Liebe 47 (1949)

Inhalt

Am Elbufer begegnen sich zwischen den Nachkriegstrümmern zwei Menschen, die mit dem Leben Schluss machen wollen: Unteroffizier Beckmann und Anna Gehrke.
Aber dann beginnen sie miteinander zu reden, beschließen, ihren Tod gleichsam aufzuschieben, und Anna nimmt den obdachlosen Beckmann mit auf ihr Zimmer. In den Gesprächen der beiden verzweifelten Menschen wird – in Rückblenden – deren Schicksal erzählt. Russlandheimkehrer Beckmann fühlt sich verantwortlich für den Tod von elf Soldaten, deren Angehörige ihn in nächtlichen Alpträumen heimsuchen. Die Verantwortung will er seinem ehemaligen Oberst zurückgeben, doch der lacht nur über seine Schuldgefühle. Seine Eltern, ehemalige Parteimitglieder, haben sich umgebracht, sein Kind ist gestorben, seine Frau hat einen anderen. Ohne Arbeit, Heim und Familie will er nicht mehr leben.

Anna Gehrke hat ihren Mann im Krieg verloren, ihr Kind ist bei der Flucht vor den Russen verunglückt. Ihr Alleinsein bringt sie mit Männern zusammen, die „uns Frauen nicht brauchen, sondern gebrauchen“. Je länger die beiden unglücklichen Menschen miteinander reden, desto ferner rückt der Gedanke an Suizid. Schließlich deutet sich die Möglichkeit eines glücklichen Miteinanders an.


Autoren/Innen

Filmanalyse: Autorengruppe Nachkriegsspielfilme (1993)
Zusammenstellung und Bearbeitung der Materialien: Autorengruppe Nachkriegsspielfilme (1993); aktualisiert: Detlef Endeward (2020)

Film im Nachkriegsdeutschland 1945 – 1950


Produktion: Filmaufbau GmbH Göttingen
Produzenten: Hans Abich, Rolf Thiele
Erstverleih: Panorama-Film GmbH
Buch: Wolfgang Liebeneiner; nach dem Hörspiel und Bühnenstück „Draußen vor der Tür“ von Wolfgang Borchert und Motiven von Kurt J. Fischer
Regie: Wolfgang Liebeneiner
Regieassistenz: Peter Rieschel
Produktionsleitung: Curt Prickler
Aufnahmeleitung: Frank Roell
Kamera: Franz Weihmayr
Bauten: Walter Haag, Hans Joachim Kutzner
Kostüme: Salon Biebernell
Masken: Franz Siebert, Ilse Siebert, Maria Müller-Westhoff
Schnitt: Walter von Bonhorst
Ton: Erich Leistner
Musik: Hans-Martin Majewski
Drehort: Atelier Göttingen
Außenaufnahmen: Hamburg, Göttingen und Umgebung
Länge: 118 Minuten
Uraufführung: 7.3.1949 in Göttingen (Capitol)
Preise: IFF Locarno 1949: Preis für die beste Schauspielerin an Hilde Krahl

Darsteller:  
Hilde Krahl Anna Gehrke
Karl John Beckmann
Erich Ponto alter Mann
Albert Florath Unternehmer
Grethe Weiser Frau Puhlmann
Paul Hoffmann Oberst
Erwin Geschonneck Kriminalbeamter
Dieter Horn Jürgen Gehrke
Hubert von Meyerrinck Direktor Engelbrecht
Inge Meysel Betty aus Berlin
u.a.  
Nr.
Inhalt
Länge
Zeit im Film
0
Vorspann
2.20
0.00 – 2.20
1
Hamburger Hafen: Ein Bestattungsunternehmer (der Tod) empfängt das Publikum; ein Mann (Beckmann) und eine Frau (Anna) am Wasser. Der Tod: „Sie, das wäre doch ein schönes Liebespaar? Zeitgemäß, wie?“Ein alter Mann geht zum Ufer. Der Tod tritt hinzu, der alte Mann ist „der Gott, an den keiner mehr glaubt“; der Tod ist „der Gott, an den man glaubt“.Beckmann und Anna reden über Freitod. Tod und Gott gehen ab.
6.54
2.20 – 9.14
2
Anna und Beckmann unterhalten sich. Anna beginnt, von ihrer Hochzeit zu erzählen.
2.21
9.14 – 11.35
3
Anna schildert ihre Hochzeit.
2.25
11.35 – 14.00
3a
RÜCKBLENDE Anna und Jürgen Gehrke heiraten kirchlich.
(0.50)
(11.35 – 12.25)
3b
RÜCKBLENDE Anna spricht über ihre damaligen Erwartungen
(0.17)
(12.25 -12.42)
3c
RÜCKBLENDE Annas Vetter hält die Hochzeitsrede.
(0.55)
(12.42 – 13.37)
3d
Anna fragt sich, warum sich alles so anders als erhofft entwickelt habe.
(0.23)
(13.37 – 14.00)
4
RÜCKBLENDE Anna und Jürgen tanzen auf einem Ball. Nach dem Ball macht er ihr einen Antrag, den sie sofort annimmt.
2.18
14.00 – 16.18
5
Annas Hochzeitsreise.
1.01
16.18 – 17.19
5a
Anna erzählt von ihrer Hochzeitsreise im August 1939.
(0.17)
(16.18 – 16.35)
5b
RÜCKBLENDE Gehrkes und Freunde reden über die Kriegsgefahr.
(0.44)
(16.35 – 17.19)
6
Beckmann und Anna sprechen über den Kriegsbeginn.
3.31
17.19 – 20.50
6a
Beckmann spricht über die Hölle damals, Anna über „hier“ und „jetzt“.
(0.30)
(17.19 – 17.49)
6b
RÜCKBLENDE 1940 wird Jürgen einberufen, Anna ist unglücklich.
(3.01)
(17.49 – 20.50)
7
Anna bietet ihm Zimmer und Essen an. Sie machen sich auf den Weg zu Annas Wohnung.
1.57
20.50 – 22.47
8
Beckmanns Hochzeit und die Geburt seines Sohnes, die Geburt von Annas Tochter.
1.47
22.47 – 24.34
8a
Im Gehen beginnt Beckmann zu erzählen.
(0.07)
(22.47 – 22.54)
8b
RÜCKBLENDE Beckmann heiratet Lisa.
(0.34)
(22.54 – 23.28)
8c
Beckmann erzählt von der Geburt seines Sohnes.
(0.09)
(23.28 – 23.37)
8d
RÜCKBLENDE Lisa liegt nach der Geburt im Krankenhaus.
(0.22)
(23.37 – 23.59)
8e
RÜCKBLENDE Anna liegt nach der Geburt ihrer Tochter im Krankenhaus.
(0.35)
(23.59 – 24.34)
9
Anna und Beckmann berichten über ihre Einsamkeit.
03.56
24.34 – 28.30
9a
Anna erzählt über die Gefallenenmeldung ihres Mannes, Beckmann über seine Rückkehr aus der Gefangenenschaft.
(0.18)
(24.34 – 24.52)
9b
RÜCKBLENDE Beckmann sucht in den Trümmern seine Wohnung. Sein Sohn ist tot, seine Frau in eine andere Wohnung einquartiert worden.
(0.59)
(24.52 – 25.51)
9c
RÜCKBLENDE Beckmann sucht seine Frau auf, die ihn für tot gehalten hat. Er geht wieder.
(2.39)
(25.51 – 28.30)
10
Anna erzählt von den Bombennächten und ihrer Flucht aus der Stadt.
1.38
28.30 – 30.08
10a
Beckmann: „So schnell ist man vergessen.“ Anna erinnert an die einsamen, vergessenen Frauen und Kinder in den Bombennächten.
(0.22)
(28.30 – 28.52)
10b
RÜCKBLENDE In einer Bombennacht hilft ein Fronturlauber Anna. Beim Entwarnungssignal küssen sie sich.
(1.16)
(28.52 – 30.08)
11
Annas Flucht und der Tod ihrer Tochter.
7.59
30.08 – 38.07
11a
Anna beginnt die Erzählung von der Flucht vor den Russen.
(0.28)
(30.08 – 30.36)
11b
RÜCKBLENDE Anna, ihre Tochter und eine Tante warten auf eine Gelegenheit zum Mitfahren. Ein PKW-Fahrer nimmt die drei auf sein Gut mit.
(2.35)
(30.36 – 33.11)
11c
RÜCKBLENDE Abends unterhalten sich der Gutsbesitzer und Anna. Der Gutsherr kann Anna durch seine galante Art für sich einnehmen.
(2.39)
(33.11 – 35.50)
11d
RÜCKBLENDE Am nächsten Tag bringt er sie nach Stolp, abends werden sie verladen, dabei kommt Monika zu Tode.
(2.17)
(35.50 – 38.07)
12
Anna erzählt von ihrer Einsamkeit. Beckmann spricht über die Schuld, die er im Krieg auf sich geladen hat. Sie erreichen die Wohnung.
2.00
38.07 – 40.07
13
Sie treten ein, Anna gibt ihm Kleidung, darunter die Trachtenjacke ihres Mannes. Anna sagt, sie fühle sich nutzlos und einsam – wie alle Frauen.
6.23
40.07 – 46.30
14
Anna berichtet von ihrer Wohnungssuche.
5.12
46.30 – 51.42
14a
RÜCKBLENDE Wohnungsamt: Ein Beamter teilt ihr mit, sie könne nur drei Tage in der Stadt bleiben. Ein Vermittler besorgt ihr ein Zimmer.
(1.56)
(46.30 – 48.26)
14b
Anna erzählt, Frau Puhlmann, die Wirtin, habe nur widerwillig vermietet.
(0.13)
(48.26 – 48.39)
14c
RÜCKBLENDE Frau Puhlmann zeigt Anna missmutig ihr Zimmer.
(0.41)
(48.39 – 49.20)
14d
RÜCKBLENDE Der Vermittler fordert Anna auf, ihre Reize nicht nur für ihn, sondern auch für seine Geschäfte einzusetzen. Sie wirft ihn hinaus.
(2.22)
(49.20 – 51.42)
15
Anna schildert menschliche Beziehungen als nur noch geschäftlicher Natur.
3.15
51.42 – 54.57
15a
Anna erzählt über den ihrer Ansicht nach geschäftsmäßigen Charakter der zwischenmenschlichen Beziehungen.
(0.38)
(51.42 – 52.20)
15b
RÜCKBLENDE Anna arbeitet in einer Fischfabrik; eine Kollegin will ihr einen Mann besorgen; Anna: „Die ganze sogenannte Liebe – ein Geschäft!“
(2.37)
(52.20 – 54.57)
16
RÜCKBLENDE Anna erzählt vom harten Winter.
1.07
54.57 – 56.07
17
Anna erzählt über ihre Beziehung zu Alfred.
6.22
56.07 – 1.02.29
17a
RÜCKBLENDE Anna lernt Alfred kennen und geht mit ihm.
(1.58)
(56.07 – 58.05)
17b
Anna erzählt, dass ihr das Gefühl, versorgt zu werden, in der Beziehung zu Alfred am wichtigsten war.
(0.24)
(58.05 – 58.29)
17c
RÜCKBLENDE Alfred hat zahlreiche Geschenke für Anna.
(0.39)
(58.29 – 59.08)
17d
Anna berichtet, es habe kein gutes Ende genommen.
(0.21)
(59.08 – 59.29)
17e
RÜCKBLENDE Zwei Polizisten treten ein, die sie offenkundig für eine Prostituierte halten.
(3.00)
(59.29 – 1.02.29)
18
Anna erzählt Beckmann, dass sie danach die Entscheidung getroffen habe, aus dem Leben zu scheiden.
2.10
1.02.29 – 1.04.39
18a
Anna sagt, dass sie für morgen aufs Präsidium bestellt worden sei.
(0.24)
(1.02.29 – 1.02.53)
18b
RÜCKBLENDE Der eine Beamte teilt Anna mit, dass Alfred sich getötet habe: „Schließlich müssen sie wissen, was sie angerichtet haben!“
(0.44)
(1.02.53 – 1.03.37)
18c
Anna sagt Beckmann, dass sie danach beschlossen habe, die Konsequenzen zu ziehen. Sie bedankt sich bei Beckmann fürs Zuhören und setzt sich.
(1.02)
(1.03.37 – 1.04.39)
19
Beckmann bedankt sich bei Anna. Er erzählt von seinen Schuldgefühlen, die von seiner Rolle als verantwortlicher Unteroffizier in Rußland herrührt. Er erzählt vom Besuch bei seinem ehemaligen Oberst.
2.19
1.04.39 – 1.06.58
20
Beckmann sucht den Oberst auf.
3.34
1.06.58 – 1.10.32
20a
RÜCKBLENDE Beckmann geht zur Wohnung des Obersts
(0.21)
(1.06.58 – 1.07.19)
20b
RÜCKBLENDE Der Oberst sitzt mit seiner Familie beim Abendessen, als Beckmann sich vorstellt und einen Alptraum zu erzählen beginnt.
(3.13)
(1.07.19 – 1.10.32)
21
TRAUMBILD Knochenxylophon, Parade der Gefallenen. Beckmanns Befehl wird verweigert, die Toten rufen seinen Namen. Beckmann schreit.
2.55
1.10.32 – 1.13.27
22
Beckmann will dem Oberst die Verantwortung für die Toten zurückgeben.
6.01
1.13.27 – 1.19.28
22a
Beckmann beginnt, einen Wachtraum zu erzählen.
(1.56)
(1.13.27 – 1.15.23)
22b
TRAUMBILD Nachts treten Frauen und Kinder an Beckmanns Bett und fragen nach ihren Männern, Vätern, Söhnen, Brüdern, Verlobten.
(0.50)
(1.15.23 – 1.16.13)
22c
Der Oberst verspottet Beckmanns Erzählung mit dem Hinweis, er solle damit auftreten, bevor er ihn zum Essen einlädt – und zur Körperpflege: „Werden sie erst mal wieder ein Mensch!“ Beckmann: „Was, seid ihr Menschen?“
(3.15)
(1.16.13 – 1.19.28)
23
Beckmann entschließt sich, dem Rat des Obersts folgend, öffentlich aufzutreten.
2.14
1.19.28 – 1.21.42
23a
Beckmann erzählt Anna, er sei nach dem Besuch durch die Straßen geirrt und an einer Kabarettbühne vorbeigekommen.
(0.42)
(1.19.28 – 1.20.10)
23b
RÜCKBLENDE Beckmann betritt das Kabarett.
(1.23)
(1.20.10 – 1.21.33)
23c
Beckmann erzählt, dass er beim Theaterdirektor vorgesprochen habe.
(0.09)
(1.21.33 – 1.21.42)
24
RÜCKBLENDE Der Direktor gibt ihm eine Chance.
2.46
1.21.42 – 1.24.28
25
RÜCKBLENDE Beckmanns Bühnenauftritt.
7.37
1.24.28 – 1.32.05
26
Beckmann erzählt von seiner Mutter und vom Tod der Eltern.
4.45
1.32.05 – 1.36.50
26a
Er sagt, er sei am nächsten Tag zur Wohnung der Eltern gegangen.
(0.48)
(1.32.05 – 1.32.53)
26b
RÜCKBLENDE Als junger Mann kommt Beckmann spätnachts nach Hause, wo seine Mutter ihn erwartet und das Essen für ihn aufwärmt.
(1.12)
(1.32.53 – 1.34.05)
26c
Beckmann schildert diese Zeit als Paradies.
(0.12)
(1.34.05 – 1.34.17)
26d
RÜCKBLENDE An der Wohnungstür erklärt ihm eine Fremde, dass seine Eltern Selbstmord begangen hätten.
(2.33)
(1.34.17 – 1.36.50)
27
Beckmann: „Ich habe Hunger. Mir ist kalt. Ich bin müde. Ich kann nicht mehr.“ Er fällt ins Sofa. Nun erinnert sie sich daran, dass sie ihm etwas kochen wollte. Er schläft ein, sie geht und schließt die Tür.
3.53
1.36.50 – 1.40.43
28
Die bis dahin unfreundliche Frau Puhlmann zeigt sich nach der Betrachtung des schlafenden Beckmann hilfsbereit.
3.13
1.40.43 – 1.43.56
29
Beckmann träumt.
15.00
1.43.56 – 1.58.56
29a
Beckmann schläft, er beginnt zu träumen. TRAUMBILD Beckmann begegnet Anna und einem, für dessen Tod er sich verantwortlich fühlt.
(4.57)
(1.43.56 – 1.48.53)
29b
TRAUMBILD Beckmann begegnet dem alten Mann (Gott).
(2.49)
(1.48.53 – 1.51.42)
29c
TRAUMBILD Beckmann begegnet dem Tod in Gestalt eines Straßenfegers. Nach dessen Verschwinden kommt Anna zu ihm, auch sie verschwindet.
(5.17)
(1.51.42 – 1.56.59)
29d
TRAUMBILD Beckmann erblickt erneut den Einbeinigen, läuft davon und springt in die Elbe, die ihn an Land zurückwirft. Beckmann steht alleine da und ruft: „Warum schweigt ihr denn alle? Warum? Gibt denn keiner Antwort? Gibt keiner Antwort? Gibt denn keiner, keiner Antwort?“
(1.57)
(1.56.59 – 1.58.56)
30
Anna betritt das Zimmer, sie und Beckmann beschließen, füreinander die Verantwortung zu übernehmen. Einblendung „Ende“
4.36
1.58.56 – 2.03.32

Liebe 47, zwei Monate vor Gründung der Bundesrepublik uraufgeführt, ist einer der letzten „Trümmerfilme“. Drehort waren die Filmateliers auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens von Göttingen, Produzent die Göttinger Filmaufbau GmbH, die mit britischer Lizenz arbeitete. Die Produktionsfirma war bereits 1946 von Hans Abich und Rolf Thiele gegründet worden mit dem Ziel, zum Neubeginn des deutschen Films beizutragen. Die Firmengründer waren nicht in erster Linie kommerziell orientiert, sondern versuchten anspruchsvolle, problemorientierte Unterhaltung zu produzieren. Liebe 47, die erste nach langen Anlaufschwierigkeiten fertiggestellte Produktion, führte zum Konkurs der Firma, die anschließend ohne eigene Atelierbetriebe neu gegründet wurde. Die folgenden Filme wie NachtwacheEs kommt ein Tag sowie verschiedene Thomas Mann -Verfilmungen waren erfolgreicher. Auch wenn sich finanzielle Verluste einstellten, blieb man bei dem Konzept, Filme mit „Anspruch“ zu produzieren.

