Tonio Kröger (1964)

Inhalt

Der Schriftsteller Tonio Kröger denkt sehnsüchtig an seine Jugendzeit in Lübeck zurück. Er bricht von Florenz in Richtung München auf, wo er mit der befreundeten Malerin Lisaweta Iwanowna zusammentrifft. Hin und her gerissen zwischen der Kunst und dem Wunsch nach bürgerlicher Existenz treibt es ihn weiter: Zuerst nach Lübeck in sein Elternhaus, das inzwischen eine öffentliche Bibliothek geworden ist, dann nach Dänemark in ein Hotel am Strand. Dort glaubt er plötzlich, Hans Hansen und Inge Holm aus Schülertagen wiederzusehen. Schon damals haben beide ihn fasziniert und seine Leidenschaft geweckt …

Originaltitel Tonio Kröger
Produktionsland Deutschland
Originalsprache Deutsch
Erscheinungsjahr 1964
Länge 90 Minuten
Stab
Regie Rolf Thiele
Drehbuch Erika Mann, Ennio Flaiano nach der gleichnamigen Novelle von Thomas Mann
Produktion Film Aufbau GmbH
Franz Seitz junior, Hans Abich
Musik Rolf Wilhelm
Kamera Wolf Wirth
Schnitt Ingeborg Taschner, Heidi Genée unter ihrem eigentlichen Namen Heidi Rente
DarstellerInnen
  • Jean-Claude Brialy: Tonio Kröger, als Erwachsener
  • Mathieu Carrière: Tonio, als Junge
  • Nadja Tiller: Lisaweta Iwanowna
  • Werner Hinz: Konsul Kröger
  • Anaid Iplicjian: Frau Kröger
  • Rudolf Forster: Herr Seehase
  • Walter Giller: Kaufmann
  • Theo Lingen: Tanzmeister Knaak
  • Günther Lüders: Beamter der Volksbibliothek
  • Adelin Wagner: eine Dame
  • Beppo Brem: Adalbert Prantl
  • Gert Fröbe: Polizist Petersen
  • Joachim Teege: Bibliothekar
  • Rosemarie Lücke: Inge Holm
  • Elisabeth Klettenhauer: Mädchen in Florenz
  • Thomas Thomsen: Hans Hansen
  • Christiane Büge: Magdalena
  • Frank Michael Pingel: Jimmerthal

Die Welturaufführung fand am  31. August 1964 im Rahmen der Filmfestspiele von Venedig statt.

Die komplizierte, immer wieder von Finanzschwierigkeiten gefährdete Geschichte seiner Entstehung ist – ebenso wie die des von der Filmaufbau nicht mehr realisierten Projektes „Zauberberg“ – ein Beispiel dafür, wie schwierig die Realisierung von Spielfilmen Mitte der sechziger Jahre für die sogenannten „Altproduzenten“ geworden war, wenn sie sich nicht endgültig in Belanglosigkeiten und Schlüpfrigem verlieren wollten. (Sussanne Fuhrmann: a.a.O., S. 62)

Nach dem Erfolg der BUDDENBROOKS diskutierte die Filmaufbau noch eine Reihe weiterer Filmvorhaben nach Thomas Mann, von denen das Projekt einer „Zauberberg“-Verfilmung, das sich über ein Jahrzehnt hinziehen sollte, zu den verheißungsvollsten gehörte. (1) Am Ende konnte jedoch nur ein Thomas-Mann-Vorhaben – sieht man mal von einer 45minütigen TV-Version der Novelle HERR UND HUND (1962) ab – unter Mitwirkung der Filmaufbau verwirklicht werden, und dies auch nur wegen der Beteiligung der Franz Seitz Filmproduktion: der Film TONIO KRÖGER (1964). Eine kurz danach erfolgte Verfilmung von Thomas Manns Erzählung „Wälsungenblut“ ging schließlich ganz auf das Konto des Münchener Filmemachers. In beiden Fällen führte Rolf Thiele die Regie, ohne freilich verhindern zu können, daß Erika Mann auch hierbei wieder ein gewichtiges Wörtchen mitzureden hatte. (2)

In TONIO KRÖGER, einer deutsch-französischen Co-Produktion, (3) wird das Bemühen spürbar, Anschluß an den zeitgenössischen Film finden zu wollen. Der Einfluß der Nouvelle Vague ist unverkennbar. In einer oftmals überanstrengt wirkenden Verfremdungsästhetik, die sich besonders deutlich an den Spiegelszenen ablesen lässt, scheint allerdings noch am ehesten etwas von der melancholischen Tristesse der Vorlage in den Film hinübergerettet worden zu sein. Ein Verdienst, das der einfühlsamen Kameraführung Wolf Wirths und seines Assistenten Petrus Schloemp zu verdanken ist. (4)

(1) In einer Aktennotiz vom 9. 8. 1960, eine Besprechung mit Erika Mann betreffend, ist neben dem ,,Projekt ‚Zauberberg“‚ auch von einem ,,Krull Musical“ und einer Verfilmung von ,,Joseph und seine Brüder“ die Rede. NL Filmaufbau, Nr. 160. –
Die Schwierigkeiten einer,,Zauberberg „-Verfilmung ergaben sich vor allem aus den immensen Kosten, die nur innerhalb einer finanzstarken internationalen Co-Produktion (so gab es u.a. Kontakte zu David O. Selznick) hätten aufgebracht werden können. Neben einer Reihe prominenter Regisseure wie Jules Dassin, Anatole Litvak oder Francois Truffaut war damals auch Luchino Visconti für die Inszenierung im Gespräch gewesen. Vgl. NL Filmaufbau, Nr. 249.

