Der Mythos von der „Sauberen Wehrmacht“

Der Beitrag des westdeutschen Kriegsfilms der 50er Jahre zur Entstehung des Mythos

Filme, die Krieg und Kampfgeschehen zum Gegenstand haben, gibt es seit Beginn der Filmgeschichte, auch in Deutschland. Aber nur einmal gibt es in Deutschland – und zwar in der Bundesrepublik, in der 2. Hälfte der 50er Jahre – so etwas wie eine Kriegsfilmwelle. Nachdem zu Beginn der Dekade einige Militärlustspiele und US-amerikanische Kriegsfilme eine gewisse Akzeptanz für militärische Motive im westdeutschen Nachkriegskino geschaffen haben, setzt ab Mitte der 50er Jahre die sog. Welle mit „harten“ westdeutschen Kriegsfilmen ein.

Bis Ende des Jahrzehnts sind ca. 10% des westdeutschen Spielfilmangebots Kriegsfilme, ihr „Termingewicht“ in den Kinos liegt noch wesentlich höher.1) Zu den bekanntesten Produktionen zählen etwa die 08/15-Trilogie (1954f)Canaris (1954)U 47 – Kapitänleutnant Prien (1958)Schlachtgewitter am Monte Casino (1958) und Hunde, wollt ihr ewig leben (1958).

Ein typisches Merkmal dieser Filme ist, dass sie sich einen realistischen, auf historisch „wahre“ Begebenheiten zurückgreifenden Anschein geben, dessen „So war es wirklich – Gestus“ nicht zuletzt durch eingeschnittene Dokumentaraufnahmen erreicht wird. Darüber hinaus zeigen die Filme weitere Gemeinsamkeiten hinsichtlich der ausgewählten Begebenheiten, der Perspektiven auf die Ereignisse und der dominanten Motive, so dass von einer Typik gesprochen werden kann. Dazu gehören die folgenden Merkmale:

Der von Nazi-Deutschland begonnene Zweite Weltkrieg erscheint als Naturgewalt und Schicksal, in das man hineingeworfen wird. Der Krieg als solcher wird nicht kritisiert, es wird lediglich der politische Irrsinn in diesem speziellen Krieg der Kritik unterworfen. Demgegenüber erscheint die militärische Ratio positiv, wobei die Trennlinie in den Filmen klar gezogen ist. Auf der Seite des politischen Irrsinns stehen (meist nur angedeutet, aber doch übermächtig erscheinend) die politische Führung Nazi-Deutschlands und die SS, auf der anderen Seite Offiziere und Soldaten der Wehrmacht. Als willkommener Anlass dienen hier einige tatsächlich vorhandene Differenzen zwischen politischer Führung und Vertretern der Wehrmacht im Dritten Reich (z. B. Canaris). Soweit auf Kriegsverbrechen überhaupt irgendwie Bezug genommen wird, sind die Wehrmacht und ihre Vertreter nicht involviert. Die Filme zeigen vielmehr, dass die deutschen Soldaten mit- und weitermachen mussten, auch um „das Schlimmste zu verhüten“. Desertion, Befehlsverweigerung oder der freiwillige Gang in die Gefangenschaft werden verworfen. Was das deutsche Militär als Ganzes betrifft, so werden lediglich überzogener Drill, militärische Schikanen und unsinnige Befehle negativ bewertet.

Die Filme berichten vornehmlich aus der Sicht deutscher Soldaten, die anständig und fair ihren Dienst erledigen und letztlich die eigentlichen Opfer der (deutschen) Kriegsführung sind. Die Kriegsgegner erscheinen unterschiedlich: Während die westalliierten Soldaten durchaus als ebenbürtige, oft faire Gegner gezeichnet sind, erscheint die sowjetische Armee anonymer, teilweise unmenschlich und grausam.2) So erweisen sich die ausgewählten Begebenheiten des Zweiten Weltkrieges sowie die handlungstragenden Repräsentanten als geeignet, um ein positives Bild der deutschen Wehrmacht und ihres Personals zu zeichnen.

Wie bereits angedeutet, stoßen die westdeutschen Kriegsfilme in den 50er Jahren auf ein großes Publikumsinteresse: Zehn Jahre nach Kriegsende, zur Zeit der Wiederbewaffnung in einer souveräner und selbstbewusster werdenden Bundesrepublik, besteht ein breites Interesse an einer Beschäftigung mit der jüngsten militärischen Vergangenheit. Dies kann unter verschiedenen Aspekten gesehen werden. Ohne Frage geht es im Zusammenhang der Bundeswehr um die Frage positiver Anknüpfungspunkte und Kontinuitäten. So haben die Filme in der Abgrenzung von militärischen Schikanen, Kadavergehorsam etc. eine Bedeutung im Zusammenhang des neuen Militärkonzeptes in den 50er Jahren: Im Rückblick auf den Zweiten Weltkrieg imaginiert man auch rückblickend den „Staatsbürger in Uniform“ und das Konzept der „inneren Führung“, das durch positive Protagonisten in den Filmen sozusagen vorweggenommen worden ist.

