Texte zur Faschismusdiskussion aus den 20er, 30er und 40er Jahren


Ein theoretisches Bemühen, zu verstehen, was den Faschismus ausmacht, hat es in den 20er und 30er Jahre vor allem in der organisierten Arbeiterbewegung und von links orientierten Intellektuellen gegeben.

Die Faschismusdiskussion innerhalb der organisierten Arbeiterbewegung war verknüpft mit dem Versuch der Abwehr und dem Widerstand gegen den Faschismus. Dabei unterschieden sich die Positionen je nach Zugehörigkeit zu den verschiedenen Organisationen:
1. Diskussion innerhalb der kommunistische Partei
2. Diskussion innerhalb der sozialdemokratischen Partei
3. Diskussion innerhalb der kommunistischen und sozialistischen Oppositionsbewegungen

Einige dieser Bemühungen dokumentieren wird hier, zeigen sie doch, dass es bereits früh in den 20er Jahren Menschen gab, die die bevorstehende Gefahr erkannten.

Trotz dieser früh vorhandenen Einsichten über den Charakter des Faschismus ist es den Organisationen der Arbeiterbewegung nicht gelungen, eine gemeinsame politische Praxis gegen den aufkommenden Faschismus zu entwickeln. Man bekämpfte sich einerseits viel zu sehr gegenseitig und andererseits erfolgten die strategischen Konsequenzen von SPD, Gewerkschaften und KPD aus zwar unterschiedlichen aber gleichwohl katastrophalen realpolitischen Fehleinschätzungen der politisch-ökonomischen Lage in der Wirtschaftskrise. Die tiefergehenden Analysen spielten für die praktische Politik kaum eine Rolle und waren ihrerseits zu unterschiedlich, als das daraus eine gemeinsame Strategie hätte entwickelt werden können.

So gingen die Arbeiterorganisationen allerdings „gemeinsam“ in den politischen Untergang und ihre Vertreter fanden sich – sofern sie nicht ermordet wurden – gemeinsam erst im Widerstand, im inneren und äußeren Exil oder in den Konzentrationslagern wieder.


Überblick über die Faschismusdiskussion in den Organisationen der Arbeiterbewegung

Der Ausgangspunkt der faschismustheoretischen Diskussion lag in Italien. Der dort geprägte Begriff wurde auf andere Bewegungen übertragen. Die Autoren betonen dabei, „dass der Faschismus der Bourgeoisie nütze und ihr >Werkzeug< sei!“

Schon Mitte der 20er Jahre gab es in der Kommunistischen Internationale theoretische Ansätze (Grigori Sinowjew), die die Sozialdemokratie als den „linken Flügel des Faschismus“ bezeichnete. Diese Sozialfaschismusthese wurde in der Kommunistischen Internationale erst 1935 aufgegeben. Die Erfahrungen in den realen politischen Auseinandersetzungen schienen diese These für viele Kommunisten in Deutschland zu bestätigen (Niederschlagung der Revolution und der Arbeiterkämpfe in den frühen 20er Jahren im Bündnis mit dem Militär, Polizeieinsätze gegen Demonstrationen). Zugleich trug diese Haltung aber dazu bei, dass es zu keinem gemeinsamen Kampf der Arbeiterorganisationen gegen den aufkommenden Faschismus kam.

Charakterisierung des Faschismus
Hervorgehoben wurde die konterrevolutionäre und prokapitalistische Funktion des Faschismus (die er mit der Sozialdemokratie gemein habe). Trotz dieser Funktion verfüge der Faschismus aber über eine eigenständige soziale Basis (bei Bauern, Kleinbürgern und Teilen der Arbeiterschaft). Dies mache ihn gefährlich und verwundbar zugleich. Dieses spannungsreiche Verhältnis prägte die Diskussion (Zetkin, Radek u. a.)

Ein Element in der realen politischen Praxis war die Betonung des Kampfes um die „Seelen der Kleinbürger“. Darin einbezogen waren sowohl der Kampf gegen die Sozialdemokratie (Helfershelfer der Faschisten) wie auch teilweise durchaus nationalistische Parolen ( „Schlageter-Kurs“), die aber nie eine größere Bedeutung erlangten.

Schon Mitte der 20er Jahre gab es in der Kommunistischen Internationale theoretische Ansätze (Grigori Sinowjew), die die Sozialdemokratie als den „linken Flügel des Faschismus“ bezeichnete. Die Erfahrungen in den realen politischen Auseinandersetzungen schienen diese These für viele Kommunisten in Deutschland zu bestätigen (Niederschlagung der Revolution und der Arbeiterkämpfe in den frühen 20er Jahren im Bündnis mit dem Militär, Polizeieinsätze gegen Demonstrationen). Zugleich trug diese Haltung aber dazu bei, dass es zu keinem gemeinsamen Kampf der Arbeiterorganisationen gegen den aufkommenden Faschismus kam.

Parteiintern setzte sich kurzzeitig einer „linken“ Führung (Gruppe Maslow-Fischer, 1924/25) in Deutschland durch (Aufgabe des sog. „Schlageter-Kurses“ bereits nach wenigen Wochen), die aber nach massiver Kritik in der Kommunistischen Internationale abgesetzt wurden. Ernst Thälmann übernahm dann die Führung der KPD.

Fast die theoretische Position der KPD zu dieser Zeit knapp zusammen:
„Der Faschismus sei nichts anderes als das Instrument der ‚Bourgeoisie gegen das revolutionäre Proletariat. Die bürgerlichen Mittelschichten bildeten nur das Material, aus dem das Instrument gefügt sei. Wichtig sei daher nicht, aus welchem Material ein Instrument gefügt sei, sondern welchen Zwecken es dienen soll.“ (Wi l7)

Damit hatte sich eine instrumentalistische Auffassung durchgesetzt, die allenfalls eine Einheitsfront „von unten“ gegen den Faschismus duldete, aber keine Kooperation auf Führungsebene. Kaum jemand opponierte innerhalb der kommunistischen Partei gegen diese Interpretation, lediglich die Inflationierung der Begriffsverwendung wurde kritisiert.

1928 erfolgte eine weitere Verschärfung der Sozialfaschismusthese, mit der praktischen Konsequenz, dass die Sozialdemokratie der gefährlichere Feind sei.

In Deutschland wurde der Sturz der Regierung von Papen als „Stadium der unmittelbaren Aufrichtung der faschistischen Diktatur“ gewertet. Damit einher ging eine gefährliche Unterschätzung des Nationalsozialismus, selbst noch nach der Machtübernahme. Der Faschismus an der Macht sei die „offene terroristische Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals.“ Die Situation sei nach wie vor revolutionär, das Abwandern der Massen vom Faschismus sei letztlich unvermeidlich, nur noch die Sozialdemokratie als „soziale Hauptstütze“ der Bourgeoisie stünde dem Erfolg des Kommunismus entgegen.

