Und wenn’s nur einer wär… (1949)

Inhalt

Die junge Schauspielerin Bettina hat mit einem Lied, das das abenteuerliche Leben der „verwahrlosten Jugend“ besingt, den Leiter eines Westberliner Lagers für solche Jungen verärgert. Hein Denecke lädt sie ein, das wirkliche Leben dieser Jugendlichen kennenzulernen. Sie ist von der Realität betroffen und bietet ihre Hilfe an. Ein Vorfall jedoch führt zur Absetzung Deneckes, und sein demokratisches Prinzip wird vom neuen Leiter durch Kasernendrill ersetzt. Einige der Jungen fliehen zu Denecke, der außerhalb der Stadt – im Osten – ein neues Lager aufbaut. Mit Mut, Verständnis und viel Geduld gelingt es ihm und Bettina, die Jungen auf den richtigen Weg zu bringen. Der neue Chef des Lagers aber wird als ehemaliger SS-Mann entlarvt.

(Quelle: Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg. DEFA-Spielfilme 1946-1992)

 

Produktionsland Deutschland (SBZ)
Originalsprache Deutsch
Erscheinungsjahr 1949
Länge 84 Minuten
Stab
Regie Wolfgang Schleif
Drehbuch Wolfgang Schleif
Wolfgang Weyrauch
Produktion DEFA
Musik Wolfgang Zeller
Kamera E. W. Fiedler
Schnitt Hermann Ludwig
DarstellerInnen
  • Edelweiß Malchin: Bettina
  • Siegfried Dornbusch: Jochen Denecke
  • Axel Monjé: Albert Osterheld
  • Lutz Moik: Michael
  • Uwe-Jens Pape: Horst Pacholke
  • Ralph Siewert: Karli Assmann
  • Bruno Poltarschitzki: Fritz
  • Egon Schlamann: Klaus
  • Günther Schulze: Heini
  • Siegfried Pokatzki: Hansi
  • Thomas Dunskus: Walter R.
  • Käte Alving: Frl. Müller
  • Walter Bechmann: Vorsitzender im Gericht
  • Johannes Bergfeldt: Sozialbeamter
  • Jean Brahn: Polizeiwachtmeister im Auto
  • Hans Emons: Vater von Fritz
  • Alexander Engel: Oberschulrat
  • Maria Grimm: Mutter von Michael
  • Antonie Jaeckel: Mutter von Klaus
  • Walter Weinacht: Großvater von Klaus
  • Anita Koller: Frau Assmann
  • Alfred Walter: Herr Assmann
  • Ursula Krieg: Mutter von Fritz
  • Otto Matthies: Bäckermeister
  • Max Paetz: Postbeamter
  • Johanna Tilgner: Ärztin
  • Curt Trepte: Sozialbeamter
  • Albert Venohr: Hauptmann Jentsch
  • Erik von Loewis: Vorsitzender im Gericht
  • Franz Weber: Herr Tschunke
  • Margot Wolf: Frl. Zimt

Wandlung durch Erziehung?

Dieser DEFA-Spielfilm (Regie: Wolfgang Schleif ), im März 1949 uraufgeführt, erzählt eine ganz andere Geschichte [als MÄDCHEN HINTER GITTERN, D.E.], und er erzählt sie auf eine andere Weise. Im ersten Teil des Films werden in kurzen Sequenzen Verbrechen gezeigt, verübt von drei sehr verschiedenen Jugendlichen 1):

Der aus einem wohlgeordneten bürgerlichen Professorenhaushalt stammende Karl(i) Assmann beteiligt sich an einem Autodiebstahl.

Den zweiten Jungen (Fritz) sieht der Zuschauer, wie er mit einem gestohlenen Brot und „organisierten“ Kartoffeln nach Hause kommt, die ihm sofort seine Eltern abnehmen. Die Eltern wirken passiv, skrupellos und unsympathisch. Offenbar denken sie weder an Fritz‘ eigenen Hunger noch über die Herkunft dieser Waren nach.

Vom dritten, kleineren Jungen wird ein erbarmungsloses Bild gezeichnet: Ihn sehen wir in einem Bahnhofsdurchgang zunächst betteln: „Bitte, eine kleine Scheibe Brot.“ Ein Mann mit einem Sack gehamsterter Kartoffeln antwortet: „Hab‘ selber nichts.“ Eine ältere, mit zwei Einkaufsnetzen bepackte Frau wird zum wehrlosen Opfer des Jungen. In der Zeitung Nachtexpress (Berlin) war am 19.3.7949 über diese Szene folgendes zu lesen:

„Gleich in den ersten Metern ist da das Kindergesicht des kaum Vierzehnjährigen (Siegfried Pokatzki), der im U-Bahnschacht bettelt, den Gummiknüppel schlagbereit. Wie diese Unschuldsaugen plötzlich lauernd und alt werden, wie sich um den Mund plötzlich etwas von Rohheit, Verderbtheit gräbt das ist so unheimlich gut, daß es einem fast den Atem verschlägt. (…) Das ist fast reportagenhaft realistisch “ 2)