Die Erstellung des Spielfilmes erwies sich als schwieriger als vermutet. Zum einen wollten die Gründer der Filmaufbau GmbH, Hans Abich und Rolf Thiele, gerne mit Wolfgang Liebeneiner zusammenarbeiten, der jedoch als ehemaliger Leiter der Reichsfilmakademie zunächst nicht arbeiten durfte. Zum anderen musste ein Stoff für den Film gefunden werden, dessen Drehbuch die Vorzensur der britischen Film Section passieren würde. Was das Problem mit Liebeneiner betraf, so fanden sich einflussreiche Fürsprecher, u.a. die jüdische Theaterintendantin Ida Ehre, die für seine „Entnazifizierung“ sorgen konnten. Die Suche nach einem Stoff kostete indes mehr Zeit. Erst das dritte eingereichte Drehbuch wurde von der Film Section zugelassen.

Für das Verständnis des Films ist es bedeutsam, dass Liebe 47 als Literaturverfilmung nach Wolfgang Borcherts Bühnenstück „Draußen vor der Tür“ entstanden ist. Wolfgang Borchert (20.05.1921 – 20.11.1947) war ein unbequemer Soldat gewesen. 1943 wurde er wegen politischer Witze zu neun Monaten Gefängnis verurteilt, dann aber „zwecks Bewährung“ an die „Ostfront“ geschickt. Der Entlassung wegen Untauglichkeit folgte wieder der Kerker, dann Nachkriegshunger, Krankheit und Tod. Zwei knappe Jahre blieben Borchert zum Schreiben. Dieses „Dichten wie im Wettlauf mit dem Tod“ ist in „Draußen vor der Tür“ in jeder Zeile zu spüren. Das Stück gilt als das bedeutendste jener Kahlschlag- und Trümmerliteratur nach 1945. „Im Mittelpunkt des gespenstischen Reigens aus physischem und moralischem Elend steht ein Kriegsheimkehrer, die Symbolfigur eines Menschen, den die Sinnlosigkeit eines Krieges und die moralische Stumpfheit des Milieus zerbrochen haben.“

Von Borchert im Spätherbst 1946 in wenigen Tagen geschrieben, wurde „Draußen vor der Tür“ am 13.2.1947 zum ersten Mal als Hörspiel vom NWDR gesendet, als Bühnenstück erlebte es seine Uraufführung in der Inszenierung von Wolfgang Liebeneiner am 21.11.1947, einen Tag nach dem frühen Tod Borcherts, in den Hamburger Kammerspielen. Der Stoff wurde schließlich 1948 wiederum unter der Regie von Liebeneiner verfilmt.

Die Dreharbeiten zu „Liebe 47“ begannen im August 1948. Technische, personelle und organisatorische Probleme verzögerten die Dreharbeiten beträchtlich. So mussten durch den Ausfall wichtiger Geräte aufwendige Einzelbearbeitungen im Schneideraum durchgeführt werden, um beispielsweise Probleme beim Gleichlauf von Film und Ton im Nachhinein zu beheben. Auch der Mangel an Fachpersonal zu jener Zeit trug dazu bei, dass der Produktionsetat um 10% und die geplante Drehzeit um 4 Wochen überschritten wurden. Daher musste der Termin für die Uraufführung vom 31.12.1948 letztendlich auf den 07.03.1949 verlegt werden.

Die Uraufführung fand im Göttinger Capitol statt. Das Premierenpublikum verharrte, so die zeitgenössische Presse, in seltener Anteilnahme und spendete anhaltenden Beifall, was, so ein Rezensent, angesichts dieses „anspruchsvollen, aber unerhört wertvollen Films“ nur angemessen gewesen sei. Auch anderswo sprach die Kritik von einem „über die Zeitfilmproduktion hinausgehenden Meisterwerk“, das die im Nachhinein nicht so glanzvolle Rolle Liebeneiners während der Naziherrschaft (u.a. Regie in den Filmen BismarckDie Entlassung und Ich klage an, von 1942 -1945 Produktionschef der Ufa) wettmache – es sei naheliegend, „ihm vor der einzigartigen künstlerischen Tat des Heute das Gestern zu vergeben.“ Wenngleich die Kritik den Film überwiegend lobte, blieben die deutschen Kinos, in denen Liebe 47 lief, relativ leer. Die Bilder einer Trümmerlandschaft, gleich mit welcher Moral verbunden, wollte das Publikum im Jahre 1949 nicht mehr sehen.

Dreharbeiten „Liebe 47“
Außenaufnahmen „Liebe 47“
Filmsequenz
Länge in Min.
Gestaltet nach Szene (Szenenausschnitt) in „Draußen vor der Tür“*
1
6.54
Vorspiel (103-105); Teilentsprechung
2-6
11.36
Keine Entsprechung
7
1.57
1. Szene: Beckmann, Mädchen (111-112)
8-9a
2.05
Keine Entsprechung
9b-c
3.38
1. Szene: Beckmann, der Andere (109-110)
10-12
11.37
Keine Entsprechung
13
6.23
2. Szene: Beckmann, Mädchen (112-114); Teilentsprechung
14-18
18.06
Keine Entsprechung
19
2.19
2. Szene: Beckmann, der Andere (117-118); Teilentsprechung
20a
0.21
Keine Entsprechung
20b-22
12.09
3. Szene: Beckmann, Oberst, Schwiegersohn, Mutter, Tochter (119-128)
23
2.14
Keine Entsprechung
24-25
10.23
4. Szene: Beckmann, Direktor (130-136)
26a
0.48
4. Szene: Beckmann, der Andere (138)
26b-c
1.24
Erzählung „Die Küchenuhr“ (201-204)
26d-29c
22.39
5. Szene: Beckmann, Frau Kramer, der Andere , Mädchen, der Einbeinige, Gott , Straßenfeger (138-161)
29d
1.57
5. Szene: Beckmann, der Einbeinige (162-163); Der Traum (106-107); 5. Szene: Beckmann (165)
30
4.36
Keine Entsprechung

* die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf Wolfgang Borchert: Das Gesamtwerk, Hamburg 1996

„Was brauchen wir die Welt zu verbessern, fangen wir jetzt lieber bei uns an.“

Autorengruppe Nachkriegsspielfilme (1993)

Borchert hatte seinem Stück einige Sätze einleitend vorangestellt. Darin heißt es: „Ein Mann kommt nach Deutschland. Und da erlebt er einen ganz tollen Film. Er muß sich während der Vorstellung mehrmals in den Arm kneifen, denn er weiß nicht, ob er wacht oder träumt.“ Wer Liebeneiners Verfilmung in Kenntnis der Literaturvorlage aufmerksam verfolgt, dem geht es wie diesem Mann. Denn „Liebe 47″ erzählt eine andere Geschichte als „Draußen vor der Tür“. Die Veränderungen, die Liebeneiner vornimmt, ergänzen bzw. verkürzen nicht etwa nur, sondern verkehren die Gesamtaussage der Literaturvorlage letztlich ins Gegenteil (Vgl. Film und literarische Vorlage).

Der Film will gleich zu Beginn Mitgefühl und Anteilnahme erheischen: zwei Menschen (Mann und Frau) wissen im Nachkriegsdeutschland nicht mehr ein noch aus und wollen Selbstmord begehen: schwere, melancholische Musik mit kleinen Dissonanzen, erst Mann und Frau in Totalen aus der Obersicht (klein und verloren wirken sie), dann Großaufnahmen ihrer Gesichter, die Leid, Hoffnungslosigkeit und Trauer nun ganz „nahe“ bringen; Zwischenschnitte von schmutzigem, schwarzem, glucksendem Wasser; zerstörte Schiffsrümpfe als bedrohliche Symbole des gesellschaftlichen Zusammenbruchs. Während in „Draußen vor der Tür“ der Kriegsheimkehrer Beckmann der Protagonist ist, der verzweifelt Antwort und Halt sucht und nicht findet, wird der Heimkehrerfigur in „Liebe 47″ eine Frau an die Seite gestellt: Anna Gehrke, gespielt von Liebeneiners Ehefrau Hilde Krahl, begegnet am Elbufer dem Kriegsheimkehrer Beckmann, dargestellt von Karl John. Dadurch gelingt es Liebeneiner, für ein ursprünglich höchst unversöhnliches Stück eine dramaturgische Ausgangsposition zu schaffen, die ein happy end verspricht. Diese Grundtendenz des Films wird auch bereits in der ersten Sequenz ausgesprochen: „Das wäre doch ein schönes Liebespaar … Sie haben sich gefunden und noch in diesem Leben“, kommentiert die Figur des „Todes“. Auf diese Weise beruhigt, kann man den erschütternden Schicksalen, die die beiden sich im folgenden von der Seele reden, schon gelassener zuhören. (Vgl. Sequenz 1)

Die äußere Handlung von „Liebe 47″ ist einfach: Beckmann und Anna treffen sich am Elbufer, gehen in Annas Wohnung und finden dort schließlich zueinander. Währenddessen, und hier liegt der wichtigere Teil, erzählen sie sich und uns Stationen ihrer Vergangenheit, in Form von Rückblenden transportiert, die den größten Teil des Films ausmachen. Es sind konventionelle Rückblenden, eingeleitet durch Unschärfen und / oder gesprochene Hinweise; die Chronologie der Zeit wird eingehalten (Faschismus – Krieg – Nachkriegszeit). Die Rückblenden werden immer explizit ausgewiesen; dadurch besteht schon in der formalen Realisierung eine klare Trennung von „damals“ und „jetzt“ – es war furchtbar, aber es ist vorbei. Zudem wohnt Rückblenden generell ein „objektiver“ Charakter inne – der Zuschauer zweifelt nicht an der „allgemeinen Richtigkeit“ der Rückblende, auch wenn sie aus der subjektiven Perspektive einer Filmperson erzählt wird. Hier ist es die Opfer-Perspektive: So wa(hr) (ist) es. Zunächst, und zwar über die Hälfte des Films hinaus, wird Annas Geschichte in Rückblenden erzählt, bevor Beckmanns Erinnerungen und traumatische Erlebnisse thematisiert werden. Dies hat zur Folge, dass der Zuschauer die Zeitproblematik, insbesondere den Nationalsozialismus, vor allem aus der Sicht der Frau erfährt.

Dabei fallen zwei Eigenschaften Annas besonders auf: Zum einen zerfließt sie geradezu vor Selbstmitleid. Dieses verbindet sich mit pauschalen und abstrakten Schuldzuweisungen, vor allem die Männer sind es, denen sie Vorwürfe macht: „Ihr Männer habt uns alleingelassen“ (Sequenz 1), „Wir Frauen haben vielleicht den Führer angebetet, aber den Krieg haben die Männer gemacht.“ (Sequenz 7) Krieg erscheint hier als eine typische und normale Männertätigkeit, ganz im Sinne von Annas gefallenen, in einer Rückblende durchaus sympathisch gezeichneten Mann, der kurz vor seiner Einberufung erklärt: „Krieg gehört zum Leben wie Essen und Trinken.“ (Sequenz 6b) Diese eingeschränkte Betrachtungsweise wird auch im Weiteren weder von ihr noch von anderen korrigiert. Die Vergangenheit und der Krieg bleiben somit unverstanden, aufs Naturhafte reduziert und damit letztlich akzeptiert. Zum anderen erfährt Annas Verhalten gegenüber Beckmann im Verlauf des Films eine äußerliche Wandlung. Die Pauschalanklage gegen die Männer, die sie ihm gegenüber vorträgt, tritt allmählich in den Hintergrund, bis Anna sich zum Schluss als allein um „ihren“ Mann sorgende Frau darstellt. Dabei ist sie letztlich immer schon in einem weiblichen Rollenklischee verhaftet gewesen. In allen Schlüsselszenen ihrer Verfangenheit befindet sie sich, an der Seite wechselnder Männer, stets in der passiven Rolle. Männliche Dominanz und Beschützerfunktion werden von ihr keineswegs in Frage gestellt, sondern gesucht. Nicht Unterordnung und Abhängigkeit machen sie hier offensichtlich würdelos, sondern vielmehr, wie sie selbst sagt, die Erniedrigung zum Arbeitseinsatz bzw. unmoralische Ansinnen ihrer Beschützer. Ein Mann indes, so Anna zu Beckmann, habe immer eine Aufgabe, nämlich die Welt zu verändern. Einen bemerkenswerten Beitrag steuert in diesem Zusammenhang noch ein ostelbischer Adliger („letzter Kavalier“) bei, der Anna auf der Flucht Unterschlupf gewährt und der in ihrer Erinnerung an die Notzeit die positivste männliche Figur ist: „Sie sind das Leben“, sagt er zu Anna, „die Fruchtbarkeit, die Zukunft, die Frau, die heilige Natur, immer dem Wege des Herzens nah.“ (Sequenz 11c) Dieser Idealisierung, die Züge eines faschistischen Frauenbildes trägt, wird im Film nirgends widersprochen. Und nicht zuletzt: Der Filmstil in den Rückblenden erinnert an die Zeit vor 1945 – der glatte, „perfekte“ UFA-Stil zur Zeit des Nationalsozialismus erlebt seine Fortführung.

Thematisiert „Liebe 47″ anhand der „Neuschöpfung“ der Anna Gehrke Verhaltensweisen, die als typisch für das Schicksal einer Frau jener Zeit gelten sollen, so ist der heimkehrende Frontsoldat Beckmann das Pendant – beide zusammen sollen stellvertretend für ihre Generation stehen. Bei der Zeichnung des Beckmann hat Liebeneiner aus dem Fundus des Borchertschen Stückes geschöpft, wobei er einiges veränderte. Dazu gehört sowohl die Reihenfolge der Ereignisse als auch das Verhältnis von Realität und Traum. (Vgl. Film und literarische Vorlage) Die Rückkehr jenes Obergefreiten Bauer, dessen Verstümmelung Beckmann zu verantworten hat und der ihm seine Frau Anna wieder nehmen möchte, wird in „Liebe 47″ lediglich geträumt. (Vgl. Sequenz 29a) In „Draußen vor der Tür“ vertreibt der Einbeinige Beckmann von „einem“ Mädchen. „Der Andere“, eine Figur in Borcherts Schauspiel, die gewissermaßen das lebensbejahende alter ego Beckmanns darstellt und der gegenüber Beckmann seine existentialistische Verzweiflung äußert, fehlt in „Liebe 47″. Den Part des „Anderen“ übernimmt in gewisser Weise Anna, zumindest im letzten Teil des Films.

Was bei Liebeneiner in der Charakterisierung des Beckmann bleibt, ist, wenn auch nicht in der Schärfe der Vorlage, das den Kriegsheimkehrer plagende Gewissen, insbesondere die Frage der Verantwortlichkeit gegenüber Befehlen, die den Tod bzw. die Verstümmelung der eigenen Soldaten zur Folge hatten. In diesem Zusammenhang übernimmt Liebeneiner die bekannte Szene bei dem Oberst, dem Beckmann die Verantwortung für die Toten zurückgeben möchte. Für einen Einsatz mit zwanzig Soldaten hatte der Unteroffizier Beckmann die Verantwortung übertragen bekommen. Elf Soldaten kehrten von dem Einsatz nicht zurück. Die Sequenz im Haus des Oberst gehört ohne Zweifel zu den beeindruckendsten des Films. Aber auch hier glättet Liebeneiner (man vergleiche die Kommentare der Nebenpersonen bei Borchert). Die filmische Darstellung von Beckmanns Alptraum in dieser Szene galt seinerzeit als bemerkenswert; eine nähere Betrachtung läßt sie jedoch als zweifelhaft erscheinen. In einer aufwendigen Monate, mittels Negativbildern und Mehrfachbelichtungen, verschobenen Perspektiven, schrägen Bauten, Schlaglichtern und -schatten sowie verfremdetem Ton entsteht ein Bild des Krieges. Beckmanns alptraumhafte Visionen – die Filmtechnik macht sie sichtbar, dich sie bleiben letztlich leer. Das metaphorische „Aufzeigen“ der – vielleicht wirklich nicht darstellbaren – Schrecken des Krieges und der psychischen Deformationen Beckmanns geraten hier zu einer manierierten Bilderorgien, die einen extrem abstrakten, synthetischen Charakter besitzt. Diese Künstlichkeit schafft auf der einen Seite Ohnmacht (durch die vielfältigen Bildmetaphern, die regelrecht „erschlagen“), auf der anderen Seite Distanz: konkrete Auseinandersetzung mit der Realität des Krieges – und schon gar nicht mit den gesellschaftlichen Ursachen – ermöglicht dese Inszenierung nicht. Traumatische Erlebnisse im 2. Weltkrieg in Rußland werden allgemein und abstrakt – am deutlichsten in dem Aufmarsch des Soldatengemischs aus allen Jahrzehnten, dass die Vorstellung der Ewigkeit und Schicksalhaftigkeit des Krieges evoziert. Auffallend ist, dass es weder in diesem Traum noch an anderer Stelle „reale“ Bilder über das Handeln Beckmanns oder überhaupt eines deutschen Soldaten im Krieg gibt. Das Verantwortungsproblem bleibt somit in den Filmbildern irreal. (Vgl. Sequenz 20-22)

Diesen Inszenierungsstil rechtfertigte Liebeneiner 1949 als filmischen Expressionismus, der in der besten deutschen Filmtradition – und Kunsttradition überhaupt – stünde. Eine in diesem Zusammenhang geäußerte Kritik wischte Liebeneiner vom Tisch, indem er sie mit Goebbelschen Positionen gleichsetzte.

