Bedingungen und Ursachen des Ersten Weltkriegs

Ursachen Erster Weltkrieg
Das Wichtigste

  • Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde die Lage in Europa zunehmend angespannt – es wurden mehrere Kriege geführt und 1871 wurde das Deutsche Kaiserreich gegründet.
  • Bismarck setzte auf eine komplizierte Bündnispolitik, um das Deutsche Reich vor Angriffen bestmöglich zu schützen.
  • Unter Kaiser Wilhelm II. wurde diese Bündnispolitik sozusagen zunichtegemacht. Seine aggressivere Außen- und Kolonialpolitik sowie sein Ausbau der kaiserlichen Marine führten unter anderem zum Wettrüsten unter den Großmächten, die einen nahenden Krieg inzwischen für unvermeidbar hielten.
  • Am 28. Juni 1914 wurden der österreichisch-ungarische Thronfolger Franz Ferdinand und seine Ehefrau Sophie Chotek bei einem Attentat umgebracht.
  • Das Attentat löste die sogenannte Julikrise aus, welche wiederum den Beginn des Ersten Weltkriegs einleitete.

studysmarter.de [abgerufen: 2003.2024]

Das Attentat löste…

So einfach – und zugleich oberflächlich und verständnislos – lassen sich offenbar die Fragen nach den Bedingungen und Ursachen des Ersten Weltkriegs beantworten. Damit wollen wir uns hier auf diesen Seiten nicht zufrieden geben.

 

 

Kriegsschuld oder Kriegsursachsen

Die Frage nach der Kriegsschuld verengt die Perspektive. Sie führte u.a. dazu, dass die meisten Historiker fast nur Ereignis- und Entscheidungsabläufe auf Regierungsebene in der Julikrise 1914 und zum Kriegsbeginn untersuchten. Auf diese Weise können Erkenntnisse gewonnen werden über persönliche Verantwortung bzw. Verantwortungslosigkeit direkt beteiligter Politiker, Militärs – und häufig vergessen – Wirtschaftsführer. Dabei dominiert gegenwärtig die Deutung, dass die europäischen Mächte in den Krieg „getaumelt“ wären oder wie es Clark es ausdrückt, als „Schlafwandler“ unterwegs gewesen sind.Dagegen muss – wieder einmal  (vgl. die Fischer Kontroverse) – festgehalten werden, dass die Verantwortlichen in Politik, Militär und Industrie offenen Auges und bei vollem Bewusstsein ins Verderben gestürmt sind, wobe diese Verderben allerdings ehr diejenigen ereilte, die nicht verantwortlichfür den Krieg  gewesen sind.

Wichtiger ist darüber hinaus, deutlich zu machen, dass diese verengte Perspektive, die längerfristigen und systemischen politischen, ökonomischen und sozialen Bedingungen vernachlässigt, die zum Kriegsausbruch beigetragen haben. Leider sind Forschungen zu eben den sozialökonomischen Kriegsursachen in der Gegenwart eher selten und in der historischen Bildung noch seltener anzutreffen.

Mit diesen „vergessenen Lektionen“ wollen wir uns auf diesen Seiten befassen.

Detlef Endeward, April 2024

(…)

»In Deutschland kann das Aufkommen des Imperialismus, das auf die kürzeste Zeitspanne zusammengedrängt ist, in Reinkultur beobachtet werden. Der beispiellose Aufschwung der Großindustrie und des Handels seit der Reichsgründung hat hier in den achtziger Jahren zwei charakteristische eigenartige Formen der Kapitalakkumulation hervorgebracht: die stärkste Kartellentwicklung Europas und die größte Ausbildung sowie Konzentration des Bankwesens in der ganzen Welt. Jene hat die Schwerindustrie, das heißt gerade den an Staatslieferungen, an militärischen Rüstungen wie an imperialistischen Unternehmungen (Eisenbahnbau, Ausbeutung von Erzlagern usw.) unmittelbar interessierten Kapitalzweig zum einflußreichsten Faktor im Staate organisiert. Dieses hat das Finanzkapital zu einer geschlossenen Macht von größter, stets gespannter Energie zusammengepreßt, zu einer Macht, die gebieterisch schaltend und waltend in Industrie, Handel und Kredit des Landes, gleich ausschlaggebend in Privat- wie in Staatswirtschaft, schrankenlos und sprunghaft ausdehnungsfähig, immer nach Profit und Betätigung hungernd, unpersönlich, daher großzügig, wagemutig und rücksichtslos, international von Hause aus, ihrer ganzen Anlage nach auf die Weltbühne als den Schauplatz ihrer Taten zugeschnitten war.