Selbstverständlich hat diese Szene – sie endet mit der Verurteilung der drei Jungen zu Erziehungslager – auch die ‚berühmte‘ Lehre (Verbrecher werden unausweichlich erfaßt und bestraft). Doch setzt sie diese schonungslos ins Bild: Bei der ersten Verhaftung zeigt die Kamera in Großaufnahme das blutende Gesicht eines der festgenommenen Jungen. Vor allem aber fehlt dieser Introduktion jene Tendenz, die sich als typische in der Darstellung der jugendlichen Verbrecher gezeigt hat: Sie sortiert die jungen Leute nicht von vornherein in die „an sich Bösen“ auf der einen, die armen „Opfer der Zeit“ auf der anderen Seite. Sie entläßt die Jungen nicht aus ihrer Verantwortung, deutet an, daß junge Menschen unter sehr unterschiedlichen sozialen Bedingungen und aus verschiedensten Motiven zu Straftätern werden können.

Der Film UND WENN’S NUR EINER WAR‘ zeigt auch eine andere Art von Fürsorgeeinrichtung: Das Lager Waldsee, in idyllischer Umgebung im Grünen gelegen, stellt sich in Form einer „demokratischen Versammlung“ vor. In den vorgebrachten Beschwerden der Jungen wird deutlich, daß vieles in dieser Gemeinschaft sich noch nicht so vollzieht, wie es in großen Worten angekündigt wird. Da wehren sich die Kleinen, daß sie für die Großen immer die Betten machen sollen; man fordert „dickere Suppe und dafür weniger“; Beschwerden gegen die Erzieher werden laut, die Jungen wehren sich gegen das Rumkommandieren und Schnüffeln in den Sachen der anderen Jungen. Doch die „Erzieher“ kommen selbst aus dem Kreis der Jungen, und erfüllen – wie Horst (Uwe-Jens Pape) – nicht immer die erwünschten ethischen Maßstäbe. Horst stiehlt einem Mann dreist eine Stange Chesterfield, um sie später gegen ein Brot für die Jungen seiner Gruppe („Familie“ genannt) eintauschen zu können.

In der Lagerleitung stehen sich unversöhnlich zwei Erziehungsprinzipien gegenüber: „Unbedingten Gehorsam“ verlangt das verbittert und altjüngferlich gezeichnete Fräulein Müller (Käthe Alving), die in Kleidung, Frisur und Habitus wiederum deutlich Assoziationen an BDM-Führerinnen oder Lagerleiterinnen der NS-Zeit nahelegt. Der junge Lagerleiter Denecke (Siegfried Dornbusch) herrscht sie dagegen an: „(…) keine Verantwortung und fertig ist der Untertan“.

Deneckes Haltung bleibt leicht verwaschen und abstrakt. Er äußert sie fast ausschließlich verbal. Doch begründet Denecke seine Orientierung am Kollektiv mit einer Erfahrung: „Ich kam aus Gefangenschaft ich war fertig. (…) Wir machten aus der Not eine Tugend. Statt jeder für sich, für alle…“

Die Schwierigkeiten mit der Fürsorgebürokratie, die ihm aus seiner konsequenten Befürwortung einer Selbstverwaltung der Jugendlichen erwachsen, wurden bereits in anderem Zusammenhang betrachtet. 3) Dem herrischen Regiment des neuen Lagerleiters Osterfeld 4) fügen sich zunächst auch die „kleinen Demokraten“. Denecke dazu resigniert: „Ich wollte beweisen, daß der Mensch gut ist, wenigstens beinahe gut, auf dem Wege zum Gutwerden.“

Aber wieder sei „der alte Stiebel“ vorgezogen worden, der „Trott, die Gewohnheit“. Einer der Jungen, Michael (Lutz Moik) erklärt später Bettina (Edelweiß Malchin), einer Freundin Deneckes, warum sie sich die Selbstverwaltung einfach so hatten nehmen lassen. Er gibt keinem „Außen“ die

Schuld, klagt nicht einmal über das Gewaltregime des neuen Lagerleiters:

„Ihnen gefällt es jetzt viel besser. Sie können sich einschmeicheln und müssen keine Entscheidungen mehr treffen.“

Michael denkt dabei nicht nur an den wendigen Horst, der nun zum Stiefelputzer des neuen Lagerleiters geworden ist (diesen später jedoch als Obersturmbannführer und Kriegsverbrecher entlarven wird). Für Michael ist es eine Erfahrung mit dem Kollektiv, seiner Trägheit und Ängstlichkeit. Später wird Bettina Denecke telefonisch mitteilen, daß einige Jungen aus dem Lager ausgerissen sind: Dabei seien „nur die, die’s begriffen haben“.

