Liebe 47 (1949)
Inhalt
Am Elbufer begegnen sich zwischen den Nachkriegstrümmern zwei Menschen, die mit dem Leben Schluss machen wollen: Unteroffizier Beckmann und Anna Gehrke.
Aber dann beginnen sie miteinander zu reden, beschließen, ihren Tod gleichsam aufzuschieben, und Anna nimmt den obdachlosen Beckmann mit auf ihr Zimmer. In den Gesprächen der beiden verzweifelten Menschen wird – in Rückblenden – deren Schicksal erzählt. Russlandheimkehrer Beckmann fühlt sich verantwortlich für den Tod von elf Soldaten, deren Angehörige ihn in nächtlichen Alpträumen heimsuchen. Die Verantwortung will er seinem ehemaligen Oberst zurückgeben, doch der lacht nur über seine Schuldgefühle. Seine Eltern, ehemalige Parteimitglieder, haben sich umgebracht, sein Kind ist gestorben, seine Frau hat einen anderen. Ohne Arbeit, Heim und Familie will er nicht mehr leben.
Anna Gehrke hat ihren Mann im Krieg verloren, ihr Kind ist bei der Flucht vor den Russen verunglückt. Ihr Alleinsein bringt sie mit Männern zusammen, die „uns Frauen nicht brauchen, sondern gebrauchen“. Je länger die beiden unglücklichen Menschen miteinander reden, desto ferner rückt der Gedanke an Suizid. Schließlich deutet sich die Möglichkeit eines glücklichen Miteinanders an.
Film im Nachkriegsdeutschland 1945 – 1950
Autoren/Innen
Filmanalyse: Autorengruppe Nachkriegsspielfilme (1993)
Zusammenstellung und Bearbeitung der Materialien: Autorengruppe Nachkriegsspielfilme (1993); aktualisiert: Detlef Endeward (2020)
Produktion: | Filmaufbau GmbH Göttingen |
Produzenten: | Hans Abich, Rolf Thiele |
Erstverleih: | Panorama-Film GmbH |
Buch: | Wolfgang Liebeneiner; nach dem Hörspiel und Bühnenstück „Draußen vor der Tür“ von Wolfgang Borchert und Motiven von Kurt J. Fischer |
Regie: | Wolfgang Liebeneiner |
Regieassistenz: | Peter Rieschel |
Produktionsleitung: | Curt Prickler |
Aufnahmeleitung: | Frank Roell |
Kamera: | Franz Weihmayr |
Bauten: | Walter Haag, Hans Joachim Kutzner |
Kostüme: | Salon Biebernell |
Masken: | Franz Siebert, Ilse Siebert, Maria Müller-Westhoff |
Schnitt: | Walter von Bonhorst |
Ton: | Erich Leistner |
Musik: | Hans-Martin Majewski |
Drehort: | Atelier Göttingen |
Außenaufnahmen: | Hamburg, Göttingen und Umgebung |
Länge: | 118 Minuten |
Uraufführung: | 7.3.1949 in Göttingen (Capitol) |
Preise: | IFF Locarno 1949: Preis für die beste Schauspielerin an Hilde Krahl |
|
|
Darsteller: | |
Hilde Krahl | Anna Gehrke |
Karl John | Beckmann |
Erich Ponto | alter Mann |
Albert Florath | Unternehmer |
Grethe Weiser | Frau Puhlmann |
Paul Hoffmann | Oberst |
Erwin Geschonneck | Kriminalbeamter |
Dieter Horn | Jürgen Gehrke |
Hubert von Meyerrinck | Direktor Engelbrecht |
Inge Meysel | Betty aus Berlin |
u.a. |
Nr. |
Inhalt |
Länge |
Zeit im Film |
0 |
Vorspann |
2.20 |
0.00 – 2.20 |
Hamburger Hafen: Ein Bestattungsunternehmer (der Tod) empfängt das Publikum; ein Mann (Beckmann) und eine Frau (Anna) am Wasser. Der Tod: „Sie, das wäre doch ein schönes Liebespaar? Zeitgemäß, wie?“Ein alter Mann geht zum Ufer. Der Tod tritt hinzu, der alte Mann ist „der Gott, an den keiner mehr glaubt“; der Tod ist „der Gott, an den man glaubt“.Beckmann und Anna reden über Freitod. Tod und Gott gehen ab. |
6.54 |
2.20 – 9.14 |
|
2 |
Anna und Beckmann unterhalten sich. Anna beginnt, von ihrer Hochzeit zu erzählen. |
2.21 |
9.14 – 11.35 |
3 |
Anna schildert ihre Hochzeit. |
2.25 |
11.35 – 14.00 |
3a |
RÜCKBLENDE Anna und Jürgen Gehrke heiraten kirchlich. |
(0.50) |
(11.35 – 12.25) |
3b |
RÜCKBLENDE Anna spricht über ihre damaligen Erwartungen |
(0.17) |
(12.25 -12.42) |
3c |
RÜCKBLENDE Annas Vetter hält die Hochzeitsrede. |
(0.55) |
(12.42 – 13.37) |
3d |
Anna fragt sich, warum sich alles so anders als erhofft entwickelt habe. |
(0.23) |
(13.37 – 14.00) |
4 |
RÜCKBLENDE Anna und Jürgen tanzen auf einem Ball. Nach dem Ball macht er ihr einen Antrag, den sie sofort annimmt. |
2.18 |
14.00 – 16.18 |
5 |
Annas Hochzeitsreise. |
1.01 |
16.18 – 17.19 |
5a |
Anna erzählt von ihrer Hochzeitsreise im August 1939. |
(0.17) |
(16.18 – 16.35) |
5b |