Doch auch bei Liebeneiner quält die Verantwortung für den Tod von Menschen den Heimkehrer Beckmann – jedenfalls bis kurz vor Schluss. Die Wende wird auch hier wieder von der Frau eingeleitet. Während bei Anna im letzten Teil des Films schon die fürsorgliche pragmatische Seite triumphiert – sie überlässt ihm ihr Bett und bereitet ein Abendessen für ihn -, wird er noch im Schlaf von Alpträumen geplagt. Im Traum zieht er die Konsequenz und springt ins Wasser, das ihn jedoch nicht haben will. Während er mit dem Aufschrei „lasst mich doch nicht allein“ erwacht, stürzt Anna mit dem Abendbrot herein. Und hier in der letzten Sequenz lösen sich dann noch die unbewältigten Probleme. Beckmann und Anna binden ihre Leben aneinander: falls einer der beiden das Leben wegwerfe, ginge der bzw. die andere hinterher. Sie geben sich gegenseitig die Verantwortung! „Wir haben jetzt jemand“, sagt Anna, „Was brauchen wir die Welt zu verbessern, fangen wir jetzt lieber bei uns an.“ Und Beckmanns letzte Worte: „Ach, so war das gemeint.“ Die kleinfamiliäre Harmonie zeichnet sich auch bildlich ab, es wird konventionell gefilmt, denn der Zuschauer soll sich wiederfinden, schließlich wird jetzt die Zukunftsperspektive aufgebaut. Während Anna in der Schlusseinstellung eine Kerze anzündet, isst er gemächlich sein Abendbrot, von beruhigender Musik begleitet. Gänzlich anders als bei Borchert, wo Beckmann die Verantwortung nicht los wird, mit seinem Rufen und Fragen allein bleibt, wird in „Liebe 47″ die individuelle Verantwortung für den Tod anderer Menschen umgemünzt in die Verantwortung kleinfamiliären Neuanfangs. Durch den beschlossenen Lebensbund ist das Verantwortungsproblem bei Liebeneiner gelöst. (Vgl. Sequenzen 29 und 30)

Auf den ersten Blick nicht von dieser Welt ist eine kleine, aber entscheidende Szene in „Liebe 47″: die Gottesallegorie. Bei Borchert erscheint Gott am Anfang und Ende des Stückes und zwar stets gleich – weinerlich, von Beckmann sarkastisch behandelt („schlaf weiter so gut… die alten Leute haben es am schwersten, die sich nicht mehr auf die neuen Verhältnisse umstellen können.“). In „Liebe 47″ wird Gott zwar in ähnlicher Weise eingeführt, gegen Ende hat er sich jedoch wieder zum übermächtigen Herrscher entwickelt, zu dem der daniederliegende Beckmann in der entsprechenden Einstellung auch physisch aufblicken muß. So mahnt Gott: „… es hat mich schon einmal gereut, ich erinnere euch an Noah, ich warne dich, wenn du mich begreifst, wirst du mir danken.“ Dabei schreitet die Gottesfigur an einer Menge offensichtlich frisch hergestellter Glocken entlang. Am Anfang des Films sah man am Elbufer einige zerstörte bzw. umgefallene Glocken in düsteren Bildern liegen. Demgegenüber symbolisieren die zahlreichen hellen und geordneten Glocken zum Schluß: das Himmelreich ist wieder intakt und Gott kann in tradierter Strenge den Menschen auf sein Weiterleben und sein Schicksal verpflichten. So wird aus der negativ-blasphemischen Theodizee bei Borchert die Reinstallation der Gottesautorität jenseits aller Erfahrung in „Liebe 47″. Der Neuanfang von Anna und Beckmann wird hier sozusagen auf „höchster Ebene“ vorweggenommen. (Vgl. Sequenz 29 b) Die Tendenz zur letztlich abgerundeten Liebesgeschichte zeigt sich auch in der Darstellung der „realen“ Nebenfiguren. Diese sind bei Liebeneiner ungleich zahlreicher und bilden mehr oder weniger eine Staffage im Sinne des großen Ufa-Films – besonders deutlich in der Figur der ewig nörgelnden Zimmerwirtin Annas (Grethe Weiser), die beim Anblick des Rußlandheimkehrers freilich doch noch läutert und sich fortan von ihrer besten Seite zeigt.

So erweist sich „Liebe 47″ bis in viele Details hinein als versöhnlich, ja zum Schluß optimistisch und hoffnungsvoll. Die mehr oder weniger deutlich angerissenen Zeitprobleme – Zerstörung, Verlust von Menschen, Flucht, Fronterlebnisse, Gefangenschaft etc. – werden, sofern überhaupt „real“ gezeigt, nur aufgehäuft, als Belastung deutscher Opfer genannt, keine kritische Diskussion, kein Versuch einer „Vergangenheitsbewältigung“.[1] Stattdessen die Verdrängung der Vergangenheit durch die neue persönliche Verantwortung in der Paarbindung. Der Aufschrei einer geistig-moralischen Obdachlosigkeit in „Draußen vor der Tür“ weicht so dem optimistischen Neuanfang in „Liebe 47″, wobei sich die Konturen einer neuen kleinfamiliären Identität abzeichnen, die gekennzeichnet durch ein unpolitisches Selbstverständnis und den Rückzug ins heimelige Interieur, ein Stück Mentalität der späten vierziger Jahre wiedergeben. Man beginnt, sich wieder häuslich einzurichten.


[1] Wie politisch unreflektiert die Vergangenheit teilweise dargestellt wird, zeigt nicht zuletzt die unkommentiert bleibende Äußerung des bereits erwähnten, durchweg sympathisch dargestellten ostelbischen Adligen, der das nahende Ende des Krieges kommentiert: „Wir waren die Herren… jetzt kommt die Masse“, was man jenem „Gefreiten aus Braunau zu verdanken“ habe.

 
Herr Theaterbesitzer:

Die Tatsachen sprechen für sich

„Liebe 47“ wird mit einer Leidenschaftlichkeit diskutiert, wie sie nur vor dem wahren Kunstwerk entflammt. Kein deutscher Film hat Politiker, Wissenschaftler, Künstler, die Kirchen, Arbeiterschaft und Jugend so gewaltig ergriffen, wie „Liebe 47“.

„Liebe 47“ ist keine nervenaufreibende Reportage der Vergangenheit im berüchtigten Konjunkturstil, sondern das mitreißende Bekenntnis zum Leben und die erhebende Meisterung eines Themas über die Zeiten hinweg. Nach dem Urteil der Fachwelt wird der Film seine Wirkungen in Zukunft noch vertiefen!

„Liebe 47“ hat das überwältigende Dokument eines Frauenschicksals entrollt, wie es Millionen, die ähnliches erfuhren, nah am Herzen lebt. Deshalb ist die Wirkung dieses Films auch so unmittelbar!

„Liebe 47“ ist der vielbewunderte Wurf einer genialen filmschöpferischen Phanatasie, die geistreichende Experimente nicht nötig hat, um einen bleibenden Eindruck zu erzielen. Der Film schöpft aus der unzerstörten und unzerstörbaren Substanz des deutschen filmkünstlerischen Schaffens.

„Liebe 47“ zeigt den Weg einer Frau, der nichts im Leben erspart bleibt – den Weg an fünf Männern vorüber zu jenem Sechsten, der ihre mütterliche Bereitschaft weckt und das Leben zur löhnenden Aufgabe macht. Dieses leidenschafterfüllte Thema erklärt allein schon die starke Anteilnahme der Besuchermassen.

„Liebe 47“ spielt in Hamburg, Berlin, Ostpreußen und Oberbyern. Der Film bringt Hafenmilieu und Hochgebirgswelt,  Herrenhof und Massenquartier, Luxus und Fabrikarbeit, Sauberkeit und Kriminalität – eine Fülle verschiedenster Bilder und Visionen. „Liebe 47“ steht über jeder landschaftlichen, weltanschaulichen und konfessionellen Gebundenheit – es ist der Spitzenfilm von deutsche und gleichzeitig übernationaler Bedeutung.

Aus dem Werbeprospekt der Filmaufbau un des Panorama Verleih


Der folgende Text gibt in Auszügen einen Leserbrief des Regisseurs Wolfgang Liebeneiner an das Elite-Film-Magazin, Zürich, vom Oktober 1949 wieder. Liebeneiner äußert sich darin zu den eigenen Erfahrungen mit der Filmzensur unter dem Nationalsozialismus und gibt Anekdoten aus seinen diesbezüglichen Gesprächen mit Propagandaminister Joseph Goebbels. Liebeneiner gibt an, Goebbels hätte seinen Filmen die gleichen geschmacklichen Einsprüche entgegengebracht, wie sie der Kritiker des Elite-Film-Magazins gegen Liebeneiners ersten Nachkriegsfilm „Liebe 47″ geäußert habe.

“ (…) Dann jedoch entdeckte er (Josef Goebbels, d.V.), daß die deutschen Künstler genau wie in den Tagen von ‚Dr. Caligari‘, dem ‚Müden Tod‘ und ‚Faust‘ einen Hang zum Transzendentalen und Irrealen besaßen, der sich im direkten Gegensatz zu jenen volkserzieherischen Maßnahmen befand, die ein Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda den Deutschen angedeihen lassen wollte, denn die Deutschen sollten ja eine nüchtern und harte, der realen Welt zugewandte Nation werden. Der Expressionismus, jene urdeutsche Dichtung, die schon bei Matthias Grünewald ihre frühesten Blüten getrieben hatte, wurde als ‚entartete Kunst‘ bezeichnet und verfemt.(…)“.

Liebeneiner schildert anschließend die Zensurprobleme seiner beiden Filme „Yvette“ (1937/38) und „Du und ich“ (1938).

„Dann erklärte er (Josef Goebbels, d.V.) mir, daß die Kamera ja nur das aufnehmen könne, was es in der Wirklichkeit zu sehen gäbe, daß der Film der Technik verhaftet sei, und darum müsse der Film auch realistisch bleiben, und je realistischer er sei, desto näher käme er der wahren Filmkunst.

Das war das genaue Gegenteil dessen, was sich die deutschen Künstler von jeher unter Film vorgestellt hatten, und was die besten deutschen Filme wie überhaupt die beste deutsche Kunst von jeher ausgezeichnet hatte. Ich war tief betroffen, und als Goebbels dann in einer öffentlichen Rede meinen Film (‚Du und Ich‘, d.V.) zitierte, um daran nachzuweisen, was entartete und was echte Kunst sei, merkte ich, daß die politische Fuchtel, die wir im Film gar nicht so sehr zu spüren bekamen, halb so schlimm wie die weltanschauliche war, die sich in drakonischen Kunstgesetzen auswirkte.“

Die von ihm realisierten Filme „Bismarck“ (1940), „Ich klage an“ (1941) und „Die Entlassung“ (1942), die allesamt stark propagandistische Züge tragen, werden von Liebeneiner nicht erwähnt.

„(…) Als ich nun nach dem Kriege meinen ersten Film drehte, ‚Liebe 47‘, nach jenem Stück des jung verstorbenen Wolfgang Borchert, das als echtes deutsches Theaterspiel im Reich des Transzendentalen und des Jenseitigen spielt, da war ich froh, daß diese Fesseln abgeschüttelt waren, und daß wir nun dort wieder anknüpfen konnten, wo die tiefsten Wurzeln unserer Kunst liegen. Anna, die Frauengestalt, die ich zu dem Stück meines Freundes Borchert nach seinem Tode hinzuerfunden habe, wenn auch auf Grund unserer Gespräche über eine Verfilmung, ist als Frau ganz dem Diesseits und der Realität verhaftet. Beckmann jedoch, der heimkehrende, junge Soldat, an den Rand seiner Existenz geschleudert, ringt nicht nur mit dieser Welt, sondern auch mit jener, in der seine Seele zuhause ist und in der ihm Gott und Tod im Traum begegnen, denn ein richtiger Deutscher lebt eben nur zum Teil in der Klarheit und in dem Bewußtsein, zum Teil lebt er im Unterbewußtsein, in der Sehnsucht und in seiner Phantasie. Das ist seine besondere Kraft im Guten und seine besondere Kraft im Bösen. Aber wenn ich einen echten Deutschen zeigen will, so darf ich das nicht vergessen. (…)

Darum war ich aufs höchste erstaunt, als mir der Schweizer Kritiker Rothenhäusler, der den Film scharf ablehnte, als Begründung für diese Ablehnung fast wörtlich die gleichen Argumente vorbrachte, mit denen Dr. Goebbels meinen Film ‚Du und ich‘ abgelehnt hatte. (…)“


Auszug aus einem Leserbrief von Wolfgang Liebeneiner. Abgedruckt unter dem Titel „Wolfgang Liebeneiner und Josef Goebbels“ in: Elite-Film-Magazin, Zürich, Oktober 1949

(…)
FRAGE: Ihr erster Film war also LIEBE 47. Der Film weicht ja deutlich ab von der literarischen Vorlage – und zwar in einer sehr charakteristischen Weise: es gibt eine zweite Hauptrolle, Anna, gespielt von Hilde Krahl. Eine solche Frauengestalt, mit diesem Gewicht, ist in Borcherts Stück nicht enthalten. Wurde über diese Verän­derung gegenüber dem Stück diskutiert? Was hat man sich davon versprochen? Welche Rolle hat der Regisseur Wolfgang Liebeneiner dabei gespielt?
ABICH: Wir wollten nicht die ganze „Realisierung“ von Literatur, sondern waren der Meinung, daß Film immer eine Art „Umsetzung“ ist, und damit auch Veränderung. Die Änderungen gingen zurück auf Liebeneiner, der das Stück ja bereits in Hamburg inszeniert hatte, und auf einen zweiten Drehbuchautor (Kurt Joachim Fischer), der die Figur der Anna „zum Blühen“ brachte. Wir haben uns dieser Veränderungen nicht geschämt, denn wir wußten: das waren zwei Dinge, Film und Theaterstück.
Außerdem hätten wir den „reinen“ Borchert bei keinem Verleiher unterbekommen. Nur die Figur der Anna hat den Film beim Verleih möglich gemacht.
Allerdings: Trotz dieser Figur ist der Film zwar viel besprochen, aber wenig besucht worden. Das hing wohl auch damit zusammen, daß das Publikum diese Trümmer und auch die Schuldabtragungsfrage zu dieser Zeit nicht mehr wollte.
Borchert war für unsere Generation fast etwas zwischen Pflicht und Begeisterung. Wir mußten doch etwas abarbeiten an Thematik. Für Liebeneiner war es ein Stoff, mit dem er sozusagen eine neue „Liebeneiner-Zeit“ eröffnen wollte, denn er war ja Produktionschef der Ufa gewesen.
FRAGE: Kann man Liebeneiner als Regisseur paradigmatisch sehen für ihre Situation damals: neue Themen mit alten Leuten?
ABICH: Ja.
FRAGE: Sie hatten auch keine Schwierigkeiten, ihn zu engagieren?
ABICH: Nun, gleichzeitig lief ein Entnazifizierungsverfahren gegen ihn. Davon waren wir abhängig. Es lief sonderbar gut, denn er wurde von der zuständigen Spruchkammer freigegeben. Das imponierte uns. Im übrigen: Schon als Studenten in Berlin erschien uns Liebeneiner, den wir ja nicht persönlich kannten, von seiner Arbeit her als „Individualist“.
FRAGE: Liebeneiners Film LIEBE 47 spendet – im Gegensatz zu Borcherts Stück, das den Leser mit vielen offenen Fragen allein läßt – Trost, gibt Antworten und endet schließlich in einer Art „kleinbürgerlicher Harmonie“. Die Verantwortung, die vorher gesellschaftlich war, wird übernommen in eine private Verantwortung der Zweisam­keit. Hatte diese Funktion des Trostspendens etwas zu tun mit ihren Erziehungszielen?
ABICH: Ja, genau dies muß uns wohl damals „bestochen“ haben. Denn hätten wir aufgehört mit „Gibt denn keiner Antwort“, hätte uns diesen Film kein Verleiher abgenommen. Aber wir standen auch selbst zu diesem Schluß, denn wir dachten, wir könnten ein Publikum nicht dahin führen, wo es noch gar nicht ist. Wir hatten auch Angst vor jedem „Heroismus“, auch vor dem warnenden. Wir fanden diese Schlußszene seltsam klein, aber gut gelungen (…)“

 


Zitiert nach: Lichtspielträume. Kino in Hannover 1896 – 1991, hrsg. von der Gesellschaft für Filmstudien e.V., Hannover 1991. Darin: Zeigen, wie es sein soll. Ein Gespräch mit Hans Abich, S. 57-68. (Auszug)

Vorbemerkung zur zeitgenössischen Rezeption von LIEBE 47

Bereits Wolfgang Borcherts Hörspiel „Draußen vor der Tür“, das am 13. Februar 1947 im Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR) erstmals gesendet worden war, hatte in der Öffentlichkeit ein starkes, uneinheitliches Echo hervorgerufen, dessen Bandbreite von kategorischer Ablehnung bis zu vehementer Zustimmung reichte. So war es von vornherein abzusehen, dass auch das Resultat der Verfilmung des Stoffes durch Wolfgang Liebeneiner beinahe zwangsläufig in der Diskussion stehen würde. Diese entzündete sich denn auch bald nach der Uraufführung am 7. März 1949 im Göttinger „Capitol“ in den Tageszeitungen und Filmzeitschriften, wobei hier auf zwei Gesichtspunkte, die in den Rezensionen Beachtung fanden, eingegangen werden soll, um eine Orientierung zu erleichtern – zum einen auf die Auseinandersetzung mit der Person des Regisseurs Liebeneiner, zum anderen auf die Kritik an der formalen und inhaltlichen Umsetzung der Literaturvorlage -, bevor abschließend der Gesamteindruck, den LIEBE 47 bei den zeitgenössischen Kritikern hinterließ, skizziert wird.


