Zeitgenössische Filmkritiken „Der Untertan“

Einführung

Vor dem Hintergrund des Ost-West-Konfliktes überrascht es nicht, dass Der Untertan in DDR und BRD (wo er mit sechsjähriger Verzögerung uraufgeführt wurde) unterschiedliche und zum Teil gegensätzliche Reaktionen auslöste. Die ostdeutsche Presse bedachte die Produktion mit einhelligem Lob. Für die Berliner Zeitung rezensierte der bekannte Theaterkritiker, Journalist und spätere Lessing-Preisträger Herbert Ihering den Untertan, zog Vergleiche zu Eisenstein und Pudowkin und kam zu dem Schluss, der Filme setze Maßstäbe, die für die Zukunft richtungsweisend sein müssten (K 1).

Interessant ist die Gegenüberstellung zweier kurzer Notizen im Spiegel des Jahres 1951. Die erste Passage ist enthalten in einem ausführlichen Beitrag zu den politischen Auseinandersetzungen zu Beginn der Dreharbeiten zu diese Vorgänge wie folgt:

„Die Dreharbeiten begannen unter der Regie des bis dahin nahezu ausschließlich für die kommunistisch gesteuerte DEFA arbeitenden Wolfgang Staudte, der jedoch bald in das Räderwerk der „großen Politik“ und des West-Ost-Gegensatzes geriet und daraufhin durch Hans Müller ersetzt wurde.“

Die Spiegel-Beitrag aus der Ausgabe 1951 wirft ein bezeichnendes Licht auf die politische Atmopshäre der damaligen Zeit.

„Man läßt einen politischen Kindskopf wie den verwirrten Pazifisten Staudte einen scheinbar unpolitischen Film drehen, der aber geeignet ist, in der westlichen Welt Stimmung gegen Deutschland und damit die Aufrüstung der Bundesrepublik zu machen. Der Film lässt vollständig außer acht, dass es in der ganzen preußischen Geschichte keinen Untertan gegeben hat, der so unfrei gewesen wäre wie die volkseigenen Menschen unter Stalins Gesinnungspolizei es samt und sonders sind. Andererseits enthält Staudtes „Untertan“ Szenen, die ein estdeutscher Untertan Kanonen-Lehrs, der demnächst sogar noch Zeitungen verbieten lassen will, mit Ergötenansehen kann.“ (Der Spiegel 1951: 35)

In der bundesdeutschen Presse der zweiten Hälfte der 50er Jahre fand zunächst die Tatsache Beachtung, dass der Film dem dortigen Publikum sechs Jahre lang vorenthalten wurde: Verschiedene Presseerzeugnisse, u.a. Der Spiegel (K 2) und die Hannoversche Presse (K 5) gingen auf die Hintergründe ein. Der Spiegel wies polemisch auf das „Abstammungsproblem“ der DEFA-Produktion hin und zog die Parallele zur „‚nicht-arische[n] Großmütter‘ unlängst vergangener Zeiten“ (K 2). Obwohl die satirisch überspitzten politischen Aussagen des Films in der bundesdeutschen Presse mitunter auf Ablehnung stießen, wurde seine künstlerische Qualität allgemein anerkannt (K 3K 4K 5). Karl-Friedrich Scherer monierte im Film-Echo einige wenige Übertreibungen, bezeichnete das Gesamtwerk jedoch als „meisterhaft“ und den Besuch des Films als Gewinn für jeden Zuschauer (K 3). Überschwängliches Lob wurde dem Untertan in der Rezension der Hannoverschen Presse zuteil: Der Film sei „Sprengstoff und ein Katalysator, der die Geister scheidet“ (K 4). In einem Hintergrundbericht über den „Zonenritt des Untertan“ wies A. F. Teschemacher in der Hannoverschen Presse darauf hin, dass Staudtes Film zum Zeitpunkt seiner westdeutschen Kinoauswertung in der DDR bereits nicht mehr gezeigt würde. (K 5).


