Kino und Politik

Unterhaltung und Propaganda in Hannover 1933-1945

Bettina Korsch/Christian Siegert/Alexander Dahl (1991)

Propagandaministerium [1939]

Regelmäßig wurden in den Kinos, nach vorhergehender Ankündigung in der Presse, wichtige Hitlerreden, z. B. Reichstags- oder „Wahl“reden und Staatsakte per Lautsprecher übertragen. Die Kinobetreiber wurden angewiesen, ihrem Publikum die Möglichkeit zu geben, die Übertragungen zu verfolgen, d. h. die Vorstellungen mussten später beginnen oder wurden rechtzeitig unterbrochen. Stereotype Rahmenprogramme bei der Vorführung von Propagandafilmen im weitesten Sinne machten nicht nur Hitler im Kino präsent, sondern auch die NSDAP, die SA und SS, das Militär und die Polizei. Bei der Premiere des Films STOSSTRUPP 1917 (1934, Regie Hans Zöberlein und Ludwig Schmid-Wildy) am 27.4.1934 „vor fast ausverkauftem Hause und zahlreichen Ehrengästen, unter denen sich … der Standortälteste, der Polizeipräsident, der Führer der hannoverschen SA und SS, sowie des nationalsozialistischen Frontkämpferbundes“ befanden, sprach Gauleiterstellvertreter Schmalz „kurze Worte über die Bedeutung und Aufgabe des Films“ sowie über „deutschen Soldatengeist und Frontkameradschaft, die zu den ewigen Gütern des Deutschen Volkes (gehören)“. Weiter berichtete die Presse: „Der Musikzug der SA-Standarte 13 umrahmte die Veranstaltung mit mitreißenden Märschen. Nach dem Einzug der Fahnen sang die Menge das Horst Wessel-Lied und das Deutschland-Lied.“ Das bevorzugte Kino für solche und ähnliche Festakte war der Ufa-Palast.

Wichtige Aufgabe bei der propagandistischen Ausnutzung des Mediums Film erfüllte die Gaufilmstätte Südhannover-Braunschweig, die am 12.5.1935 ihr eigenes Gaukino einweihen konnte und Vertreter der NSDAP, die Presse, sowie eine große Anzahl von Erzieherinnen und Erziehern zu einer damit verbundenen parteiamtlichen Filmvorstellung in den Vorführsaal des Gesellschaftshauses „Königsworth“ einlud. „Gauleiterstellvertreter Schmalz wies darauf hin … , daß man gerade … der deutschen Jugend eine Erziehung angedeihen lassen müsse, die Sinn und Grundwesen des nationalsozialistischen Staates … immer wieder vorführe.“ Diese Aufgabe des Gaukinos, besonders die Erziehung der Jugend durch Schulungsfilme könnten die anderen Kinos der Stadt und des Gaues – so Schmalz – nicht erfüllen.

Die Gaufilmstelle Südhannover-Braunschweig war auch außerhalb des Gaukinos sehr aktiv: ihre Spezialität waren Freiluftfilmveranstaltungen. Am 24.03.1936 wurden um 20 Uhr auf dem Lindener Marktplatz mehrere Filme auf einer 100 Quadratmeter großen Leinwand gezeigt. Hannovers Bevölkerung war zu diesem „ungewöhnlichen und einmaligen“ Ereignis herzlich eingeladen. Damit „alle Volksgenossen der kostenlosen Vorführung beiwohnen“ konnten, wurde sie um 22 Uhr wiederholt. Wie viele Hannoveraner dieser Einladung gefolgt sind, lässt sich schwer recherchieren, weshalb über die Massenwirksamkeit dieser oder ähnlicher Veranstaltungen nur spekuliert werden kann.