Die zeitgenössische Kritik war trotz einiger Abstriche 5) zumeist positiv. Gelobt wird z.B.:

„Dieser Film zeigt einen Weg, und er proklamiert eine Hoffnung. Ein neues Erziehungsprinzip wird vorgeführt. Die Jungen des Lagers, Verwahrloste, Straffällige, Gestrauchelte, Gestrandete sind hier nicht einem sterilen Prinzip von Schuld und Sühne unterworfen, sondern die Gesellschaft kämpft mit dem ganzen Aufgebot ihrer ganzen Kräfte, sie wieder für die Gesellschaft zu gewinnen. Man behandelt sie wie vollwertige Menschen, man weckt Verantwortungsgefühl, man treibt Selbstverwaltung. Alle für einen, einer für alle.“ 6)

Diese Kennzeichnung – entlarvend abstrakt formuliert – trifft aber, ohne es zu wollen, die Schwächen des Films. Er bleibt sehr oft verbal, „proklamiert“ eben, wo die szenische Darstellung kleiner Veränderungen im Verhalten der Jungen viel überzeugender für seine Grundideen hätte wirken können. Zudem stellt UND WENN’S NUR EINER WAR‘ die beiden Erziehungsmodelle zu schwarz-weiß gegenüber: Bettina sagt über das Lager „Waldsee“ unter Osterfeld, dieser habe hier ein KZ eingerichtet. Auch die Jungen hätten begriffen, daß Osterfelds „Zwangserziehung (…) aus den Menschen Knechte macht“. Dagegen erscheint das Gegenbild unter Denecke zu widerspruchslos in hellen Farben. Das von ihm betreute „Kriminellenlager“, in das die Ausreißer am Ende kommen, strotzt idyllisch vor Grün, Freiheit und selbstverantwortlichem Aufbauwillen.

Auch dieser Film zeigt die zeittypische Schere zwischen verbalem Anspruch – hier dem nach demokratischer Selbstverwaltung – und der positiven Bewertung von Gruppenstrukturen, die eher nach dem Führerprinzip funktionieren. Einmal mehr ist es der jugendliche Schauspieler Lutz Moik (UND FINDEN DEREINST WIR UNS WIEDER, 1-2-3 CORONA), der in der Figur des Michael zur moralisch eindeutig und bruchlos positiv bewerteten starken Persönlichkeit des Anführers wird. 7)

Zeitgenossen sahen in der Problemdarstellung dieses Films viel Authentisches und in den Erziehungsmodellen sinnvolle Vorschläge, die allerdings in der Realität keinesfalls bereits von ‚der Gesellschaft‘ (auch nicht in der sowjetischen Besatzungszone) vertreten und unterstützt wurden.

Klaus Petermann schreibt in einem langen Zeitungsartikel unter der Überschrift „Gadebusch wurde geräumt“:

„Schwerin: Premiere des DEFA-Films UND WENN’S NUR EINER WÄR‘ mit anschließender Diskussion. Ein junger Erzieher eines Jugendwerkhofes sitzt im Zuschauerraum und sieht auf der Leinwand die Schicksale abrollen, die er genau kennt, weil sie ihm täglich begegnen – bis auf die Unterstützung der Verwaltung, die der Film zeigt. Er steht deshalb in der Diskussion auf und spricht über die Schwierigkeiten, mit denen er zu kämpfen hat, fordert die Verwaltung auf, sie sollte es den Menschen im DEFA-Film nachmachen.“ 8)

Filme als Vorbildgeber in einem dynamischen Gesellschaftsprozeß – diese Intention ist den meisten der bewußt im Hinblick auf neuralgische Gegenwartsphänomene gestalteten DEFA-Spielfilme trotz aller Widersprüche zuzuschreiben. Zwar bleiben die Propagierungen neuer Methoden des Umgangs mit jungen Menschen durchgängig abstrakt und sind einem unscharfen Humanismus verpflichtet. Selbstregulierung, demokratische Entscheidungsstrukturen, Vertrauen und das Übertragen von Verantwortung werden im Film UND WENN’S NUR EINER WAR‘ jedoch noch für alle straffällig gewordenen Jugendlichen als probate Lösungen propagiert. Ihnen allen soll die Chance der Wandlung und Neuorientierung gegeben werden.

Bettina Greffrath (1993)


Anmerkungen

  1. Der Film konnte nur einmal an Schneidetisch des DIF gesichtet werden – alle Beschreibungen und Zitate auf der 0rundlage des bei dieser Sichtung geschriebenen Filmprotokolls.
  2. Quelle: DIF
  3. Abschnitt 2.2.7. „Bürokratie“
  4. Osterfeld ist eine düstere Erscheinung in Reithosen und –stiefeln. (Gespielt von Axel Monjé)
  5. Kritisiert wurde z.B. die hölzerne und wortgewaltige Darstellung des Denecke.
  6. Lg.: Ein neuer Filmstil. Berliner Zeitung, 20.03.1949, zitiert nach Cinegraph F25, a.a.aO.
  7. Moik dürfte man wohl auch nicht, wie es die Kritik bezogen auf die Jugendlichen pauschal tut, als Laiendarsteller bezeichnen.
  8. Zs Start, Berlin, 22.04.1949, zit. Nach Cinegraph-Filmblatt, Hamburg o.J. F25, a.a.O.

Auszug aus:

„Ein thematisch wichtiger DEFA-Film, der sich auch künstlerisch recht akzeptabel mit damals aktuellen Jugendproblemen auseinandersetzt.“ (Filmdienst)

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