RÜCKBLENDE Gehrkes und Freunde reden über die Kriegsgefahr. |
(0.44) |
(16.35 – 17.19) |
6 |
Beckmann und Anna sprechen über den Kriegsbeginn. |
3.31 |
17.19 – 20.50 |
6a |
Beckmann spricht über die Hölle damals, Anna über „hier“ und „jetzt“. |
(0.30) |
(17.19 – 17.49) |
RÜCKBLENDE 1940 wird Jürgen einberufen, Anna ist unglücklich. |
(3.01) |
(17.49 – 20.50) |
|
Anna bietet ihm Zimmer und Essen an. Sie machen sich auf den Weg zu Annas Wohnung. |
1.57 |
20.50 – 22.47 |
|
8 |
Beckmanns Hochzeit und die Geburt seines Sohnes, die Geburt von Annas Tochter. |
1.47 |
22.47 – 24.34 |
8a |
Im Gehen beginnt Beckmann zu erzählen. |
(0.07) |
(22.47 – 22.54) |
8b |
RÜCKBLENDE Beckmann heiratet Lisa. |
(0.34) |
(22.54 – 23.28) |
8c |
Beckmann erzählt von der Geburt seines Sohnes. |
(0.09) |
(23.28 – 23.37) |
8d |
RÜCKBLENDE Lisa liegt nach der Geburt im Krankenhaus. |
(0.22) |
(23.37 – 23.59) |
8e |
RÜCKBLENDE Anna liegt nach der Geburt ihrer Tochter im Krankenhaus. |
(0.35) |
(23.59 – 24.34) |
9 |
Anna und Beckmann berichten über ihre Einsamkeit. |
03.56 |
24.34 – 28.30 |
9a |
Anna erzählt über die Gefallenenmeldung ihres Mannes, Beckmann über seine Rückkehr aus der Gefangenenschaft. |
(0.18) |
(24.34 – 24.52) |
9b |
RÜCKBLENDE Beckmann sucht in den Trümmern seine Wohnung. Sein Sohn ist tot, seine Frau in eine andere Wohnung einquartiert worden. |
(0.59) |
(24.52 – 25.51) |
9c |
RÜCKBLENDE Beckmann sucht seine Frau auf, die ihn für tot gehalten hat. Er geht wieder. |
(2.39) |
(25.51 – 28.30) |
10 |
Anna erzählt von den Bombennächten und ihrer Flucht aus der Stadt. |
1.38 |
28.30 – 30.08 |
10a |
Beckmann: „So schnell ist man vergessen.“ Anna erinnert an die einsamen, vergessenen Frauen und Kinder in den Bombennächten. |
(0.22) |
(28.30 – 28.52) |
10b |
RÜCKBLENDE In einer Bombennacht hilft ein Fronturlauber Anna. Beim Entwarnungssignal küssen sie sich. |
(1.16) |
(28.52 – 30.08) |
11 |
Annas Flucht und der Tod ihrer Tochter. |
7.59 |
30.08 – 38.07 |
11a |
Anna beginnt die Erzählung von der Flucht vor den Russen. |
(0.28) |
(30.08 – 30.36) |
11b |
RÜCKBLENDE Anna, ihre Tochter und eine Tante warten auf eine Gelegenheit zum Mitfahren. Ein PKW-Fahrer nimmt die drei auf sein Gut mit. |
(2.35) |
(30.36 – 33.11) |
RÜCKBLENDE Abends unterhalten sich der Gutsbesitzer und Anna. Der Gutsherr kann Anna durch seine galante Art für sich einnehmen. |
(2.39) |
(33.11 – 35.50) |
|
11d |
RÜCKBLENDE Am nächsten Tag bringt er sie nach Stolp, abends werden sie verladen, dabei kommt Monika zu Tode. |
(2.17) |
(35.50 – 38.07) |
12 |
Anna erzählt von ihrer Einsamkeit. Beckmann spricht über die Schuld, die er im Krieg auf sich geladen hat. Sie erreichen die Wohnung. |
2.00 |
38.07 – 40.07 |
13 |
Sie treten ein, Anna gibt ihm Kleidung, darunter die Trachtenjacke ihres Mannes. Anna sagt, sie fühle sich nutzlos und einsam – wie alle Frauen. |
6.23 |
40.07 – 46.30 |
14 |
Anna berichtet von ihrer Wohnungssuche. |
5.12 |
46.30 – 51.42 |
14a |
RÜCKBLENDE Wohnungsamt: Ein Beamter teilt ihr mit, sie könne nur drei Tage in der Stadt bleiben. Ein Vermittler besorgt ihr ein Zimmer. |
(1.56) |
(46.30 – 48.26) |
14b |
Anna erzählt, Frau Puhlmann, die Wirtin, habe nur widerwillig vermietet. |
(0.13) |
(48.26 – 48.39) |
14c |
RÜCKBLENDE Frau Puhlmann zeigt Anna missmutig ihr Zimmer. |
(0.41) |
(48.39 – 49.20) |
14d |
RÜCKBLENDE Der Vermittler fordert Anna auf, ihre Reize nicht nur für ihn, sondern auch für seine Geschäfte einzusetzen. Sie wirft ihn hinaus. |
(2.22) |
(49.20 – 51.42) |
15 |
Anna schildert menschliche Beziehungen als nur noch geschäftlicher Natur. |
3.15 |
51.42 – 54.57 |
15a |
Anna erzählt über den ihrer Ansicht nach geschäftsmäßigen Charakter der zwischenmenschlichen Beziehungen. |
(0.38) |
(51.42 – 52.20) |
15b |
RÜCKBLENDE Anna arbeitet in einer Fischfabrik; eine Kollegin will ihr einen Mann besorgen; Anna: „Die ganze sogenannte Liebe – ein Geschäft!“ |
(2.37) |
(52.20 – 54.57) |
16 |
RÜCKBLENDE Anna erzählt vom harten Winter. |
1.07 |
54.57 – 56.07 |
17 |
Anna erzählt über ihre Beziehung zu Alfred. |
