Der Untertan (1951)
Inhalt
1951 verfilmte Wolfgang Staudte in der Produktion der DEFA den 1914 erschienen satirisch-sozialkritischen Roman „Der Untertan“ von Heinrich Mann, der das autoritär-nationalistische Klima des ausgehenden Wilhelminischen Kaiserreiches karikierte. Erzählt wird der Aufstieg des obrigkeitshörigen Diederich Heßling, dessen Lebensweg von Rücksichtslosigkeit und Opportunismus geprägt ist. Devot gegenüber der Macht, autoritär und herrschsüchtig gegenüber seinen Untergebenen, verkörpert Heßling den Typus des Untertanen, der nicht nur den Ersten Weltkrieg, sondern – nach Staudtes Lesart – auch den Nationalsozialismus überhaupt erst möglich gemacht hat
Regie: | Wolfgang Staudte |
Drehbuch: | Wolfgang Staudte, Fritz Staudte (nach Heinrich Mann) |
Dramaturgie: | Hans Robert Bortfeldt |
Kamera: | Robert Baberske |
Kamera-Assistenz: | Günter Marczinkowsky |
Schnitt: | Johanna Rosinski |
Musik: | Horst Hanns Sieber |
Ton: | Erich Schmidt |
Produktionsleitung: | Willy Teichmann |
Aufnahmeleitung: | Fritz Brix, William Neugebauer |
Produktion: | Deutsche Film-AG (DEFA) |
Drehzeit: | März – Juni 1951 |
Uraufführung: | 31.08.1951, Berlin, Babylon / Defa-Filmtheater Kastanienallee |
Erstverleih: | Progress Film-Verleih (Berlin/DDR), Europa-Filmverleih GmbH (Hamburg) |
Länge: | 109 Minuten |
Darsteller: | |
Werner Peters | Diederich Heßling |
Paul Esser | Von Wulkow |
Willy A. Kleinau | Frau von Wulkow |
Blandine Ebinger | Direktor Tilgner |
Erich Nadler | Vater Heßling |
Gertrud Bergmann | Mutter Heßling |
Carola Braunbock | Emmi Heßling |
Emmy Burg | Magda Heßling |
Renate Fischer | Guste Daimchen |
Friedrich Maurer | Göpel |
Friedel Nowack | Frau Göpel |
Sabine Thalbach | Agnes Göpel |
Hannsgeorg Laubenthal | Mahlmann |
Eduard von Winterstein | Vater Bruck |
Raimund Schelcher | Dr. Wolfgang Bruck |
Paul Mederow | Dr. Heuteuffel |
Friedrich Richter | Lauer |
Richard Landeck | Neumann |
Fritz Staudte | Kühlemann |
Nr. |
Inhalt |
Länge |
Zeit im Film |
1 |
Vorspann. |
2.08 |
0.00 – 2.08 |
2 |
Diederichs Kindheitserfahrungen: der strafende Vater, die grausigen Märchenerzählung der Mutter, Erlebnisse in der Schule. |
2.32 |
2.08 – 4.40 |
3 |
Festumzug durch Diederichs Heimatstadt Netzig. Im Rathaussaal: Im Laufe der Zeiten werden glühende Lobeshymnen auf die deutschen Kaiser gehalten: – Wilhelm I . (1871-1888) – Friedrich III. (1888) – Wilhelm II. (1888-1918) |
2.14 |
4.40 – 6.54 |
4 |
Diederich als Student in Berlin. Zu Gast bei Familie Göpel macht er Bekanntschaft mit Göpels Tochter Agnes und dem Studenten Mahlmann. Agnes und Diederich fühlen sich zueinander hingezogen. |
3.08 |
6.54 – 10.02 |
5 |
Als Diederich das Haus der Göpels verlässt, folgt Mahlmann ihm und überredet ihn zum Besuch einer Revue. |
2.35 |
10.02 – 12.37 |
6 |
Diederich stattet der Familie Göpel einen zweiten Besuch ab. Mahlmann nimmt ihm den Blumenstrauß ab, den er für Agnes mitgebracht hat, und überreicht ihn an Diederichs Stelle. Abends Hausmusik. Diederich begleitet Agnes‘ Gesang auf dem Klavier. Mahlmann setzt ihn daraufhin unter Druck, nicht mit ihm in Konkurrenz um Agnes‘ Gunst zu treten. Diederich beugt sich ihm und zieht sich zurück. |
3.38 |
12.37 – 16.05 |
7 |
Diederichs Schulfreund Hornung überredet ihn zur Teilnahme an einem Treffen der Studentenvereinigung „Neu Teutonia“. Diederich nimmt am gemeinschaftlichen Besäufnis teil und findet Gefallen daran. |
3.13 |
16.05 – 19.18 |
8 |
Auf der Suche nach einem „Renommierschmiss“ bemüht Diederich sich, einen jungen, körperlich unterlegenen Mann in ein Streitgespräch zu verwickeln, um sich mit ihm zu duellieren. Von einem anderen herausgefordert, kommt es zum Duell, bei dem Diederich einen Schmiss auf der linken Wange erhält. Als er das Ereignis mit seinen Corps-Kameraden feiert, trifft Post von seiner Mutter ein, die ihn davon in Kenntnis setzt, dass sein Vater im Sterben liegt. |