Erst ab 1934 werden erste Gegenpositionen – v.a. in Frankreich – geäußert. Die Sozialfaschismusthese wurde in der Kommunistischen Internationale aber erst 1935 aufgegeben.

Mit der Revidierung der Sozialfaschismusthese, wurde allerdings nicht die instrumentalistische Definition des Faschismus aufgegeben. Ebenso wurde an einem inflationärem Gebrauch des Begriffsfestgehalten.
In der praktischen Politik wurde nach Wegen gesucht, den Faschismus zu erschüttern bis hin zur Übernahme nationalistischer Formen des Klassenkampfes: der Gebrauch von „trojanischen Pferden“ in SA und NSDAP wurden diskutiert, um die werktätigen Schichten zurückzugewinnen. Es gab aber keine systematische Auseinandersetzung darüber, warum diese bei der NSDAP waren, und warum sie sich enttäuscht von dieser abwenden sollten.
Versuche, die Strategie der „Einheitsfront“ bzw. „Volksfront“ im Widerstand zu realisieren, musste angesichts der Zerschlagung der Organisationen und Verfolgung und Ermordung der einzelnen Personen scheitern.
Trotz Selbstkritik und Revision, wurde in den Diskussionen weiterhin der SPD eine Hauptschuld für den Sieg des Faschismus zugeschrieben.


In der Sozialdemokratie wurde schon frühzeitig der Faschismus als eine „internationale
Erscheinung“ (Braunthal) angesehen. Diese Einschätzung war aber zunächst umstritten. Ab Ende der 20er Jahre dann – mit tendenziell inflationärer Begriffsnutzung – allgemeingültiges Verständnis.

Der Hauptunterschied zur kommunistischen Faschismusdiskussion lag darin, „ob es ausreichend sei, allein auf die prokapitalistische Funktion des Faschismus zu verweisen.“ (Wi 30)

Einige Theoretiker sahen im Faschismus geradezu die „Partei des Kleinbürgertums“. Andere beschrieben ein Spannungsverhältnis zwischen prokapitalistischer Funktion und der kleinbürgerlichen sozialen Basis unter Berufung bzw. Bezug auf die Bonapartismusschriften von Marx und Engels. Diese beschrieben die Situation 1848 wie folgt.

  1. Die verschiedenen Schichten der Bourgeoisie seien untereinander geschwächt und zerstritten, nicht mehr fähig, die politische Macht mittels des Parlaments zu behaupten.
  2. Das Proletariat sei noch nicht fähig, die Macht zu erringen. Dieses „Gleichgewicht der Klassenkräfte“ führt zur Verselbständigung der Exekutive. Die Bourgeoisie verzichte auf die politische Macht, um ihre soziale Macht, die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel zu erhalten. Allerdings sei der Faschismus alles andere als ein unselbständiges Werkzeug der Bourgeoisie.

Dieser Widerspruch zu den Kommunisten verschärfte sich dadurch, dass in der Sozialdemokratie verstärkt Nationalsozialismus und Kommunismus verglichen und gleichgesetzt wurden: „Über den Klassen schwebende Diktaturen“, „Brüder im Geiste der Gewaltsamkeit“ (ein Replik auf die kommunistische Sozialfaschismusthese)

Die Diskussion über den Faschismus vor 1933 wurde sehr differenziert geführt, die praktischen antifaschistischen „Abwehrkonzepte“ waren allerdings sehr problematisch und wenig erfolgreich.

Eine Minderheit nur votierte für die „Einheitsfront“ der Arbeiterorganisationen – ohne Chance zur Durchsetzung. Es überwog eine „Hoffnung auf Verteidigung der Demokratie“ auf der Grundlage der Verfassung, die aber an fehlenden Bündnispartnern im Bürgertum scheiterte. Die Tolerierung der Brüning-Politik blieb erfolglos und schwächte die Kampfkraft der Partei.

Alternative Konzepte wurden nie wirklich angedacht: Einheitsfront, Gewinnung von sozialen Schichten in der NSDAP, nationalistische Elemente aufnehmen, proletarische
Selbstschutzorganisationen zur Niederschlagung eines faschistischen Putsches aufstellen (es gab aber keinen Putsch, nur ein „geregelte“ Machtübergabe“). Dies ging ein her mit einer katastrophalen Fehleinschätzung über die politischen Machtpositionen, die man innezuhaben glaubte. Der nahezu widerstandslos hingenommene Ansetzung der preußischen Regierung (Preußenschlag 1932) kennzeichnete die „Selbstaufgabe“ der Sozialdemokratie.

Nach 1933 kam es sehr schnell zu einer kritischen Überprüfung der eigenen Politik und es wurde versucht, Konsequenzen aus der Niederlage zu ziehen – zu spät. Die Bemühungen um eine Aktionseinheit blieben auch jetzt noch eine Minderheitsposition, der die Verfolgung schließlich ein schnelles Ende setzte.

Theoretisch wurde sich – im Exil – um eine Deutung des „NS-Staates“ bemüht. Diese Bemühungen kreisten um die „Selbständigkeit des Staates gegenüber der Ökonomie (Primat der Politik oder Ökonomie) und darum, ob das bisherige Begriffsinstrumentarium noch tauglich sei.

„Deutschland unter der Herrschaft des Nationalsozialismus sei nämlich kein Klassenstaat im Sinne der marxistischen Theorie mehr“ (Wi 40).

Eine Diskussion, die auch nach 1945 fortgeführt wurde.

Zwei bis heute bedeutsame Standardwerke zur Analyse des NS-Staates entstanden dann in den 40er Jahren  im Exil.

Ernst Fraenkel: Der Doppelstaat (1949)

„Die politische Macht befände sich in den Händen der Nationalsozialisten. Die führenden kapitalistischen Kreise hätten dem ausdrücklich zugestimmt, weil sie hofften, die Wirtschaftskrise mit Hilfe eines starken Staates und durch die völlige Entmachtung der Arbeiterbewegung überwinden zu können. Doch während die beherrschte Klasse, das Proletariat, völlig des „Schutzes der Rechtsordnung“ beraubt worden sei („Maßnahmestaat“), benötigten die Vertreter des Kapitals gewisse Rechtsnormen, weil ohne sie „ein kapitalistisches Unternehmen nicht existieren“ könne. Daher seien auch im Dritten Reich auf den Gebieten des Rechts, der Wirtschaft und der Sozialordnung einige traditionelle Institutionen bestehen geblieben, die Fraenkel zum „Normenstaat“ rechnete. Gleichzeitig versuchten jedoch die von den Nationalsozialisten ins Leben gerufenen Institutionen und Organisationen der Partei (etwa die Gestapo und die SS), ihre Macht und Kompetenz auszudehnen. Diese Expansionstendenzen des … „Maßnahmestaates“ auf Kosten des „Normenstaates“ würden über kurz oder lang zu einer „Störung“ selbst des ‚Wirtschaftslebens“ und schließlich zu einer Schwächung des nationalsozialistischen „Doppelstaates“ führen“ (Wi 40/41)

