Die Ära Fink

Produktionen für den mainsream der 50er und 60er Jahre

Die ,,Fink-Film“ besaß gute Voraussetzungen für die Leitung der Ateliers. Das Familienunternehmen hatte bereits viele Jahre technische Anlagen für die Filmproduktion geliefert, zunächst in Berlin, dann in Hamburg und nicht zuletzt für die JFU nach Bendestorf. In den Ateliers wurden nun in erster Linie sogenannte Fremdproduktionen realisiert.8 ,,In erster Linie“ deswegen, weil die Familie Fink auch die Produktionsfirma ,,Studio-Film GmbH“ betrieb, allerdings geschäftlich unabhängig von den Ateliers, die nun als ,,Atelierbetriebe Bendestorf GmbH“ firmierten. Im Jahre 1956 kaufte Horst R. Fink die bis dahin gepachtete Atelieranlage vom Land Niedersachsen, zwei Jahre später erwarb er das dazugehörige Grundstück. In den Jahren 1952 bis 1961 erlebte Bendestorf eine zweite Blüte: Etwa drei Dutzend Kino- Spielfilme wurden in den Ateliers abgedreht. Hier eine eigene ,,Linie“ zu finden, kann man – anders als bei einem bestimmten Produzenten – kaum erwarten.

Ein Blick auf die entsprechende Filmliste zeigt, daß die Produktionen dem Mainstream des deutschen Films der fünfziger Jahre entsprachen. So entstanden in Bendestorf neben Heimatfilmen (HEIDESCHULMEISTER UWE KARSTEN (1954); HOCHZEITSGLOCKEN (1954); WENN DIE HEIDE BLÜHT (1960) auch Schlagerfilme (MUSIK, MUSIK UND NUR MUSIK (1955); WUNSCHKONZERIT (1955); ICH ZÄHLE TÄGLICH MEINE SORGEN (1960), Kriminalfilme (DAS MÄDCHEN MIT DEN KATZENAUGEN (1958); DIE BANDE DES SCHRECKENS (1960) und Kriegsfilme (HAIE UND KLEINE FISCHE (1957); DER TEUFEL SPIELTE BALALEIKA (1961).

Es ist, wie bereits in der Schlußphase der JFU, die Zeit, als sich die großen Kinostars die Bendestorfer Klinken – nicht zuletzt die der Gaststätte ,,Zum Schlangenbaum“ – in die Hand gaben. Hunderte von Schaulustigen drückten sich die Nasen am Maschenzaun platt, wenn Zarah Leander, Winnie Markus, Barbara Rütting, Marianne Hold oder die männlichen Pendants Rudolf Prack, Dieter Borsche, Carl Raddatz, Peter Alexander, Joachim Fuchsberger zu sehen waren. Doch um 1960/61 endete die ökonomische Blütezeit des deutschen Nachkriegsfilms, und das nicht nur in Bendestorf. In der gesamten Republik war die Zahl der Kinobesuche im Jahre 1957 zum ersten Mal seit Kriegsende rückläufig und sank von da an für lange Zeit weiter ab. Zudem ging der Anteil des deutschen Films im Gesamtangebot ab Ende der fünfziger Jahre wieder zurück, nachdem er in der ersten Hälfte des Jahrzehnts immerhin einen Marktanteil von ca. 50% erobert hatte. Wenn Filmkritiker bereits seit Jahren bemängelten, daß das Gros der deutschen Spielfilme statt Bilder der Realität Abziehbilder von bereits existierenden Abziehbildern produziere, so wandte sich nun auch das Publikum allmählich von deutschen Filmproduktionen ab. Ein Übriges tat die Fernsehkonkurrenz: lm Jahre 1959 wurden zum ersten Mal mehr als eine Million Fernsehteilnehmer verzeichnet, 1960 waren es insgesamt schon mehr als 4,5 Millionen. Pro Woche wurde jetzt ein Kinospielfilm im Fernsehen übertragen – was heute zwar lächerlich wenig erscheint, aber damals doch schon als unangenehme Konkurrenz wahrgenommen wurde. Anfang der sechziger Jahre häuften sich dann die Zusammenbrüche großer Filmproduktions- und Verleihgesellschaften, im lahre 1962 wurden nur noch 61 deutsche Spielfilme produziert – weniger als die Hälfte der Filme aus der Glanzzeit Mitte der fünfziger Jahre.9 Dabei standen Ende der fünfziger Jahre in der Bundesrepublik fast doppelt so viele Atelierhallen zur Verfügung wie zu Beginn des Jahrzehntes. Allein die Real-Film in Hamburg verfügte 1959 über zehn derartige Hallen. Die Bendestorfer Ateliers bekamen diese Veränderungen schlagartig zu spüren – von 1961 bis 1969 wurde hier kein Kinospielfilm mehr produziert! Auch der ,,Neue deutsche Film“, bereits 1962 im ,,Oberhausener Manifest“ proklamiert und ab Mitte der sechziger Jahre allmählich existent, fand nicht den Weg nach Bendestorf. Gleichwohl standen die Ateliers nicht leer – das öffentlich-rechtliche Fernsehen war eine vorübergehende Rettung.