3.50 |
19.18 – 23.08 |
9 |
Trauerfeier für den Vater in Netzig. Herr Buck stattet Heßlings einen Kondolenzbesuch ab und ermahnt Diederich, immer Achtung vor seinen Mitmenschen zu haben. |
1.32 |
23.08 – 24.40 |
10 |
Diederich leistet seinen Militärdienst ab, dessen körperliche Beschwernisse ihn veranlassen, sich beim alten Herren der „Neu Totania“, einem Medizinalrat, ein Attest zu beschaffen, das ihm die vorzeitige Beendigung des Militärdienstes ermöglicht. Diederich verlässt die Kaserne und … |
3.30 |
24.20 – 27.50 |
11 |
… erwirbt eine Zigarre, die er vor den Korps-Brüdern als Abschiedsgeschenk seines Hauptmanns ausgibt. Zufällig kommt es zum Wiedersehen mit Agnes, die sich von Diederich in seine Wohnung einladen und verführen lässt. |
3.53 |
27.50 – 31.43 |
12 |
Romantische Bootsfahrt von Diederich und Agnes. Sie schmieden Zukunftspläne, doch die Einigkeit ist von kurzer Dauer, wie die darauffolgende Szene zeigt: Herr Göpel sucht Diederich auf und berichtet von Agnes‘ Liebeskummer. Diederich streitet jede Verantwortung ab und zieht sich auf den Standpunkt zurück, keine Frau heiraten zu können, die „ihre Reinheit“ nicht mit in die Ehe bringe. |
3.17 |
31.43 – 35.00 |
13 |
Vor der Rückkehr aus Berlin nach Netzig legt sich Diederich einen „Es ist erreicht“-Schnurrbart zu. Im Zug macht er die Bekanntschaft von Guste Daimchen. |
3.24 |
35.00 – 38.24 |
14 |
Beim Empfang im Elternhaus erfährt Diederich von seinen Schwestern, dass Guste Millionärin ist. Anschließend hält er eine Ansprache an die Arbeiter seiner Papierfabrik, die er zur Leistungssteigerung anhält und vor einem Engagement in der Sozialdemokratie warnt. Als eine junge Frau bei der Arbeit vor Erschöpfung zusammenbricht und von ihrem Freund in einen ruhigen Winkel der Fabrik gebracht wird, verdächtigt Diederich das Pärchen „unzüchtiger Handlungen“. Bei der verbalen Auseinandersetzung tritt ihm der sozialdemokratische Vorarbeiter Napoleon Fischer entgegen. |
4.38 |
38.24 – 43.02 |
15 |
Diederich besucht Herrn Buck, der ankündigt, Diederichs Kandidatur für den Stadtrat zu unterstützen, und ihn vor dem Regierungspräsidenten Wulkow warnt. Gemeinsam mit Pastor Zillich und Assessor Menecke sucht Diederich den Ratskeller auf. Draußen kommt es zu einem Dialog zwischen dem Wachtposten, der vor dem Amtsgebäude des Regierungspräsidenten steht, und einer Gruppe unzufriedener Arbeiter. Unter ihnen befindet sich auch das Pärchen, das Diederich fristlos entlassen hat. |
3.03 |
43.02 – 46.05 |
16 |
Im Ratskeller hört die Runde um Diederich einen Schuss. Auf dem Marktplatz schart sich eine Menschenmenge um den Arbeiter, den der Wachtposten erschossen hat. Es kommt zur verbalen Auseinandersetzung zwischen Diederich und Spießgesellen auf der einen Seite und dem Fabrikanten Lauer und dessen bürgerlichen Bekannten auf der anderen Seite. Wulkow lässt den Platz durch die Polizei räumen. Im Ratskeller setzen die Konfliktparteien ihre Auseinandersetzung fort. Als Lauer die deutschen Fürstenhäuser einschließlich der Hohenzollern als „verjudet“ bezeichnet, triumphiert Diederich, der glaubt, Lauer nun juristisch belangen zu können. |
7.05 |
46.05 – 53.10 |
17 |
Frühstückstafel der Familie Heßling. Assessor Menecke kommt zu Besuch und teilt Diederich seine Absicht mit, gegen Lauer wegen dessen Aussagen zu prozessieren. Er übt auf Diederich Druck aus, vor Gericht auszusagen. Der Prozess beginnt und zieht soziale Ächtung für Diederich nach sich, der auch von seinen ehemaligen Kumpanen als Denunziant geächtet wird. Im Ratskeller begegnet Diederich dem jungen Wolfgang Buck, der die Verteidigung Lauers übernehmen wird und Diederich seine Verachtung zeigt. |
5.07 |
53.10 – 58.17 |
18 |