In einer Zeit, die längst vergangen ist [1951]

IN EINE ZEIT, DIE LÄNGST VERGANGEN IST, führt der Wolfgang-Staudte-Film der ostzonalen DEFA „Der Untertan“, getreu nach Heinrich Manns bitterböser Satire auf das 2. Kaiserreich gedreht. Der Film wird im Ausland den ohnehin weitverbreiteten Irrtum verstärken, daß ein direkter Weg von der wilhelminischen Bartbinde zu den Gaskammern Hitlers führe. In der Bundesrepublik dagegen ist die Karikatur als solche zu erkennen, so daß ein Verbot des Films lediglich den Eindruck aufkommen lassen könnte, als fühlten sich Repräsentanten aus Behörde und Justiz getroffen.  ⇒ Original-Seite (pdf)
Der Spiegel – 12.12.1951


Neu in Deutschland [1957]

Der Untertan (Deutschland). Die von Regisseur Wolfgang Staudte 1951 bei der ostdeutschen Defa inszenierte Filmversion des berühmten Heinrich-Mann-Romans die in der Bundesrepublik bisher nicht öffentlich gezeigt werden konnte (SPIEGEL 47/1956), erweist sich als eine der besten optischen Transpositionen, die je einem epischen Werk widerfahren sind. ⇒ Originalseite (pdf)
Der Spiegel 9/1957 – 27.02.1957


K 1: Der Untertan. (Berliner Zeitung, 4.9.1951.)

Wieder hat Heinrich Mann dem deutschen Film einen neuen Auftrieb gegeben. Wieder hat eines seiner Werke bewiesen, daß der Film kühne, inhaltsreiche und typische Stoffe braucht, um mit der künstlerischen Erneuerung auch die Publikumswirksamkeit zu verstärken. Als aus ‚Professor Unrat‘ ‚Der blaue Engel‘ wurde, konnte sich der Film noch an der Story von der ‚Künstlerin Fröhlich‘ halten und damit auf das beliebte ‚filmeigene‘ Gebiet zurückfinden. Dieser mit Emil Jannings und Marlene Dietrich schauspielerisch üppig besetzte und hervorragend gespielte Film verleugnete zwar nicht die Kritik am selbstgerechten Schultyrannen Professor Rat, den seine Schuler Unrat nannten, aber er glaubte doch einer populären Umdeutung nicht entraten zu können, indem er einen Heinrich-Mann-fremden Bajazzoschluß anhängte. ‚Der Untertan‘ verzichtet durchaus auf solche Erweichungen und gibt klar und unerbittlich den satirischen Angriff auf die Untertanenseligkeit der wilhelminischen Zeit.

[…] Der Roman verzichtet im Grunde auf das erzählende Moment, also auf die an sich für den Film notwendige Fabel. Er drängt das Leben Diederich Heßlings, des Fabrikantensohnes aus der kleinen Stadt Netzig, immer wieder in prägnante, satirisch zugespitzte Situationen, deren epischen Zusammenhang die Zeit selbst liefert. Und welchen Zusammenhang! Dem plüschenen Kitsch der Bürgerstube und ihrer klavierseligen Sentimentalität entspricht die sadistische Prügelerziehung. Der Geprügelte wird später selbst prügeln. Kneipe, Mensuren und Kasernenhof sind die nächsten Stationen, bis Diederich Heßling nach dem Tode seines Vaters von seiner Fabrik Besitz ergreift und nun der Untertan die Arbeiter als Untertanen behandelt. So geht es weiter durch alle Stationen der Feindseligkeit und des Hochmuts bis zu jenen Szenen der Knechtseligkeit, als Diederich Heßling beim Besuch Wilhelms des Zweiten in Rom den Absperrungsring durchbricht und begeistert neben dem Wagen des Kaisers herläuft: Auge in Auge sich gegenüber der Kaiser und sein Untertan! Dieser DEFA-Film kommt im rechten Augenblick; politisch und künstlerisch. Denn in welchem deutschen Roman wurde schärfer jener Untertanentyp entlarvt, der sich immer wieder für Militär und Krieg mißbrauchen läßt. Der Film führt die Entlarvung optisch weiter. Ein Gesicht, ja ein Nacken, ein Auge, ein Mund können eine ganze Menschengruppe, einen Stand, eine Klasse entlarven. Die Großeinstellungen, der Wechsel der Einzel- und Gesamtaufnahmen, von den genialen sowjetischen Regisseuren Eisenstein und Pudwokin als bild-dramaturgisches Mittel in den Film eingeführt, sind von Staudte und seinem Kameramann Baberske hier selbständig und in richtiger, sinndienender Anordnung verwendet. Dadurch erst werden die vielen satirischen Situationen und Simplizissimus-Karikaturen möglich. […] Hier entsprechen sich Bild- und Wortregie, und der künstlerische Erfolg ist auch der politische Erfolg.