6.22 |
56.07 – 1.02.29 |
17a |
RÜCKBLENDE Anna lernt Alfred kennen und geht mit ihm. |
(1.58) |
(56.07 – 58.05) |
17b |
Anna erzählt, dass ihr das Gefühl, versorgt zu werden, in der Beziehung zu Alfred am wichtigsten war. |
(0.24) |
(58.05 – 58.29) |
17c |
RÜCKBLENDE Alfred hat zahlreiche Geschenke für Anna. |
(0.39) |
(58.29 – 59.08) |
17d |
Anna berichtet, es habe kein gutes Ende genommen. |
(0.21) |
(59.08 – 59.29) |
17e |
RÜCKBLENDE Zwei Polizisten treten ein, die sie offenkundig für eine Prostituierte halten. |
(3.00) |
(59.29 – 1.02.29) |
18 |
Anna erzählt Beckmann, dass sie danach die Entscheidung getroffen habe, aus dem Leben zu scheiden. |
2.10 |
1.02.29 – 1.04.39 |
18a |
Anna sagt, dass sie für morgen aufs Präsidium bestellt worden sei. |
(0.24) |
(1.02.29 – 1.02.53) |
18b |
RÜCKBLENDE Der eine Beamte teilt Anna mit, dass Alfred sich getötet habe: „Schließlich müssen sie wissen, was sie angerichtet haben!“ |
(0.44) |
(1.02.53 – 1.03.37) |
18c |
Anna sagt Beckmann, dass sie danach beschlossen habe, die Konsequenzen zu ziehen. Sie bedankt sich bei Beckmann fürs Zuhören und setzt sich. |
(1.02) |
(1.03.37 – 1.04.39) |
19 |
Beckmann bedankt sich bei Anna. Er erzählt von seinen Schuldgefühlen, die von seiner Rolle als verantwortlicher Unteroffizier in Rußland herrührt. Er erzählt vom Besuch bei seinem ehemaligen Oberst. |
2.19 |
1.04.39 – 1.06.58 |
Beckmann sucht den Oberst auf. |
3.34 |
1.06.58 – 1.10.32 |
|
20a |
RÜCKBLENDE Beckmann geht zur Wohnung des Obersts |
(0.21) |
(1.06.58 – 1.07.19) |
20b |
RÜCKBLENDE Der Oberst sitzt mit seiner Familie beim Abendessen, als Beckmann sich vorstellt und einen Alptraum zu erzählen beginnt. |
(3.13) |
(1.07.19 – 1.10.32) |
21 |
TRAUMBILD Knochenxylophon, Parade der Gefallenen. Beckmanns Befehl wird verweigert, die Toten rufen seinen Namen. Beckmann schreit. |
2.55 |
1.10.32 – 1.13.27 |
22 |
Beckmann will dem Oberst die Verantwortung für die Toten zurückgeben. |
6.01 |
1.13.27 – 1.19.28 |
22a |
Beckmann beginnt, einen Wachtraum zu erzählen. |
(1.56) |
(1.13.27 – 1.15.23) |
22b |
TRAUMBILD Nachts treten Frauen und Kinder an Beckmanns Bett und fragen nach ihren Männern, Vätern, Söhnen, Brüdern, Verlobten. |
(0.50) |
(1.15.23 – 1.16.13) |
22c |
Der Oberst verspottet Beckmanns Erzählung mit dem Hinweis, er solle damit auftreten, bevor er ihn zum Essen einlädt – und zur Körperpflege: „Werden sie erst mal wieder ein Mensch!“ Beckmann: „Was, seid ihr Menschen?“ |
(3.15) |
(1.16.13 – 1.19.28) |
23 |
Beckmann entschließt sich, dem Rat des Obersts folgend, öffentlich aufzutreten. |
2.14 |
1.19.28 – 1.21.42 |
23a |
Beckmann erzählt Anna, er sei nach dem Besuch durch die Straßen geirrt und an einer Kabarettbühne vorbeigekommen. |
(0.42) |
(1.19.28 – 1.20.10) |
23b |
RÜCKBLENDE Beckmann betritt das Kabarett. |
(1.23) |
(1.20.10 – 1.21.33) |
23c |
Beckmann erzählt, dass er beim Theaterdirektor vorgesprochen habe. |
(0.09) |
(1.21.33 – 1.21.42) |
24 |
RÜCKBLENDE Der Direktor gibt ihm eine Chance. |
2.46 |
1.21.42 – 1.24.28 |
25 |
RÜCKBLENDE Beckmanns Bühnenauftritt. |
7.37 |
1.24.28 – 1.32.05 |
26 |
Beckmann erzählt von seiner Mutter und vom Tod der Eltern. |
4.45 |
1.32.05 – 1.36.50 |
26a |
Er sagt, er sei am nächsten Tag zur Wohnung der Eltern gegangen. |
(0.48) |
(1.32.05 – 1.32.53) |
26b |
RÜCKBLENDE Als junger Mann kommt Beckmann spätnachts nach Hause, wo seine Mutter ihn erwartet und das Essen für ihn aufwärmt. |
(1.12) |
(1.32.53 – 1.34.05) |
26c |
Beckmann schildert diese Zeit als Paradies. |
(0.12) |
(1.34.05 – 1.34.17) |
26d |
RÜCKBLENDE An der Wohnungstür erklärt ihm eine Fremde, dass seine Eltern Selbstmord begangen hätten. |
(2.33) |
(1.34.17 – 1.36.50) |
27 |
Beckmann: „Ich habe Hunger. Mir ist kalt. Ich bin müde. Ich kann nicht mehr.“ Er fällt ins Sofa. Nun erinnert sie sich daran, dass sie ihm etwas kochen wollte. Er schläft ein, sie geht und schließt die Tür. |
3.53 |
1.36.50 – 1.40.43 |
28 |
Die bis dahin unfreundliche Frau Puhlmann zeigt sich nach der Betrachtung des schlafenden Beckmann hilfsbereit. |
3.13 |
1.40.43 – 1.43.56 |