Franz Neumann: Behemoth (1941)

„Das Dritte Reich sei von der faschistischen Massenpartei und den mit ihr verbündeten „industriellen Machthabern“ errichtet worden. Der … „totalitäre Staat“ basiere auf vier Säulen bzw. vier miteinander konkurrierenden Machtblöcken: der faschistischen Partei, der Wehrmacht, der
Bürokratie und der Wirtschaft. Während es der Partei gelungen sei, im Bereich der Rassenpolitik ihre zutiefst inhumanen und zugleich irrationalen Ziele durchzusetzen, komme es innerhalb der Sozial- und Wirtschaftspolitik immer wieder zu Konflikten zwischen den konkurrierenden Machtblöcken, die nur vorübergehend beigelegt werden könnten.“ (Wi 41)


„Insgesamt gesehen hat die Faschismus-Analyse der KPO im Gegensatz zu anderen im Rahmen der Arbeiterbewegung entwickelten Einschätzungen zu erstaunlich realitätsgerechten Prognosen des Faschisierungsprozesses in Deutschland geführt.. Als zeitgenössische Analyse konnte sie allerdings nicht alle ökonomischen Zusammenhänge übersehen, die den Faschisierungsprozeß in Deutschland aus heutiger Sicht erklären helfen. Die „unvermeidliche Vernachlässigung der gleichzeitigen Veränderungen der ökonomischen Lage“ (F. Engels) (…) hat verhindert, daß die KPO die aus der Weltwirtschaftskrise hervorgehende allgemeine Tendenz zu nationaler Autarkie-Politik als Grundzug gerade der faschistischen Wirtschaftspolitik im voraus ausmachen konnte und daß ihr die unterschiedlichen Wirkungen der Weltwirtschaftskrise auf die verschiedenen Kapitalfraktionen als Erklärung für deren unterschiedlich ausgeprägtes Interesse an einer faschistischen Krisenlösung in den Blick gerieten.“ N. Kadritzke, S: 122/23

Der bedeutendste Theoretiker der KPO war August Thalheimer, dessen Anlysen wir hier vorstellen.

Faschismus:
Begriffsbildung zwischen Politik und Wissenschaft

Der Begriff ‚Faschismus‘ ist – wie das Gegen-konzept/der Gegenpol ‚Totalitarismus‘ auch –  immer zugleich politischer Kampfbegriff als auch wissenschaftliche Kategorie zur Erklärung politischer Phänomene und/oder gesellschaftlicher Zusammenhänge gewesen.

Diese Dialektik der Begriffe erschwert eine unvoreingenommene Benutzung des einen (Faschismus) oder anderen Begriffs (Totalitarismus), weil damit immer eine Zuordnung zu einer der beiden Theorietraditionen erfolgt.

Als politische Kampfbegriffe sind Totalitarisrnus und Faschisrnus in doppelter Weise benutzt worden:

  • in enger Verzahnung mit der aktiven Politik gegen den Faschismus bzw. den
    Kommunismus
  • als Instrumentalisierung der wissenschaftlichen Diskussion für die Politik

Wir schließen uns auf diesen Seiten der Theorietradition aus der Faschismusdiskussion an, weil sie u.a. mehr zur Erklärung beiträgt, was  Faschismus bedeutet und wie er an die Macht gelangen konnte.


Beiträge einzelner Personen aus der Arbeiterbewegung


August Thalheimer in Havanna, Cuba

August Thalheimer (* 18. März 1884 in Affaltrach, Württemberg; † 19. September 1948 in Havanna) war ein deutscher kommunistischer Politiker und Theoretiker. (mehr: wikipedia)

Beiträge über August Thalheimer

Haible, Wolfgang/Chielda, Marvin: August Thalheimer – Zur Erinnerung an einen revolutionären Kommunisten. In: UTOPIE kreativ, H. 97/98 (November/Dezember) 1998, S. 108-110

Wenn man sich an den Sprachgebrauch hält, wie er heute in der Partei üblich geworden ist, so müßte man zu dem sehr einfachen Schluß kommen: Faschismus sei jeder Akt der Gewalt, der gegen die Arbeiterklasse geübt wird.

Nimmt man versuchsweise diese höchst „einfache“ Erklärung an, so gerät man sogleich in ein Netz von Widersprüchen. Nehmen wir beispielsweise Deutschland. Wurde im kaiserlichen Deutschland von Staats wegen Gewalt gegen die Arbeiterklasse geübt? Sicherlich. Es gab da 12 Jahre (1878-1890), in denen jede sozialdemokratische Betätigung verboten, unter Ausnahmegesetz gestellt war. Die sozialdemokratische Presse war unterdrückt. Jeder Arbeiter, der sich sozialistisch betätigte, konnte von der Polizei ausgewiesen und vom Richter ins Gefängnis gesteckt werden. Es war das die Zeit des Sozialistengesetzes. Unzweifelhaft Gewalt, ja, systematische Anwendung von Gewalt gegen die Arbeiterklasse, gegen die sozialistische Bewegung.

War das Faschismus? Niemand hat das noch behauptet. Aber nach der obigen Begriffsbestimmung müßte Bismarck der erste Faschist in Deutschland gewesen sein. Weiter. Haben die Noske, Ebert, Scheidemann Gewalt gegen die Arbeiterklasse angewandt? Zwanzigtausend gefallene Arbeiter bezeugen das. War das konterrevolutionäre Gewalt gegen die Arbeiterklasse? Ja. War es Faschismus? Nein!

Daraus scheint zu folgen, daß nicht jeder Akt der Gewaltanwendung oder jedes System der Gewaltanwendung gegen die Arbeiterklasse Faschismus sein kann. Die heute in der Partei übliche Erklärung ist also falsch, sie führt auf einen Holzweg. Wie kommt man aber zu einer solchen falschen Festsetzung? Ganz einfach. Durch einen Trugschluß, wie er im täglichen Leben häufig vorkommt. Der Faschismus, so wie er in Italien, in Bulgarien usw. leibhaftig existiert, ist offene und systematische Anwendung von Gewalt gegen die Arbeiterklasse. Also folgert man: ist jede offene und systematische Anwendung von Gewalt gegen die Arbeiterklasse Faschismus. Faschismus ist, wenn Grezinsky die Maidemonstration der Partei verbietet, die Rote Fahne unterdrückt, den Roten Frontkämpferbund auflöst usw. Glücklicherweise wird die Richtigkeit von Begriffsbestimmungen nicht bestimmt von Partei-Instanzen, sondern durch die Tatsachen.