(2) Vgl. Gabriele Seitz, Film als Rezeptionsform von Literatur, a.a.O., 5. 415 ff. Zur Entstehungsgeschichte des Films TONI0 KRÖGER siehe auch Susanne Fuhrmann, Zur Geschichte der Filmaufbau GmbH Göttingen, a.a.O., S. 61f

(3) Die internationale Co-Produktion war aus finanziellen Gründen notwendig geworden. Hierin liegt auch der Grund, weshalb anstelle des ursprünglich für die Titelrolle vorgesehenen Maximilian Schell Jean-Claude Brialy trat. Vgl. Susanne Fuhrmann: Der Halbseidene, Die Filme von Rolf Thiele in: Filmwärts, Heft 22, 1992, S. 14.

(4) Hans Dieter Roos z. B. sah in Wirths Kameraführung, die eine der Erzählung ,,adäquote Bildsprache“ entwickelt habe, einen ,,Glücksfall für den Film“. Vgl. Hans Dieter Roos, Rolf Thieles artige Überraschung, Die deutsche ‚Tonio Kröger‘-Verfilmung auf dem Festival in Venedig, in: Süddeutsche Zeitung, München, 1.9. 91964. Zitiert nach Gabriele Seitz, Film als Rezeptionsform von Literatur, a.a.O., S. 460.


aus: Heinrich Lewinski: „Der schwer zu bändigende Stoff…“. Thomas Mann, die „Buddenbrooks“ und die Filmaufbau GmbH Göttingen. In: wir Wunderkinder. 100 Jahre Filmproduktion in Niedersachsen, a.a.O., S,101

Ein Leben zwischen Künstlertum und Bürgerlichkeit, Identitätssuche und Flucht in die Fantasie – auch der Film beschäftigt sich mit den zentralen Fragen der gleichnamigen Novelle Thomas Manns, dessen Tochter Erika auch das Drehbuch mit verfasste.

Die sich bedeutungsvoll gebende, aber oberflächliche Verfilmung der stark autobiografischen Novelle von Thomas Mann (1903). Tonio Kröger, ein junger Schriftsteller aus großbürgerlichem Hause, leidet am Zwiespalt zwischen banalem Alltag und künstlerischer Idealisierung, naiver Lebensfreude und vergrübelter Intellektuellen-Existenz. Der teilweise vornehme, kalte Stil erfaßt nicht den persönlichen Geist, die Antinomie und Wortkunst der Vorlage und geht auch an den wesentlichen Nuancen zwischen Ernst und Spott des jungen Dichters vorbei. Ein typisches Beispiel verfehlter Literatur-Verfilmung. Neben „Wälsungenblut“ die zweite Thomas-Mann-Adaption Thieles. 

filmdienst.de

In dieser ambitionierten Verfilmung der 1902 publizierten Novelle von Thomas Mann, die bis dahin als unverfilmbar galt, verkörpert Jean-Claude Brialy die Titelfigur.

Der Schriftsteller Tonio Kröger begibt sich – mit stets melancholischem Gesichtsausdruck – auf Reisen nach Florenz, München, Lübeck und Dänemark, um über die Probleme seiner Identität – zerrissen zwischen den Kulturen Nord- und Südeuropas – zu reflektieren. Die Dichotomie zwischen Kunst und Leben wird auch thematisiert in der Diskussion mit der intelligenten Malerin Lisaweta Iwanowna (Nadja Tiller). Nach seiner Italienreise trifft Tonio die Freundin in München: »Bei ihr findet er Widerpart; sie verwandelt sich nicht sogleich in eine Figur seiner schriftstellerischen Phantasie wie die Gestalten, denen er sonst begegnet auf den Irrwegen zwischen Nord und Süd. Lisaweta bleibt wirklich – bleibt die Freundin. Ihre Meinung lässt er gelten, selbst wenn sie ihn lächelnd einen verwirrten Bürger nennt.« (Text: Filmarchiv Austria)

(…) Angesichts dieses künstlerisch gelungenen und gleichzeitig unterhaltenden Films, stellt sich die Frage, warum diesem sowohl Anerkennung, als auch Langlebigkeit versagt blieben. Ein Zitat aus einer zeitgenössischen Kritik im Spiegel könnte darauf eine Antwort geben: „Rolf Thiele, des deutschen Films gedankenverlorener Problem-Erotiker, hat dieser vierten Nachkriegs-Verfilmung eines Thomas-Mann-Werkes echte Mann-Zitate, aber mehr noch echten Thiele-Touch mitgegeben“. Begründet wird diese plakative Aussage nur rudimentär mit der Szene, in der Tonio Kröger in Siena die Wohnung einer Prostituierten durch ein Fenster verlässt und auf einem Friedhof landet – eine, wie die gesamte Szenerie in Siena, von Thiele ersonnene Ausgangssituation. (…)

aus: Udo Rotenburg: Tonio Kröger (1964) Rolf Thiele – 16. Oktober 2013 [20.11.2022]

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