Beckmann träumt. |
15.00 |
1.43.56 – 1.58.56 |
|
Beckmann schläft, er beginnt zu träumen. TRAUMBILD Beckmann begegnet Anna und einem, für dessen Tod er sich verantwortlich fühlt. |
(4.57) |
(1.43.56 – 1.48.53) |
|
TRAUMBILD Beckmann begegnet dem alten Mann (Gott). |
(2.49) |
(1.48.53 – 1.51.42) |
|
29c |
TRAUMBILD Beckmann begegnet dem Tod in Gestalt eines Straßenfegers. Nach dessen Verschwinden kommt Anna zu ihm, auch sie verschwindet. |
(5.17) |
(1.51.42 – 1.56.59) |
29d |
TRAUMBILD Beckmann erblickt erneut den Einbeinigen, läuft davon und springt in die Elbe, die ihn an Land zurückwirft. Beckmann steht alleine da und ruft: „Warum schweigt ihr denn alle? Warum? Gibt denn keiner Antwort? Gibt keiner Antwort? Gibt denn keiner, keiner Antwort?“ |
(1.57) |
(1.56.59 – 1.58.56) |
30 |
Anna betritt das Zimmer, sie und Beckmann beschließen, füreinander die Verantwortung zu übernehmen. Einblendung „Ende“ |
4.36 |
1.58.56 – 2.03.32 |
Liebe 47, zwei Monate vor Gründung der Bundesrepublik uraufgeführt, ist einer der letzten „Trümmerfilme“. Drehort waren die Filmateliers auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens von Göttingen, Produzent die Göttinger Filmaufbau GmbH, die mit britischer Lizenz arbeitete. Die Produktionsfirma war bereits 1946 von Hans Abich und Rolf Thiele gegründet worden mit dem Ziel, zum Neubeginn des deutschen Films beizutragen. Die Firmengründer waren nicht in erster Linie kommerziell orientiert, sondern versuchten anspruchsvolle, problemorientierte Unterhaltung zu produzieren. Liebe 47, die erste nach langen Anlaufschwierigkeiten fertiggestellte Produktion, führte zum Konkurs der Firma, die anschließend ohne eigene Atelierbetriebe neu gegründet wurde. Die folgenden Filme wie Nachtwache, Es kommt ein Tag sowie verschiedene Thomas Mann -Verfilmungen waren erfolgreicher. Auch wenn sich finanzielle Verluste einstellten, blieb man bei dem Konzept, Filme mit „Anspruch“ zu produzieren.
Die Erstellung des Spielfilmes erwies sich als schwieriger als vermutet. Zum einen wollten die Gründer der Filmaufbau GmbH, Hans Abich und Rolf Thiele, gerne mit Wolfgang Liebeneiner zusammenarbeiten, der jedoch als ehemaliger Leiter der Reichsfilmakademie zunächst nicht arbeiten durfte. Zum anderen musste ein Stoff für den Film gefunden werden, dessen Drehbuch die Vorzensur der britischen Film Section passieren würde. Was das Problem mit Liebeneiner betraf, so fanden sich einflussreiche Fürsprecher, u.a. die jüdische Theaterintendantin Ida Ehre, die für seine „Entnazifizierung“ sorgen konnten. Die Suche nach einem Stoff kostete indes mehr Zeit. Erst das dritte eingereichte Drehbuch wurde von der Film Section zugelassen.
Für das Verständnis des Films ist es bedeutsam, dass Liebe 47 als Literaturverfilmung nach Wolfgang Borcherts Bühnenstück „Draußen vor der Tür“ entstanden ist. Wolfgang Borchert (20.05.1921 – 20.11.1947) war ein unbequemer Soldat gewesen. 1943 wurde er wegen politischer Witze zu neun Monaten Gefängnis verurteilt, dann aber „zwecks Bewährung“ an die „Ostfront“ geschickt. Der Entlassung wegen Untauglichkeit folgte wieder der Kerker, dann Nachkriegshunger, Krankheit und Tod. Zwei knappe Jahre blieben Borchert zum Schreiben. Dieses „Dichten wie im Wettlauf mit dem Tod“ ist in „Draußen vor der Tür“ in jeder Zeile zu spüren. Das Stück gilt als das bedeutendste jener Kahlschlag- und Trümmerliteratur nach 1945. „Im Mittelpunkt des gespenstischen Reigens aus physischem und moralischem Elend steht ein Kriegsheimkehrer, die Symbolfigur eines Menschen, den die Sinnlosigkeit eines Krieges und die moralische Stumpfheit des Milieus zerbrochen haben.“
Von Borchert im Spätherbst 1946 in wenigen Tagen geschrieben, wurde „Draußen vor der Tür“ am 13.2.1947 zum ersten Mal als Hörspiel vom NWDR gesendet, als Bühnenstück erlebte es seine Uraufführung in der Inszenierung von Wolfgang Liebeneiner am 21.11.1947, einen Tag nach dem frühen Tod Borcherts, in den Hamburger Kammerspielen. Der Stoff wurde schließlich 1948 wiederum unter der Regie von Liebeneiner verfilmt.