Aus den Tatsachen ergibt sich leicht die Korrektur der objektiven falschen Erklärung des Faschismus. Faschismus ist Gewalt gegen die Arbeiterklasse, aber nicht jede Gewalt gegen die Arbeiterklasse ist Faschismus. Faschismus ist eine besondere Form der Gewaltanwendung gegen die Arbeiterklasse, und zwar der staatlichen Gewaltanwendung. Worin besteht diese Besonderheit?

Um das zu finden, stellen wir die Frage: wann unterscheidet sich die staatliche Gewaltanwendung auf Grundlage der bürgerlichen Demokratie von der faschistischen?

Die stillschweigende, unbewußte Voraussetzung der oben gemachten Erklärung des Faschismus ist nämlich offenbar die, daß die bürgerliche Demokratie gegenüber der Arbeiterklasse ein sanftes, friedliebendes, die Gewalt verabscheuendes Geschöpf ist. Das stimmt aber weder mit den Tatsachen überein, noch mit den Grundlehren des Leninismus, der eine richtige Verallgemeinerung von Tatsachen ist. Um von Deutschland jetzt abzusehen: so wimmelt die Geschichte der III. französischen Republik und der Vereinigten Staaten von Nordamerika von blutigen Gewaltakten der Staatsmacht gegen die Arbeiterklasse.

Der Staat der bürgerlichen Demokratie wendet Gewalt an gegen die Arbeiterklasse auf Grund von Gesetzen und vermittels Behörden, die durch das allgemeine Wahlrecht zustande gekommen sind. Der Staat der bürgerlichen Demokratie duldet Arbeiterorganisationen und Arbeiterparteien, eine Arbeiterpresse usw.

Der Faschismus hebt das allgemeine Wahlrecht auf, er unterdrückt die Arbeiterpresse, die Arbeiterorganisationen, Arbeiterparteien. Er bindet sich in der Gewaltanwendung gegen die Arbeiterklasse an keine Gesetze. Er stellt die offene Diktatur der Bourgeoisie über die Arbeiterklasse dar, im Gegensatz zu der verschleierten, sich an Gesetze bindenden des Staates der bürgerlichen Demokratie.

Die häufige gesetzliche staatliche Gewaltanwendung gegen die Arbeiterklasse ist Vorarbeit, Vorübung für die ungesetzliche, diktatorische Gewaltanwendung, also für den Faschismus. Aber sie unterscheidet sich vom Faschismus, indem sie an der bürgerlich-demokratischen Verfassung festhält. Der Übergang von der einen zur anderen ist ein Übergang von einem Typus der Verfassung in einen anderen. Ein solcher Übergang erfordert selbst einen gewaltsamen Umsturz, einen Staatsstreich, der die Voraussetzungen schafft, um die Organe der bürgerlichen Demokratie durch die des Faschismus zu ersetzen (die von der faschistischen Partei ernannt werden).

Die Gefahr des Faschismus wächst in Deutschland zusehends. Die sprunghafte Zunahme der Wahlstimmen der Nationalsozialisten bei den sächsischen Landtagswahlen ist ein Beweis unter vielen anderen. Die Arbeiterklasse muß dem Faschismus, der die rücksichtsloseste Art ihrer Unterdrückung darstellt, einen Kampf auf Leben und Tod liefern.

Um aber den Faschismus niederkämpfen zu können, muß man zuvor klar erkannt haben, was er ist, wo er steht. Betrachtet man die Sozialdemokratie als einen Teil des Faschismus, so heißt das darauf verzichten, alle Kräfte, auch die der sozialdemokratischen Arbeiter (nicht die der Führung), die gegen ihn mobilisiert werden können, auch wirklich gegen ihn zu mobilisieren. Durch die Kraft der Kommunistischen Partei allein kann der Faschismus nicht geschlagen werden. Dazu gehört die Mehrheit der Arbeiterklasse, die der kommunistischen Führung folgt. Diese Mehrheit zu gewinnen, das ist also das Erste, was geleistet werden muß, wenn die Kommunistische Partei den Kampf gegen den Faschismus siegreich führen will.


aus: Junger Kämpfer, Organ des Kommunistischen Jugendverbandes (Opposition), Jahrgang 1, Nr. 3, Juni 1929.
zitiert aus: Marxists’ Internet Archive.

(…) Was werden die nächsten Schritte des Faschismus sein?

  1. Er wird jetzt planmäßig und brutal den zweiten Teil seiner Aufgabe in Angriff nehmen. Er hat die anderen bürgerlichen Parteien zersprengt oder zersetzt.

    Er hat angefangen, der Sozialdemokratie Abbruch zu tun. Er wird jetzt alle seine Kraft darauf konzentrieren, die Arbeiterorganisationen, vor allem die Gewerkschaften, aber auch die Sozialdemokratie und die Kommunistische Partei durch systematischen Terror wie durch andere politische Mittel in Trümmer zu schlagen. Er wird seine Anstrengungen besonders auf Berlin konzentrieren, wo er noch im Rückstand ist gegenüber dem übrigen Reich.

  2. Er wird versuchen, die entscheidenden Teile der bürgerlichen Staatsmaschine, die bewaffnete Staatsmacht in die Hände zu bekommen. Darum fordert er das Reichswehrministerium, das Innenministerium im Reich und in Preußen, das Berliner Polizeipräsidium (Forderung von Goebbels).
  3. Er wird unmittelbar in den Betrieben seine Leute unter dem Kommando der Unternehmer einsetzen, um Streiks zu brechen und die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter zu terrorisieren und matt zu setzen. Der systematische faschistische Terror wird nicht allzulange auf sich warten lassen. Er wird sich stützen auf das gesteigerte Machtbewußtsein seiner Anhänger, auf die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Sympathien, auf die wachsende passive oder aktive Unterstützung durch und in den staatlichen Behörden.

Das zusammengehauene liberale Bürgertum ruft jetzt nach der Großen Koalition. Die sozialdemokratische Führung hat keinen anderen Gedanken. Ob sie zustande kommt, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Erstens davon, wie die sozialdemokratischen Partei- und Gewerkschaftsmitglieder sich dazu stellen. Zweitens, ob die Deutsche Volkspartei und die Wirtschaftspartei mittut. Die Wirtschaftspartei hat sich bereits dagegen erklärt. Der Vorsitzende der Deutschen Volkspartei, Scholtz, hat sich zwar gegen eine Koalition mit den Nationalsozialisten ausgesprochen, aber noch nicht positiv für eine Koalition mit der Sozialdemokratie.