Wie schwierig hatte es dabei etwa Werner Peters, der den Untertan von einer Spitzensituation in die andere führen muß. Er macht das ausgezeichnet. Er war der richtige Typ für die Rolle. Aber er verließ sich nicht darauf. Er gestaltete, er variierte. Er hat wie auf der Bühne auch im Film große Möglichkeiten. Charakteristisch gegen ihn abgesetzt ähnliche Untertanentypen: Hans-Georg Laubenthal als Mahlmann, Axel Triebel als Major Kunze, Georg August Koch als Medizinalrat. Wieder eine andere Schicht vertreten meisterhaft Ernst Legal als Pastor Zillich, Paul Esser als Regierungspräsident von Wulkow. Dagegen die Anständigen: Eduard von Winterstein als alter Achtundvierziger, Raimund Schelcher als sein Sohn, Friedrich Maurer als Fabrikant Göpel und Fritz Staudte als Amtsgerichtsrat Kühlemann. Das ist Regie, die Rollen nicht nur im Typ richtig zu besetzen, sondern auch im Fluß zu halten und vor Erstarrung zu bewahren. Auch das ist geglückt, trotz der zugespitzten Situationen, besonders gut in den Frauenrollen: Sabine Thalbach als kleinbürgerliche Agnes Göpel, Blandine Ebinger als Frau von Wulkow, Carola Braunbock als Schwester Heßlings, Renate Fischer als Guste Daimchen. Nur zwei Unklarheiten bleiben übrig: Napoleon Fischer, der schwankende korrupte Arbeiter, ist für den Zuschauer nicht genügend akzentuiert, und der Vertreter einer jungen protestierenden Arbeitergeneration bleibt zu sehr im Hintergrund. Heinrich Mann hat zum zweiten Male dem deutschen Film einen Anstoß gegeben, und diesmal entscheidend. Wir könnten und müßten noch mehr Schauspieler nennen, die alle gut waren. Warum? Weil ein Dichter wie Heinrich Mann Ansprüche stellte, ein Regisseur und Drehbuchverfasser wie Wolfgang Staudte diese Ansprüche nach der gesellschaftskritischen und künstlerischen Seite mit seinem Kameramann richtig verstand, an die Schauspieler weitergab und diese wiederum durch Drehbuch und Regie in ihrem besten Teil bestätigt wurden. ‚Der Untertan‘ hat Maßstäbe gesetzt. Sie müssen angewendet werden.

Herbert Ihering


K 2: Plädoyer für den Untertan. (Der Spiegel Nr. 47 / 21.11.1956, S. 59-61.)

In der vorigen Woche traf das Schicksal in Gestalt von vier ehrenwerten Herren aus der Bonner Ministerialbürokratie, in summa genannt der „interministerielle Filmausschuß“, eine positive Vorentscheidung über die Zulassung des Wolfgang-Staudte-Films „Der Untertan“ – nach Heinrich Manns gleichnamigem Roman – in der Bundesrepublik. Seit fünf Jahren ist dieser deutsche Film mit außergewöhnlich großem Erfolg in mehreren europäischen Ländern, noch niemals jedoch offiziell in der Bundesrepublik gezeigt worden, obwohl sich der Geschäftsführer der Berliner „Ideal Film G.m.b.H.“, der Filmkaufmann Erich Mehl, seit drei Jahren darum bemüht. Der Hinderungsgrund ist ein Abstammungsproblem ähnlicher Art wie die „nicht-arische Großmutter“ unlängst vergangener Zeiten. Staudtes „Untertan“-Film stammt nämlich nicht aus der Bundesrepublik, sondern aus den „volkseigenen“ Ateliers der ostzonalen Defa.