Die Dreharbeiten zu „Liebe 47“ begannen im August 1948. Technische, personelle und organisatorische Probleme verzögerten die Dreharbeiten beträchtlich. So mussten durch den Ausfall wichtiger Geräte aufwendige Einzelbearbeitungen im Schneideraum durchgeführt werden, um beispielsweise Probleme beim Gleichlauf von Film und Ton im Nachhinein zu beheben. Auch der Mangel an Fachpersonal zu jener Zeit trug dazu bei, dass der Produktionsetat um 10% und die geplante Drehzeit um 4 Wochen überschritten wurden. Daher musste der Termin für die Uraufführung vom 31.12.1948 letztendlich auf den 07.03.1949 verlegt werden.
Die Uraufführung fand im Göttinger Capitol statt. Das Premierenpublikum verharrte, so die zeitgenössische Presse, in seltener Anteilnahme und spendete anhaltenden Beifall, was, so ein Rezensent, angesichts dieses „anspruchsvollen, aber unerhört wertvollen Films“ nur angemessen gewesen sei. Auch anderswo sprach die Kritik von einem „über die Zeitfilmproduktion hinausgehenden Meisterwerk“, das die im Nachhinein nicht so glanzvolle Rolle Liebeneiners während der Naziherrschaft (u.a. Regie in den Filmen Bismarck, Die Entlassung und Ich klage an, von 1942 -1945 Produktionschef der Ufa) wettmache – es sei naheliegend, „ihm vor der einzigartigen künstlerischen Tat des Heute das Gestern zu vergeben.“ Wenngleich die Kritik den Film überwiegend lobte, blieben die deutschen Kinos, in denen Liebe 47 lief, relativ leer. Die Bilder einer Trümmerlandschaft, gleich mit welcher Moral verbunden, wollte das Publikum im Jahre 1949 nicht mehr sehen.
Filmsequenz |
Länge in Min. |
Gestaltet nach Szene (Szenenausschnitt) in „Draußen vor der Tür“* |
1 |
6.54 |
Vorspiel (103-105); Teilentsprechung |
2-6 |
11.36 |
Keine Entsprechung |
7 |
1.57 |
1. Szene: Beckmann, Mädchen (111-112) |
8-9a |
2.05 |
Keine Entsprechung |
9b-c |
3.38 |
1. Szene: Beckmann, der Andere (109-110) |
10-12 |
11.37 |
Keine Entsprechung |
13 |
6.23 |
2. Szene: Beckmann, Mädchen (112-114); Teilentsprechung |
14-18 |
18.06 |
Keine Entsprechung |
19 |
2.19 |
2. Szene: Beckmann, der Andere (117-118); Teilentsprechung |
20a |
0.21 |
Keine Entsprechung |
20b-22 |
12.09 |
3. Szene: Beckmann, Oberst, Schwiegersohn, Mutter, Tochter (119-128) |
23 |
2.14 |
Keine Entsprechung |
24-25 |
10.23 |
4. Szene: Beckmann, Direktor (130-136) |
26a |
0.48 |
4. Szene: Beckmann, der Andere (138) |
26b-c |
1.24 |
Erzählung „Die Küchenuhr“ (201-204) |
26d-29c |
22.39 |
5. Szene: Beckmann, Frau Kramer, der Andere , Mädchen, der Einbeinige, Gott , Straßenfeger (138-161) |
29d |
1.57 |
5. Szene: Beckmann, der Einbeinige (162-163); Der Traum (106-107); 5. Szene: Beckmann (165) |
30 |
4.36 |
Keine Entsprechung |
* die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf Wolfgang Borchert: Das Gesamtwerk, Hamburg 1996
„Was brauchen wir die Welt zu verbessern, fangen wir jetzt lieber bei uns an.“
Autorengruppe Nachkriegsspielfilme (1993)
Borchert hatte seinem Stück einige Sätze einleitend vorangestellt. Darin heißt es: „Ein Mann kommt nach Deutschland. Und da erlebt er einen ganz tollen Film. Er muß sich während der Vorstellung mehrmals in den Arm kneifen, denn er weiß nicht, ob er wacht oder träumt.“ Wer Liebeneiners Verfilmung in Kenntnis der Literaturvorlage aufmerksam verfolgt, dem geht es wie diesem Mann. Denn „Liebe 47″ erzählt eine andere Geschichte als „Draußen vor der Tür“. Die Veränderungen, die Liebeneiner vornimmt, ergänzen bzw. verkürzen nicht etwa nur, sondern verkehren die Gesamtaussage der Literaturvorlage letztlich ins Gegenteil (Vgl. Film und literarische Vorlage).
