Der Arzt von Stalingrad (1958)

Inhalt

Russland, während des Zweiten Weltkriegs. Nach der grausamen Schlacht um Stalingrad sind zahllose Soldaten des deutschen Nazi-Regimes in russische Kriegsgefangenschaft geraten. Unter ihnen ist der Stabsarzt Fritz Böhler (O. E. Hasse), der gegen alle Widrigkeiten versucht, auch in der Gefangenschaft seinem ärztlichen Eid nachzukommen. Mit List und Einfallsreichtum gelingt es ihm und seinen Kameraden, dem gewitzten Sanitäter Pelz (Mario Adorf) und dem idealistischen Oberarzt Sellnow (Walter Reyer), immer wieder, die Verbote der Russen zu umgehen. So riskiert Böhler sein Leben, als er trotz strengen Verbots einen Mithäftling operiert – und dem Mann das Leben rettet. Erschwert wird das Leben der Häftlinge durch die russische Lagerärztin Alexandra Kasalinsskaja (Eva Bartok), deren geliebter Ehemann im Krieg gefallen ist und die seither einen tiefen Hass gegen die Deutschen hegt. Ebenso gefürchtet wird Oberleutnant Pjotr Markow (Hannes Messemer), der in Alexandra verliebt ist und ihr durch sadistische Schikanen gegen die Gefangenen zu gefallen versucht. Als sie sich in Sellnow verliebt, beginnt die eiskalt wirkende Alexandra, ihre Haltung den „Feinden“ gegenüber zu mildern. Doch die beiden wissen, dass ihre Liebe keine Zukunft haben kann. Denn obwohl Sellnow eine bessere medizinische Versorgung für seine Kameraden erreicht, wird er durch seine Beziehung zu Alexandra bei den Häftlingen zum Außenseiter. Alexandra muss derweil fürchten, ihre heimliche Verbindung zu dem Deutschen mit dem Leben zu bezahlen. Tatsächlich bekommt Oberleutnant Markow eines Tages Wind von der Affäre. Rasend vor Eifersucht sucht er nach einem Weg, sich an seinem Rivalen zu rächen. Alexandra wird trotz Böhlers Versuch, sie zu retten, für ihr Vergehen in die Verbannung nach Sibirien geschickt. (ARD-Programmankündigung 2010)

Film in der BRD der 50er und frühen 60er Jahre

Originaltitel Der Arzt von Stalingrad
Produktionsland Deutschland
Originalsprache Deutsch, Russisch
Erscheinungsjahr 1958
Länge 110 Minuten
Stab
Regie Géza von Radványi
Drehbuch Werner P. Zibaso
Produktion Ilse Kubaschewski
Walter Traut
Musik Siegfried Franz
Kamera Georg Krause
Schnitt René Le Hénaff
Besetzung
  • O. E. Hasse: Dr. Fritz Böhler, Stabsarzt
  • Eva Bartok: Alexandra Kasalinskaja, Lagerärztin
  • Hannes Messemer: Oberleutnant Pjotr Markow
  • Mario Adorf: Pelz, Sanitäter
  • Walther Reyer: Dr. Sellnow
  • Vera Tschechowa: Tamara
  • Paul Bösiger: Fähnrich Peter Schultheiß
  • Leonard Steckel: Major Dr. Kresin, Distriktarzt
  • Valéry Inkijinoff: Oberstleutnant Worotilow, Lagerkommandant
  • Michael Ande: Sergej, Worotilows Sohn
  • Siegfried Lowitz: Walter Grosse
  • Til Kiwe: Sauerbrunn
  • Wilmut Borell: Pastor
  • Rolf von Nauckhoff: Oberst Eklund vom schwedischen Roten Kreuz
  • Johannes Buzalski: Georg
  • Nils Clausnitzer: Fischer
  • Eddi Arent: verzweifelter ostpreußischer Lagerinsasse

und Pino Demschick, Erich Ebert, Curt Linda, Rolf Kralovitz, Willy Schultes, Horst G. Loska, Willy Auerswald, Franz Essel, Hans von Morhart

Vor 100 Jahren: Ottmar Kohler wird geboren

„Der Arzt von Stalingrad“

„Wenn ich Ihnen erzähle, dass ich in einem Arbeitslager im Winter bei 30 Grad Frost eine Gehirnoperation mit den Instrumenten gemacht habe, die ich mir von der Schreinerei und der Schlosserei geborgt habe, dann werden Sie verstehen, was das bedeutet: mit kümmerlichsten Mitteln improvisieren.“ Der Arzt Ottmar Kohler schildert seine Erlebnisse nach elf Jahren russischer Kriegsgefangenschaft. Er kommt Silvester 1953 nach Deutschland zurück und wird am Kölner Bahnhof von Kanzler Konrad Adenauer ( CDU ) begrüßt. Sein Ruf als aufopferungsvoller Arzt ist Kohler vorausgeeilt. Er hat von November 1942 bis zur deutschen Kapitulation im Februar 1943 als Chirurg im umkämpften Stalingrad operiert und anschließend während seiner Gefangenschaft. Auch Romanautor Heinz Günther Konsalik hört Erzählungen über Kohler, kennt ihn aber nicht persönlich. Auf dieser Basis schreibt Konsalik sein Buch „Der Arzt von Stalingrad“, das 1956 erscheint und vier Millionen Mal verkauft wird. Zwei Jahre später wird der Roman verfilmt. Die Hauptrolle darin spielt O.E. (Otto Eduard) Hasse.