Die Arbeit in den Ateliers ist schnell wieder aufgenommen. Es sind zunächst vor allem „Fremdfilme“, die die Studios für Film und später auch Fernsehproduktionen nutzen. Zu den „Fremden“ gehört nun auch Rolf Meyer, unter dessen Regie der Zirkus- und Revuefilm KÖNIGIN DER ARENA (1952) entsteht. Ursprünglich als zwanzigster Film der Junge Film-Union geplant, produziert ihn jetzt die Hamburger Corona-Film im Bendesdorfer Atelier.

Auch die Göttinger Arca-Film findet für MUSIK, MUSIK UND NUR MUSIK (1954/55) den Weg in die Nordheide. Walter Giller spielt hier einen „ernsten“ Komponisten, der mit seiner Kollegin und Gattin (Inge Eggert) musikalische Meinungsverschiedenheiten hat. Sie schreibt seine Partitur für ein Jazzorchester um, was zunächst zum Ehestreit und dann zum Erfolg führt.

Bei WUNSCHKONZERT (1955), produziert von der Melodie-Film, Berlin, und inszeniert von Erik Ode, dreht sich alles um eine Radiosendung. Peter Frankenfeld benötigt für sein Quiz „1:0 für Sie“ dringend ein Laienorchester. Sein Hilfsbuchhalter schafft es, in 90 Minuten eine Kapelle zusammenzustellen. Die Musiker können nach der Sendung ihre Berufe (vom Gerichtsvollzieher bis zum Feuerwehrmann) an den Nagel hängen; sie bekommen sofort einen Tourneevertrag.

Zur ZWISCHENLANDUNG IN PARIS (1954/55) gastiert eine deutsch-französische Produktion in Bendestorf. Gedreht wird auch in einem Studio in Nizza und auf dem Pariser Flughafen Orly. Hier arbeitet Heinz Rühmann als schwerhöriger Frachtagent Petit. Ausgerechnet eine Ladung funktionsloser Hörgeräte bringt ihn auf die Spur eines Rauschgiftschmugglers (Hans Nielsen). Eine dramatische Flugzeugentführung folgt, bei der Petit den Mann überwältigen kann.

Nach dem Roman „Romeo und Julia in Wien“ inszeniert Rudolf Jugert NINA (1956) mit Anouk Aimée in der Titelrolle. Die Drehbuchvorlage versetzt das Drama von Shakespeare ins besetzte Wien kurz vor dem Abzug der Alliierten 1955. Erzählt wird die Liebesgeschichte zwischen der sowjetischen Tass-Korrespondentin Nina Iwannowa (Anouk Aimée) und dem amerikanischen Journalisten Frank Wilson (Karlheinz Böhm). Vor dem Hintergrund des Ost-West-Konflikts scheint ihre Liebe an den unüberbrückbaren politischen Gegensätzen zu scheitern. Doch Regisseur Jugert erspart den Liebenden das tragische Ende. Anders als bei Shakespeares „Romeo und Julia“ gibt es für Frank und Nina ein Happy End.

Gedreht wird zuerst in Wien und dann im Bedestorfer Atelier, wo u.a. die detailgetreue Kulisse eines Wiener Kaffeehauses entsteht: „Speisekarten, Bieruntertassen, Wiener Zeitungen hatten wir aus Wien besorgt, nur der Kellner, der im Wiener Stil servieren konnte, der fehlte uns. Da haben wir über den Rundfunk gesucht und es hat wirklich einen Ober gegeben, der früher im Restaurant Schöner in Wien war.“ (Aufnahmeleiter Hans Raspotnik)

Zarah Leander kommt zweimal zu Dreharbeiten nach Bendesdorf. Die schwedische Filmdiva, die „für die Schönheit des Leidens“ steht (Georg Seeßlen), erlebt die Glanzzeiten ihrer Kariere im „Dritten Reich“. Die Filme ZU NEUEN UFERN und LA HABANERA (beide 1937), Regie: Detlef Sierck) machen sie berühmt. Im Nachkriegsdeutschland darf sie zunächst nicht auftreten.

Das Melodram AVE MARIA (1953, Regie: Alfred Braun) ist ihr dritter Film nach dem Verbot. Sie spielt eine ehemals gefeierte Konzertsängerin, die inzwischen in einem Nachtlokal auftreten muß. Ihr Beruf steht nicht nur ihrer Verbindung mit einem Großindustriellen Im Weg, sondern auch der Ehe zwischen ihrer Tochter und dem Sohn des geliebten Mannes. Erst als sie bei der Taufe ihres Enkelkindes das „Ave Maria“ singt, lässt die Tochter sie nicht mehr gehen.