Der Film will gleich zu Beginn Mitgefühl und Anteilnahme erheischen: zwei Menschen (Mann und Frau) wissen im Nachkriegsdeutschland nicht mehr ein noch aus und wollen Selbstmord begehen: schwere, melancholische Musik mit kleinen Dissonanzen, erst Mann und Frau in Totalen aus der Obersicht (klein und verloren wirken sie), dann Großaufnahmen ihrer Gesichter, die Leid, Hoffnungslosigkeit und Trauer nun ganz „nahe“ bringen; Zwischenschnitte von schmutzigem, schwarzem, glucksendem Wasser; zerstörte Schiffsrümpfe als bedrohliche Symbole des gesellschaftlichen Zusammenbruchs. Während in „Draußen vor der Tür“ der Kriegsheimkehrer Beckmann der Protagonist ist, der verzweifelt Antwort und Halt sucht und nicht findet, wird der Heimkehrerfigur in „Liebe 47″ eine Frau an die Seite gestellt: Anna Gehrke, gespielt von Liebeneiners Ehefrau Hilde Krahl, begegnet am Elbufer dem Kriegsheimkehrer Beckmann, dargestellt von Karl John. Dadurch gelingt es Liebeneiner, für ein ursprünglich höchst unversöhnliches Stück eine dramaturgische Ausgangsposition zu schaffen, die ein happy end verspricht. Diese Grundtendenz des Films wird auch bereits in der ersten Sequenz ausgesprochen: „Das wäre doch ein schönes Liebespaar … Sie haben sich gefunden und noch in diesem Leben“, kommentiert die Figur des „Todes“. Auf diese Weise beruhigt, kann man den erschütternden Schicksalen, die die beiden sich im folgenden von der Seele reden, schon gelassener zuhören. (Vgl. Sequenz 1)
Die äußere Handlung von „Liebe 47″ ist einfach: Beckmann und Anna treffen sich am Elbufer, gehen in Annas Wohnung und finden dort schließlich zueinander. Währenddessen, und hier liegt der wichtigere Teil, erzählen sie sich und uns Stationen ihrer Vergangenheit, in Form von Rückblenden transportiert, die den größten Teil des Films ausmachen. Es sind konventionelle Rückblenden, eingeleitet durch Unschärfen und / oder gesprochene Hinweise; die Chronologie der Zeit wird eingehalten (Faschismus – Krieg – Nachkriegszeit). Die Rückblenden werden immer explizit ausgewiesen; dadurch besteht schon in der formalen Realisierung eine klare Trennung von „damals“ und „jetzt“ – es war furchtbar, aber es ist vorbei. Zudem wohnt Rückblenden generell ein „objektiver“ Charakter inne – der Zuschauer zweifelt nicht an der „allgemeinen Richtigkeit“ der Rückblende, auch wenn sie aus der subjektiven Perspektive einer Filmperson erzählt wird. Hier ist es die Opfer-Perspektive: So wa(hr) (ist) es. Zunächst, und zwar über die Hälfte des Films hinaus, wird Annas Geschichte in Rückblenden erzählt, bevor Beckmanns Erinnerungen und traumatische Erlebnisse thematisiert werden. Dies hat zur Folge, dass der Zuschauer die Zeitproblematik, insbesondere den Nationalsozialismus, vor allem aus der Sicht der Frau erfährt.
Dabei fallen zwei Eigenschaften Annas besonders auf: Zum einen zerfließt sie geradezu vor Selbstmitleid. Dieses verbindet sich mit pauschalen und abstrakten Schuldzuweisungen, vor allem die Männer sind es, denen sie Vorwürfe macht: „Ihr Männer habt uns alleingelassen“ (Sequenz 1), „Wir Frauen haben vielleicht den Führer angebetet, aber den Krieg haben die Männer gemacht.“ (Sequenz 7) Krieg erscheint hier als eine typische und normale Männertätigkeit, ganz im Sinne von Annas gefallenen, in einer Rückblende durchaus sympathisch gezeichneten Mann, der kurz vor seiner Einberufung erklärt: „Krieg gehört zum Leben wie Essen und Trinken.“ (Sequenz 6b) Diese eingeschränkte Betrachtungsweise wird auch im Weiteren weder von ihr noch von anderen korrigiert. Die Vergangenheit und der Krieg bleiben somit unverstanden, aufs Naturhafte reduziert und damit letztlich akzeptiert. Zum anderen erfährt Annas Verhalten gegenüber Beckmann im Verlauf des Films eine äußerliche Wandlung. Die Pauschalanklage gegen die Männer, die sie ihm gegenüber vorträgt, tritt allmählich in den Hintergrund, bis Anna sich zum Schluss als allein um „ihren“ Mann sorgende Frau darstellt. Dabei ist sie letztlich immer schon in einem weiblichen Rollenklischee verhaftet gewesen. In allen Schlüsselszenen ihrer Verfangenheit befindet sie sich, an der Seite wechselnder Männer, stets in der passiven Rolle. Männliche Dominanz und Beschützerfunktion werden von ihr keineswegs in Frage gestellt, sondern gesucht. Nicht Unterordnung und Abhängigkeit machen sie hier offensichtlich würdelos, sondern vielmehr, wie sie selbst sagt, die Erniedrigung zum Arbeitseinsatz bzw. unmoralische Ansinnen ihrer Beschützer. Ein Mann indes, so Anna zu Beckmann, habe immer eine Aufgabe, nämlich die Welt zu verändern. Einen bemerkenswerten Beitrag steuert in diesem Zusammenhang noch ein ostelbischer Adliger („letzter Kavalier“) bei, der Anna auf der Flucht Unterschlupf gewährt und der in ihrer Erinnerung an die Notzeit die positivste männliche Figur ist: „Sie sind das Leben“, sagt er zu Anna, „die Fruchtbarkeit, die Zukunft, die Frau, die heilige Natur, immer dem Wege des Herzens nah.“ (Sequenz 11c) Dieser Idealisierung, die Züge eines faschistischen Frauenbildes trägt, wird im Film nirgends widersprochen. Und nicht zuletzt: Der Filmstil in den Rückblenden erinnert an die Zeit vor 1945 – der glatte, „perfekte“ UFA-Stil zur Zeit des Nationalsozialismus erlebt seine Fortführung.