Fügt man hierzu das stärkste, in seinen politischen Initiativen sprunghafteste persönliche Regiment und den schwächsten, jeder Opposition unfähigen Parlamentarismus, dazu alle bürgerlichen Schichten im schroffen Gegensatz zur Arbeiterklasse zusammengeschlossen und hinter der Regierung verschanzt, so konnte man voraussehen, daß dieser junge, kraftstrotzende, von keinerlei Hemmungen beschwerte Imperialismus, der auf die Weltbühne mit ungeheuren Appetiten trat, als die Welt bereits so gut wie verteilt war, sehr rasch zum unberechenbaren Faktor der allgemeinen Beunruhigung werden mußte.«

(…)


Rosa Luxemburg: Die Krise der Sozialdemokratie (Junius-Broschüre). [1] Zürich 1916; hier zitiert nach: Rosa Luxemburg: Politische Schriften II; hrsg. v. Ossip K. Flechtheim. Frankfurt 1966; S. 19-157; S. 50f.

Im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts zeigen sich zwei wichtige neue Tendenzen ‚in der wirtschaftlichen Entwicklung, die auch für die politische Zukunft der Welt entscheidend werden. Englands Vormacht- Stellung wird von anderen Staaten eingeholt. Aus der Konkurrenz der Unternehmen entstehen immer größere Einheiten, die schließlich monopolartigen Charakter annehmen.

Die Industrienationen entwickeln ihre wirtschaftlichen Kapazitäten nicht gleichmäßig. Besonders Deutschland, die USA und Japan weiten ihre Industrie, abgesichert durch Schutzzölle, so schnell aus, daß sie den britischen Industrialisierungsvorsprung in der Produktion wichtiger Güter aufholen. England – bisher uneingeschränkte Handels- und Kolonialvormacht der Welt – bekommt nun ernsthafte Konkurrenten auf dem Weltmarkt, die ihm seine führende Stellung streitig zu machen beginnen.

Damit trat eine qualitativ neue Situation in der kapitalistischen Staatengesellschaft ein, die durch den Kampf um die Aufteilung des Weltmarktes in gesicherte Domänen, um Rohstoffquellen und um Anlagemöglichkeiten für Kapital gekennzeichnet ist.

Die Konkurrenz der vielen kapitalistischen Warenproduzenten untereinander führt zunehmend zu einer Ausweitung einzelner Produktionsbetriebe, deren Ziel es ist, immer größere Teile der Märkte und Rohstoffquellen zu kontrollieren und für sich zu sichern. Dazu bedarf es beim einzelnen Betrieb stets wachsender Investitionen und Kapitalmassen. Nur so können wirksamere Produktionseinrichtungen geschaffen, Märkte beherrscht, und die sich steigernden Konkurrenzkämpfe bestanden werden. Das Konkurrenzprinzip des kapitalistischen Wirtschaftssystems führt so notwendig zur Konzentration der Produktionsmittel in immer weniger Unternehmen und damit tendenziell zur Aufhebung der Konkurrenz selbst zugunsten marktbeherrschender, also monopolistischer Unternehmen. Diese Entwicklung zeichnet sich besonders deutlich gegen Ende des 19. Jahrhunderts ab. Mit ihr verbunden ist eine wachsende Verschmelzung der Banken, die durch die Ausgabe von Aktien, die Vergabe von Krediten und die daraus abgeleiteten Kontrollfunktionen über die Verwendung von Kapital in der Industrie eine allerdings in den verschiedenen Industriestaaten unterschiedlich starke, meist aber beherrschende Stellung erreichten. In Deutschland war die Herrschaft des Finanzkapitals besonders stark entwickelt.

Diese beiden Tendenzen bilden die wichtigsten Faktoren für die Fortentwicklung des Liberalismus zum sich nun ausbildenden Imperialismus. Er ist gekennzeichnet durch die Organisation der Monopole im Rahmen der Nationalstaaten, wobei die Möglichkeiten des Staates weitgehend in den Dienst der Profitinteressen des Finanz- und Industriekapitals gestellt werden. Der Konkurrenzkampf der Monopole findet deshalb in dieser Epoche seinen Niederschlag nicht nur im Bereich wirtschaftlichen Wettbewerbs, sondern auch im Kampf der Nationalstaaten untereinander um die Sicherung von Märkten, Rohstoffen, Gebieten für lohnende Investitionen (Kapitalexport) und natürlich auch um strategische Positionen für den wirksamsten Einsatz der nationalen militärischen Machtmittel zur Durchsetzung ihrer nun weltweit werdenden Wirtschaftsinteressen.

Das Zeitalter des Imperialismus ist also das des Kampfes der großen im nationalstaatlichen Rahmen organisierten Machtgruppen um die Aufteilung der Erde, der kolonialen Unterwerfung der anderen Teile der Erde und das Zeitalter der Weltkriege, in denen die Neuverteilungen des Einflusses und der Ausbeutungsmöglichkeiten erzwungen werden sollen. Imperialismus wird deshalb als eine innen- wie außenpolitische Phase der Entwicklung des Kapitalismus in seiner Gesamtheit verstanden. Er ist nicht identisch mit Kolonialismus. Kolonialismus ist vielmehr nur eine Erscheinungsform des Imperialismus, die auf die Beherrschung der nicht-industrialisierten Länder gerichtet ist.