Dieser Umstand wurde bis vor wenigen Tagen offenbar als ein schwerwiegender Makel eingeschätzt. Am Montag vergangener Woche passierte „Der Untertan“ jedoch endlich die für die Einfuhr sowjetzonaler Filmprodukte in erster Linie entscheidende Bonner Instanz, jenen „interministeriellen Filmausschuß“, der gebildet wird aus Vertretern des Innenministeriums, des Auswärtigen Amtes, des Ministeriums für Gesamtdeutsche Fragen und des Wirtschaftsministeriums. Jetzt muß nur noch die Wiesbadener Freiwillige Film-Selbstkontrolle zustimmen […].

Mit der Bonner Ausschuß-Entscheidung ist Mehl, der den westdeutschen Vertriebsvertrag für den „Untertan“-Film mit der Defa abgeschlossen hat, seine Sorgen allerdings noch nicht los. Er muß jetzt das Bäumchen-wechsle-dich-Spiel, genannt innerdeutscher Kulturaustausch, noch einmal in umgekehrter Richtung betreiben und – gemäß den Gepflogenheiten des Ost-West-Filmgeschäfts – versuchen, mehrere Filmstreifen mit bundesdeutschem Geburtsschein für die Aufführung in der Sowjetzone bei den dortigen Instanzen freizubekommen*. Dieser Versuch ist nun vollends ein schier entmutigendes Nadelöhr-Problem. Wie die Erfahrung lehrt, passieren bestenfalls zwei von hundert westdeutschen Filmen den Engpaß sowjetzonaler Kontrollstellen, die angestrengt darüber wachen, daß nicht etwa ein politisch wilder West-Film die Ordnung in der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik stört.

Eine ebenso intensive Wachsamkeit, allerdings mit umgekehrten Vorzeichen, legte der Bonner „interministerielle Filmausschuß“ an den Tag. Dieser Ausschuß, dessen gesetzliches Fundament bisher noch keiner Nachprüfung standzuhalten hatte, wurde 1954 auf Betreiben des Amtes für Verfassungsschutz und des Bonner Innenministeriums gegründet, nachdem der Filmaustausch mit der Sowjetzone in Gang gekommen war.

Als einer der ersten klopfte 1954 der Filmkaufmann Mehl mit den „Untertan“-Filmrollen im Handgepäck bei dem damals neueingerichteten Filmausschuß an. Die Ministerialbeamten fanden an dem Defa-Produkt, das bei den Filmfestivals in Cannes und Venedig erfolgreich abgeschnitten und den schwedischen „Kritikerpreis für den besten deutschen Nachkriegsfilm“ sowie einen finnischen Filmpreis erhalten hatte, kein Gefallen. Eine Begründung für ihren ablehnenden Bescheid gaben die Film-Zensoren damals ebensowenig wie nach einer zweiten Vorführung des inzwischen für Bonn etwas präparierten Streifens. Durch die verschlossenen Türen des „interministeriellen Filmausschusses“ drangen nur Andeutungen. So sollen sich die Bonner Filmprüfer an folgender Dialogstelle gestoßen haben: „1848 war ich zum Tode verurteilt, und heute sollen wir uns schon wieder vom Kommiß-Stiefel treten lassen.“ Mit Mißfallen mögen die Ministerialbeamten auch festgestellt haben, daß sich die sozialdemokratischen Arbeiter in der Papierfabrik Diederich Heßlings, des „Untertan“-Titelhelden, untereinander als „Genossen“ anreden. Angeblich waren die Herren des Ausschusses der Ansicht, der „Untertan“ -Film enthalte ganz allgemein zuviel Parallelen zur Gegenwart. Filmkaufmann Mehl erfuhr von Argumenten dieser Art nur inoffiziell. Nachdem der „Untertan“-Film zum zweitenmal abgelehnt worden war, beschloß er, die Meinung der westdeutschen Presse zu Wolfgang Staudtes Heinrich-Mann-Verfilmung einzuholen. Er beschaffte sich eine einmalige Aufführungserlaubnis für Westberlin und arrangierte eine Pressevorführung.