Thematisiert „Liebe 47″ anhand der „Neuschöpfung“ der Anna Gehrke Verhaltensweisen, die als typisch für das Schicksal einer Frau jener Zeit gelten sollen, so ist der heimkehrende Frontsoldat Beckmann das Pendant – beide zusammen sollen stellvertretend für ihre Generation stehen. Bei der Zeichnung des Beckmann hat Liebeneiner aus dem Fundus des Borchertschen Stückes geschöpft, wobei er einiges veränderte. Dazu gehört sowohl die Reihenfolge der Ereignisse als auch das Verhältnis von Realität und Traum. (Vgl. Film und literarische Vorlage) Die Rückkehr jenes Obergefreiten Bauer, dessen Verstümmelung Beckmann zu verantworten hat und der ihm seine Frau Anna wieder nehmen möchte, wird in „Liebe 47″ lediglich geträumt. (Vgl. Sequenz 29a) In „Draußen vor der Tür“ vertreibt der Einbeinige Beckmann von „einem“ Mädchen. „Der Andere“, eine Figur in Borcherts Schauspiel, die gewissermaßen das lebensbejahende alter ego Beckmanns darstellt und der gegenüber Beckmann seine existentialistische Verzweiflung äußert, fehlt in „Liebe 47″. Den Part des „Anderen“ übernimmt in gewisser Weise Anna, zumindest im letzten Teil des Films.
Was bei Liebeneiner in der Charakterisierung des Beckmann bleibt, ist, wenn auch nicht in der Schärfe der Vorlage, das den Kriegsheimkehrer plagende Gewissen, insbesondere die Frage der Verantwortlichkeit gegenüber Befehlen, die den Tod bzw. die Verstümmelung der eigenen Soldaten zur Folge hatten. In diesem Zusammenhang übernimmt Liebeneiner die bekannte Szene bei dem Oberst, dem Beckmann die Verantwortung für die Toten zurückgeben möchte. Für einen Einsatz mit zwanzig Soldaten hatte der Unteroffizier Beckmann die Verantwortung übertragen bekommen. Elf Soldaten kehrten von dem Einsatz nicht zurück. Die Sequenz im Haus des Oberst gehört ohne Zweifel zu den beeindruckendsten des Films. Aber auch hier glättet Liebeneiner (man vergleiche die Kommentare der Nebenpersonen bei Borchert). Die filmische Darstellung von Beckmanns Alptraum in dieser Szene galt seinerzeit als bemerkenswert; eine nähere Betrachtung läßt sie jedoch als zweifelhaft erscheinen. In einer aufwendigen Monate, mittels Negativbildern und Mehrfachbelichtungen, verschobenen Perspektiven, schrägen Bauten, Schlaglichtern und -schatten sowie verfremdetem Ton entsteht ein Bild des Krieges. Beckmanns alptraumhafte Visionen – die Filmtechnik macht sie sichtbar, dich sie bleiben letztlich leer. Das metaphorische „Aufzeigen“ der – vielleicht wirklich nicht darstellbaren – Schrecken des Krieges und der psychischen Deformationen Beckmanns geraten hier zu einer manierierten Bilderorgien, die einen extrem abstrakten, synthetischen Charakter besitzt. Diese Künstlichkeit schafft auf der einen Seite Ohnmacht (durch die vielfältigen Bildmetaphern, die regelrecht „erschlagen“), auf der anderen Seite Distanz: konkrete Auseinandersetzung mit der Realität des Krieges – und schon gar nicht mit den gesellschaftlichen Ursachen – ermöglicht dese Inszenierung nicht. Traumatische Erlebnisse im 2. Weltkrieg in Rußland werden allgemein und abstrakt – am deutlichsten in dem Aufmarsch des Soldatengemischs aus allen Jahrzehnten, dass die Vorstellung der Ewigkeit und Schicksalhaftigkeit des Krieges evoziert. Auffallend ist, dass es weder in diesem Traum noch an anderer Stelle „reale“ Bilder über das Handeln Beckmanns oder überhaupt eines deutschen Soldaten im Krieg gibt. Das Verantwortungsproblem bleibt somit in den Filmbildern irreal. (Vgl. Sequenz 20-22)
Diesen Inszenierungsstil rechtfertigte Liebeneiner 1949 als filmischen Expressionismus, der in der besten deutschen Filmtradition – und Kunsttradition überhaupt – stünde. Eine in diesem Zusammenhang geäußerte Kritik wischte Liebeneiner vom Tisch, indem er sie mit Goebbelschen Positionen gleichsetzte.