(…)


Aus: Kofler, Leo/Buro, Andreas: Vom Handelskapitalismus zm Neo-Imperialismus der Gegenwart.Eine Einführung in die Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft. Frankfurt/M. 1972, S. 61/62

Keiner der imperialistischen Staaten, weder die Mittelmächte noch die Staaten der Entente, waren unversehens in den Krieg. “hinein geschlittert“. Er war weder das Ergebnis einer schicksalhaften Entwicklung noch zufälliger diplomatischer Fehler in der Außenpolitik dieser oder jener Regierung. Wie reaktionäre bürgerliche Historiker und auch rechte sozialdemokratische Politiker und Publizisten heute noch behaupten. Er erwuchs vielmehr aus den inneren Widersprüchen des Imperialismus und war die zwangsläufige Folge der seit der Jahrhundertwende betriebenen zielstrebigen Vorbereitungen der Imperialisten aller Länder, ihre Expansionsinteressen mit Hilfe eines Krieges durchzusetzen. Der erste Weltkrieg war kein Verteidigungskrieg, sondern allseitig ein „kapitalistischer Angriffs- und Eroberungskrieg“, wie Karl Liebknecht bereits zu Beginn des Krieges feststellte. Objektiv unfähig, die imperialistischen Widersprüche friedlich zu lösen, setzten die herrschenden Klassen aller am Krieg beteiligten Staaten ihre volksfeindliche Außen- und Innenpolitik mit militärischer Gewalt fort. Sie verfolgten mit dem Krieg das Ziel territorialer Eroberungen, der Unterjochung fremder Nationen und der Plünderung ihrer Reichtümer. Zugleich wollten sie die werktätigen Massen in den eigenen Ländern von den inneren politischen Krisen ablenken, ihre revolutionäre Führung zerschlagen und erreichen, daß der Klassenkampfgedanke bei den Arbeitern durch Opportunismus, bürgerlichen Nationalismus und Chauvinismus verdrängt und so die revolutionäre Arbeiterbewegung geschwächt würde. Der Kampf gegen die imperialistischen Konkurrenten und gegen die revolutionäre Bewegung im eigenen Land wurde zum einzig wirklichen Inhalt und Sinn, zur wahren Bedeutung des Krieges.

Dennoch kann man die Behauptung reaktionärer Historiker nicht hinnehmen, daß alle beteiligten Großmächte gleichermaßen für die Entstehung des ersten Weltkrieges verantwortlich wären. Diese Geschichtsfälschung dient der Verschleierung der besonderen Aggressivität des deutschen Imperialismus, der für die Entstehung und für die Entfesselung dieses Krieges die Hauptverantwortung trug. Das Deutsche Reich hatte sich erst zu einer Zeit als Großmacht etabliert, als die territoriale Aufteilung der Erde nahezu abgeschlossen war. Die deutschen Monopolherren, Junker und Militaristen wollten gewaltsam den Widerspruch überwinden, der zwischen der ökonomischen Leistungsfähigkeit des Deutschen Reiches und den begrenzten Möglichkeiten bestand, sie im Interesse ihres Profitstrebens zu nutzen. Weil sie angesichts der Rüstungen der Staaten der Entente und des fortschreitenden Zerfalls ihres wichtigsten Bundesgenossen, Österreich-Ungarns, befürchteten, daß sich bei längerem Zuwarten eine Verschiebung des internationalen Kräfteverhältnisses ergeben könnte, die eine Verwirklichung ihrer Vorherrschaftspläne verhinderte, stürzten sie Europa in den Krieg. ,,Die deutsche Bourgeoisie“, schrieb Lenin im Sommer 1914, ,,die das Märchen auftischt, sie führe einen Verteidigungskrieg, hat in Wirklichkeit den von ihrem Standpunkt aus günstigsten Zeitpunkt für den Krieg gewählt, um ihre letzten Errungenschaften in der Kriegstechnik auszunutzen und den von Rußland und Frankreich bereits vorgesehenen und beschlossenen neuen Rüstungen zuvorzukommen.


aus: Willibald Gutsche: 1. August 1914. Illustrierte historische Hefte 3, Berlin-Ost 1978, S. 35

„Kaiser Wilhelm II. und sein Umfeld ersehnten sich einen Krieg gegen Frankreich und Russland. Im Sommer 1914 taten diese Männer alles, um den Frieden zu sabotieren. Die These von der „Unschuld“ Berlins kann nur vertreten werden, wenn man die Ergebnisse penibler Archivforschung ignoriert.“

John C. G. Röhl: Wie Deutschland 1914 den Krieg plante. In: Süddeutsche Zeitung, 5. März 2914

< volständiger Text [zuletzt abgerufen: 28.03.2024]

Bedingungen und Ursachen des Ersten Weltkriegs

Ökonomische Bedingungen
Imperialismus und Kolonialismus  Die erste Globalisierung

Politische Bedingungen
Imperialismus und Kolonialismus: Außenpolitik im Kaiserreich

Ökonomische Interessen und geostrategische Kriegsziele Deutschlands

Kriegstüchtige Gesellschaft: Nationalismus und Militarisimus

1914: Der kalkulierte Krieg

Ausgewählte Literatur

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