Aber es ist heute schon klar, daß eine neue Große Koalition noch etwas anderes wäre als die letzte. Brüning erklärt, er bleibe und werde dem neuen Reichstag die Notverordnungen und das weitere Programm des Kapitalsangriffs fertig ausgearbeitet vorlegen. Die Sozialdemokratie hätte also in einer neuen Großen Koalition die Notverordnungen und das weitere Programm des Kapitalsangriffs unbesehen zu schlucken. Sie wäre nur noch das fünfte Rad am Wagen der Regierung der Hindenburg-Diktatur. So will der „katholische Staatsmann“ nach dem Rezept des Jesuitenpaters Muckermann „vollendete Tatsachen“ schaffen. Die Einberufung des Reichstages ist unter lächerlichen technischen Vorwänden nach Pilsudskischem Muster bis auf den äußersten gesetzlich zulässigen Termin hinausgeschoben worden, damit man sich gehörig daran gewöhne, daß auch ohne Parlament regiert werden kann. Vielleicht auch benutzt man später noch das Pilsudskische Rezept, um im Parlament Raum zu schaffen, indem man einem Teil der Parlamentarier andere Sitzplätze, in den Gefängnissen, anweist.

Gleichzeitig wird an einem Rechtsblock mit Beteiligung der Nationalsozialisten geschmiedet. Zwar hat die Germania sich dagegen ausgesprochen, aber die Regierung Brüning läßt auch dafür die Wege offen, indem sie ihr Programm allen Parteien vorlegt. Auf der rechten Seite muntert Hugenberg die Nationalsozialisten auf, daß sie jetzt konkret zum Programm des Kapitalsangriffs Stellung nehmen müssen.

Welches auch immer die nächsten konkreten Formen der Regierungsbildung sein mögen, so steht heute schon fest, daß von keiner „Rettung“ oder „Gesundung“ des Parlamentarismus und der bürgerlichen Demokratie die Rede ist, sondern daß es sich um weitere Etappen und Vorbereitungen in der Richtung der faschistischen Diktatur handelt, daß das Tempo dieser Entwicklung durch den Wahlausfall weiter beschleunigt ist, daß das Bürgertum keine Gegenkräfte gegen den Faschismus aufbringt, sondern nur solche Kräfte, die bewußt oder unbewußt, gewollt oder nicht gewollt in dieser Richtung wirken. (…)


aus: August Thalheimer: Der Aufschwung der faschistischen Konterrevolution, in: Gegen den Strom, 3. Jg., Nr.38, 20. September 1930. (zitiert nach: Marxists’ Internet Archive.


Alfred Sohn-Rethel (* 4. Januar 1899 in Neuilly-sur-Seine bei Paris; † 6. April 1990 in Bremen) war ein deutscher Nationalökonom und Sozialphilosoph.

  1. Von der Sozialdemokratie zum Nationalsozialismus

Die Aufgabe, um die es seit den letzten Monaten und auch über die augenblickliche Zuspitzung hinaus geht, ist die Rekonsolidierung des bürgerlichen Regimes in Deutschland. Die jetzige Regierung von Papen bedeutet diese Rekonsolidierung noch nicht, obwohl sie selbst es behauptet und obwohl diese Behauptung taktisch richtig und die unerläßliche Fiktion ist, um eine vollgültige Regierungstätigkeit aufrechtzuerhalten. Brächte und enthielte die jetzige Regierung wirklich schon die geforderte Rekonsolidierung, so müßte sie statt zur Neuwahl vielmehr zur völligen Suspension des Reichstags genügend mächtig sein und dürfte nicht befürchten müssen, mit einem solchen Gewaltcoup den Bogen zum Brechen zu bringen. Folglich ist die Regierung abhängig von noch nicht gebändigten, noch nicht in sie einbezogenen Kräften, und die Rekonsolidierung steht mithin in Deutschland zur Zeit noch aus.

Es ist aber nicht die erste, die im Nachkriegsdeutschland geleistet würde. Es ist gar kein Zweifel, daß nach den alles in Frage stellenden Einbrüchen der Revolutions- und Inflationsjahre die Weimarer Koalition mit der erfolgreichen Durchführung ihres »großen Wirtschaftsprogramms«, der Stabilisierung von 1923/24, und gemessen an der Lagerung der Kräfte, die damals gebändigt werden mußten, durchaus eine Rekonsolidierung des bürgerlichen Regimes darstellte. Sie hat, politisch gesehen, gehalten bis zum neuerlichen Kriseneinbruch von 1930. Der allerdings erwies sie als bloß scheinbare und fehlerhafte Rekonsolidierung und bewirkte im weiteren Verlauf ihre Auflösung und Sprengung, wie aber auch der Kriseneinbruch 1918/19, schon das kaiserliche System der Kriegszeit eingerissen und aufgelöst hatte. Die Geschichte der deutschen Nachkriegszeit enthält also Vorgänge, die der heutigen Problemlage dynamisch verwandt sind und aus deren aufmerksamer Vergleichung sich für die Gegenwartsaufgaben Schlüsse ziehen lassen. Die Parallelität geht in der Tat erstaunlich weit. Die damalige Sozialdemokratie und der heutige Nationalsozialismus sind sich darin funktionell gleich, daß sie beide die Totengräber des vorhergegangenen Systems waren und alsdann die von ihnen geführten Massen statt zu der proklamierten Revolution zur Neuformung der bürgerlichen Herrschaft lenkten. Der oft gezogene Vergleich zwischen Hitler und Ebert hat in dieser Hinsicht Gültigkeit. Zwischen den Strömen, die sie »wach«riefen, besteht die weitere strukturelle Verwandtschaft, daß beides Volksbewegungen waren – man hat dies von der sozialdemokratischen Hochflut von 1918/19 nur vergessen -, daß beide mit dem Appell an antikapitalistische Befreiungssehnsüchte die Verwirklichung einer neuen – »sozialen« bzw. nationalen« – Volksgemeinschaft versprachen, daß weiter die soziale Zusammensetzung ihrer Anhängerschaft sich in den Massen des Kleinbürgertums, ja sogar vielfach darüber hinaus, völlig deckt, und daß endlich ihr geistiger Charakter sich durch eine durchaus verwandte Verworrenheit und ebenso schwärmerisch-gläubige wie kurzfristige Gefolgstreue auszeichnet. Die Feststellung dieses Parallelismus ist keine Diffamierung der nationalsozialistischen Idee, sie betrifft überhaupt nicht Ideen, sondern gilt der rein analytischen Erkenntnis von Funktion und Bedeutung zweier Massenbewegungen, die im gleichen sozialen Raum in zwei geschichtlich homologen Augenblicken eine analoge politische Rolle gespielt haben bzw. noch spielen. Der Parallelismus selbst besagt, daß der Nationalsozialismus die Sozialdemokratie in der Aufgabe abzulösen hätte, den Massenstützpunkt für die Herrschaft des Bürgertums in Deutschland darzubieten. Dies enthält zugleich, zu seinem Teil, die genauere Problemstellung zur gegenwärtig gebotenen Rekonsolidierung dieser Herrschaft. Ist der Nationalsozialismus fähig, diese Funktion der Stütze anstelle der Sozialdemokratie zu übernehmen, und auf welche Weise könnte dies geschehen?