Das Urteil fiel überraschend einstimmig aus. Der Westberliner „Telegraf“ veröffentlichte ein „Plädoyer für den Untertan“, und der „Kurier“ stellte fest, „daß es sich um einen avantgardistischen Film handelt, und nicht einzusehen ist, warum dieses Werk, das ein unheilvolles Gebrechen unserer Zeit, den Untertanengeist, karikiert, nicht auch im Westen gezeigt werden könnte“.

Sogar der über allen Verdacht der Sowjet-Fraternisierung erhabene Sender Rias ließ sich als Fürsprecher vernehmen. Rias fand es „unerklärlich“, daß die Aufführungserlaubnis für Westdeutschland verweigert werde, „denn hier liegt einer der klarsten und saubersten Filme vor, der einen Großteil der westdeutschen Filmhersteller in einen Gewissenskonflikt mit ihrem eigenen Filmgeschmack bringen müßte“. Ausgerüstet mit derart günstigen Referenzen führte Filmkaufmann Mehl, der in das Geschäft mit dem „Untertan“ schon einiges Geld investiert hatte, den Film in der vorigen Woche zum drittenmal in Bonn vor.

Mehl hatte den Zeitpunkt der Wiedervorlage diesmal klug gewählt. Bisher konnten östliche Filme schon irgendeiner politisch unfreundlichen Tendenz wegen vom Ausschuß verworfen werden. Seit neuestem aber kann der Ausschuß nur dann noch ablehnen, wenn ein Film nachweislich gegen den Paragraphen 93 des Strafgesetzbuches („Herstellung verfassungsverräterischer Publikationen“) verstößt. „Der Untertan“ wurde als erster Film unter diesem Gesichtspunkt geprüft und notgedrungen freigegeben.

[…] Innenministerium und Amt für Verfassungsschutz versuchen nun, ihren Einfluß auf die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft in Wiesbaden zu verlagern. Schon in der kommenden Woche wird sich der Kulturreferent des Bonner Innenministeriums der Oberregierungsrat von Plotho, mit den Herren der Wiesbadener Filmprüfstelle treffen.

* Die für die Bundesrepublik scheinbar günstigere, aber nicht genau festgelegte Tauschrelation ergibt sich aus der ungleichen Größe der beiden Einspielgebiete.

Lesen Sie hier den vollständigen Artikel als PDF auf der Internet-Seite des Spiegel.


K 3: Der Untertan. (Film-Echo o.J., S. 198-199.)

Für die kritische Würdigung dieses Films bedarf es trotz der innigen Verflechtung von Inhalt und filmischer Gestaltung einer Trennung dieser beiden Faktoren, wenn man zu einem ehrlichen und gerechten Urteil kommen will.

Der Inhalt, durch die aggressive Romanvorlage Heinrich Manns weitgehend fixiert, erzählt die tragikomische Geschichte eines Mannes namens Dietrich Hessling [Diederich Heßling; Anmerkung FuG], der es in der wilhelminischen Epoche zu etwas bringen will. Durch Erziehung und Umwelt dazu getrieben, strebt er dem Leitbild des ‚idealen Untertanen‘ nach und hat dann Erfolg, als er erkennt, daß ein Leben nach dem verbogenen und unehrlichen ‚Moralkodex‘ seiner Zeit den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Aufstieg garantiert.