Die Debatte um Liebeneiner

Wolfgang Liebeneiners Rolle als Regisseur von LIEBE 47 wurde in der Presse entweder gar nicht problematisiert oder war heftig umstritten. Dabei ging es nicht um seine fachlichen Qualitäten, die – wenn auch mit Abstrichen vor allem bei der Länge des Films – nicht angezweifelt, sondern im Gegenteil gelobt wurden. So erscheint er z. B. als „ein genialer Regisseur“ (K 11), der „alle Register seines Könnens“ (K 5) ziehe. Gegenstand der Kontroverse war vielmehr die Frage, ob Liebeneiner angesichts seiner hohen Position im nationalsozialistischen Filmwesen die geeignete Person für die Arbeit an Borcherts Stück gewesen sei. „Der neue Film “ meinte hierzu: „Wer sich der Taten von gestern erinnnert, neigt dazu, die Frage zu verneinen. Wer aber das fertige Werk erlebt hat, der neigt weit mehr dazu, ihm vor der einzigartigen künstlerischen Tat des Heute das Gestern zu vergeben. Dieser Film ist die absolute Rechtfertigung einer künstlerischen Ausnahmerscheinung. Und das wiegt vieles auf.“ (K 4) Diese versöhnliche Haltung fand natürlich Widerspruch. So wurde einerseits angemerkt, dass ein Thema wie das in LIEBE 47 behandelte nur von denjenigen, die am eigenen Leibe den Ernst des Krieges erfahren hätten, angemessen dargestellt werden könne (Vgl. K 14).

Härter argumentiert die „Gießener Freie Presse “ vom 19. März 1949, die energisch die Tatsache kritisiert, „dass der ehemalige Filmprofessor des Propagandaministeriums wieder Gelegenheit hat, im Schutthaufen der großen Zeit, in der er seine preußischen Monumentalgemälde in den Kinos ,künstlerisch und staatspolitisch wertvoll‘ projizierte, von neuem zu kurbeln (…).“ Diese Kritik wird noch mit der künstlerisch-moralischen Wertung unterstrichen, der Film sei „die Verfälschung der Idee“ Borcherts und verrate „den Freund mit falschen Tönen von vorgestern.“ (K 1) Nur die Stärke des Borchertschen Stückes bewahre es vor der „Gefahr der Verniedlichung“ (K 6).


Die Kritik an der formalen und inhaltlichen Umsetzung der Literaturvorlage

Die formale Transformation von Stück zu Film wird insgesamt differenziert betrachtet. So weist „Der neue Film “ (K 4) darauf hin, daß der Film „im Grunde aus zwei Teilen“ bestehe, die „nicht ohne spürbare Naht aneinandergefügt“ seien, wobei der erste Teil, die Erzählung Anna Gehrkes, „ein monotoner Rapport“ sei. In ähnlicher Weise äußert sich der Kritiker der „Abendpost“ aus Frankfurt, der den gelegentlich fehlenden Brückenschlag „zwischen der realistischen Anna-Geschichte und der visionären Beckmann-Geschichte“ beklagt (K 2). Hingegen attackiert die „Gießener Freie Presse “ die gesamte Komposition des Drehbuchs, indem sie zwar einräumt, die „Verfilmung der Dichtung“ scheine „nach den ersten Urteilen künstlerisch tragbar zu sein“, aber den Film dennoch – auch auf den Inhalt eingehend – folgendermaßen wertet: „Randfiguren des Dramas werden über ihre Substanz hinaus in einer klischierten Rahmenhandlung zum peinlichen Aufsatz der von Borchert realistisch gezeichneten Bilder.“ (K 1) Gegenteiliger Ansicht ist das „Film-Echo“ vom 20. März 1949, das positiv vermerkt, Liebeneiner habe „die Figur des daseinskranken, müden Beckmann (Karl John) aufgelockert durch das dramatische Schwergewicht, das er auf die Gestaltung der ,Anna‘ (Hilde Krahl) legte. Das war zweifellos ein kühnes Unterfangen (…). Aber der Wurf gelang, sowohl nach der dramatischen wie auch nach der zeitanschaulichen Seite.“ (K 5) Mit dem letzten Teil des Satzes spielt der Rezensent auf die seines Erachtens gelungene Fortschreibung der Handlung im Film an, nachdem er Liebeneiner bereits attestiert hat, „diesen Stoff sehr eigenwillig, aber im Sinne von Borchert, mit dem ihn manche Unterredung verband, gestaltet“ zu haben (K 5). Die „Abendpost“ argumentiert in der gleichen Richtung, aber mit anderem Mittel, indem sie die psychologische Wichtigkeit des Filmendes hervorhebt – das „zwar kein offenkundiges ,happy end’“ sei, „aber einen bewußten Optimismus gegenüber dem ,Morgen‘ ausdrückt, wenngleich eine tiefe Melancholie darüber lagert“ (K 5) – : „Liebeneiners Schluss, das ,Drinnen im Zimmer‘, war für das Filmparkett von Anno 49 notwendig. Das ,Draußen vor der Tür‘ hätte niemand mehr ertragen.“ (K 2) Der Regisseur selbst hat auf einer Diskussionsveranstaltung zu LIEBE 47 über den Schluss gesagt, „das Problem sei gewesen, den Aufschrei der Verlassenheit zu überwinden, und er, Liebeneiner, habe (…) keine andere ehrliche Antwort gefunden als diese: zwei Menschen zu zeigen, die gut zueinander sind und die nicht die Welt verbessern wollen, sondern sich selbst. In diesem Sinne solle sein Film ein Aufruf an den Menschen sein, erst einmal in dem eigenen verantwortlichen Umkreis durch gegenseitiges Verstehen und Helfen das Gute zu tun.“ (K 3) Gegen dieses Anliegen, gegen die „Gefahr der Verniedlichung“ wurde aufs schärfste protestiert, durch den „mütterlich-versöhnenden Schluss“ werde der Film Borcherts Aussageintention nicht gerecht, es sei nicht recht, „aus etwas ein Positivum zu machen, das kein Positivum sein kann“ (K 6). Das Stück Borcherts eigne sich gerade nicht für den Rückzug ins Private, die der Film propagiert, für „jene Sorglosigkeit, aus derem Schoß die Katastrophen kommen. Daran sind Beckmann, Borchert, ist ein ganzes Volk gescheitert. Man sollte das Unglück nicht durch Harmlosigkeit beleidigen.“ (K 1) Es wird deutlich, dass die Argumente beider Seiten sich zwar unvereinbar gegenüberstehen, aber als Gemeinsames die Sorge um die Zukunft in sich tragen.

Gesamtbewertung des Films durch die Kritik

Bei der Unterschiedlichkeit der Urteile über die Aussage des Films kann es nicht verwundern, dass sich auch die Resümees deutlich voneinander unterscheiden – während die darstellerischen Leistungen nahezu einhellig gelobt werden -: für die einen „ein Meisterwerk“ (K 4), „ein Film, den jeder sehen müsste!“ (K 2), „der ehrlichste, sauberste, künstlerisch überzeugendste und aufrichtigste deutsche Nachkriegsfilm“ (K 2), „der Film, der auch noch in Jahrzehnten Gültigkeit hat“ (K 13), „ohne Zweifel der in jeder Hinsicht kühnste, tiefste, aufwühlendste und anspruchsvollste deutsche Nachkriegsfilm.“ (K 15) Diejenigen Kritiker, bei denen die Aussage des Films auf Ablehnung gestoßen war, hatten zwangsläufig kein Interesse daran, Hymnen anzustimmen, sondern konzentrierten sich darauf klarzumachen, welchen Wert sie dem Film beimaßen: „Hoffentlich ist wenigstens ein Teil des Publikums aufmerksam genug und lässt die ,Liebe 47′ nicht ewig währen.“ ( K 1, vgl. auch  (K 6)

Das Publikum entsprach im übrigen diesem Wunsch weitgehend. Nach anfänglichen Erfolgen (Vgl. K 11) wurde schnell deutlich, daß LIEBE 47 am Geschmack des Publikums vorbei produziert worden war. Manches deutet darauf hin, dass die Menschen im Jahre 1949 bereits soviel Abstand zwischen sich und die materiellen und psychischen Notzeiten im Krieg und nach dessen Ende gebracht hatten oder dies versuchten, dass niemand daran interessiert war, noch einmal in den Schrecken zurückversetzt zu werden (Vgl. (K 6), K 8, K 9), weshalb nicht einmal der leise Aufbruchstimmung verbreitende Filmschluss in der Lage war, die Schablone von Not und Elend, die er als Hintergrund brauchte, erträglich scheinen zu lassen.

Verrat an Wolfgang Borchert
Wolfgang Liebeneiner verfilmte „Draußen vor der Tür“ – „Liebe 47“ hoffentlich keine ewige!

Der Trümmerfilm scheint unsterblich zu werden. Er ist immer noch das Steckenpferd einfallsloser Regisseure. Dabei sind Trümmer gar kein schlechter Stoff. Alles, was geschieht oder meist nicht geschieht, geht vorerst auf Krücken. Aber billig ist das nicht. Jedenfalls nicht so kostenlos wie der fotografierte Katzenjammer des Lebens. Seit Jahren kehren in den deutschen Filmfabriken ganze Armeen heim. Vom Schützen bis hin zum General finden sie tapfer ins Leben zurück, gut beleuchtet, von der Kamera nach allen Seiten ausgenommen und von Schlagerschreibern aufrüttelnd versonnt. Die wenigen Filme, die den richtigen Ton trafen, haben das Maß des Erträglichen längst vollgemacht.

Trotzdem wird weiter unbekümmert auf Zelluloid heimgekehrt. Auch Wolfgang Liebeneiner kann nicht anders, als hinter der ruinierten Fassade der Gegenwart nach lohnenden Effekten zu suchen. Dass der ehemalige Filmprofessor des Propagandaministeriums wieder Gelegenheit hat, im Schutthaufen der großen Zeit, in der er seine preußischen Monumentalgemälde in den Kinos „künstlerisch und staatspolitisch wertvoll“ projizierte, von neuem zu kurbeln, gehört zu den Merkwürdigkeiten, die einen Kommentar nicht mehr lohnen. Sein neuester Film „Liebe 47“, in Göttingen erstaufgeführt, fordert aber zur Ehre des toten Wolfgang Borchert kritische Anmerkungen heraus. Die Tatsache der Verfilmung der Dichtung steht hierbei nicht in Frage. Sie scheint nach den ersten Urteilen künstlerisch tragbar zu sein. Was aber nicht ohne Widerspruch hingenommen werden kann, ist die Verfälschung der Idee. Borcherts „Draußen vor der Tür“ ist eine einzige Frage. Als Zeitstück führt es die Literatur der letzten Jahre an. Es ist vom Dichter nicht anders bewertet worden, als eine erste Empörung des gequälten Gewissens gegen menschliche Gleichgültigkeit. Eine Antwort darauf gibt es nur in der Einsicht und Wandlung der Zeitgenossen, an die diese Frage gerichtet ist. Auch Liebeneiner bemüht sich um die Antwort. Aber er, ein Freund Borcherts, verrät den Freund mit falschen Tönen von vorgestern. Die „Film-Illustrierte“ Nr. 8 / 49 bringt Aufnahmen der angelaufenen „Liebe 47“, die die filmische Ausbeutung der Szenen Borcherts zeigen und die Antwort des sein Publikum nicht sehr hoch wertenden Regisseurs Liebeneiner geben. Diese Antwort auf des toten Dichters Frage: Gibt denn niemand Antwort?, sieht so aus: Randfiguren des Dramas werden über ihre Substanz hinaus in einer klischierten Rahmenhandlung zum peinlichen Aufsatz der von Borchert realistisch gezeichneten Bilder. Das Film-happy-end bringt die Rückkehr in die bürgerliche Behaglichkeit, in das traute Heim: Plüschsofa, Stehlampe, Radio, liebendes Mädchen – nichts ist vergessen. Unterschrift (vom Filmfoto wörtlich zitiert): „Das letzte ist gesagt, es gibt keine Maske, keine Täuschung mehr.“ Das letzte ist also wieder die Welt, in der Uffz. Beckmann und mit ihm Millionen einmal Schiffbruch erlitten. Jene Sorglosigkeit, aus deren Schoß die Katastrophen kommen. Daran sind Beckmann, Borchert, ist ein ganzes Volk gescheitert. Man sollte das Unglück nicht durch Harmlosigkeit beleidigen. Ganz besonders Wolfgang Liebeneiner hätte keine Ursache dazu. Oder ist es etwa Absicht?

Hoffentlich ist wenigstens ein Teil des Publikums aufmerksam genug und lässt die „Liebe 47“ nicht ewig währen.

Drinnen im Zimmer: ein neuer Glaube
Wolfgang Liebeneiner ging neue Wege

„Draußen vor der Tür“ wurde zum Filmproblem

Wunden, die die Zeit heilt, kann die Kunst nicht wieder aufreißen. Sie müsste es zuweilen, um zu voller Wirkung zu kommen. Sie hätte es tun müssen, um der Verfilmung von Borcherts Zeitstück „Draußen vor der Tür“ jene tiefgreifende, im Grunde genommen apathische, lähmende Resonanz zu schaffen, der das Theaterstück ursprünglich entgegenstrebte.

Man suchte einen Mittelweg. Man fand ihn, indem man den Wirkungsgehalt der Borchert´schen Dichtung oder dessen, was an Borcherts Werk Dichtung ist, unter psychologische Voraussetzungen stellte, die dem inzwischen vollzogenen Zeitenwandel gerecht werden.

Borcherts Stück war Verzweiflung 45/46. Daraus hat man „Liebe 47“ gemacht, der Titel besagt´s. Den fertigen Film sieht man heute, Anno 49. Darin liegt die Problematik dieser Schöpfung. Sie steht im bedrohlichen Schatten des „zu spät“.

Die Zeit hat die Belehrbaren von den Unbelehrbaren bereits geschieden, jetzt, da die Wunden der Vergangenheit grob geheilt sind. Die Belehrbaren haben bereits begriffen, was dieser Film ihnen noch einmal begreiflich machen will, und die Unbelehrbaren leiden unter seiner Länge. Unter der Klage, unter dem Schrei von gestern und der engen, illusionslosen Hoffnung von morgen. In diesen Zwiespalt hinein, muss man die Publikumswirkung dieses Wolfgang-Liebeneiner-Films stellen. Denn er hat eine einjährige, intensive Arbeit und rund 1,2 Millionen Mark gekostet. „Liebe 47“ ist der ehrlichste, sauberste, künstlerisch überzeugendste und aufrichtigste deutsche Nachkriegsfilm. Er wird in den Großstädten Bewunderung hervorrufen und das Gemüt der Skeptiker mit neuer Hoffnung füllen. Aber er wird schwerlich das einbringen, was er kostete. Und er wird im Ausland nicht jene Wirkung erzielen, die man sich verschiedentlich von ihm versprach. Denn was da künstlerische Gestaltung fand, ist im Grunde nur jenen recht begreiflich, die das Grauen erlebt haben, die mit dabei waren, die Anteil hatten und mitlitten, mithofften, die einmal so verloren waren wie, Unteroffizier Beckmann, so verzweifelt, wie Anna Gehrke.