Als „Wunderwerk der Technik“ pries Gauleiterstellvertreter Schmalz den „Großtonfilmzug“ des Gaues Südhannover-Braunschweig, „den ersten seiner Art in Deutschland“. Dieses mobile Kino mit 200 Quadratmeter großer Leinwand und entsprechend aufwendiger Lautsprecheranlage wurde für Großveranstaltungen eingesetzt, zum ersten Mal am 23.09.1936 in Braunschweig. Am 15.10.1936 gastierte der Filmzug in Hannover. „Das größte Freilichtkino der Welt auf dem Waterloo-Platz“ zeigte mit FRIESENNOT(Regie Peter Hagen) eine „Spitzenleistung der Filmindustrie, die für jeden Deutschen ein eindringliches Erlebnis“ sein sollte. FRIESENNOT lief bereits im Dezember 1935 zwei Wochen in den Hannoverschen Ufa-Kinos. Nach einer Sondervorstellung für die Presse am 28.11.1935 widmete man diesem Film eine außergewöhnlich umfangreiche Darstellung, womit sicherlich den Vorgaben des Propagandaministeriums entsprochen wurde.

FRIESENNOT war einer der wichtigsten Propagandafilme: er befand sich im offiziellen Filmprogramm der Partei, wurde als „staatspolitisch und künstlerisch besonders wertvoll“ prädikatisiert und regelmäßig der Hitlerjugend vorgeführt.

In dem Film geht es um eine kleine Friesengemeinde an der Wolga, die in ihrem glücklichen und sicheren Dasein vom Bolschewismus bedrängt wird. Eine Gruppe Rotgardisten besetzt das Dorf, das den Besetzern anfangs freundlich gegenübersteht. Nachdem ein halbrussisches Dorfmädchen ein Verhältnis zum Führer der Gruppe eingeht und darauf hin von den Friesen vertrieben wird, rächen die Bolschewisten sich mit Vergewaltigungen. Ein Blutbad folgt, bei dem die Russen von den Dorfbewohnern umgebracht werden. Danach verlassen die Friesen Russland in Richtung Persien, um eine neue Heimat zu finden.

Zu diesem Film schrieb G. Fricke vom Hannoverschen Tageblatt: „Es ist ein Bildstreifen, der, ganz abgesehen von seinen großen künstlerischen Qualitäten, zeitnahe ist, Probleme behandelt, die uns aufs Tiefste angehen. Schon aus diesem Grunde allein sollte der Besuch des Films nicht hinausgeschoben werden.“

Die Auswahl dieses Films für die Großveranstaltung auf dem Waterloo-Platz war sicher nicht zufällig; man wies noch einmal darauf hin, dass kein Hannoveraner sich diese Filmdarbietung entgehen lassen sollte, auch weil die Nachtvorführung besonders reizvoll sei und ihr 200.000 Menschen beiwohnen könnten.

Laut Presseberichten waren es allerdings „nur“ zehntausende, die kamen. Im Vorprogramm wurden der „Jubel des Volkes und die Stimme des Führers“ über die Lautsprecheranlage gesendet, anschließend erläuterte Gauleiterstellvertreter Schmalz ganz offen die Funktionen des Zuges.“ Diese Einrichtung gebe dem Gau ungeahnte Möglichkeiten der Propaganda für die nationalsozialistische Bewegung. Wenn man die … Menschenmassen im Gau mobil machen wolle, so werde das künftig mit Hilfe des Gautonfilmzuges in ganz kurzer Zeit möglich sein.“

Zu dem Großtonfilmzug der Gaufilmstelle Südhannover-Braunschweig kamen sieben Tonfilmwagen der Gaufilmstelle Osthannover für Normaltonfilme, deren Aufgabe es war, in Wandervorführung täglich etwa acht bis zehn kinolose Orte und Dörfer mit Filmen zu versorgen. Die Gaufilmstelle wies mit Nachdruck darauf hin, dass der Betrieb dieser Wanderkinos bereits seit Jahresbeginn 1937 als ständige Einrichtung funktioniere.


Auszug aus: Bettina Korsch/Christian Siegert/Alexander Dahl: Kino unterm Hakenkreuz. In: Lichtspielträume. Kino in Hannover 1896 – 1991. Hrsg. von der Gesellschaft für Filmstudien. Hann0ver 1991, S. 35-48

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