Wahrhaftig eine großartige und – leider – auch heute noch aktuelle Konzeption, die freilich durch die Herkunft des Films ihre ganz besonderen Akzente erhält. Denn dieser Film will gar nicht objektiv sein. Er ist durch und durch subjektiv und schießt gegen das Bürgertum oder besser gesagt gegen die Bourgeoisie Breitseite auf Breitseite ab. Er trifft dabei die charakterliche Korruption in jeder Gestalt – nur nicht in der Gestalt des Arbeiters. Die wenigen Arbeiter in diesem Film sind geplagte, mißhandelte Geschöpfe. Schon der Werkmeister – ein Sozi – bekommt eins ausgewischt […]. Scharf gezeichnet, manchmal sogar bis zur Karikatur überzeichnet, heben sich die typischen Figuren der kaiserlichen Ära vor dem Hintergrund aus Plüsch, Nippes und Marschmusik ab: der Offizier, der Student, der Staatsbeamte, der Geistliche, der Unternehmer. Der deutsche ‚Herrenmensch‘, in der Gestalt des Kaisers symbolisiert, zeigt sich in allen Variationen und klagt sich durch seinen Despotismus und seine Unterwürfigkeit, durch seine Großsprecherei und durch seine innere Hohlheit in jeder Szene des Filmes selber an. Gewisse Parallelen zur Gegenwart sind nicht zu verkennen und manch ein Filmbesucher wird sich in seinen ‚heiligsten Empfindungen‘ getroffen fühlen. Aber diese heilsame Aggression wird durchleuchtet von einer tragischen Ironie, von der sich die sowjetzonalen Herren nicht minder kritisiert fühlen sollten.

Die Gestaltung dieses schwierigen Stoffes durch Wolfgang Staudte muß meisterlich genannt werden. […] Wo die gepfefferte Satire oder die pointierte Persiflage der Komik bedarf, da wird sie zwerchfellerschütternd eingesetzt. Natürlich ist das alles nicht ohne Fehl: mancher filmischer Speerwurf ließ Staudte den eigenen Kreis übertreten und da und dort (Rom-Szenen!) ist ein unnötige Länge nicht zu übersehen. Aber was bedeutet das alles gegenüber der Gesamtleistung, die, durch großartiges schauspielerisches Können unterstützt, in der Handlungsführung, in Bild, in der Kamera-Einstellung, in Schnitt und Blende wahre Meisterschaft spüren läßt. Und wie reagiert das bundesdeutsche Publikum auf diesen Film? Es lacht. Es unterhält sich großartig. Es quittiert das Hohngelächter des Films mit dem Wiehern der Schadenfreude. […] In wirtschaftswunderlicher Zufriedenheit lacht es sogar dort, wo es betroffen und getroffen schweigen müßte. Oder ist dies nur der äußere Schein? Läuft nicht doch ein eiskaltes Gruseln durch die Reihen, das man mit Lachen am besten tötet? Eines scheint mir festzustehen: diesen Film sieht jeder mit Gewinn! Die einen finden das erhoffte Amüsement, die anderen das erhoffte Ärgernis, die dritten eine Aufmunterung ihrer eingeschlafenen Nachdenklichkeit.

Karl Friedrich-Scherer


K 4: Oben buckeln – unten treten. Westdeutsche Premiere des Staudte-Films „Der Untertan“. (Hannoversche Presse, 08.03.1957.)

Der ‚Untertan‘ ist da. Nach gut fünf Jahren wurde am Wochenende in München der 1950 gedrehte Wolfgang-Staudte-Film in Westdeutschland zum ersten Male öffentlich gezeigt. Film und Buch, das Heinrich Mann den ‚Roman des bürgerlichen Menschen unter der Regierung Wilhelm II.‘ nannte, haben beide etwa die gleiche Zeit gebraucht, bis diese ätzende und kritische Attacke auf den idealistischen Hang zur Subalternität allen Deutschen als satirischer Zerrspiegel zur Verfügung stand. Heinrich Mann, der einzelne Kapitel seines Romans bereits 1911 im ‚Simplicissimus‘ veröffentlichte, beendete den Roman gerade so rechtzeitig, daß die Leser der ‚Frankfurter Zeitung‘ ihn im Frühsommer 1914 zu sehen bekamen und seinen Schluß zusammen mit dem Ausbruch des ersten Weltkriegs erlebten. Als Buch kam es im Dezember 1918 heraus und lief um die Welt, davon berichtend, daß Deutschland nicht nur aus untertänigen und großmannsüchtigen Menschen bestand. Dafür wurde das Buch 1933 als eines der ersten verbrannt und verboten.