Wie kann jemand die Kabarett-Wirkung des Liedes von der kleinen Soldatenfrau begreifen, der die Propaganda-Wirkung des Wilhelm-Striez-Liedes vergangener Wirklichkeit nicht erlebte?

Liebeneiners Gestaltung hat Längen, große Augenblicke, ist am stärksten in den Traumvisionen und klar und präzise in der Schilderung des Schicksals der Anna. Die Brücke zwischen der realistischen Anna-Geschichte und der visionären Beckmann-Geschichte, die in ihren stärksten Augenblicken nur aus grauenhaften Träumen wächst, ist freilich nicht immer geschlagen. Was der Dichter getrennt hat, kann sein Freund schwer zusammenfügen. Liebeneiners Schluss, das „Drinnen im Zimmer“ war für das Filmparkett von Anno 49 notwendig. Das „Draußen vor der Tür“ hätte niemand mehr ertragen.

Großartige schauspielerische Leistungen trugen den großen künstlerischen Erfolg. Hilde Krahl als Anna, wunderbar in den Ausbrüchen, lobenswert taktvoll in ihrer zurückhaltenden Art. In warmen lebensvollen Tönen, bot sie dem Beckmann Karl Johns ein ebenbürtiges Pendant.

Hervorragend die Chargen: Erich Ponto, der als Gott, an den keiner mehr glaubt, im Film gefährlicher als auf der Bühne, Albert Florath als Beerdigungsunternehmer, Hubert von Meyerrinck blendend in der Rolle des Kabarett-Direktors, Grete Weiser, wunderbar glaubhaft und menschlich als unausstehlich ausstehliche Zimmerwirtin, fern jeder ihr naheliegenden Schablone. Ein meisterlicher Film, alles in allem, gefährlich und unter mancherlei Aspekten diskutabel, ein Film, den jeder sehen müsste!

Willy H. Thiem

Liebeneiner gibt Antwort

Auf einem Diskussionsabend der „Theatersammlung“ der Hansestadt Hamburg, zu dem Gerhard Sanden, der Feuilletonchef der „Welt“, mit seinen Ausführungen über „Unser Leben als Filmstoff“, über das noch nicht geformte Menschenbild unserer Zeit sowie über Forderungen an den echten Gegenwartsfilm Basis und Anregung gab, erläuterte der Regisseur Wolfgang Liebeneiner, inwiefern er auf die Frage Beckmanns aus Borcherts Dichtung „Draußen vor der Tür“ in seinem Film „Liebe 47“ habe eine Antwort geben wollen.

Auf seinem Krankenlager habe er Wolfgang Borchert aufgesucht und mit dem Dichter, der vor seinem Tode zu einer wunderbaren Harmonie mit der Welt gelangt sei, die Möglichkeiten einer Verfilmung des Beckmann-Stoffes besprochen. Das Problem sei gewesen, den Aufschrei der Verlassenheit zu überwinden, und er, Liebeneiner, habe, als er die realistische Lebensgeschichte Annas neben die metaphysischen Schreckensvisionen stellte, keine andere ehrliche Antwort gefunden als diese: zwei Menschen zu zeigen, die gut zueinander sind und die nicht die Welt verbessern wollen, sondern sich selbst. In diesem Sinne solle sein Film ein Anruf an den Menschen sein, erst einmal in dem eigenen verantwortlichen Umkreis durch gegenseitiges Verstehen und Helfen das Gute zu tun. Das sei seine Antwort auf Beckmanns Frage gewesen. Außerdem habe er am Schicksal der Frau das Unrecht einer gar zu männlichen Welt aufzeigen wollen.

Liebeneiner gab zu, dass ihm künstlerisch (beispielsweise in den Traumphantasien) nicht alles so gelungen sei, wie er es sich gewünscht hätte. Aber leider sei er kein Maler, der dasselbe Motiv hätte neu malen können, und ein Produzent hätte ihm die Mittel für eine nochmalige Verfilmung des Stoffes bestimmt nicht gegeben. Das französische System des Mäzenatentums, das aus Liebe zur Filmkunst das notwendige Geld zur Verfügung stelle, sei in Deutschland bisher leider unbekannt. Die finanzielle Unabhängigkeit sei jedoch wesentliche Voraussetzung für die mutige Gestaltung wirklichkeitswahrer Zeit- und Menschenbilder. Die Filmschaffenden befänden sich, so betonte Liebeneiner am Schluss, einer an Kontroversen reichen Debatte, in einem schwierigen Dilemma: denn man dürfe nicht übersehen, dass auch der Illusionsfilm ein echtes Bedürfnis des Publikums darstelle, das sich wenigstens auf Stunden dem harten Alltagsleben entziehen wolle. A. E. K.

Liebe 47

Wenn die ganze sogenannte Zeitfilmproduktion längst vergessen ist, wenn sich selbst „Ehe im Schatten“ nur als leise Erinnerung halten wird, wird dieser Film noch immer gegenwärtig sein wie kaum ein anderer der neuen deutschen Filmproduktion. Er ist ein Meisterwerk. –

Aus der Fülle von dramatischen Versuchen, das Geschehen der Zeit in künstlerische Formen zu bannen, aus den unnennbaren Schicksalen der Nachkriegsjahre, aus der Verlassenheit der Heimkehrenden, der Lebensnot der Davongekommenen, der Verzweiflung der Hoffnungsberaubten den Aufschrei zu formen: „Ändert diese Welt!“ – aus all diesen Versuchen hebt sich nur ein einziges Werk heraus, das eine dichterische Gültigkeit besitzt: Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“, das Stück, das „kein Theater spielen und kein Publikum sehen will“. Die Theater haben es gespielt, und das Publikum wollte es sehen: wenn es sich auch nur allzu gerne in eine Traumwelt flüchtete, brauchte es doch diesen Anruf, diese Manifestation der Zeit.

Und darum war es nur eine Folgerichtigkeit, wenn sich der Film dieses Stoffes vom Heimkehrer Beckmann bemächtigte. Dieser Film musste kommen. Aber: war gerade Wolfgang Liebeneiner der Mann, der dieses Thema behandeln durfte? Wer sich der Taten von gestern erinnert, neigt dazu, die Frage zu verneinen. Wer aber das fertige Werk erlebt hat, der neigt weit mehr dazu, ihm vor der einzigartigen künstlerischen Tat des Heute das Gestern zu vergeben. Dieser Film ist die absolute Rechtfertigung einer künstlerischen Ausnahmeerscheinung. Und das wiegt vieles auf. An dieser grundsätzlichen Einstellung ändern oder mildern auch die Bedenken nichts, die gegen die vorliegende Fassung des Filmes erhoben werden müssen – im Interesse des Werkes. Der Film ist mit seinen 3920 Metern viel zu lang geraten. Er schreit an einzelnen Stellen nach der Schere, der manche großartige Einzelheit geopfert werden muss, um die einzigartige Größe des Filmes schlackenlos erstehen zu lassen. Denn „Liebe 47“ besteht im Grunde aus zwei Teilen, nicht ohne spürbare Naht aneinandergefügt: Liebeneiner hat vor das Beckmann-Schicksal Borcherts das Schicksal der Frau Anna Gehrke nach Motiven von Kurt J. Fischer gesetzt. Aus dem Heimkehrerschicksal ist so ein Doppelspiegel der Zeit geworden. Zwei vom Leben in dieser Zeit Geschlagene denken an den Tod in der Elbe, zwei Menschen stehen für Millionen. Aber das Schicksal der Anna Gehrke hat spürbar kein Borchert gestaltet. Es bleibt ein monotoner Rapport, an dem auch die (größtenteils völlig überflüssigen und nur die Wirkung schwächenden) Rückblenden nichts bessern. Den Dialogen fehlt die dichterische Überhöhung, dem Bild oft die Verdichtung. Und nur die außergewöhnliche Gestaltungskraft Hilde Krahls hebt auch diesen Teil weit aus dem Rahmen des Üblichen.

Nach genau einer Stunde Spieldauer aber ist es, als käme Liebeneiener erst jetzt zum eigentlichen Ziel. Das Beckmann-Schicksal Wolfgang Borcherts bringt ihn zu einer Filmdichtung, wie sie erschütternder kaum gedacht werden kann. Da tun sich vor dem gequälten inneren Auge Beckmanns die Gräber auf: ein gespenstiger Zug von Soldaten aller Zeiten zieht (im Negativeffekt!!) vorüber, geisterhafte Stimmen murmeln, murren, meutern. Da steht plötzlich riesengroß vor dem Gewissensgequälten auf Krücken die Gestalt eines anderen, dessen Joppe er trägt, da wachsen aus dem Nichts Mütter, Frauen, Mädchen, Kinder, die nach ihrem Sohn, ihrem Mann, ihrem Geliebten, ihrem Vater fragen. Da bannen zwei glotzende Augen inmitten des Elbewassers (auch wenn man sich diese Montage noch klarer vorstellen könnte), da wirft es den träumenden Beckmann auf ein unwirklich verzerrtes Straßenpflaster, lässt die Menschen achtlos an ihm und seiner Not vorübergehen und nicht einmal die Hunde wenden ihren Blick nach ihm: Und da erscheint aus einem Meer von Glocken Gottvater und spricht mit ihm, dem Verzweifelten, den Zweifelnden, den Lästernden. Und da bannt schließlich ein Sternentraum alle Qual, alle Fragen, alle Zweifel: dem träumenden Beckmann, der noch eben in einer riesengroßen, dunklen Einsamkeit um Antwort bat auf die Frage, weshalb er noch leben soll, wird (im Gegensatz zu Borcherts Schluss) im Traum wie im Wachen die Antwort der Liebe.

Hätten kräftige Schnitte in den Rückblenden der Anna-Gehrke-Handlung schon viel Gutes gewirkt, so würde die eindringliche Kraft der Bildvisionen noch wesentlich gesteigert, wenn sie knapper, traumhaft rasch vorüberzögen. So ermüden sie, wo sie wecken sollen; ein Weniger wäre auch hier ein Mehr. Und wenn, was durchaus verständlich wäre, Liebeneiner zu seinem Werk nicht den nötigen Abstand hat, dann sollte ein Dritter den notwendigen Nachschnitt besorgen. Ist die Regieleistung Liebeneiners außergewöhnlich (er übertrifft mit ihr eindeutig alle seine Kollegen!), so ist es die Leistung seiner Darsteller nicht minder. Hilde Krahl, aus dem Mädchen zur jungen Frau gereift, gibt eine Lebensstudie von erschütternder Kraft: sie gibt, von ihrem Gatten geführt, hier ihre bisher beste und wohl kaum wiederholbare Leistung. Erstaunlich, wie Karl John hier den Weg zum Charakterspieler findet: seine schwierige Rolle findet in dem grausig-unwirklichen Chanson ihren Höhepunkt. Aus der Fülle der Gesichter müssen vor allem genannt werden: Paul Hoffmanns Oberst – eine meisterliche Charakterstudie! -, Erich Pontos (an sich mehr als problematische) Verkörperung des lieben Gottes, Albert Floraths gemästeter Tod, Hubert v. Meyerincks Kabarett-Direktor, Grethe Weisers Zimmervermieterin und Helmut Rudolph. Die Musik H. M. Majewskis hat leider zu wenig eigenes Gesicht: ihr Hauptthema ist fast ein leichtes Beethoven-Plagiat und ihre jazzsinfonische Traumkulisse der einzige krasse Missgriff in dem sonst so geschlossenen Filmganzen. Hier, wo die Technik Liebeneiner spürbar im Stich lässt und ihn zu schlechten Schnitten und ermüdendem Sternchenflimmer zwingt, ist die Achillesferse des Werkes.

Dass niemand die bannende Bildkraft Franz Weichmayrs vergessen wird, ist bei einem Könner von seinem Format selbstverständlich. Dennoch bedeutet seine Kameraarbeit auch für ihn einen Höhepunkt in seinem bisherigen Schaffen. Der Film wird dem Landtag von Schleswig-Holstein vorgeführt, um zu beweisen, dass Kino nicht immer „ein Vergnügen“ ist. Aber hoffentlich erkennt dieser – und nicht nur dieser Landtag – aus Liebeneiners „Liebe 47“ gemeinsam mit dem Publikum, dass zumindestens dieser Ausnahmefilm Kunst ist. Und handelt danach!

Walter Panofsky

„Liebe 47“ uraufgeführt

Im Göttinger „Capitol“ fand die Uraufführung des ersten Filmwerkes der Filmaufbau statt. Sie wurde zu einem eindringlichen Erlebnis. Neben offiziellen Ehrengästen, den Darstellern des Films, Hilde Krahl, Karl John, Wolfgang Liebeneiner sah man die Mutter des verstorbenen Wolfgang Borchert, aus dessen Feder der erschütternde zum Nachdenken zwingende Vorwurf stammt.

Es ist die Geschichte des aus Russland heimkehrenden Unteroffizier Beckmann, der aus der Eiswüste Sibiriens kommend, in der Heimat nur verschlossene Türen und Herzen findet, der sich mit seiner Verantwortung am Kriege quält und auf seine Frage nach Gott, Tod und Menschen keine Antwort erhält. Liebeneiner hat diesen Stoff sehr eigenwillig, aber im Sinne von Borchert, mit dem ihn manche Unterredung verband, gestaltet. Er hat in seiner filmischen Auffassung die Figur des daseinskranken, müden Beckmann (Karl John) aufgelockert durch das dramatische Schwergewicht, das er auf die Gestaltung der „Anna“ (Hilde Krahl) legte. Das war zweifellos ein kühnes Unterfangen, denn die dramatischen, wie auch darstellerischen Akzente verlagerten sich dadurch entgegen Borchert entscheidend. Aber der Wurf gelang sowohl nach der dramatischen wie auch nach der zeitanschaulichen Seite.

Auch sie, Anna, die den Beckmann auf einem Ponton an der Elbe trifft, will aus Müdigkeit ihr Leben beenden. Auch ihr Leben, das in seinen gravierenden Momenten filmisch überwältigend gestaltet wurde, führte zur tödlichen Einsamkeit zum Selbstekel und ratlosem Zweifel. Aber gerade sie kann zuerst erkennen, dass diese Einsamkeit nicht mehr besteht, wenn das Verstehen mit einem Schicksalsgefährten sie neutralisiert. So ist die Figur der Anna in der von Liebeneiner und Kurt-Joachim Fischer neugeschaffenen Fassung hoffnungsvoll – unweiblich aufgefasst. Sie ist bestimmend für den Schluss, der zwar kein offenkundiges „happy end“, aber einen bewussten Optimismus gegenüber dem „Morgen“ ausdrückt, wenngleich eine tiefe Melancholie darüber lagert. Darstellerisch und filmdramaturgisch stellt dieser Film ein Kunstwerk dar, das man in seinem bewegten Ablauf und durch sein anspruchsvolles Grundthema den Spitzenwerken Frankreichs gleichstellen kann. Sein unbekümmerter aber dennoch filmisch-disziplinierter Avantgardismus lässt uns für die Entwicklung des deutschen Films sehr viel erhoffen, wenn dieser Weg ohne Rücksicht auf Äußerliches weiter beschritten wird.

Hilde Krahl und Karl John, zwei Darsteller, die weit über das Maß des bisher Gesehenen hinauswachsen. Welch ein Erlebnis, dieser einsam, besessene, fordernd-fragende und lästernde Beckmann! Diese Anna, deren Augen und deren bewegter Mund mit sparsamsten Mitteln Ekel, Lebenshunger, Ratlosigkeit und – Liebe auszudrücken vermag -!

Unerhört packend die filmische Vision des „trommelnden Generals“, dieses „Beckmannschen Alpdrucks“, „der Mann im Rinnstein“, an dem das Leben vorübergeht, achtlos wie an einem Knäuel fortgeworfenen Papiers, die Vision der „sprechenden Elbe“! Liebeneiner zeigt alle Register seines Könnens. Das Ergebnis ist eine Meisterleistung. Bild, Ton, Realtricks, Rückblenden und der kluge Einsatz der Kamera (Franz Weihmayer) lassen erkennen, dass hier eine Entwicklung herangereift ist, deren erster Ansatz uns vor langen Jahren durch die „Nacht auf dem Kahlenberge“ und Fischinger aufgezeichnet wurden. Ein anspruchsvoller aber unerhört wertvoller Film. Darstellerisch ausgezeichnet Grethe Weiser, Hedwig Wangel, Albert Florath (Tod!), Erich Ponto (Gott!), Hubert von Meyerinck.

In allem ein filmischer Realismus, der auch (oder besonders?) im Ausland stärkste Beachtung finden wird. Das Premierenpublikum folgte dem Filmstreifen mit seltener Anteilnahme. An seinem Schluss stand eine ergreifende Stille vor dem dann folgenden einmütigen und anhaltenden Beifall.

St.

Unsere Filmseite

Man nehme einen Dichter …

Als wir „Draußen vor der Tür“ zum ersten Male im Rundfunk hörten, da waren wir sprachlos vor soviel Mut und – Verzweiflung des Menschen Borchert. Als wir dann den Film gesehen hatten, da verließen wir das Kino mit sehr zwiespältigen Gefühlen.