Das Wort „Stalingrad“ im Titel von Buch und Film führt in die Irre. Die Handlung spielt in einem Gefangenenlager, das irgendwo in Russland sein könnte. Die Gräuel des Russlandfeldzuges der Wehrmacht kommt nur in einem einzigen Satz vor: „Sie haben halb Russland kaputt gemacht und jetzt weinen Sie, weil Sie es wieder aufbauen müssen“, lässt Konsalik eine schöne russische Ärztin sagen. Buch und Film sind nach Einschätzung des Heidelberger Geschichtsprofessors Wolfgang Eckart voller Klischees, die dem deutschen Zeitgeist der 50er Jahre entsprechen. Konsaliks Botschaft lautet demnach: Die Deutschen sind den Russen als Ärzte und Menschen überlegen. Das Bild des deutschen Mediziners soll ins rechte Licht gerückt werden. Denn der Nürnberger Ärzteprozess hat 1946 gezeigt, dass SS- und Wehrmachtsärzte an den Verbrechen der Nazis beteiligt waren. Als Reaktion darauf zeichnet „Der Arzt von Stalingrad“ ein „karitatives, heldisches, aufopferndes“ Bild des deutschen Arztes, sagt Medizinhistoriker Eckart. Dieses Arztbild knüpfe an das Arztbild an, das „die Nationalsozialisten in ihrer Propaganda bereits gestrickt hatten.“

Viel ist über den am 19. Juni 1908 in Gummersbach geborenen Ottmar Kohler nicht bekannt. Er hat über seine Erfahrungen weitgehend geschwiegen. Im einzigen Tondokument erzählt er 1954 von seiner Gefangenschaft in den Lagern rund um Stalingrad: „Ich war ununterbrochen als Arzt eingesetzt und nur ein Jahr zur körperlichen Arbeit.“ Ein Held wie im Film ist Kohler nicht. Als er aus der Kriegsgefangenschaft kommt, muss er sich wie alle Spätheimkehrer in die deutsche Gesellschaft eingliedern. Sein Traum, Professor zu werden, erfüllt sich nicht. Er arbeitet als Chirurg an der Kölner Uniklinik und am städtischen Krankenhaus in Idar-Oberstein. Seine ehemaligen Kollegen sagen, der Ruhm, die Vorlage für einen Roman gewesen zu sein, habe wie ein unpassendes Etikett an ihm gehaftet. Ottmar Kohler stirbt am 27. Juli 1979 im Alter von 71 ]Jahren in Idar-Oberstein.

WDR Programm-Info – Stand: 19.06.08 [04.02.2023]

Der ARZT VON STALINGRAD kam 1958 in die Kinos, im Jahr des sowjetischen Berlin-Ultimatums, aus westdeutscher Sicht einem der Höhepunkte des Kalten Krieges. Die zeitgenössischen Texte und Bilder der Illustrierten Film-Bühne vermitteln den Eindruck, es gehe um einen Tatsachenbericht aus einem Kriegsgefangenenlager bei Stalingrad. Die Kameradschaft der deutschen Soldaten und die schier übermenschliche Leistung von ihnen, des Hirnchirurgen Böhler, siegen letztlich über das „Unmenschliche“, während die russischen Menschen, die dem „Gefühl ihres Herzens“ nachgeben, an der „erbarmungslosen Härte einer doktrinären Weltanschauung“ zugrunde gehen. Drehbuchvorlage war ein Illustriertenroman der „Revue“ von Heinz G. Konsalik. Der Film wurde ein Publikum- und Kassenerfolg. Dazu dürfte die Starbesetzung beigetragen haben, besonders O.E. Hasse – Symbolfigur des integren Deutschen seit CANARIS. Außerdem machten die aus der Romanvorlage bekannten beiden Liebesgeschichten den an sich belastenden Filmstoff konsumierbar.