Vom Leben geschlagen, doch unbesiegt“, so kündigt die Berolina-Film den zweiten Zarah Leander-Film aus Bendesdorf an. DER BLAUE NACHTFALTER (1959, Regie: Wolfgang Schleif) weist ihr wieder eine tragische Mutterrolle zu. Auch hier tritt Zarah Leander als ehemals berühmte Opernsängerin Julia Martens in einer Bar auf: dem „Blauen Nachtfalter“. Im Unterschied zu AVE MARIA ist sie jetzt in eine Kriminalgeschichte verwickelt. Julia Martens hat einen Mord begangen und dafür über zehn Jahre im Gefängnis gesessen. Nach ihrer Entlassung begegnet sie dem scheinbar „Ermordeten“ gerade in dem Augenblick, als er ihren Sohn erschlagen will. Julia Martens erschießt ihn. Ein zweiter Mordprozess endet mit Freispuch.

HAIE UND KLEINE FISCHE (1957) ist die erste Regie Frank Wisbars nach seiner Rückkehr aus den USA und die zweite Filmrolle von Hansjörg Felmy. Felmy spielt den jungen Seekadetten Teichmann, der mit drei Freunden zunächst unbekümmert an Bord eines Minensuchboots geht. Er muss jedoch bald erkennen, dass sie nur „kleine Fische“ in der unerbittlichen Kriegsmaschinerie sind. Von den Vieren überlebt nur Teichmann. Die Kritik lobt Nachwuchsdarsteller Felmy; Wisbars Film hingegen ist ihr hingegen zu vordergründig: „Der große hungrige Hai, die verbrecherische Macht, die sie vor sich hertrieb, bleibt unter Wasser.“ (Tagesspiegel 4.10.1957)

„Man kann dem Titel beim besten Willen nicht anmerken, daß es sich hier um einen seriösen deutschen Filmversuch handelt.“ (Die Welt, 24. 2.1960) Gemeint ist Leopold Laholas DER TEUFEL SPIELT BALALEIKA (1960). In einem sibirischen Kriegsgefangenenlager kämpft ein sowjetisches Ehepaar, das selbst im KZ gelitten hat, gegen den grausamen Lagerkommandanten. Der deutsche Peter Joost (Götz George) findet ihr Verständnis und wird deshalb von seinen Mitgefangenen des Verrats beschuldigt. Der Film endet mit einer tragischen Flucht.

HOW I WON THE WAR/WIE ICH DEN KRIEG GEWANN (GB 1966) von Beatles-Regisseur Richard Lester ist dagegen keineswegs „seriös“. Die boshafte Kriegs-Satire mit Michael Crawford und John Lennon schildert die Abenteuer britischer Soldaten, die im Zweiten Weltkrieg zuerst in Afrika ein Cricketfeld bauen und dann eine Brücke am Rhein gegen die Deutschen verteidigen sollen. Gedreht wird nicht am Rhein, sondern an der Weser bei Achim sowie u.a. auf einem NATO-Übungsplatz in der Heide.

Mit den sechziger Jahren kommt auch der deutsche Krimi nach Bendestorf. Den Anfang macht die Edgar-Wallace-Adaption DIE BANDE DES SCHRECKENS (1960, Regie: Harald Reinl). Nach der Vorlage des britischen Autors entstehen bis 1972 insgesamt 36 Filme. Sie entwickeln sich zur erfolgreichsten deutschen Kino-Serie. DIE BANDE DES SCHRECKENS ist die einzige Folge, die in Bendestorf gedreht wird. Joachim Fuchsberger ist hier dem „Geist“ eines hingerichteten Scheckfälschers auf der Spur, der an seinen Gegnern grausame Rache nimmt.

Fas so erfolgreich ist die deutsche Jerry-Cotton-Serie. Seinen „Fall Nr. 2“ MORDNACHT IN MANHATTEN (1965, Regie: Harald Philipp) löst der beste Mann vom FBI in Bendestorf. Die Skyline von Manhattan wird kurzerhand als Kulisse ins hamburgische St. Paul gestellt. Für das „echte“ Milieu sorgen außerdem Dokumentaraufnahmen von der Polizeiarbeit in Amerikas Metropole. Hier verfolgt Jerry Cotton (George Nader) die Hundert-Dollar-Bande, die kleine Geschäftsleute gemein erpresst und deren Boss zum Mörder und Kidnapper wird.

SIEBEN TAGE FRIST (1969) bleiben Kommissar Klewenow (Horst Tappert), um drei Mordfälle in einem Internat aufzuklären. Kriminalroutinier Alfred Vohrer benötigt dagegen weitaus mehr als eine Woche, um die Dreharbeiten abzuschließen. Nachdem drei erkrankte Darsteller genesen sin, verletzt sich Joachim Fuchsberger beim Filmen unter der Dusche am Fuß und muss anschließend bei Außenaufnahmen in St. Pauli stundenlang in Gummistiefeln herumlaufen. Diese füllen sich mit Brackwasser; eine schwere Blutvergiftung ist die Folge.

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