Nun, der Film lässt konservative Theateranhänger auf ihre Kosten kommen. Er weist einen dramatisch einwandfrei geknüpften roten Faden auf, der allerdings nicht wesentlich zur Vertiefung des Werkes beiträgt. Zu diesem roten Faden gehört aber auch eine in die Handlung hineingestellte Frauengestalt und schließlich ein positives Finale: Und das macht uns stutzig.

Es genügt nicht, dass man für einen Film eine Handvoll erstrangiger Schauspieler zusammenholt. Die Regie hat ein gewichtiges Wörtchen mitzureden, und die dem Film eigentümlichen Möglichkeiten dürfen nicht dazu verführen, seinen Gehalt zu überwuchern. Wir meinen, wen das Hörspiel und das Schauspiel nicht gepackt hat, sollte dem der Film ans Herz greifen? Ein Film, der in weite Kreise eindringen soll, muss anscheinend immer Konzessionen an das Publikum machen. Zwar gibt es kein happy end, immerhin jedoch einen mütterlich-versöhnenden Schluss, aber dieser Schluss genügt, die Macht der Borchertschen Anklage zu brechen, zumindest abzuschwächen. Wir bejahen das Stück heute so wie nur je, wir begrüßen jede Neubelebung, doch wir wehren uns dagegen, dass irgendwelche Abstriche gemacht werden. Um erhöhte Grausamkeit zu erwirken, genügt es nicht, die ohnehin schon beinahe unerträglichen Traumszenen mit filmischen Mitteln bis aufs Letzte auszuschlachten. Wollte denn Borchert den Menschen das Gruseln lehren? Es kommt nicht oft vor, dass ein Werk im Funk, auf der Bühne und auf der Leinwand vorgeführt wird. Aber es ist nicht recht, ein solches Werk dergestalt zu variieren und aus etwas ein Positivum zu machen, das kein Positivum sein kann. Es spricht für Borcherts Stück, dass es sich der Gefahr der Verniedlichung widersetzte, es spricht nicht für die Regie, dass sie es dieser Gefahr aussetzte.

Friedhelm Voß

Überholte Filme

Erst jetzt wird allmählich in vollem Umfang deutlich, was die Geldneuordnung den deutschen Film gekostet hat. Der Besucherandrang war plötzlich zu Ende, das kaum akkumulierte Kapital schmolz dahin, ebenso der Kredit. Die Ateliers, an sich schon gering in Zahl und Kapazität, stehen zum großen Teil leer. In dieser Lage ist es für die Produzenten besonders bedrückend, dass vom Publikum fast alle Filme abgelehnt werden, die in den der Geldneuordnung vorausgehenden Jahren spielen. In München geschah das kürzlich in demonstrativer Form. Als dort Wolfgang Liebeneiners „Liebe 47“, die Verfilmung von Borcherts Heimkehrerstück „Draußen vor der Tür“, aufgeführt wurde, schrie das Publikum energisch „Schluss!“ Kaum daß die Vorstellung noch zu Ende gebracht werden konnte. Selbst für einen Film, der der Trümmerkulisse so sorgsam aus dem Wege geht, wie „Du bist nicht allein“, lassen sich bei den Filmtheatern nur schwer Termine erzielen. Dieser Film erzählt das Schicksal einer jungen Kriegerwitwe, die sich von der Bindung an das Phantom der Erinnerung losringt und dem Ruf des Lebens an der Seite eines anderen Mannes folgt. Dass dieser Mann ein Heimkehrer ist und die Erzählung den kummervollen Ernst der ersten Nachkriegsjahre atmet, genügt schon, um dem Film den Weg zum Publikum zu erschweren. Barlogs „Wohin die Züge fahren“, eine Geschichte aus der Zeit der Tramps in Güterwagen, hat erst nach langer Zeit einen Verleiher gefunden. In Freiburg im Breisgau gedreht, wurde der Film dort schließlich von einem einzigen Kino gezeigt: als lokales Ereignis. Das Publikum fühlt sich den Zeiten der Personenbeförderung in Güterzügen schon zu fern, um daran noch ein aktuelles, und nicht weit genug entfernt, um daran schon ein historisches Interesse zu nehmen. In zehn oder zwanzig Jahre werden diese Filme vielleicht als Dokumente der Vergangenheit eine verspätete Anerkennung ernten. Im Moment bedeuten sie für manche Firmen den Ruin. Die von den Militärregierungen erzwungene Zersplitterung der Produktion zeigt sich hier von der nachteiligsten Seite.Ein Konzern kann das Versagen eines Filmes eher mit den Gewinnen aus anderen Filmen ausgleichen. Wenn aber bei einer der zu Dutzenden lizenzierten Zwergfirmen auch nur ein Film ausfällt, so steht sie sofort am Ende. Die Frage der künstlerischen Qualität spielt bei der rigorosen Ablehnung dieser Filme durch das Publikum kaum eine Rolle. Die Stars, wie Hilde Krahl und Karl John, Heidemarie Hatheyer und Karl Raddatz, gehören zu den zugkräftigsten, die Regisseure Wolfgang Liebeneiner und Boleslaw Barlog zu den künstlerisch gewissenhaftesten und erfahrendsten des deutschen Films. Jeder der beiden Regisseure hatte den Ehrgeiz, einen künstlerisch repräsentativen Zeitfilm zu schaffen.

Es ist das Thema, die Atmosphäre, das Milieu von Krieg und Nachkrieg, was hier abgelehnt wird. Nicht nur in Deutschland, sondern zunehmend auch im Ausland. Das Publikum verlor in allen Ländern rasch den Geschmack am Anblick vergangener Not und Verzweiflung. Aber im Ausland vollzog diese Entwicklung sich in Übergängen, denen die Filmproduktion zu folgen vermochte. In Westdeutschland geschah das mit einem Ruck. Auf einen Einschnitt, wie die Geldneuordnung, vermochte die Filmproduktion nicht schnell genug zu reagieren. Die Herstellung eines Films benötigt vom Beginn der Arbeit am Manuskript bis zur vorführfertigen Kopie acht bis zehn Monate. So lief die Produktion nach der Geldneuordnung noch ein halbes Jahr in der alten Richtung weiter.

Es ist eine fast tragische Situation. Die Produzenten konnten nicht voraussehen, welchen tiefgreifenden Umschwung der Lebensbedingungen und der Lebensstimmung die Geldneuordnung mit sich bringen würde. Sie konnten nicht voraussehen, dass das Publikum einige Monate später jede Erinnerung an die Hoffnungslosigkeit der ersten Nachkriegsjahre mit einmütiger Entschlossenheit ablehnen würde. Auf der anderen Seite ist es dem Publikum nicht zu verargen, wenn es jetzt nicht mehr zurück-, sondern nur noch vorwärtssehen will und deshalb Filme ablehnt, in denen es über den Mangel immer noch mit einer umständlichen Feierlichkeit hinweg getröstet wird. Es ist eine Zeit der seelischen Restauration. Man hat genug von den Erschütterungen. Die großen Publikumserfolge in den Westzonen sind zur Zeit die österreichischen Filme, die kunstlos, aber gemütvoll das alte Wiener Herz mit einer Tunke von altem Wiener Humor auf der Leinwand servieren. Man wird nicht erstaunt sein, wenn die deutschen Produzenten aus dieser und ihrer eigenen Erfahrung Lehren ziehen. Ihr erster Blick, wenn sie heute einen Film planen, streift mit Argwohn den politischen und wirtschaftlichen Horizont ab. Was naht von dort? Welche plötzliche Veränderung ist wieder im Anzug? Sie wissen: Die Beschlüsse der Pariser Konferenz sind vielleicht folgenreicher für das Einspielergebnis des neuen Films als der Regisseur und die Schauspieler, die sie engagieren. Die Zukunft liegt im Dunkel, und nichts wird heutzutage schneller unzeitgemäß als ein Zeitfilm. Nichts mehr davon. Kriminalreißer und etwas zum Lachen, die lieben alten Derby- und Zirkusfilme: Das ist die Devise für den nächsten Start. Mit künstlerischen Offenbarungen, die dem deutschen Film auch im Ausland wieder Boden gewinnen könnten, wird man deshalb noch Geduld haben müssen.

„Liebe 47“

Endlich ist dieser vieldiskutierte Liebeneiner-Film auch in Düsseldorf zu sehen, nachdem er bereits seit Wochen in den Kinos der Westzonen läuft (Vgl. die Besprechung in Nr. 55 der „Rheinischen Post“ vom 11. Mai anläßlich der westdeutschen Uraufführung). In „Liebe 47“ wird Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“ mit filmischen Mitteln sichtbar gemacht und mit einem Ende versehen, das nicht in völliger Hoffnungslosigkeit versinkt. Der Film wirkt aufrüttelnd und erschütternd, obwohl gesagt sein muss, dass 1949 um zwei entscheidende Jahre von den Problemen des großen Zusammenbruchs weitergerückt ist.

Die grenzenlose Trost- und Hilflosigkeit, das Gehetztsein des Einzelmenschen in der grauenvollen Todesmühle des Krieges, verkörpert durch den Russlandheimkehrer Beckmann (Karl John) und die junge Frau Anna (Hilde Krahl) ergreift gleichwohl auch heute noch jeden, der Ähnliches erlebte. Und welcher Deutsche könnte diese Erinnerungen verleugnen? „Liebe 47“ ist kein leicht zu nehmender Film. Er wird vielleicht in den Düsseldorfern (die wohl etwas dazu neigen, Problemen und Schwierigkeiten auszuweichen) kein aufnahmebereites Publikum finden. Aber damit ist nichts über den künstlerischen Wert und das menschliche Wollen dieses ersten Spielfilms der „Filmaufbau Göttingen“ gesagt. Man darf von dem Ernst und Verantwortungswillen, der diesen Film trägt, für die Zukunft noch zeitlos gültige Aussagen erwarten.  (Burgtheater)

Das neue Filmprogramm:
Wolfgang Liebeneiner inszenierte: Liebe 47

In diesem Film wird noch einmal das Pandämonium des letzten Jahrzehntes lebendig: die Front, die Bombenangriffe, die Flucht aus dem Osten, der Schwarzhandel, der Zusammenbruch. Man erlebt, wie die aus den Fugen gegangene Zeit die Menschen wandelt. Man sieht, wie eine anständige Frau aus Lebenshunger, Lebensangst und Verzweiflung zur halben Dirne, ein durchschnittlicher Mann zum Verächter des Daseins wird. Beide wollen ihr Leben fortwerfen, treffen einander zufällig, sprechen sich aus – und beginnen ihr Leben von vorn.

Ähnliche Geschehnisse sind eben erst in der Erinnerung verblasst. Der historische Abstand zu den Ereignissen wiederum ist noch nicht vorhanden. Hier liegt die eine Problematik des Films.

Die andere besteht darin, dass man den jugendlichen Pessimismus von Borcherts „Draußen vor der Tür“ (der Grundlage des Films) auch durch Überarbeitung nicht überwand. Die – durch einkopierte Szenen sinnfällig gemachten – Dialoge sind eine einzige Anklage gegen alles. So wirkt der versöhnliche Schluss konstruiert. Zum dritten sind die „metaphysischen“ Einlagerungen bestenfalls Theater. Mit einem Einschlag ins Reißerische. (Der Beerdigungs-Institutsbesitzer Florath als Tod – Ponto in der Maske eines alten Fischers als der liebe Gott!). Auch die surrealistisch gemeinten, sehr ausgespielten Traumszenen wirken fehl am Platze. Trotzdem vermittelt der Film starke Eindrücke. Die Krahl und John zeigen ihre bisher vielleicht reifsten Leistungen. Liebeneiner beweist sich in den Einzelszenen wieder als Meister der Regieführung. (Capitol.)

„Liebe 47 läuft vor dem Landtag Schleswig-Holstein
Das Parlament diskutiert aktuelle Filmfragen

(Eigene Meldung)
Hamburg, 28. Februar Das Film-Echo erfährt bei Redaktionsschluss, dass der Präsident des Landtages von Schleswig-Holstein seine Zustimmung für eine Sondervorführung des neuen deutschen Filmes „Liebe 47“ (Regie Wolfgang Liebeneiner) vor den Abgeordneten des Landtages erteilt hat. Diese im Einvernehmen mit allen beteiligten Stellen, insbesondere auch mit dem Kultusministerium des Landes Schleswig-Holstein vereinbarte Vorführung des Films wird am Dienstag, dem 22. März 1949, vormittags 1030 Uhr, im „Reichshallentheater“, Kiel, stattfinden.

Es ist beabsichtigt, im Anschluss an diese Vorführung den für die Filmwirtschaft entscheidenden Fragen, wie Prädikatisierung und allgemeine Gestaltung der Vergnügungssteuer näherzutreten.

Wolfgang Liebeneiner, der Regisseur dieses Films, wird Gelegenheit haben, zu den Abgeordneten über die künstlerischen Fragen und Problemstellung des deutschen Nachkriegsfilms zu sprechen. Presse, Rundfunk und Wochenschau werden diesen für die Filmwirtschaft besonders bedeutsamen Ereignis eine entsprechende Breitenwirkung geben.

Der Landtag Schleswig-Holsteins wirkt mit der Ausführung dieses Entschlusses bahnbrechend in der Gepflogenheit der Länderparlamente. Es ist das erste Mal, dass Abgeordnete aller Fraktionen in ihrer Eigenschaft als gesetzgebende Vertretung des Volkes derart einschneidende Probleme durch persönliche Inaugenscheinnahme eines repräsentativen Werkes der Filmkunst zu klären suchen.

Der Landtag Schleswig-Holsteins beschäftigt sich in seiner gegenwärtigen Legislaturperiode mit der Verabschiedung eines neuen Vergnügungssteuergesetzes für Schleswig-Holstein. Die erste Sitzung des Gesetzes hat bereits stattgefunden. Der Gesetzentwurf wurde einem parlamentarischen Ausschuß zur eingehenden Beratung überwiesen. Auf der Sitzung des zuständigen Ausschusses für die innere Verwaltung wurden auch die Vertreter des Wirtschaftsverbandes der Filmtheater e. V. (Britische Zone) eingehend gehört.

Es kann mit besonderer Freude festgestellt werden, dass sich aus den Diskussionen der Vertreter der verschiedenen Spitzenorganisationen der Kommunalverwaltung wie der Wirtschaft ein lebhafter Gedankenaustausch entwickelte, der wesentlich zur Herbeiführung dieses Entschlusses beigetragen haben dürfte. Es erfüllt die gesamte Filmwirtschaft mit Zuversicht, dass sie außer in grundsätzlichen Besprechungen, zu den Parlamentariern auch einmal in der Sprache reden darf, die ihre ureigenste ist: durch den Film selbst.

Liebeneiners „Liebe 47“ in Göttingen
18000 Besucher in sieben Tagen

wmz. GÖTTINGEN (Eig. Bericht) –
Der Liebeneiner-Film „Liebe 47“, der in der vergangenen Woche, wie die „Abendpost“ berichtete, vor zahlreichen Vertretern des öffentlichen und kulturellen Lebens der Westzonen und in Anwesenheit der Mutter des verstorbenen Dichters Wolfgang Borchert zur Uraufführung gelangte, hat bisher außerordentliche Beachtung gefunden und eine lebhafte Diskussion ausgelöst. Die Presse schreibt von einem schöpferischen Experiment in einer im deutschen Nachkriegsfilm noch nicht erreichten Synthese technischer und künstlerischer Mittel.

Wegen des großen Erfolges haben die Göttinger Capitol-Lichtspiele die Spielzeit dieses ersten Films der Filmaufbau, Göttingen, auf unbestimmte Zeit verlängert. Dem Panoram-Verleih wurden 18000 Besucher innerhalb der ersten sieben Tage im Uraufführungskino gemeldet.

Liebe 47

Der erste Spielfilm der Filmaufbaugesellschaft hinterließ bei seiner Uraufführung in Göttingen einen starken Eindruck. Wolfgang Liebeneiner hat das Schauspiel „Draußen vor der Tür“ von Borchert zu einem Drehbuch umgestaltet, in dem die Monologform des Dramas unter Wahrung seiner dichterischen Substanz in Handlung und Gegenhandlung aufgelöst wurde. Er konfrontierte das Schicksal des Heimkehrers Beckmann, der in den Tod gehen will, weil er am Sinn des Lebens verzweifelt, mit dem einer Frau, die zu gleichem Entschluss gelangt ist. Dabei dringt die Problematik der Nachkriegszeit durch alle Poren in die Handlung ein, und hinter der Wirklichkeit tut sich eine zweite, metaphysischen Ebene auf. In einer Zuversicht, die aus der Vitalität des Geschehens wächst, wagen Beckmann und Anna schließlich gemeinsam den Schritt, der nicht vom Leben fort, sondern ins Leben zurückführt.