Das Problem einer Konsolidierung des bürgerlichen Regimes im Nachkriegsdeutschland ist allgemein durch die Tatsache bestimmt, daß das führende, nämlich über die Wirtschaft verfügende Bürgertum zu schmal geworden ist, um seine Herrschaft allein zu tragen. Es bedarf für diese Herrschaft, falls es sich nicht der höchst gefährlichen Waffe der rein militärischen Gewaltausübung anvertrauen will, der Bindung von Schichten an sich, die sozial nicht zu ihm gehören, die ihm aber den unentbehrlichen Dienst leisten, seine Herrschaft im Volk zu verankern und dadurch deren eigentlicher oder letzter Träger zu sein. Dieser letzte oder »Grenzträger« der bürgerlichen Herrschaft war in der ersten Periode der Nachkriegskonsolidierung die Sozialdemokratie.

Sie brachte zu dieser Aufgabe eine Eigenschaft mit, die dem Nationalsozialismus fehlt, wenigstens bisher noch fehlt: Wohl war auch der Novembersozialismus eine ideologische Massenflut und eine Bewegung, aber er war nicht nur das, denn hinter ihm stand die Macht der organisierten Arbeiterschaft, die soziale Macht der Gewerkschaften. Jene Flut konnte sich verlaufen, der ideologische Ansturm zerbrechen, die Bewegung verebben, die Gewerkschaften aber blieben und mit ihnen oder richtiger kraft ihrer auch die sozialdemokratische Partei. Der Nationalsozialismus aber ist vorerst noch immer nur die Bewegung, bloßer Ansturm, Vormarsch und Ideologie. Bricht diese Wand zusammen, so stößt man dahinter ins Leere. Denn indem er alle Schichten und Gruppen umfaßt, ist er mit keiner identisch, ist er in keinem dauernden Glied des Gesellschaftsbaus soziologisch verkörpert. In diesem bedeutsamen Umstand liegt neben der oben festgestellten Parallelität beider Massenparteien ihr fundamentaler Unterschied hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Rekonsolidierung der bürgerlichen Herrschaft. Vermöge ihres sozialen Charakters als originäre Arbeiterpartei brachte die Sozialdemokratie in das System der damaligen Konsolidierung über all ihre rein politische Stoßkraft hinaus das viel wertvollere und dauerhaftere Gut der organisierten Arbeiterschaft ein und verkettete diese unter Paralysierung ihrer revolutionären Energie fest mit dem bürgerlichen Staat. Auf dieser Basis konnte die Sozialdemokratie sich mit einer bloßen Teilhaberschaft an der bürgerlichen Herrschaft begnügen, ja konnte sie sogar niemals mehr und wesensmäßig nichts anderes als bloß der eine Teilpartner derselben sein. Sie hätte als Sozialdemokratie zu existieren aufgehört, wenn etwa der Zufall ihr die ganze Macht über Staat, Wirtschaft und Gesellschaft hingeworfen hätte, so sehr, daß sich von ihr nach einem bekannten Worte sagen ließe, die Sozialdemokratie würde die bürgerliche Gesellschaft, wenn es sie nicht gäbe, erfinden müssen, um zu bestehen.

In konträrem Gegensatz dazu bedingt der Mangel an sozialer Hausmacht den faschistischen Charakter des Nationalsozialismus. Weil er keinen spezifischen sozialen Grundstock hat, der auch ohne Hitler aus sich heraus den Nationalsozialismus trüge, kann er nur entweder die gesamte Macht erobern, um sich durch den Besitz des Staatsapparats zu schaffen, was ihm aus sozialer Wurzel fehlt, oder seine Kraft zerbricht an dem Sozialgefüge, das ihm politisch widersteht und in das er keinen Eingang findet. Weil er primär kein Glied dieses Gefüges ist, kann er nicht ohne grundlegende Verwandlung ein Teilpartner der bürgerlichen Herrschaft sein, welche auf gesellschaftlicher Macht fußt und der politischen Stütze einer »Massenbasis« nur aus der Wurzel sozialer Gliedschaft und Verankerung bedarf. Hier liegt die wahre Crux der gegenwärtigen Lage. Die faschistische Möglichkeit des Nationalsozialismus ist vorüber, seine soziale Möglichkeit noch nicht gefunden. Davon aber, daß sie gefunden wird, hängt ab, ob wir wirklich jetzt zu einer neuen und produktiven Rekonsolidierung gelangen oder ob wir in der Sackgasse der Alternative einer Militärdiktatur oder einer Rückkehr zur Sozialdemokratie stehen. Die Frage, auf die sich alles zusammendrängt, ist daher, ab es für den Nationalsozialismus eine spezifische soziale Möglichkeit gibt, durch die er aus einer faschistischen Bewegung in ein Teilorgan der bürgerlichen Herrschaft verwandelt werden kann, so daß er für das Bürgertum die bisherige Rolle der Sozialdemokratie ersetzen kann. Ihrer Erörterung soll ein zweiter Aufsatz dienen.

  1. Die Eingliederung des Nationalsozialismus

Man wird in einer Zeit, der als Lebensfrage die Rekonsolidierung der bürgerlichen Herrschaft vorgeschrieben ist, dem Faschismus der nationalsozialistischen Bewegung, wenn nötig, mit Gewalt ein Ende machen müssen, aber nur, um den Nationalsozialismus selbst gleichzeitig in ein gesellschaftliches Organ umzuwandeln, das dieser Herrschaft zur Stütze dienen und in ihre staatliche Ausgestaltung positiv eingegliedert werden kann. Die Möglichkeiten, die sich dafür bieten, können hier nur in größtmöglicher Kürze angedeutet werden. Die notwendige Bedingung jeder sozialen Rekonsolidierung der bürgerlichen Herrschaft, die in Deutschland seit dem Kriege möglich ist, ist die Spaltung der Arbeiterschaft. Jede geschlossene, von unten hervorwachsende Arbeiterbewegung müßte revolutionär sein, und gegen sie wäre diese Herrschaft dauernd nicht zu halten, auch nicht mit den Mitteln der militärischen Gewalt. Auf der gemeinsamen Basis dieser notwendigen Bedingung unterscheiden sich die verschiedenen Systeme der bürgerlichen Konsolidierung nach den zureichenden Bedingungen, die hinzukommen müssen, um den Staat und das Bürgertum bis in breite Schichten der gespaltenen Arbeiterschaft hinein zu verankern.

