Grube Morgenrot (1948)
Inhalt
„In der Zeit der großen Weltwirtschaftskrise soll die Grube „Morgenrot“ wegen Unrentabilität geschlossen werden. Der junge Bergmann Ernst, gerade mit bestandenem Steiger-Examen nach Hause gekommen, setzt sich an die Spitze des Widerstands der Kumpel. Im Einsatz der aus Sicherheitsgründen verbotenen Schrämmaschine sieht er die einzige Möglichkeit der Kostensenkung. Als ein Unglück passiert, schiebt man die Schuld auf Ernst, doch die Arbeiter stellen sich hinter ihn. Nun greift die Grubenleitung zu einem raffinierten Mittel. Sie schenkt den Arbeitern die Grube – in dem Wissen, dass sie im harten Konkurrenzkampf nicht mithalten kann. Ernst sieht das voraus, doch die Kumpel verstehen ihn nicht. Nach 70 Tagen müssen sie ihre Grube wegen Geldmangels schließen. – 1945 wird Ernst, von den Nazis ins KZ geworfen, zum Leiter des Bergwerks berufen.“
(Quelle: Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg. DEFA-Spielfilme 1946-1992) – DEFA-Stiftung
Originaltitel | Grube Morgenrot |
Produktionsland | Deutschland (SBZ) |
Originalsprache | Deutsch |
Erscheinungsjahr | 1948 |
Länge | 88 Minuten |
Stab | |
Regie | Erich Freund Wolfgang Schleif |
Drehbuch | Joachim Barckhausen Alexander Graf Stenbock-Fermor |
Produktion | DEFA |
Musik | Wolfgang Zeller |
Kamera | Ernst Wilhelm Fiedler Alfred Westphal |
Schnitt | Hermann Ludwig |
Auszeichnungen |
Nationalpreis III. Klasse (1095): für Kamera – E.W. Fiedler IV. Internationales Filmfestival Marienbad (1949): Ehrende Anerkennung für die Autoren |
DarstellerInnen | |
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Modelle für eine neue Gesellschaft?
Grube Morgenrot
Ein späterer Versuch, ein in sich kohärentes Modell für eine Neugestaltung des Wirtschaftssystems durch eine Spielfilmhandlung vorzustellen und von ihm zu überzeugen, ist der Film GRUBE MORGENROT. Der Titel dieses Films mutet ebenso kämpferisch wie positiv aufbauend an. Bereits in den Inserts werden politisch-gesellschaftliche Modellvorstellungen mit konkret lebenden Menschen verbunden:
„Wir widmen diesen Film den Bergarbeitern, die entscheidenden Anteil am Aufbau des neuen demokratischen Deutschland haben.“
Erzählt wird die Geschichte der titelgebenden Grube oder genauer einzelne Abschnitte dieser Geschichte. Dabei ist der Gegenwartsbezug dieses Films mehr ein vermittelter. Lediglich die eher kurze Rahmenhandlung führt in die Nachkriegszeit, in eine bereits historisch gewordene Phase, das erste Jahr nach der Kapitulation. Der Film beginnt nämlich mit einem per Anschlag erteilten Befehl der sowjetischen Militärregierung:
„(…) Alle Bergleute, Kumpels, Steiger, Obersteiger und Ingenieure der Grube Morgenrot haben sich am 8. Juli 1945 morgens um 8 Uhr auf der Grube einzufinden und die Anordnungen über die Wiederaufnahme der Kohlenförderung entgegenzunehmen.“ 25)
Der Film endet mit der Aufnahme der Arbeit in der Grube. Die eigentliche Filmhandlung besteht aus einer Rückblende in das Jahr 1931. Sie stellt verschiedene Typen von Bergarbeitern, Industriellen und Technikern und zugleich Modelle eines Wirtschafts- und Gesellschaftssystems, bestimmte Haltungen und Handlungen vor. Lediglich verbal und in negativer Abgrenzung finden die Jahre 1933-1945 Erwähnung. Diese „schamhafte Auslassung“ fand neben dem „schwer erträglichen Pathos“ auch die beißende Kritik von Edith Hamann.26) Dabei überschreitet die Rezensentin nicht den Horizont der zur Zeit der Uraufführung von GRUBE MORGENROT schon zum Standardrepertoire gehörenden Vorwürfe: Der Film sei „primitiv und schwarz-weiß“. Selbstverständlich als Vorwurf gemeint ist auch folgendes:
„Da es ein DEFA-Film ist, werden die sozialen Hintergründe zum agitatorischen Zweck. „27)
Der Film schildert den Versuch der Belegschaft einer Grube im Jahr 1931, sich gegen die Schließung ihrer unrentabel arbeitenden Zeche zur Wehr zu setzen. Diese Themenstellung ist als Versuch zu verstehen, ein ökonomisches Lösungsmodel I vorzuführen, bzw. für bereits erfolgte politische Umgestaltungen Begründungen nachzuliefern. Der Film beschreibt das Scheitern dieses Versuches. Der zur Steigerung der Fördermengen erfolgte Einsatz einer Schrämmmaschine führt zu einem Unfall, der 151 Bergleute das Leben kostet. Auch die Übernahme der Grube durch die Bergleute in Eigenregie scheitert. Einer der Steiger, Ernst Rothkegel (Claus Holm), weiß sowohl 1931 als auch 1945 den Grund: Nur ein planwirtschaftlich organisierter Verlustausgleich könne die unrentabel produzierende Zeche am Leben erhalten.