Wolfgang Staudte griff 1950, als bei der DEFA noch ein frischer Wind wehte, das Thema auf, schrieb mit seinem Vater das Drehbuch und beendete 1951 als Regisseur einen vollblütigen Film, der die Treue dem Buch und dem Film gegenüber so beispielhaft hielt, wie in den langen Jahren danach kein zweiter. Dafür dauerte es dann auch bis heute, ehe in Bonn ‚der interministerielle Filmausschuß‘ seinen Widerstand aufgab; dies etwa zur gleichen Zeit, da auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs die Kopien in den Archiven und Arsenalen anfingen zu schimmeln.

Satire und Zeitkritik und -deutung haben es in Deutschland nicht leicht. Und wenn jemals nach ‚Im Westen nichts Neues‘ die Leidenschaften im Für und Wider sich erhitzen werden: hier im ‚Untertan‘ ist Sprengstoff und ein Katalysator, der die Geister scheidet.

Wie Heinrich Mann hält sich Staudte klar und kompromißlos an die Situation unter der Regentschaft ‚Wilhelms des Großen‘ […]. Den Originaltext […] benutzend, stellt er das Kind Dietrich Heßling [Diederich Heßling; Anmerkung FuG] und seien Umgebung sofort als Groteske vor: die Kinder in der Schule bewegen sich im Eiltempo wie aufgezogene Marionetten, die märchenerzählende Mutter wird bei verschleierter Linse mit einem Wagen vor der Kamera gezogen, und die Lehrer wirken in bärtiger Autorität wie gräßliche, über dem Menschen stehende Götzen. Und wenn es dann weiter geht, wenn wir den Weg des jungen Hessling in Berliner Plüsch und in der „Neuteutonia“ erleben, in der Kneipe, auf dem Paukboden und später in [i.O.] heimatlichen Kleinstädtchen, in der Fabrik und vor Gericht: der große Atem, mit dem der Film begann, erlischt nicht. Im Gegenteil: von Szene zu Szene scheint sich zu steigern, was man kaum für möglich gehalten hätte.

Und selbst wer dem Thema gegenüber – es werden ‚heiligste Gefühle‘ am laufenden Filmband verletzt! – Reserven hat, wem Kommis immer noch die Schule der Nation, Burschentum die Schule der Elite und Buckeln nach oben und Treten nach unten der sicherste Weg nach oben ist –, wer also gewisse Reserven hat oder gar Empörung empfindet, wird trotzdem nicht an der Feststellung vorbeikommen, daß wir hier den Modefall eines konsequenten Films vor uns haben. Staudte hat (hier ist der Wort ‚meisterhaft‘ in seiner ursprünglichen Bedeutung erlaubt) meisterhaft Stil und Tendenz des Romans in die Mittel des Films gegossen. Er ist echt in jeder Phase, in der Karikatur und in der Typisierung, in der Andeutung des Speziellen durch hart zupackende Ueberhöhung und in der Lächerlichmachung falscher Ideale und Symbole. […]


K 5: Der Zonenritt des ‚Untertan‘. Die ‚Geschichte zum Film‘ ist so frappierend wie der Film. (Hannoversche Presse, 15.03.1957.)