Vielleicht hat sich Liebeneiners szenische Phantasie etwas zu ausgiebig mit der Gestaltung der Traumvisionen beschäftigt, die dem Kunstwerk allerdings erst seinen versöhnlichen Ausklang ohne vergröbernde Überdeutlichkeit ermöglichen. In seinem Drehbuch steckt auch eine gefährliche Neigung, optische Elemente mit solchen des Wortes zu überlasten. Die Regie ist ihr mitunter verfallen. Davon abgesehen zeichnet sie sich aber durch Disziplin des Geistes und Klarheit des Gefühls aus. Liebeneiner schätzt Bilder von graphischer Exaktheit und weiß mit jedem Wort und jeder Szene große Horizonte aufzureißen. Hilde Krahl und Karl John werden durch ihn als Anna und Beckmann in dramatischem Realismus zu jener Transparenz des Ausdrucks geführt, die auch dann überzeugt, wenn man Nuancen vermisst. Prachtvoll sind auch die Leistungen von Albert Florath, Erich Ponto, Hedwig Wangel und Grete Weiser. Die Kameratechnik Weihmayrs nötigt zu uneingeschränkter Bewunderung. Das lässt sich allerdings von der Musik Hans Martin Majewskis nicht sagen. Alles in allem bringt dieser Film, was auch noch an kritischen Details gegen ihn vorgebracht werden könnte, ein neues fruchtbares Ferment in die deutsche Nachkriegsproduktion.

Willi Febst(?)

Wall-Licht: „Liebe 47“ – ein Film, der Gültigkeit hat

Hier ist er: der Film, der auch noch in Jahrzehnten Gültigkeit hat. Gültigkeit hat für die inneren Erlebnisse, die inneren Wandlungen und die durch sie bedingten Lebensgesetze deutscher Menschen jener halbvergessenen Kriegs- und ersten Nachkriegsjahre. Ein Film, für den künstlerische Gestaltung, Bildeffekte und Regieeinfälle nur Mittel sind, um zum letztlich Wahren vorzustoßen. Ein Film, in dem ein genialer Regisseur (Wolfgang Liebeneiner) alle Erfahrungen und Kniffe der Zelluloidwelt ausgeschöpft hat, um den Stoff eines genialen Dichters (Wolfgang Borchert) zum filmischen Kunstwerk umzuformen.

Müßig wäre es, darüber streiten zu wollen, ob Borcherts „Draußen vor der Tür“ als Hörspiel, Schauspiel oder nun als Film unter dem Titel „Liebe 47“ seine tiefste Wirkung ausübt. Sicher ist jedenfalls, dass diese Dichtung eines Jungen, Unvollendeten auf der Leinwand zu Millionen Menschen getragen wird, von denen wohl kaum einer mit ruhigem Gewissen behaupten könnte, dass ihn „das alles nichts anginge“.

Liebe 47 (Filmaufbau Göttingen)

Borcherts „Draußen vor der Tür“, dieser Ausbruch eines jugendlichen Verzweifelten, hat unter Wolfgang Liebeneiner beträchtliche Umformung und Milderung erfahren. Äußeres Elend und innere Not treiben die beiden Helden, den zerlumpten Heimkehrer und die (neueingeführte) Flüchtlingsfrau nicht dem Tod in die Arme, sondern in eine Situation, in der noch einmal der Mut zum Weiterleben aufwacht. Borchert hat für die Bühne so etwas wie ein Mysterienspiel von der gequälten Kriegsgeneration geschrieben. Im Bereich des Films neigen sich seine Formen – der liebe Gott erscheint mit Schlapphut und der Tod in Bratenrock und Zylinder – kabarettistischer Wirkung zu. Der polemische, in seinen geistigen Umrissen aber so unklare Dialog hat seine innere Vibration zu einem merklichen Teil eingebüßt und zieht die Handlung (die Geschehnisse der Vergangenheit) nur mühsam voran. Vor Schluss eine lange surrealistische Szene, in der aus dem Grauen düsterer Träume ein ästhetisches Experiment gemacht worden ist. Karl John gibt dem Heimkehrer alle jene bohrende Dumpfheit, wie sie Borchert wohl vorgeschwebt hat. Hilde Krahl, gewiss eine ausdrucksvolle Schauspielerin, gelingt es nicht, die Monotonie ihrer Rolle zu besiegen. Wer soll ein solches Thema gestalten? Die den Ernst des Krieges nicht am eigenen Leibe erfahren haben, werden es schwer können. Und wie steht es in dieser Hinsicht mit Liebeneiner?

Liebe 47

Geschichte und Versuch einer Würdigung: Schon als der NWDR das Hörspiel „Draußen vor der Tür“ des jüngst verstorbenen Dichters Wolfgang Borchert sendete, erschütterte dieser Aufschrei eines jungen Russlandheimkehrers ganz Deutschland. Liebeneiner inszenierte des Freundes Stück, „das kein Theater spielen und kein Publikum sehen will“ (Vorwort) 1947 mit großem Erfolg an den Hamburger Kammerspielen. Bald danach begann er mit Plänen zur Verfilmung des Schauspiels. Die engeren Vorbereitungen dauerten zwei Monate, die Aufnahmen selbst drei und die technischen Abschlussarbeiten vier Monate – eine ungewöhnlich lange Zeit („Der Graf von Monte Christo“ brauchte keine vier Wochen), die uns eine Vorstellung von Liebeneiners Gründlichkeit vermittelt. Liebeneiner schuf hier seinen ersten Nachkriegsfilm, nachdem er als einer der besten deutschen Regisseure vor dem Krieg durch den „Mustergatten“ und ein halbes Dutzend anderer künstlerischer und finanzieller Filmerfolge Weltruf erlangte. Das Interesse des In- und Auslandes an diesem Film wurde nicht enttäuscht. „Liebe 47“ ist ohne Zweifel der in jeder Hinsicht kühnste, tiefste, aufwühlendste und anspruchsvollste deutsche Nachkriegsfilm. Vielleicht reicht er gar an die Spitzenleistungen der Franzosen heran. Leider lassen die zögernden Terminierungen der Kinobesitzer befürchten, dass er im Ausland ein dankbareres Publikum finden wird als hierzulande, wo man mit dürftigen Heimkehrerschicksalen so übersättigt ist, dass die Geschmacksnerven der breiten Masse selbst auf die Gültigkeit eines solchen Kunstwerkes nicht mehr reagieren, zumal die harte Realistik der Handlung eine Aufmerksamkeit von immerhin zwei Stunden und zwölf Minuten fordert. Dass das Echo dennoch vielfältig werde, und dass diese Dichtung, diese schmerzliche Frage unserer Zeit nach der unbegreiflichen Härte Gotte sich wie mit Messern in unser Herz einschneide – dazu möge der ausnahmsweise ausführliche, wenn auch keineswegs erschöpfende Besprechungs- und Deutungsversuch in unserem „Filmdienst“ mithelfen.

Der Stoff und die Idee: Am Ufer der Elbe treffen zwei Menschen mit Selbstmordabsichten zusammen und kommen ins Gespräch. Der heimgekehrte Unteroffizier Beckmann – „einfach Beckmann“, denn einen Vornamen hat er nicht mehr, seitdem seine Frau aus dem Bett ihres Geliebten steigt und „Beckmann“ seinen Totenschein unter die Nase hält -, und Anna Gehrke, eine junge Witwe. In zahlreichen Rückblenden erzählt uns der Film, warum Anna „nicht mehr will“, und warum Beckmann „nicht mehr kann“, bis beide dann doch wieder wollen und können.

Anna: Der Krieg riss sie aus dem sorglosen Glück ihrer Ehe. Ihr Mann? Irgendwo in Russland verhungert, erfroren, getötet. Das Kind? Auf der Flucht vor den Russen verunglückt. Alleinsein – das Martyrium der Frauen im Kriege! Alleinsein – Angst in Bombennächten, Ehebruch, innere Qualen, nackter Lebenskampf, dann doch Ausgeliefertsein, an Männer, die alle den gleichen Preis verlangen. Die Polizei sagt „Gewerbe“ dazu und verzieht den Mund. Und da will sie nicht mehr weiter in den Abgrund dieser Zeit, in der es kein frauenwürdiges Dasein mehr gibt, weil die Männer „uns Frauen nicht brauchen, sondern gebrauchen.“Am Wasser trifft sie Beckmann. Beckmann: Im Unterschied zu Anna ist er aus armer Familie. Vater Nazi. „Kirchliche Trauung und so war bei uns nicht üblich.“ Russland – er hungert, er friert, er schießt, er gehorcht und fühlt sich verantwortlich für den Tod von elf Kameraden, deren Frauen und Bräute ihn in nächtlichen Träumen zum Wahnsinn treiben. Stationen der Heimkehr: das zerstörte Haus mit dem Grab seines Kindes – die Frau, die seine Frau nicht mehr ist – der Herr Oberst in Zivil, der über Schuldgefühle lacht („wohl weich geworden, wie?“) – die Kameraden, die dem armen Teufel mit Schnaps Mut zureden (Beckmann: „Überhaupt, über die Rolle des Alkohols in der Kriegsgeschichte müßte mal einer eine Doktorarbeit schreiben!“) – der Kabarettdirektor, der seinen bitteren Song von der „tapferen kleinen Soldatenfrau“ zwar wahr, aber nicht erotisch genug findet (ein Höhepunkt des Films) – die elterliche Wohnung, von Fremden bewohnt, weil die beiden Alten sich selbst „entnazifizierten“ und auf dem Friedhof liegen. … „Anna ist es, die den Bann löst. Sie gewinnt die Kraft der Bereitschaft und bleibt nicht anklagend stehen vor dieser Welt. … Da ist ein Mensch, der ihre Hand, der ihre Liebe braucht. Da ist sie, die dem Gefährten ihres Leides ein ganz neues, strenges Glück – eine Liebe aus unserer Gegenwart geben kann. Diese Liebe ist keine Leidenschaft, kein seliger Aufschwung zu den Sternen, sondern allein das eine: das Leben für den anderen“ (Auszug aus dem ungewohnt gut formulierten Programmtext, dessen letzter Satz – wie die ganze Filmidee – den Christen an das Pauluswort erinnert: „Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.“)

Das behutsame Happy-end Liebeneiners wird in einem mit verblüffenden Filmkompositionen (z. B. die Augen der Elbe) gestalteten (freilich viel zu langen) Traum Beckmanns angedeutet. Hier erscheint auch der hilflose Gott des Vorspiels von neuem zwischen den zum Abtransport bereitstehenden Kirchenglocken. „Für Kinder bin ich der liebe Gott“, neigt er sich über den zerbrochen daliegenden Heimkehrer, der sich mit der Frage quält, wann der liebe Gott denn eigentlich lieb sei,und sagt dann ein bedeutsames Wort, das den Gläubigen mit dem deistischen Gottesbild des Films versöhnt: „Vielleicht bist du aber inzwischen erwachsen und wenn du mich begreifst, wirst du mir danken“ (aus dem Gedächtnis zitiert). Das Gottesbild: Wir sind uns klar daüber, daß der Gott des Vorspiels nicht der christliche Gott ist. Es ist der Gott Beckmanns (der hier in den Spuren Borcherts geht), für den Gott „keine Ohren“ hat, oder der, ein alter, gebrechlicher, hilfloser Mann, klagend die Hände ringt. „Ich kann es nicht ändern, meine armen Kinder, ich kann es nicht ändern.“ Der nachdenkliche Christ darf jedoch in der oben wiedergegebenen Traumoffenbarung Gottes gegen Schluss eine Wandlung des Gottesbildes feststellen, wobei es gleichgültig ist, ob der Autor Liebeneiner jenen Satz gleichfalls christlich interpretieren wird. Aber: wie wirkt Gott in „Liebe 47“ auf das indifferente Publikum? Jener Traumsatz wird ihm ohne Zweifel als unklare, vieldeutige Verschwommenheit vorkommen, so dass hier Bedenken aufstehen. Um es ganz schlicht auszudrücken: der ungläubige Durchschnittsbesucher wird im Gegensatz zum Christen den Film wahrscheinlich nicht gerade gläubiger verlasser. Schade also, dass der Dialog zwischen Beckmann und Gott nicht um einige Sätze reicher und heller wurde! – Darf man Gott überhaupt so auf die Leinwand bringen, wie es hier geschah? Nun, wir möchten diese Frage im Unterschied zu einigen evangelisch-reformierten Brüdern nicht grundsätzlich verneinen, wenn wir das Vorspiel auch lieber missen würden – Dass Gott und der Tod als Traumassoziationen erscheinen, ist übrigens dramaturgisch unklar, da der Träumende sie in der Einleitung nicht persönlich zu Gesicht bekam; doch sei dies nur am Rande erwähnt, da wir die künstlerische Wertung des Films diesmal bewusst vernachlässigen.

Nicht Anklage, sondern Frage: Kann man den Film in seiner weltanschaulichen Substanz mit dem Vorwurf „nihilistische Anklage“ belasten? Man kann es nicht. Borchert-Liebeneiner klagen nicht an, sie fragen. Mit ihnen fragt eine ganze Generation. Fragen ist nicht das Letzte, aber Fragen, ehrliches, leidenschaftliches Fragen, erleichtert doch wohl das Finden der Antwort wie die Klarheit der Antwort. Versuchen wir, die religiöse Nähe des Fragers Borchert deutlich zu machen durch einen Abschnitt aus den „Frankfurter Heften“, in dem sich Alfred Andersch mit Borchert befasst: „… steht im Mittelpunkt der Borchertschen Welt der Wanderer, der, der sucht, der von seinen Erinnerungen und der Frage nach der Schuld gejagt ist. Es ist immer derselbe: Unteroffizier Beckmann … Leutnant Fischer … Lauter Leute ohne Ausweg… ,Wo ist denn der alte Mann, der sich Gott nennt? Warum redet er denn nicht! Gebt doch Antwort!‘ Bei Borchert wird nicht angeklagt, – dieser Dichter weiß, dass niemand anzuklagen ist. Nur eines bleibt: fragen. Borcherts Werk ist eine einzige Frage, unwiederholbar und sprachmächtig gestellt, darin liegt sein geistiger Wert. Mit Büchner zusammen sitzt er im Abgrund des Determinismus, schauerlich dringt die Frage herauf, nicht zu überhören … es gibt keine Steigerung mehr. Kaum, dass wir damit begonnen haben, sind wir am Ende der „Heimkehrerdichtung“, am Ende des „Nihilismus“, am Ende der Ausweglosigkeit. Denn Borchert hat bereits für uns alle endgültig und radikal gefragt. Es nützt nichts, dass wir seine Frage wiederholen. Wir müssen uns auf den Weg machen, einen Ausweg zu finden …“ „Was brauchen wir die Welt zu verbessern, fangen wir lieber bei uns selber an!“ Nicht nur dieser letzte Satz des Drehbuchs stößt praktisch in christliche Lehren vor. Wer den Film hellhörig – nicht nur einmal – innerlich verarbeitet, wird seinen Predigtcharakter an der heilsamen Erschütterung erkennen, die uns von unseren Sicherheitsinseln herabstößt vor das ewig geheimnisvolle Antlitz Dessen, Den wir nie begreifen, weil Seine Liebe unbegreiflich ist.

[…] 1949 hat sich die westdeutsche Filmwirtschaft im Wesentlichen konsolidiert. Eine große Zahl geschäftstüchtiger Unternehmen, die sich vielfach aus dem in den ersten Nachkriegsjahren schwungvoll akkumulierten Verleihkapital konstituieren, nimmt die Produktion jener Massenware (musikalische Lustspiele, Salon- und Verwechslungskomödien, Zirkus- und Abenteuerfilme) auf, die den Kinomarkt im CDU-Staat beherrschen wird. […] Der deutsche „Zeitfilm“ hat sich, insgesamt gesehen, als geschäftlicher Misserfolg erwiesen; mit ihm haben einige orientierungslose Lizenzträger, die sich sehr bald in die große Industrie eingliedern werden, ihr politisch schwach entwickeltes Unbehagen abgearbeitet und allen weiteren Versuchen, zeitbezogene Filme herzustellen, den Weg der Anpassung an die herrschenden ideologischen Bedürfnisse gewiesen. Zwei Ausläufer – Wolfgang Liebeneiners Liebe 47 nach dem Schauspiel „Draußen vor der Tür“ von Wolfgang Borchert und Josef von Bakys Der Ruf nach einem Buch von Fritz Kortner – rekapitulieren noch einmal die Symbolismen und den depressiven Intellektualismus der „Trümmerfilme“. Deren Erbe tritt nun der westdeutsche „Problemfilm“ an; sein ökonomischer Stützpunkt ist die Filmaufbau GmbH in Göttingen, die zwei branchenfremde Idealisten, Hans Abich und Rolf Thiele, gegründet haben. […]

Klaus Kreimeier: Kino und Filmindustrie in der BRD. Ideologieproduktion und Klassenwirklichkeit nach 1945, Kronberg/Taunus 1973, S. 65f.

[…] In einem symbolträchtigen Quasi-Expressionismus sah auch Wolfgang Liebeneiner die angemessene Form für Liebe 47 (1949), die verharmlosende Adaption von Wolfgang Borcherts Hörspiel „Draußen vor der Tür“. […]

Ulrich Gregor/Enno Patalas: Geschichte des Films, Gütersloh 1962, S. 281.

