Dramaturgie der Annäherung

Der Dokumentarfilm gilt als ”klassisches” Medium der Informationsvermittlung. Er ist letztlich jedoch nicht ”realistischer” als ein Spielfilm. Viele Pädagoginnen und Pädagogen erwarten von der Dokumentation immer noch Objektivität, Authentizität, also wahrheitsgemäße Darstellung als ein Abbild der Wirklichkeit. Es ist jedoch ein Trugschluss anzunehmen, dass die Filmerfahrung als solche authentisch im Sinne eines Abbildes der Realität ist. Film ist immer ein subjektiver Ausschnitt aus der Wirklichkeit. Film konstruiert immer die Realität. Dies trifft auch für den um Objektivität bemühten Dokumentarfilm oder die nüchterne Fernsehdokumentation zu. Authentisch im Sinne von ”echt” kann nur darauf bezogen sein, dass der Film seinem Sujet, seinem Gegenstand entsprechend ”stimmig” ist.

Auch wenn vom Spielfilm Objektivität und die wahrheitsgemäße Abbildung der Wirklichkeit gar nicht erst erwartet werden, muss er trotzdem ”stimmig” sein. Spielfilme erzählen Geschichten, statt ”Tatsachendarstellungen” zu montieren. Gesellschaftliche Wirklichkeit begegnet den Zuschauenden nicht über Ereignisse und Fakten, sondern über Personen mit Ängsten, Gefühlen und Wünschen. Überspitzt könnte man sagen: Spielfilme ”erschlagen” nicht mit Tatsachen, sie bieten Möglichkeiten der emotionalen Auseinandersetzung und der Identifikation.

Die didaktische Qualität eines Films für die Bildungsarbeit liegt dann folgerichtig auch nicht in einer vordergründigen, auf ”korrekte” Faktenschilderung orientierten Darstellung, sondern in der Tiefe und Komplexität, mit der die jeweilige Grundproblematik ausgeführt wird, statt nur als Aufhänger zu fungieren. Gerade Kinder müssen ”eingeladen” werden zum ”Mitsehen”, in einen aktiven Prozess der Auseinandersetzung mit dem Medium einbezogen werden.

Indem ein Film Probleme individualisiert, an Menschen festmacht, werden sie konkret erfahrbar. Flüchtlinge, Verfolgte, Ausgestoßene z. B. bleiben keine statistische Größenordnung: Sie bekommen Gesichter. Die Zuschauenden werden ermutigt, Fragen zu stellen, Stellung zu beziehen: Was bedeutet das für mich? Wie stehe ich dazu? Was ist mir fremd? Was würde ich tun? Wie stehe ich dazu?

Filme generell ermöglichen so einen Zugang zu den spezifischen Problemen von Menschen, die unter anderen kulturellen, politischen oder sozioökonomischen Bedingungen leben, einen Zugang, den ihnen rational-verbalistische Analysen so nicht vermitteln können. Durch seine Intensität kann es gerade Kindern zu erkennen geben, dass ihre Probleme, Wünsche usw. nicht nur individuelle oder private sind, sondern sie diese mit anderen – auch aus völlig anderen Kulturen – teilen.

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