Diederich kann sich vor Gericht zunächst nicht zu einer den Angeklagten belastenden Aussage durchringen. Nachdem seine Befragung beendet ist, kommt Wulkow hinzu. Pastor Zillich, Major Kunze und Lauers Freund Dr. Heuteuffel machen ihre Aussagen. Nachdem er von Wulkow nachdrücklich dazu ermuntert wurde, hält Diederich vor dem Gericht eine flammende Rede, in der er Lauer der Majestätsbeleidigung bezichtigt und rücksichtsloses Vorgehen gegen Staatsfeinde fordert. Im Hinausgehen lobt der zufriedene Wulkow Diederichs „brauchbare Gesinnung“. |
7.32 |
58.17 – 65.49 |
19 |
Empfang bei Wulkows. Diederichs Schwester Emmi lernt einen preußischen Leutnant kennen. Diederich folgt Wulkows Dogge in dessen Arbeitszimmer und erhält schließlich eine Audienz beim Regierungspräsidenten, der sich als Bedingung für die Unterstützung von Diederichs politischer Karriere die Errichtung eines kaiserlichen Standbildes in Netzig ausbedingt. |
5.44 |
65.49 – 71.33 |
20 |
Guste Daimchen beobachtet Wolfgang Bruck, der seine juristische Laufbahn nach dem verlorenen Prozess aufgegeben hat, bei einer Theaterprobe zu „Die Jungfrau von Orleans“ und löst aus Entsetzen darüber ihre Verlobung mit ihm. |
2.17 |
71.33 – 73.50 |
21 |
Diederich verhandelt mit Napoleon Fischer um die Unterstützung der Sozialdemokraten bei seiner Kandidatur für den Stadtrat. Emmi reitet derweil gemeinsam mit dem Offizier aus. |
1.54 |
73.50 – 75.44 |
22 |
Diederich empfängt Major Kunze. Es folgt seine Aufnahme in Netzigs Kriegerverein. |
1.35 |
75.44 – 77.19 |
23 |
Auf dem Heimweg begegnet Diederich Guste Daimchen, zeigt ihr nach Feierabend die Fabrikräume und verbringt mit ihr eine Liebesnacht an der Stelle, an der er das vermeintlich unzüchtige Arbeiterpärchen entdeckte (Sequenz 13). Emmi weilt bei dem Leutnant, mit dem sie ein Verhältnis eingegangen ist. |
4.12 |
77.19 – 81.31 |
24 |
Heirat von Diederich und Guste: Major Kunze hält die Festrede. Nach einem Hurra auf den Kaiser führt Diederich den Gästen sein neues, mit Sprüchen deutscher Persönlichkeiten bedrucktes Toilettenpapier Marke „Weltmacht“ vor. |
3.14 |
81.31 – 84.45 |
25 |
Hochzeitsnacht von Diederich und Guste in einem Züricher Hotel. Am Morgen erfährt Diederich aus der Zeitung, dass Wilhelm II. auf einem Staatsbesuch in Rom weilt, und bricht unverzüglich auf, um den Kaiser zu sehen. |
4.08 |
84.45 – 88.53 |
26 |
„Begegnung“ Diederichs mit dem Kaiser, dessen Kutsche Diederich Hurra-schreiend nachläuft. Die zurückgelassene Gustl schreibt Ansichtskarten im Bahnhofscafe, während Diederich Wache vor dem Hotel des Kaisers hält. Er ertappt einen vermeintlichen Attentäter, der sich als harmloser Kunstmaler herausstellt, und erhält dafür, nach Hause zurückgekehrt, eine Gardinenpredigt durch Wulkow. |
3.31 |
88.53 – 92.24 |
27 |
Diederich besucht den Amtsgerichtsrat Kühlemann am Krankenbett. Vor dem Stadtrat gibt er den Bau des kaiserlichen Standbildes als Kühlemanns letzten Wunsch aus. Diederichs Schwester Magda teilt der verzweifelten Emmi mit, dass ihr Leutnant sich hat freiwillig versetzen lassen und in Kürze die Stadt verlassen wird. Die Mehrheit des Stadtrates stimmt für die Errichtung des Denkmals. Zuhause muss Diederich von der weinenden Mutter hören, dass Emmi versucht habe, sich das Leben zu nehmen. |
3.26 |
92.24 – 95.50 |
28 |
Diederich erfährt von Emmi den Grund ihrer Verzweiflung. Er sucht das Gespräch mit dem Leutnant, der jede Verantwortung von sich weist, und findet sich somit in der gleichen Situation wieder wie Agnes‘ Vater in Sequenz 11. |
3.27 |
95.50 – 99.17 |
29 |
Einweihung des Kaiser-Standbildes. Während Diederichs Ansprache bricht ein Wolkenbruch los. Er setzt seine chauvinistische Rede fort, bis der Sturm die Menge auseinander treibt. Schlussbild: Das unversehrte Denkmal inmitten des zerstörten Netzig nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. |
4.38 |
99.17 – |
Verbote passen gut zum Untertan. Es ist als ob sie in seiner Nähe wachsen wie realistisches Unkraut auf der nahrhaften Satire.