[…] Zu den wenigen Filmen, die die Nachkriegssituation Deutschlands überzeugend zu gestalten wussten, gehörte Liebeneiners Liebe 47 (1949), nach Wolfgang Borcherts Drama „Draußen vor der Tür“. Der Film erzählt das Schicksal einer aus ihrer Heimat vertriebenen Deutschen (Hilde Krahl) und eines aus der Gefangenschaft heimkehrenden Soldaten (Karl John); zwei Entwurzelte, Enttäuschte, die glauben, am Ende zu sein und vom Leben nichts mehr erwarten. Dann aber richtet sich einer am anderen auf. Und wie eine einzelne Blume inmitten eines Trümmerfeldes blüht ihnen inmitten ihrer Verzweiflung das Wunder der Liebe auf. Wenn man diesen Film heute wieder sieht, mutet die damalige Zeit wie ein böser Traum an, der schon unendlich weit zurückliegt. Aber merkwürdig, der Film hat durch die Distanz nicht verloren, sondern gewonnen. In dieser Feststellung liegt vielleicht das Geheimnis, warum die Trümmerfilme in einer Umgebung von Trümmern nicht gedeihen konnten, während sie heute schon wieder heilsam interessant sind. […]

Rudolf Oertel: Macht und Magie des Films.
Weltgeschichte einer Massensuggestion, Wien/Stuttgart/Zürich 1959, S. 444.

(…) Der Selbstentnazifizierungs-Film des ewigen Opportunisten Liebeneiner, eine Verschnulzung des bedeutendsten Stückes der deutschen Kahlschlagliteratur nach 1945. Der Film wurde vor einigen Jahren vor allem in Filmclubs heiß diskutiert (…)

aus: Christa Bandmann/Joe Hembus; Klassiker des deutschen Tonfilms 1930 – 1960, München 1980, S. 223

[…] Hamlets Heimkehr Deutschlands Dornröschenschlaf endet mit einem Erwachen kurz vor der Stunde Null. Die Rollen sind vertauscht, der neue Held ist der Heimkehrer, ein sleeping prince. Die unschlüssige Inszenierung Liebeneiners wird in Liebe 47 zum Sujet des Films, der ein Versuch ist, Borcherts „Draußen vor der Tür“ zu verfilmen: als hätte ein Hamlet die Regie gemacht. Was den Film in seiner Stimmung der Totengräberszene verwandter erscheinen lässt als dem zugrundeliegenden Stück: das Sein und das Nichtsein, eine fast deplazierte Ophelia Hilde Krahls, das Warten auf einen Fortinbras. […]
Fritz Göttler: Westdeutscher Nachkriegsfilm. In: Wolfgang Jacobsen/Anton Kaes/Hans Helmut Prinzler (Hg.): Geschichte des deutschen Films, Stuttgart/Weimar 1993,  S. 171-210, hier S. 189.

[…] 2.1.7. Rückblick
Das konsequente Bemühen der idealistischen Göttinger Filmproduzenten, mit ihrem ersten Film „wesentlich zu werden“, die Vergangenheit mit dem Blick nach vorn aufzuarbeiten, die Kunst gegen den Kommerz zu setzen und neue Leitbilder anzubieten, war fürs erste gescheitert, wenn man den wirtschaftlichen Erfolg zugrunde legt. Der Film war einfach zu spät gekommen, und das nicht zuletzt deshalb, weil sämtliche Voraussetzungen für seine Realisierung erst einmal geschaffen werden mussten. Hans Abich zu Liebe 47: „Der schien uns nötig zu sein, um Zeit abzuarbeiten. Schon danach haben wir sicher ein Bedenken in uns gespürt, man dürfe nicht mit der Keule erziehen oder umerziehen. Erstens stand uns das nicht zu und zweitens mochten wir das auch nicht. Man war ja auch durch die Propaganda verdorben. Also, wir suchten natürlich die indirekte Methode, was immer das sei. – Wenn ich mich entsinne, muss man auch sagen, welche Literatur wir kannten. Wir kannten ja durch das Dritte Reich überhaupt keine internationale Gegenwartsliteratur. Das ging uns ja erst auf, als wir dann Bücher von draußen, Filme von draußen sahen. Ich meine, hätten wir die großen französischen Filme schon gleich gekannt, dann wäre uns der Mut für den deutschen Film etwas abgesackt. Wir wollten ja anders und besser sein als andere“ (in: Phönix aus der Asche). […]

Gustav Meier: Filmstadt Göttingen.
Bilder für eine neue Welt? Zur Geschichte der Göttinger Spielfilmproduktion 1945 bis 1961, Hannover 1996, S. 70.

[…] Symptomatisch für die Richtung, die der deutsche Film nun einschlägt, ist Wolfgang Liebeneiners Verfilmung des Borchert-Stückes unter dem Titel Liebe 47 (1949). Der Regisseur verzerrt und entstellt das Original, macht eine scheinproblematisch-seichte Heimkehrerschnulze daraus mit Optimismus und Happy End und verkehrt damit den Konflikt in sein Gegenteil gemäß Liebeneiners Credo, „die Leute gut zu bedienen und das Kapital gut zu verzinsen“. (Liebeneiner zitiert in einem Leserbrief an den SPIEGEL vom 18.2.1959) […]

Adolf Heinzlmeier: Nachkriegsfilm und Nazifilm.  Anmerkungen zu einem deutschen Thema. Frankfurt/M. 1988, S. 52.

[…] Anders als im Hörspiel hat der Kriegsheimkehrer Beckmann in dem Film einen Gegenspieler: Anna, Kriegswitwe, einsam und lebensmüde wie er. Am Flussufer begegnen sie sich, beide in der Absicht zu sterben. Sie beginnen zu reden, die Frau nimmt den heimatlosen Mann zu sich nach Hause. Dort erzählt er, unterbrochen von Traumvisionen, die ihn in seiner Erschöpfung überfallen, sein Schicksal und seine grauenhafte Heimkehr ins Niemandsland. Er irrt ebenso umher wie Mertens in Die Mörder sind unter uns. Das Ende ist – darin lag wohl die Absicht der Frauenfigur – hoffnungsvoll: Vielleicht haben die beiden eine Chance, zusammen weiterzuleben und wieder „Menschen“ zu werden. Wie auch in Staudtes Film liegt die Hoffnung für die Zukunft der beiden darin, gemeinsam die Einsamkeit zu durchbrechen. Erst durch den Dialog wird diese Zukunftsperspektive möglich. Borcherts Hörspiel dagegen endet im Nichts, Beckmann bleibt allein, „draußen vor der Tür“. Auch in Liebe 47 steht die Frage nach der Menschlichkeit im Vordergrund. Der Film ist ohne jede politische oder gesellschaftliche Stellungnahme. Liebeneiners Interesse galt dem individuellen Schicksal. […] Anna und Beckmann haben die Rollen übernommen, die ehemals im frühen deutschen Film Homunculus und Golem spielten: die Ungeliebten, Verlorenen. Sie sind Geschöpfe in einer zerstörten Welt, die sich und die Grundlagen ihrer Existenz selbstquälerisch in Frage stellen. […]

Barbara Bongartz: Von Caligari zu Hitler – von Hitler zu Dr. Mabuse?
Eine „psychologische“ Geschichte des deutschen Films von 1946 bis 1960. Münster 1992, S. 33-36. (Auszüge)

„Ein aus dem Zweiten Weltkrieg heimkehrender Soldat, der seine Familie verloren hat und von Schuldgefühlen und religiösen Zweifeln gepeinigt wird, begegnet einer Frau, die ihrerseits durch ein tragisches Kriegsschicksal vereinsamt ist. Ein bewegendes Drama nach Motiven von Borcherts Draußen vor der Tür, das für die Verfilmung um eine Frauengestalt erweitert wurde. Die surreale, religiös-mystische Dimension der Vorlage erreicht der realistisch gestaltete Film nicht, doch Liebeneiner gelang einer der ernsthaftesten deutschen ‚Nachkriegs‘-Filme.“

 Lexikon des internationalen Films. Filmdienst, abgerufen am25.06.2021

„Liebe 47“ ist ein Film, der einen Wendepunkt der Filmentwicklung in den Westzonen nach dem Ende des Il.  Weltkrieges markiert.  Als einer der letzten der sog.  „Trümmer-Filme“ ist er in einer auf Wiederaufbau und Fortschritt fixierten Gesellschaft kein Publikumsrenner gewesen.  Gleichwohl wurde er von der zeitgenössischen Kritik –.T. enthusiastisch gelobt: „leer ist er: der Film, der auch noch in Jahrzehnten Gültigkeit hat.  Gültigkeit hat für die inneren Erlebnisse, die inneren Wandlungen und die durch sie bedingten Lebensgesetze deutscher Menschen jener halbvergessenen Kriegs- und ersten Nachkriegsjahre.  Ein Film, für den künstlerische Gestaltung, Bildeffekte und Regieeinfälle nur Mittel sind, um zum letzthin Wahren vorzustoßen.  Ein Film, in dem ein Genialer Regisseur (Wolfgang Liebeneiner) alle Erfahrungen und Kniffe der Zelluloidwelt ausgeschöpft hat, um den Stoff eines genialen Dichters (Wolfgang Borchert) zum filmischen Kunstwerk umzuformen.“ (Nordwest-Zeitung, Oldenburg, 27.08.49)

Die Kritik hebt dabei positiv hervor, was – unter Quellengesichtspunkten gesehen – den Film zu einem prägnanten Dokument für Bewußtseinshaltungen am Ende der 40er Jahre macht.  „Was in „Liebe 47″ geschieht, ist (,.. ) nichts als eine Korrektur des Borchertschen Pessimismus gewesen.“ (Welt, 1950) „… In der Flüchtlingsfrau Anna (… ) ist wohl zum ersten Male so klar ausgeleuchtet das Wesen der modernen Frau umrissen, die sich selbständig gemacht hat und doch immer einem beschützten Dasein nachtrauern wird, die ‚im Leben steht‘ und deren Seele friert…“ (Zeit 1950) „Da ist sie, die dem Gefährten ihres Leides ein ganz neues, strenges Glück – eine Liebe aus unserer Gegenwart geben kann. Borchert – Liebeneiner klagen nicht an, sie fragen.“ (Ev.  Filmbeobachter 13/1949). „Was brauchen wir die Welt zu verbessern, fangen wir lieber bei uns selber an“, so endet das Drehbuch!

Der Film offenbart eine spezifische Form der Verdrängung der Ereignisse aus der Zeit des Faschismus und vor allem das Streben nach individuellem und familiärem Glück in einer sonst kaum zu findenden Deutlichkeit. Beide Verhaltensweisen hatten sich als kollektives Verhalten in der gerade gegründeten Bundesrepublik durchgesetzt. Sie werden prägende Merkmale der gesellschaftlichen Entwicklung der 50er Jahre.

Der Film verdeutlicht die Verdrängung der Vergangenheit, obwohl er sich mit Faschismus und Krieg beschäftigt, weil er dies oberflächlich und verständnislos tut, Er dokumentiert die individualistische, auf privates Glück orientierte Lebensperspektive der Menschen besonders deutlich, weil er die gesellschaftlichen Bezüge vermissen läßt, Damit ist Liebeneiner gezwungen, die literarische Vorlage entscheidend zu modifizieren, ja in ihr Gegenteil zu verkehren.

Die zentralen Motive der Filmgeschichte sind zugleich auch die Themenbereiche, die mit Hilfe dieses Films erarbeitet werden können:

  • Aufarbeitung bzw. Verdrängung von Faschismus und Krieg
  • Problem der Suche nach Identität und Lebensperspektive
  • Integrationsprobleme der Heimkehrer

Bei der Erarbeitung dieser Themenbereiche bietet es sich an, den Film im Vergleich mit der literarischen Vorlage „Draußen vor der Tür“ zu behandeln. Dabei sollte der Aufbau der Filmerzählung zunächst mit dem Aufbau des Theaterstücks verglichen werden und die Veränderungen sowie deren Bedeutung herausgearbeitet werden:

  • die Reihenfolge der Filmsequenzen unterscheiden sich von der Szenenfolge im Stück von Borchert,
  • es wird eine zweite Hauptfigur eingeführt,
  • das Gottesbild Borcherts wird im Film nicht übernommen

Darstellung von Faschismus und Krieg

NS-Zeit und Krieg werden im Film über Rückblenden thematisiert, die es dem Regisseur erlauben, keine „geschlossenen Geschichten“ erzählen zu müssen, sondern Ausschnitte darzubieten, Damit wird bedeutsam, was aus der NS- und Kriegszeit ausgewählt, was als darstellenswert angesehen wird und wie diese Auswahl präsentiert wird. (vgl. Filmkritik)

Beachtet werden sollte dabei: Der Faschismus wird fast ausschließlich aus der Perspektive der Frau, über die Erinnerungen Anna Gehrkes dargestellt – einer Figur, die in der literarischen Vorlage nicht existiert. Die ersten Rückblenden des Films, welche die Privatsphäre Anna Gehrkes zeigen, sind gut geeignet, um herauszuarbeiten, wie wenig wirklich „Faschismus“ dargestellt wird und wie Vergangenheit als „Schicksal“, quasi als „Naturkatastrophe“ angesehen wird. Darstellenswert sind dann vor allem die Leiderfahrungen Anna Gehrkes im Krieg – sie steht geradezu „repräsentativ“ für eine Vielzahl „deutscher Frauen“. Bei der Arbeit mit den filmischen Rückblenden sollte besonders auf die „Kommentierung“ durch Anna Gehrke geachtet werden, ordnet doch dieser „Kommentar“ die einzelnen Sequenzen zu einem „Bild von Vergangenheit“, wie es damals nicht untypisch gewesen ist.

Auch Kriegsereignisse werden über Rückblenden thematisiert aus der Perspektive eines Mannes: in den Traumsequenzen Beckmanns, beim Gespräch mit seinem ehemaligen Oberst und im Kabarett. Beide Filmsequenzen fallen aus der sonst eher konventionellen Gestaltung des Films heraus: Eine Vielzahl von Gestaltungselementen wird eingesetzt, um die Schrecken des Krieges darzustellen – und gleichzeitig zu naturalisieren“. Krieg erscheint – im Gegensatz zu Annas Leiderfahrungen – „irreal“, traumatisch. Zudem erscheinen  nirgendwo handelnde (deutsche) Soldaten, keine Täter, nur Opfer. Krieg ist menschliches Schicksal, daß es schon immer gegeben hat:. Soldaten aus allen Jahrhunderten der Menschheitsgeschichte ziehen im Traum an Beckmann vorüber. Die konkrete Anklage Borcherts verkümmert hier zum Klageruf, zur bloßen Frage.

Eine Gegenüberstellung der Rückblenden Anna Gehrkes mit denen Beckmanns macht deutlich, daß diesem Film nicht an einer Aufarbeitung der Vergangenheit, sondern an der Darstellung des erlebten Leides gelegen ist. Er erzählt so aus einer Opferperspektive, die es dem Zuschauer ermöglicht, sich von der Vergangenheit „zu entlasten“ – aber auch dieses Angebot mochten 1949 nicht mehr viele Menschen sehen.


Suche nach Identität und Lebensperspektive

In der Einführungssequenz-. des Films wird dieser Aspekt als Mangel, als etwas, was den beiden Protagonisten der Handlung fehlt, deutlich benannt und als ein „Problem der Zeit“ gekennzeichnet. Zugleich wird aber auch schon die Antwort, das Ziel, angedeutet: „…das wäre, doch ein schönes Liebespaar“. Die Identitätsprobleme der beiden Hauptfiguren lösen sich auf, indem sie sich ihr Leid klagen und schließlich gegenseitig die Verantwortung für den anderen übergeben. Die – sehr lange – Schlußsequenz deutet die Perspektive für die Zukunft an:       die kleinfamliäre Harmonie, in der man wieder ein Zuhause hat.


Integrationsprobleme von Heimkehrern

Die (psychischen) Probleme eines Frontsoldaten, sich in einer veränderten Nachkriegsgesellschaft zurechtzufinden und die realen Schwierigkeiten, die einer Integration entgegenstanden, werden am Beispiel Beckmanns exemplarisch aufgezeigt. Beckmanns Erinnerungen an seine Rückkehr nach Deutschland – Haus zerstört, Kind und Eltern tot, Frau lebt mit einem anderen Mann zusammen, da sie Beckmann für tot hält – sollen „belegen‘ warum dieser Mann „nicht mehr kann“.  Sie stehen hier im engen Zusammenhang mit den Leiderfahrungen Anna Gehrkes aus den Nachkriegsjahren und konstituieren damit eine gemeinsame Opferperspektive – die später die Grundlage für eine gemeinsame Zukunft wird.

Beckmann leidet darüber hinaus darunter, daß er seine Verantwortung – für den Tod von 11 Kameraden, die er während eines Aufklärungseinsatzes kommandierte – nicht zurückgeben kann: ihn quält sein individuelles Schicksal, er stellt keine Fragen nach Ursachen, er fordert keine Rechenschaft – er will wieder schlafen können.  Der zerbrochene Kriegsheimkehrer wird jedoch durch eine liebende Frau wieder ins Leben zurückgeführt.


Filmvergleiche

Für die Bearbeitung der Heimkehrerproblematik, aber auch die Suche nach Identität sollte der Film im Vergleich mit DIE MÖRDER SIND UNTER UNS behandelt werden. Unter dem Gesichtspunkt der Darstellung von Faschismus und Krieg ist sinnvoll, den Film im Vergleich mit DER RAT DER GÖTTER zu behandeln. Dabei sollte vor allem die Frage gestellt werden, ob diese Filme als Anti-Kriegsfilme zu verstehen sind. – und in der Nachkriegszeit so gesehen werden konnten.

Das könnte dich auch interessieren …