haben gesagt, aha, jeden Abend sind da große militärische Bewegungen an dem Bunker, ergo muss das ein militärisch genutztes Gebäude sein, und haben sich dann entschlossen, diesen Bunker zu bombardieren.

Haben Sie eigentlich selbst mit Armeeangehörigen sprechen können, mit Offizieren? Würden Sie sagen, dass es in dem Offizierskorps doch so etwas wie ein Putsch-potential gibt, das sich Saddam Husseins entledigen könnte?

Mit Offizieren habe ich nicht gesprochen, ich habe aber mit sechs Soldaten unten in Basra gesprochen. Die Soldaten sind in voller Uniform durch den Markt gelaufen. Wir waren dort zufällig einen Moment mal ohne unsere Begleiter, hatten aber einen sehr netten Fahrer dabei, der für uns übersetzt hat. Wir haben die Soldaten gefragt, wie weit ihre Stellung entfernt sei, und sie erzählten uns, dass sie in der Hoffnung auf diesen Markt gekommen seien, ihre letzten Utensilien, zum Beispiel ein Feuerzeug, gegen irgendwas Essbares eintauschen zu können. Sie haben uns erzählt, dass sie in ihrer Stellung seit Tagen nichts mehr zu essen bekommen hatten, dass auch so gut wie kein Munitionsnachschub da ist, dass das Fahrzeug, das sie normalerweise beliefert, einen Motorschaden hatte und deshalb nicht mehr kam, und es wohl keinen gegeben hat, der das Fahrzeug reparieren konnte. insofern war mein Eindruck – diese kleine Begegnung kann man natürlich nicht pars pro toto sehen – mein Eindruck war schon ein bisschen, dass die Armee bei weitem nicht so gut durchorganisiert ist, nicht die Logistik hat, wie sie hier im Westen unterstellt wird. Wir haben auch zwischendurch mal die berüchtigten Scud-Raketen gesehen. Ich war erstaunt, was für primitive Dinger das in Wirklichkeit sind. Die hatten ganz schlichte Eisenräder, wie man sie beispielsweise bei alten Ackergeräten noch sieht, und wurden damit über das Feld gezogen. Ich habe mich gewundert, dass man die über­haupt in die richtige Position bringen kann.

Würden Sie auf Grund dieser Beobachtung sagen, dass die irakische Armee eigentlich gar nicht mehr zu der Entscheidungsschlacht fähig ist, vor der sie jetzt mit den alliierten Truppen steht?

ich glaube nicht daran. Ich gehe eher davon aus, dass das ein relativ kurzer Schluss­krieg, Bodenkampf wird, der in acht bis zehn Tagen vermutlich beendet ist, wenn nicht sogar schon früher.

Letzte Frage: Der Krieg ist seit heute nacht in seine entscheidende Phase getreten.  Wenn man Sie wieder fragen würde, würden Sie wieder an die Front gehen?

Ich bin da im Moment sehr hin- und hergerissen, weil ich nicht weiß, was ich da vor Ort wirklich berichten könnte. Denn die Informationsbehörde würde uns ja mit Sicherheit nicht an die Front lassen. In Bagdad zu sitzen und Bilder aus dem Fenster raus zu drehen, das wäre nicht mein Interesse, das ist auch keine Information für den Zuschauer.


epd/Kirche und Rundfunk Nr. 15 vom 27. Februar 1991, S. 19 – 24

Aus: Krieg – Live im Wohnzimmer. Dokumentation „Medien – Warner oder Angstmacher“. Hrsg. von der Landesmedienstelle im Niedersächsischen Landesverwaltungsamt. [Redak-tionelle Bearbeitung: Wolf-Rüdiger Wagner], Hannover 1994, S. 13-18

Das könnte dich auch interessieren …