Die Konstruktion dieser positiven Anknüpfungspunkte, das Weglassen, Reduzieren und Verschieben der deutschen Kriegsverbrechen etc. ist aber auch insgesamt zentral für die Auseinandersetzung mit der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg und der eigenen Beteiligung daran. Hier bilden die Filme ein Angebot zur entlastenden Erinnerung und für eine Ehrenrettung sowohl der Institution Wehrmacht als auch des individuellen Soldaten.

Schließlich liegt die Vermutung nahe, dass die Filme im Sinne einer Wechselwirkung funktionieren: dass sie einerseits Ausdruck damals verbreiteter Hoffnungen, Wünsche und Ängste waren, dass sie andererseits aber auch die Erinnerung und den Blick in die Vergangenheit überformten und prägten. Hierfür ist ein Erzählfilm sehr gut geeignet, der konkrete Bilder in eine Zusammenhang stiftende Erzählung stellt und somit eine Verarbeitungsform anbietet. Einen derartigen Sinn kann das originäre Erleben und subjektive Erinnern des Krieges in der Regel so nicht bieten. Auf diese Weise dürften die Filme ganz wesentlich zum Mythos der „sauberen Wehrmacht“ beigetragen haben.

Peter Stettner


(1) Werner Jungeblodt: Kriegsfilme noch und noch. Beiträge zur Begegnung von Kirche und Welt, Nummer 47. Hrsg. von der Diözese Rottenburg, 1960, S. 6.
(2) Der einzige mir bekannte westdeutsche Kriegsfilm der 50er Jahre, der in zentralen Aspekten, etwa der „Feindbildzeichnung“, vom gängigen Typus abweicht, ist „Unruhige Nacht“ (Regie: Falk Harnack, 1958)


Aus: Monika Gödecke, Ralf Knobloch (Hrsg.)
Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944. Medien und Materialien für die Bildungsarbeit. Materialien zur Medienpädagogik 17, Hildesheim 1998, S. 35/36

 

Krieg in deutschen Nachkriegsspielfilmen

Seit Mitte der fünfziger Jahre folgen offensichtlich ganz be­wußt Aussagen zur Rehabilitierung der Wehrmacht im Blick auf die entstehende Bundeswehr. Besonders aufschlußreich sind zwei Erfolgsfilme, die 1954 zugleich in den Kinos liefen:

„08/15″ (1. Teil, Regie Paul May) und CANARIS (Regie Alfred Weidenmann). „08/15″ zeigt Kasernenleben 1938/39 und en­det mit Hitlers Radioansprache, nach der auf Polen „zurückge­schossen“ werde. Es gibt keinerlei Aussage gegen den Krieg, wenn auch eine eindrucksvolle Sequenz gegen Schikane in der Ausbildung (Robben im Matsch). Wenn jemand angeklagt wird, dann sind es die unfähigen Vorgesetzten, die von den nachrückenden jungen Soldaten mit Mut und legalen Mitteln von ihren Rängen verdrängt werden. Die neue Führungsgruppe trägt unverkennbar Züge, die an Prinzipien der „inneren Füh­rung“ erinnern und eine Absage an Militarismus alten Stils sein sollen. Zugleich geht aber die neue Führung aus den morali­schen intakten Soldaten der Wehrmacht hervor – eine Aussage zum Kontinuitätsproblem beim Aufbau der Bundeswehr.

Der eigentliche Entlastungs- und Rehabilitierungsfilm ist „Canaris“. In der filmischen Aussage ist Canaris (O.E. Hasse) samt seiner Abwehr die Symbolfigur eines vom Nationalsozia­lismus nicht infizierten (alten) deutschen Offiziers, Gegenpart zu SS und unfähigen Generälen, nur mit immensen Skrupeln zu Kontakten mit dem Widerstand bereit (entsprechend der zeit­genössischen Diskussion der fünfziger Jahre), moralisch integer bis zu seiner Verhaftung und Hinrichtung, ein Vorbild der Bun­deswehr, die damit an unbelastete Traditionen anknüpfen zu können glaubte.

Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges kommt 1958 ein ganz anderes Entlastungsprodukt in die Kinos: „Der Arzt von Stalingrad“ (Regie Geza Radvanyi). Thema ist das Leiden deutscher Kriegsgefangener von Stalingrad 1949. Titelheld ist wie­der O.E. Hasse, der als Gehirnspezialist und moralische Autori­tät für die Gefangenen an Wunder grenzende Leistungen voll­bringt, die auch von den Russen anerkannt werden: ein russischer Gehirnspezialist assistiert dem deutschen bei einer schwierigen Operation. Für den Zuschauer wird die militäri­sche Niederlage durch die Demonstration von moralischer, technischer und intellektueller Überlegenheit kompensiert. Der Film ist ein Musterbeispiel für die Symbiose von NS-Vorstellungen zum russischen „Untermenschen“ und von Feindbildern des Kalten Krieges.


aus: Irmgard Wilharm: Krieg in deutschen Nachkriegsspielfilmen. In: Niedhart, Gottfried/Riesenberger, Dieter (Hg); Lernen aus dem krieg? Deutsche Nachkriegszeiten 1918 und 1945. Beiträge zur historischen Friedensforschung, München1992, S: 294/95

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