In der ersten Rekonsolidierungsära des bürgerlichen Nachkriegsregimes, in der Ära von 1923/24 bis 1929/30, war die Spaltung der Arbeiterschaft fundiert durch die lohn- und sozialpolitischen Errungenschaften, in die die Sozialdemokratie den revolutionären Ansturm umgemünzt hatte. Diese nämlich funktionierten als eine Art Schleusenmechanismus, durch den der beschäftigte und fest organisierte Teil der Arbeiterschaft im Arbeitsmarktgefälle einen zwar abgestuften, aber dennoch in sich geschlossenen erheblichen Niveauvorteil gegenüber der arbeitslosen und fluktuierenden Masse der unteren Kategorien genoß und gegen die volle Auswirkung der Arbeitslosigkeit und der allgemeinen Krisenlage der Wirtschaft auf seine Lebenshaltung relativ geschützt war. Die politische Grenze zwischen Sozialdemokratie und Kommunismus verläuft fast genau auf der sozialen und wirtschaftlichen Linie dieses Schleusendamms, und die gesamten, jedoch bis jetzt vergeblich gebliebenen Anstrengungen des Kommunismus gelten dem Einbruch in dies geschützte Gebiet der Gewerkschaften. Da zudem aber die sozialdemokratische Ummünzung der Revolution in Sozialpolitik zusammenfiel mit der Verlegung des Kampfes aus den Betrieben und von der Straße in das Parlament, die Ministerien und die Kanzleien, d. h. mit der Verwandlung des Kampfes »von unten« in die Sicherung »von oben«, waren fortan Sozialdemokratie und Gewerkschaftsbürokratie, mithin aber auch der gesamte von ihnen geführte Teil der Arbeiterschaft mit Haut und Haaren an den bürgerlichen Staat und ihre Machtbeteiligung an ihm gekettet, und zwar so lange, als erstens auch nur noch das Geringste von jenen Errungenschaften auf diesem Wege zu verteidigen übrigbleibt und als zweitens die Arbeiterschaft ihrer Führung folgt. Vier Folgerungen aus dieser Analyse sind wichtig: 1. Die Politik des »kleineren Übels« ist nicht eine Taktik, sie ist die politische Substanz der Sozialdemokratie. 2. Die Bindung der Gewerkschaftsbürokratie an den staatlichen Weg »von oben« ist zwingender als ihre Bindung an den Marxismus, also an die Sozialdemokratie, und gilt gegenüber jedem bürgerlichen Staat, der sie einbeziehen will. 3. Die Bindung der Gewerkschaftsbürokratie an die Sozialdemokratie steht und fällt politisch mit dem Parlamentarismus. 3. Die Möglichkeit einer liberalen Sozialverfassung des Monopolkapitalismus ist bedingt durch das Vorhandensein eines automatischen Spaltungsmechanismus der Arbeiterschaft. Ein bürgerliches Regime, dem an einer liberalen Sozialverfassung gelegen ist, muß nicht nur überhaupt parlamentarisch sein, es muß sich auf die Sozialdemokratie stützen und der Sozialdemokratie ausreichende Errungenschaften lassen; ein bürgerliches Regime, das diese Errungenschaften vernichtet, muß Sozialdemokratie und Parlamentarismus opfern, muß sich für die Sozialdemokratie einen Ersatz verschaffen und zu einer gebundenen Sozialverfassung übergehen.

Der Prozeß dieses Übergangs, in dem wir uns augenblicklich befinden, weil die Wirtschaftskrise jene Errungenschaften zwangsläufig zermalmt hat, durchläuft das akute Gefahrenstadium, daß mit dem Fortfall jener Errungenschaften auch der auf ihnen beruhende Spaltungsmechanismus der Arbeiterschaft zu wirken aufhört, mithin die Arbeiterschaft in der Richtung auf den Kommunismus ins Gleiten gerät und die bürgerliche Herrschaft sich der Grenze des Notstands einer Militärdiktatur nähert. Der Eintritt in diesen Notstand aber wäre der Eintritt aus einer Phase notleidender Konsolidierung in die Unheilbarkeit der bürgerlichen Herrschaft. Die Rettung vor diesem Abgrund ist nur möglich, wenn die Spaltung und Bindung der Arbeiterschaft, da jener Schleusenmechanismus in ausreichendem Maße nicht wieder aufzurichten geht, auf andere, und zwar direkte Weise gelingt. Hier liegen die positiven Möglichkeiten und Aufgaben des Nationalsozialismus. Das Problem selbst weist für sie eindeutig nach zwei Richtungen. Entweder man gliedert den in der freien Wirtschaft beschäftigten Teil der Arbeiterschaft, d. h. die Gewerkschaften, durch eine neuartige politische Verklammerung in eine berufsständische Verfassung ein, oder man versucht sich umgekehrt auf den arbeitslosen Teil zu stützen, indem man für ihn unter dem Regiment einer Arbeitsdienstptlicht einen künstlichen Sektor der Wirtschaft organisiert.

Durch ihre Loslösung von der Sozialdemokratie entfällt für die Gewerkschaften ihre bisherige politische Repräsentation, an deren Stelle sie in einem nicht oder nur sehr bedingt parlamentarischen Staat eine neue und neuartige politische Führung brauchen. Wenn es dem Nationalsozialismus gelänge, diese Führung zu übernehmen und die Gewerkschaften in eine gebundene Sozialverfassung einzubringen, so wie die Sozialdemokratie sie früher in die liberale eingebracht hat, so würde der Nationalsozialismus damit zum Träger einer für die künftige bürgerliche Herrschaft unentbehrlichen Funktion und müßte in dem Sozial- und Staatssystem dieser Herrschaft notwendig seinen organischen Platz finden. Die Gefahr einer staatskapitalistischen oder gar staatssozialistischen Entwicklung, die oft gegen eine solche berufsständische Eingliederung der Gewerkschaften unter nationalsozialistischer Führung eingewandt wird, wird in Wahrheit durch sie gerade gebannt. Die vom Tatkreis propagierte »Dritte Front« ist der Typus einer Fehlkonstruktion, wie sie in Zeiten des sozialen Vakuums auftaucht; sie ist das Trugbild eines Übergangszustands, in welchem die Gewerkschaften, weil aus der bisherigen Bindung freigesetzt und noch in keine neue eingefangen, den Schein einer Eigenexistenz vorspiegeln, die sie wesensmäßig gar nicht haben können. Zwischen den beiden Möglichkeiten einer Rekonsolidierung der bürgerlichen Herrschaft und der kommunistischen Revolution gibt es keine dritte.