Abendpost 24.03.1957, zitiert nach: Michael Grisko: DEFA-Geschichte in Filmen.
Staudtes Filme im unmittelbaren Nachkriegsdeutschland
Wenn man bedenkt, dass Staudte mit seinen Filmen, als Reflex oder Reflektion, Einfluss auf die Wirklichkeit hat nehmen wollen und registriert, wie die Wirklichkeit – in Reziprozität – auf seine Filme reagiert hat, so stehen, analog dazu die sich wiederholenden Zensurgeschichten, die sowohl den Roman als auch seine Verfilmung begleiten, in einer bemerkenswerten Relation dazu. (…)
weiter: Uschi Schmidt-Lenhard & Hans Giessen: Der Untertan – Reflex und Reaktion. Staudtes Filme im unmittelbaren Nachkriegsdeutschland. gfl-journal, No. 3/2014, S. 56-60
Eintrag bei WestOst Filmzensur
Bereits nach der Uraufführung des Films regte sich in der Bundesrepublik Kritik, die sich vor allem auf das Ende des Films bezog. Staudte hatte – anders als im Roman – einen metaphorischen Bezug zur Gegenwart hergestellt. Der Film sei geeignet, „in der westlichen Welt Stimmung gegen Deutschland und damit gegen die Aufrüstung der Bundesrepublik zu machen“, schrieb beispielsweise „Der Spiegel“. Das Bundesinnenministerium untersagte daher im August 1951 die Vorführung des Films bei den Heilderberger Kunstfilmtagen. Das offizielle Verbot wurde mehrere Jahre aufrecht erhalten, gleichwohl kam der Film wiederholt in der Bundesrepublik zur Aufführung.
Dem Interministeriellen Ausschuss lag der Film ab 1954 mehrfach zur Begutachtung vor. Am 29.11.1954 wurde er zunächst aus Zeitgründen nicht gesichtet.
Am 09.12.1955 wurde der Film für die Vorführung in studentischen Filmclubs freigegeben.
Für die gewerbliche Nutzung wurde der Film nur in einer geschnittenen Fassung zugelassen. Zudem wurde mit einer Einblendung daraufhin gewiesen, dass die Handlung des Films einen „Einzelfall“ schildert.
Vor dem Hintergrund des Ost-West-Konfliktes überrascht es nicht, dass Der Untertan in DDR und BRD (wo er mit sechsjähriger Verzögerung uraufgeführt wurde) unterschiedliche und zum Teil gegensätzliche Reaktionen auslöste.
Statt einer Vorbemerkung: Begründung der Jury der Evangelischen Filmarbeit zur Auszeichnung „Film des Monats“
„Wenn die Jury der Evangelischen Filmarbeit anlässlich des Todes von Wolfgang Staudte seinen Film DER UNTERTAN nachträglich zum „Film des Monats“ wählt, so in der Überzeugung, dass die erneute Begegnung mit diesem Meisterwerk die besondere Aktualität unterstreicht, die ihm in den gegenwärtigen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen zukommt.“
Und das gilt für die aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen ebenfalls!
Bildungspaket des NLQ zum Film
Das Bildungspaket enthält Materialien zu folgenden filmanalytischen Schwerpunkten: Literaturverfilmung, die satirische Übertreibung, Perspektive, Storyboard, Kameraeinstellung.
Der Untertan
Filmheft von Ute Stauer
Instutitut für Kino und Filmkultur
Inhaltsverzeichnis
- Filminhalt
- Problemstellung und Hintergründe
- Aufgabenstellung und Fragen
- Materialien
- Literaturhinwiese