Einordnung der zu Beginn der Tonfilm-Ära entstandenen Weltkriegsdramen in das Thema „Film und Erster Weltkrieg“
Der Erste Weltkrieg, von Historikern und Journalisten oftmals als „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet, gilt nicht nur als epochaler geschichtlicher Einschnitt, sondern gleichzeitig als Ausgangspunkt politischer Entwicklungen, die in totalitäre Diktaturen, Genozid und die vierzigjährige Teilung Europas mündeten. Ein Blick auf die deutsche Geschichte nach 1918 zeigt, wie weitreichend die Konsequenzen dieses globalen Konfliktes waren: Viele Fragen, die sich an Teilung und Wiedervereinigung Deutschlands, an die NS-Diktatur und den Zweiten Weltkrieg knüpfen, führen letztlich auf den Ausgang des Ersten Weltkrieges zurück. Sein Ausbruch, dessen Ursachen im Einzelnen bis heute kontrovers diskutiert werden, markiert das Ende einer Ära, die man das „lange 19. Jahrhundert“ genannt hat – die bürgerlich geprägte Zeitspanne europäischer Geschichte zwischen der Französischen Revolution 1789 und der Mobilmachung im Hochsommer 1914. Das Wilhelminische Großmachstreben und die Einkreisungspolitik der Entente-Mächte ließen die Juli-Krise, deren Auslöser das Attentat auf den österreichisch-ungarischen Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajevo gewesen war, innerhalb weniger Tage zu einem Krieg eskalieren, an dessen Ende nicht nur ungeheure Verwerfungen im Machtgefüge und der Staatenlandschaft Europas standen, sondern auch 17 Millionen Tote. Der US-amerikanische Kriegseintritt auf Seiten der Entente im April 1917 war ein wesentlicher Schritt auf dem Weg der Vereinigten Staaten zur Weltmacht. Infolge der Oktoberrevolution des gleichen Jahres versank das Zaristische Russland in einem erbitterten Bürgerkrieg, der in die bolschewistische Herrschaft und den Stalinismus führte. In Deutschland musste die labile Republik von Weimar das schwierige Erbe des geschlagenen und politisch isolierten Kaiserreiches antreten. Die Erfahrung von materieller Not und Hunger, Massensterben, Gas- und Stellungskrieg prägte die Vorstellungswelt der Weltkriegsgeneration und schlug sich in der kulturellen, künstlerischen und auch filmischen Aufarbeitung nieder.
Bei Kriegsausbruch war das Medium Film noch keine zwanzig Jahre alt gewesen: Zwar waren in den meisten europäischen Ländern bereits nationale Filmindustrien entstanden, doch mangelte es dem Kino noch an gesellschaftlicher Akzeptanz: Vor allem war die breite Anerkennung durch bürgerliche und politische Kreise bis dahin ausgeblieben. Dies führte dazu, dass die filmische Berichterstattung von den Kriegsschauplätzen vor allem zu Beginn des Krieges bei allen Konfliktparteien äußerst schwach ausgeprägt war oder – aus Angst vor Spionage oder einem generellen Misstrauen gegenüber dem Medium – völlig unterblieb. Erst im Laufe des Krieges wurde die filmische Frontberichterstattung sukzessive ausgebaut. Zumindest ab 1915/16 wurden sowohl Gefechte als auch die Zerstörungen und die menschlichen Opfer des Krieges filmisch soweit dokumentiert, wie dies technisch möglich war. Ein Beispiel hierfür ist der im August 1916 uraufgeführte britische Frontbericht The Battle of the Somme: Eingebettet in auf einem Manövergelände nachgestellte Szenen, zeigt der Film beispielsweise in einer langen Totale die vorstürmende britische Infanterie auf dem Schlachtfeld, wobei – wenn auch aus großer Distanz – zu sehen ist, wie mehrere Männer im feindlichen Abwehrfeuer fallen. Spätere Szenen des Films zeigen nicht nur gefallene Deutsche, sondern – zum Teil halbnah – auch eigene Tote. Obwohl also Aufnahmen dieser Art durchaus einen authentischen visuellen Eindruck von den Schlachtfeldern transportierten, wurde die kollektive Erinnerung an den Krieg maßgeblich durch die Spielfilme geprägt, die vor allem zu Beginn der Tonfilmära, Ende der 20er und Anfang der 30er Jahre, auf den Leinwänden erschienen: Weltkriegsdramen wie der US-amerikanischen Erich-Maria-Remarque-Verfilmung Im Westen nichts Neues (All Quiet on the Western Front, 1930) oder dessen deutsches Pendant, Georg Wilhelm Pabsts im gleichen Jahr entstandener Westfront 1918. Parallel zu diesen eindeutig pazifistisch angelegten Filmen rollte jedoch auch eine Welle patriotischer Weltkriegsbetrachtungen in die Kinos – Filme wie Drei Tage auf Leben und Tod. Ein Film von unseren U-Boots-Helden (1929), Douaumont (1931) oder Die andere Seite (1933), alle inszeniert von Kriegsfilm-Routinier Heinz Paul, zielten auf ein national gesinntes Publikum und auf jene ehemaligen Frontkämpfer, denen an einer verklärenden Darstellung des Krieges gelegen war. Gleiches gilt für Gustav Ucickys vielbeachtetes U-Boot-Drama Morgenrot, das, 1932 gedreht, kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten uraufgeführt wurde. Diese Beispiele illustrieren, dass der Weltkrieg in den 30er Jahren ein auch kommerziell lohnendes Sujet war. Als Genre existierte der Weltkriegsfilm nach 1933 in seiner patriotischen Ausprägung weiter: Filme wie Stoßtrupp 1917 (Ludwig Schmid-Wildy, Hans Zöberlein, 1934) oder Unternehmen Michael (Karl Ritter, 1937) dienten auch dazu, NS-Propaganda zu transportieren. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges, keine zehn Jahre nach dem Erscheinen von Im Westen nichts Neues, endete die Zeit der großen Weltkriegsfilme. Nach Gründung der beiden deutschen Teilstaaten, als erneut sowohl pazifistische wie auch patriotische Kriegsfilme gedreht wurden, war nicht der Erste, sondern der Zweite Weltkrieg das dominante filmische Thema.