Nach der Münchener Premiere des Films ‚Der Untertan‘ wurde Wolfgang Staudte gefragt, ob sein 1950 bei der DEFA gedrehter Film in der Sowjetzone noch gezeigt würde. Staudte, der eine Fangfrage zu vermuten schien, antwortete nach kurzem Ueberlegen: ‚Natürlich ja, wie eben alte Filme noch laufen.‘ Er unterließ die Anfügung, daß diese Tragikomödie auf den deutschen Spießer drüben aus naheliegenden Gründen auch nicht mehr ganz opportun ist. Und damit hätte er dem Einwand gegen die Herkunft, die den Film wie eine ‚Fragebogenbelastung‘ Westdeutschland vorenthielt, noch mehr Boden entzogen. Denn diese deutsche Tragödie begann bereits vor sieben Jahren, als Staudte, nachdem er den ersten deutschen Nachkriegsfilm ‚Die Mörder sind unter uns‘ und danach ‚Rotation‘ gedreht hatte, versuchte, bei uns im Westen Heinrich Manns ‚Untertan‘ zu verfilmen. Staudte war damals bereits mit den russischen Filmoffizieren leicht kollidiert, ging aber nach Babelsberg zurück, als man ihm bei uns die kalte Schulter zeigte.

Er drehte dann in Ruhe und unbehelligt […] den ‚Untertan‘, der darauf mit außergewöhnlich großem Erfolg in den meisten europäischen Ländern lief. Immer rund um die Bundesrepublik, der er Ende 1953 angeboten wurde. Nun bestand für den Kulturaustausch zwischen den beiden Deutschlands, speziell für Filme, eine Art Abkommen, das aber von beiden Seiten in weitem Maße zur Verhinderung des Austausches ausgenutzt wurde. Angst vor eingeschmuggelter Propaganda vermischte sich mit Grundsatzressentiments, und der weltweite Kalte Krieg tat ein übriges, damit sich der Austausch von drüben nach hier auf Märchenthemen beschränkte, und von hier wurden platte Lustspiele und andere unverdächtige Kost in kleinsten Dosen ‚exportiert‘.

Im Falle des ‚Untertan‘[,] der ein ausgesprochener Staudte-Film und viel weniger (wie sich bald herausstellen sollte) ein DEFA-Film war, gab es aber von der Bonner Seite Bedenken gegen den Stoff, der zuviel Parallelen zur Gegenwart zu haben schien. Wie man vermeinte. Der interministerielle Filmausschuß, der es erleben mußte, daß die Heinrich-Mann-Verfilmung in Cannes recht erfolgreich war, daß sie in Schweden den ‚Kritikerpreis für den besten deutschen Nachkriegsfilm‘ erhielt, hatte Bedenken wegen der antimilitaristischen Stellen. Er meinte Rücksicht auf das neu erblühende studentische Verbindungsweisen nehmen zu müssen, und auch der augenzwinkernde Kuhhandel um Anteile an der Macht schien ihm zu gefährlich. Der Film […] erlebte dann in Westberlin, nachdem er zweimal abgelehnt worden war, eine einmalige Vorführung vor der Presse, mit dem Erfolg, daß eine geradezu einmütige Forderung nach einer Freigabe für die Bundesrepublik und Berlin erhoben wurde.

Neben diesem Verbündeten kam eine Lockerung der Einfuhrbestimmungen hinzu, die nunmehr ein Verbot gegen Filme nur wegen einer mißliebigen Tendenz nicht mehr zuließ. Unerwartete Hilfe, wohl kaum aus ideologischen Gründen, brauchte darüber hinaus das Wirtschaftsministerium, das bei der Erteilung von Einfuhrerlaubnissen ein entscheidendes Wort zu sprechen hat. Die ‚Devisenlage‘ kam rettend für das Zonenprodukt.

Wer in Bonn jahrelang im trauten Verein sich bemüht hat, uns diesen Film vorzuenthalten, wird nicht ohne weiteres festzustellen sein: […] Man unterschätzte damit den Bürger einer freien Republik und stellte ihn auf eine Ebene mit dem ewigen Untertan, dessen Zerrbild wir in künstlerisch vollendeter Weise nun sehen können.

A. F. Teschemacher


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