Wohl aber gibt es, theoretisch wenigstens, neben der ständischen Eingliederung der Gewerkschaften für die bürgerliche Rekonsolidierung den zweiten Weg, das arbeitslose Volk durch Arbeitsdienstpflicht und Siedlung zu organisieren und an den Staat zu binden. Dem inneren, selbst aus keiner organischen Wurzel entwachsenen Wesen des Nationalsozialismus scheint diese Aufgabe besonders nahe zu liegen, wie sie dann auch von ihm am weitesten durchdacht worden ist. Man muß sich aber klar sein, daß die beiden genannten Wege zwei sehr verschiedene Entwicklungsrichtungen der Gesamtwirtschaft involvieren. Eine nennenswerte Einordnung der arbeitslosen Massen in die soziale Volksgemeinschaft im Wege der Arbeitsdienstpflicht ist nur durch weitreichende staats- und planwirtschaftliche Methoden möglich, die aus ökonomischen wie finanziellen Gründen den freien Wirtschaftssektor schwächen müssen. Weil dieser Weg nur zu Lasten der frei beschäftigten Arbeiterschaft gegangen werden kann, müßte ein solches Regime sein soziales Schwergewicht unvermeidlich auf den agrarischen Sektor verlegen, würde also durch eine extreme Autarkiepolitik die Exportindustrie und die mit ihr verknüpften Interessen um jede Chance bringen, einen Anschluß an eine sich bessernde Weltkonjunktur unmöglich machen, mithin den arbeitslosen Teil des Volkes wachsend vermehren und schließlich einen überwiegenden Teil der gesamten Wirtschaft in dem Zwangssystem einer staatlichen Elendswirtschaft festlegen. Ob man dies noch als Rekonsolidierung bezeichnen könnte, muß fraglich erscheinen. Nur partiell daher und in bloß subsidiärer Bedeutung kann dieser Weg, so etwa, wie er im Wirtschaftsprogramm der Regierung mit herangezogen ist, den Übergang zu einem System wirklicher Rekonsolidierung der bürgerlichen Herrschaft erleichtern, das sich nach wie vor auf den Kernbestand der Arbeiterschaft, die Gewerkschaften unter neuer Führung, wird stützen müssen.

(Deutsche Führerbriefe, September 1932)


Neu in: Alfred Sohn-Rethel:  Ökonomie und Klassenstruktur des deutschen Faschismus, edition suhrkamp 630, Frankfurt/M. 1973

Die hier vorgelegten Analysen und Aufzeichnungen sind in doppelter Hinsicht wichtig und aufschlußreich: sie beziehen sich auf die Ereignisse in Deutschland in den dreißiger Jahren, und sie bilden einen hochinteressanten Materialzusammenhang, auf den künftig jede Theorie des Faschismus wird Rücksicht nehmen müssen. Die Niederschrift der Texte erfolgte zwischen 1937 und 1941 in der Emigration. Im Zentrum steht das Wechselspiel der Interessengruppierungen innerhalb des deutschen Großkapitals, die Hitler zur Macht verholfen und einen wesentlichen Teil seiner Politik bestimmt haben. Sohn-Rethel hat die Vorgänge in jener Periode von einem hervorragenden Beobachtungsposten aus verfolgt – als »wissenschaftlicher Hilfsarbeiter« im Büro des »Mitteleuropäischen Wirtschaftstags e. V.« in Berlin.

Vorbemerkung: Johannes Agnoli, Bernhard Blanke, Niels Kadritzke (1963)

ÖKONOMIE UND KLASSENSTRUKTUR DES DEUTSCHEN FASCHISMUS – AUFZEICHNUNGEN UND ANALYSEN (1937-1941)

 

 


Otto Bauer um 1905

Otto Bauer (* 5. September 1881 in Wien; † 5. Juli 1938 in Paris) war österreichischer Politiker, führender Theoretiker der Sozialdemokratie seines Heimatlandes und Begründer des Austromarxismus. Er war von 1918 bis 1934 stellvertretender Parteivorsitzender der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) und 1918 bis 1919 Außenminister der Republik Deutschösterreich. (wikipedia)

Den Revolutionen von 1918 ist die Gegenrevolution gefolgt. Aber nicht überall trug die Gegenrevolution die besonderen Charakterzüge des Faschismus. In Polen wurde die Demokratie von der Militärdiktatur Pilsudskis abgelöst. In Jugoslawien trat an die Stelle der Demokratie ein dynastisch-militärischer Absolutismus alten Schlages. Die »Erwachenden Ungarn« der ungarischen Gegenrevolution von 1919 und die Terrorgruppen, die die bulgarische Regierung Zankoff gegen die gestürzte Bauernpartei und gegen die Arbeiter ausschickte, hatten allerdings schon einen den faschistischen Stoßtrupps ähnlichen Charakter; aber nachkurzer Zeit fiel in beiden Ländern die Macht doch in die Hände der alten und altmodischen Oligarchie zurück. Die neue, ‚faschistische Form der Despotie ist zuerst in Italien und in Deutschland zum Siege gelangt. Heute freilich ist sie die neugefundene Form der Diktatur der kapitalistischen Klassen, deren Methoden nun auch von gegenrevolutionären Regierungen anderen Ursprungs nachgeahmt werden. Der Faschismus ist das Resultat dreier eng miteinander verschlungener sozialer Prozesse. Erstens hat der Krieg Massen von Kriegsteilnehmern aus dem bürgerlichen Leben hinausgeschleudert und deklassiert. Unfähig, in die bürgerlichen Erwerbs- und Lebensformen zurückzufinden, an den im Kriege erworbenen Lebensformen und Ideologien hangend, bildeten sie nach dem Kriege die faschistischen »Milizen«, die völkischen »Wehrverbände « mit einer eigenartigen militaristischen, antidemokratischen, nationalistischen Ideologie. Zweitens haben die Wirtschaftskrisen der Nachkriegszeit breite Massen von Kleinbürgern und Bauern verelendet. Diese Massen, pauperisiert und erbittert, fielen von den bürgerlichdemokratischen Massenparteien, denen sie bisher Gefolgschaft geleistet hatten, ab, sie wandten sich enttäuscht und haßerfüllt gegen die Demokratie, mittels deren sie bisher ihre Interessen vertreten hatten, sie scharten sich um die militaristisch-nationalistischen »Milizen« und »Wehrverbände«.

> weiter: Faschismus und Kapitalismus. Hrsg. Von Kurt Kliem, Jörg Kammler und Rüdiger Griepenburg. Wien 1967, S. 143-167


Referat auf dem Erweiterten Plenum des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale (1923)

»Die Meinung wurde vertreten und war früher wohl vorherrschend, dass der Faschismus nichts sei als gewalttätiger bürgerlicher Terror, und er wurde geschichtlich seinem Wesen und seiner Wirkung nach auf eine Stufe mit dem weißen Schrecken in Horthy-Ungarn gestellt. Aber obgleich die blutigen terroristischen Methoden des Faschismus und des Horthy-Regimes die gleichen sind und sich gleicherweise gegen das Proletariat kehren, ist das geschichtliche Wesen der beiden Erscheinungen außerordentlich verschieden. Der Terror in Ungarn setzte nach einem siegreichen, wenn auch kurzen revolutionären Kampfe des Proletariats ein; die Bourgeoisie hatte vorübergehend vor der Macht des Proletariats gezittert. Der Horthy-Terror kam als Rache gegen die Revolution. Der Vollstrecker dieses Racheaktes ist die kleine Kaste der feudalen Offiziere. (…)

> weiter: Arbeiterpolitik – Sondernummer 2020: Rechtspopulismus heute und in der Weimarer Republik. Droht ein neuer Faschismus?

 

 

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