Darüber hinaus wirkte der Film entlastend in einer Weise, die den Zeitgenossen vermutlich nur begrenzt bewusst war. In einer Kritik von 1958 (EFB) wird positiv vermerkt, „daß sich die Hersteller da nicht zu einem grobschlächtigen, Ressentiments aufwühlenden Anti-Sowjet-Film hinreißen ließen.“ Das ist insofern richtig, als amerikanische und englische Produktionen zu der Zeit besonders in den Spionagefilmen drastische antikommunistische Feindbilder lieferten. Derart klare Feindbilder sind in den westdeutschen Spielfilmen der 50er Jahre selten, was sich aus der besonderen politischen Situation des geteilten Landes und des Verhältnisses zur DDR erklären lässt. Latenter Antikommunismus war dagegen in den meisten gängigen Produktionen enthalten, vor allen in den Flüchtlingssequenzen der populären Heimatfilme. Im ARZT VON STALINGRAD BLEIBT DER Antikommunismus nicht latent: trotz einzelner positiv gezeichneter Russen wird die „kultura“ karikiert, der Zivilisationsstand mit dem Neandertal verglichen, ein Erschießungskommando erweckt mit seinen mongolischen Gesichtern den Eindruck „Asiatischer Horden“ – und die Deutschen sind auch als Gefangene in jeder Hinsicht überlegen.

Text der Ausstellungstafel zum Film in der Ausstellung: Lichtspielträume (1991)

Als letztes Beispiel, in dem sich die Opferstilisierung mit einem selten klaren antikommunistischen Feindbild verbindet, sei auf Geza von Radvanyis Der Arzt von Stalingrad (1958) verwiesen. Die Geschichte beginnt in einem deutschen Kriegsgefangenenlager bei Stalingrad 1949. Geistiger und moralischer »Führer« der Gefangenen ist der Gehirnchirurg Böhler aus Würzburg (O. E. Hasse). Er rettet durch eine schwierige Operation dem Kind des Lagerkommandanten das Leben, danach werden die ersten Gefangenen entlassen. An ihrem LKW hängt ein Spruchband »Nie wieder Krieg! « Unter Hinweis darauf ermahnt Böhler die Sowjets, daran zu denken, wenn es wieder so weit ist. Der Zuschauer muß annehmen, daß die UdSSR den zweiten Weltkrieg begonnen habe.

Die Russen, besonders die stummen Wachmannschaften, entsprechen dem Typus des Asiaten mit mongolischen Gesichtszügen. Neu an diesem an sich alten, auch im Faschismus benutzten Bild, ist die Verbindung mit einer Projektion: das Lager bei Stalingrad erinnert mit Stacheldraht, Hunden und Wachtürmen, mit der Beschreibung von Krankheitsquoten und »Vernichtung durch Arbeit« an deutsche Konzentrationslager. Die Assoziation wird dadurch verstärkt, daß die russische Ärztin sie ausdrücklich zurückweist.

Der Film führt die umfassende Überlegenheit der Deutschen vor. Der deutsche Arzt operiert, und der russische assistiert ihm. Danach sagt der Russe zu dem Deutschen: wenn uns jemand hier so sähe, würde niemand wissen, wer den Krieg gewonnen und wer ihn verloren hat. Die Deutschen in diesem Film, die Opfer und zugleich Helden sind, gewinnen den Krieg sozusagen nachträglich kraft moralischer Überlegenheit über eine »Kultura«, die mit dem Neandertaler in Verbindung gebracht wird. Der Film war ein großer Publikumserfolg.


aus: Irmgard Wilharm: Die verdeckten Spuren des Kalten Krieges im deutschen Unterhaltungsfilm. In: Deutsches Historisches Magazin, Heft 5, 2. Jg. 1992,  S. 18/19


„Einer der wichtigsten deutschen Nachkriegsfilme nach dem Bestseller-Roman von Heinz G. Konsalik!“ So wird der Film bei spielfilm.de. angekündigt.

„In Regie und Darstellung überzeugende Konsalik-Verfilmung, jedoch durch die Kolportageelemente des Drehbuches in ihrer Aussage abgeschwächt.“ (filmdienst)

Gegen Ende der 1950er-Jahre entdeckte das deutsche Kino das Kriegsfilm-Genre und nahm sich 1958 gleich mit zwei Produktionen (die eine davon war HUNDE WOLLT IHR EWIG LEBEN) des militärischen Desasters von Stalingrad an. In Geza von Radvanyis Film ist die heroische Schlacht allerdings schon geschlagen, und die deutschen Soldaten vegetieren in einem russischen Gefangenenlager vor sich hin. Ihr Durchhaltewillen wird von einem entschlossenen Arzt gestärkt, der bei Freund und Feind größte Achtung genießt. Ursachen, Auswirkungen und Konsequenzen des Zweiten Weltkrieges reduzieren sich auf die oftmals klischeehaften Schilderungen von Einzelschicksalen, bei denen weder der sadistische Lagerkommandant noch die heißblütige Russin, die sich auch prompt in einen deutschen Landser verliebt, fehlen dürfen. Ein Film, der zwar durch den bewussten Einsatz harter Szenen versuch t, Objektivität zu erzeugen, jedoch dabei leider zu oft in fragwürdige Durchhalteparolen abgleitet. Lobenswert bleiben die schauspielerischen Leistungen einer ausgesuchten Garde von deutschen Charakterdarstellern. Die Aufnahmen des Gefangenenlazaretts ent standen in einer halb zerfallenen Dorfkirche, die man in der Nähe von München zu diesem Zweck aufgebaut hatte.[abgerufen: 26.04.2024]

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