Mit dieser kurzen Skizze sind die wesentlichen Charakteristika dieses Films angedeutet: Die Gruppe der Bergleute zeigt sich nicht in der Lage, selbst eine Lösung des Problems zu finden. Sie erscheint nicht einmal lernfähig, sondern wählt in beiden historischen Situationen (1931, 1945) die gleiche Lösung: die kollektive Selbstverwaltung der Grube.
Außerdem zeigen die Bergleute in ihrer alltäglichen Existenz in beiden historischen Phasen eher depressive, kopflose oder auch fatalistische Einstellungen und Haltungen. Als Handlungsmotive äußern sie kaum politische Vorstellungen, sondern l lein materielle Bedürfnisse und Notwendigkeiten.28)
Durch verschiedene Äußerungen zeigen die Bergleute zudem, daß sie geführt werden möchten. Diese Führerfunktion übernimmt im Film eine persönlich starke und zugleich mutige, unabhängige, theoretisch ausgebildete ‚Avantgarde‘, hier vor allem die Figur des Ernst Rothkegel. Über ihn wird in der Inhaltsangabe gesagt, er habe „auf der Bergschule seine Steigerprüfung mit ’sehr gut‘ bestanden“ und wörtlich:
„Er hat die Augen offen gehalten und begreift, daß bei der jetzigen Form der Kapitalwirtschaft seine Kumpels nie auf einen grünen Zweig kommen werden.“29)
Unterstützt wird Rothkegel durch den Ingenieur Dr. Becker (Oskar Kaesler). Auch ein oder zwei der älteren Bergleute treten als personale Autoritäten auf. GRUBE MORGENROTs unterschwelliges Bild der politischen Einsichts- und Handlungsfähigkeit der einfachen Bergleute ist somit eher pessimistisch. Die Bergleute scheinen nicht in der Lage, über die unmittelbaren und gegenwärtigen Interessen hinaus Gesamtzusammenhänge zu erfassen, reagieren auf ökonomische Schwierigkeiten eher verzweifelt bis kopflos, mit Depressionen oder auch Alkoholismus.30) Gesellschaftlicher Neubeginn und Fortschritt scheint nur unter Leitung und Führung der Intelligenz möglich, die durch traditionelle Autoritäten unterstützt wird. Die wirtschaftliche „Lösung“ für die Unrentabilität der Grube findet die Filmerzählung einzig in der Festlegung auf ein planwirtschaftliches System.
Anmerkungen
25 Protokoll von Pleyer (1965): a. a.0., S. 286
26 Die Kritiken der Zeitungen und Zeitschriften in der sowjetischen Besatzungszone raren überwiegend positiv. Vgl. hierzu die Zusammenstellung zur „Geschichte des DEFA-Spielfilms 1946-1949“ Folge II, hg. von der Hochschule für Film und Fernsehen der DDR, a.a.0., S, 192-212,
27 DIF o.O., datiert vom 30.7.1948 (vermutlich: aus der westdeutschen Filmfachzeitschrift Der neue Film)
28 Besonders deutlich in der 6. Sequenz und in der Figur des Fritz, vgl. im Pleyer-Protokoll, a.a.0., S. 289 ff .
29 Hektographierte Inhaltsangabe, vermutlich DEFA (DIF)
30 Der Film zeigt ausführlich die Kneipenszenerie des Grubenortes in Jahr 1931. Vgl. 6. Sequenz, a.a.0.
Auszug aus: Bettina Greffrath: Verzweifelte Blicke, ratlose Suche, erstarrte Gefühle, Bewegungen im Kreis. Spielfilme als Quellen für kollektive Selbst- und Gesellschaftsbilder in Deutschland 1945-1949. Diss. Universität Hannover 1993, S. 488-490