Doch auch bei Liebeneiner quält die Verantwortung für den Tod von Menschen den Heimkehrer Beckmann – jedenfalls bis kurz vor Schluss. Die Wende wird auch hier wieder von der Frau eingeleitet. Während bei Anna im letzten Teil des Films schon die fürsorgliche pragmatische Seite triumphiert – sie überlässt ihm ihr Bett und bereitet ein Abendessen für ihn -, wird er noch im Schlaf von Alpträumen geplagt. Im Traum zieht er die Konsequenz und springt ins Wasser, das ihn jedoch nicht haben will. Während er mit dem Aufschrei „lasst mich doch nicht allein“ erwacht, stürzt Anna mit dem Abendbrot herein. Und hier in der letzten Sequenz lösen sich dann noch die unbewältigten Probleme. Beckmann und Anna binden ihre Leben aneinander: falls einer der beiden das Leben wegwerfe, ginge der bzw. die andere hinterher. Sie geben sich gegenseitig die Verantwortung! „Wir haben jetzt jemand“, sagt Anna, „Was brauchen wir die Welt zu verbessern, fangen wir jetzt lieber bei uns an.“ Und Beckmanns letzte Worte: „Ach, so war das gemeint.“ Die kleinfamiliäre Harmonie zeichnet sich auch bildlich ab, es wird konventionell gefilmt, denn der Zuschauer soll sich wiederfinden, schließlich wird jetzt die Zukunftsperspektive aufgebaut. Während Anna in der Schlusseinstellung eine Kerze anzündet, isst er gemächlich sein Abendbrot, von beruhigender Musik begleitet. Gänzlich anders als bei Borchert, wo Beckmann die Verantwortung nicht los wird, mit seinem Rufen und Fragen allein bleibt, wird in „Liebe 47″ die individuelle Verantwortung für den Tod anderer Menschen umgemünzt in die Verantwortung kleinfamiliären Neuanfangs. Durch den beschlossenen Lebensbund ist das Verantwortungsproblem bei Liebeneiner gelöst. (Vgl. Sequenzen 29 und 30)
Auf den ersten Blick nicht von dieser Welt ist eine kleine, aber entscheidende Szene in „Liebe 47″: die Gottesallegorie. Bei Borchert erscheint Gott am Anfang und Ende des Stückes und zwar stets gleich – weinerlich, von Beckmann sarkastisch behandelt („schlaf weiter so gut… die alten Leute haben es am schwersten, die sich nicht mehr auf die neuen Verhältnisse umstellen können.“). In „Liebe 47″ wird Gott zwar in ähnlicher Weise eingeführt, gegen Ende hat er sich jedoch wieder zum übermächtigen Herrscher entwickelt, zu dem der daniederliegende Beckmann in der entsprechenden Einstellung auch physisch aufblicken muß. So mahnt Gott: „… es hat mich schon einmal gereut, ich erinnere euch an Noah, ich warne dich, wenn du mich begreifst, wirst du mir danken.“ Dabei schreitet die Gottesfigur an einer Menge offensichtlich frisch hergestellter Glocken entlang. Am Anfang des Films sah man am Elbufer einige zerstörte bzw. umgefallene Glocken in düsteren Bildern liegen. Demgegenüber symbolisieren die zahlreichen hellen und geordneten Glocken zum Schluß: das Himmelreich ist wieder intakt und Gott kann in tradierter Strenge den Menschen auf sein Weiterleben und sein Schicksal verpflichten. So wird aus der negativ-blasphemischen Theodizee bei Borchert die Reinstallation der Gottesautorität jenseits aller Erfahrung in „Liebe 47″. Der Neuanfang von Anna und Beckmann wird hier sozusagen auf „höchster Ebene“ vorweggenommen. (Vgl. Sequenz 29 b) Die Tendenz zur letztlich abgerundeten Liebesgeschichte zeigt sich auch in der Darstellung der „realen“ Nebenfiguren. Diese sind bei Liebeneiner ungleich zahlreicher und bilden mehr oder weniger eine Staffage im Sinne des großen Ufa-Films – besonders deutlich in der Figur der ewig nörgelnden Zimmerwirtin Annas (Grethe Weiser), die beim Anblick des Rußlandheimkehrers freilich doch noch läutert und sich fortan von ihrer besten Seite zeigt.
So erweist sich „Liebe 47″ bis in viele Details hinein als versöhnlich, ja zum Schluß optimistisch und hoffnungsvoll. Die mehr oder weniger deutlich angerissenen Zeitprobleme – Zerstörung, Verlust von Menschen, Flucht, Fronterlebnisse, Gefangenschaft etc. – werden, sofern überhaupt „real“ gezeigt, nur aufgehäuft, als Belastung deutscher Opfer genannt, keine kritische Diskussion, kein Versuch einer „Vergangenheitsbewältigung“.[1] Stattdessen die Verdrängung der Vergangenheit durch die neue persönliche Verantwortung in der Paarbindung. Der Aufschrei einer geistig-moralischen Obdachlosigkeit in „Draußen vor der Tür“ weicht so dem optimistischen Neuanfang in „Liebe 47″, wobei sich die Konturen einer neuen kleinfamiliären Identität abzeichnen, die gekennzeichnet durch ein unpolitisches Selbstverständnis und den Rückzug ins heimelige Interieur, ein Stück Mentalität der späten vierziger Jahre wiedergeben. Man beginnt, sich wieder häuslich einzurichten.
[1] Wie politisch unreflektiert die Vergangenheit teilweise dargestellt wird, zeigt nicht zuletzt die unkommentiert bleibende Äußerung des bereits erwähnten, durchweg sympathisch dargestellten ostelbischen Adligen, der das nahende Ende des Krieges kommentiert: „Wir waren die Herren… jetzt kommt die Masse“, was man jenem „Gefreiten aus Braunau zu verdanken“ habe.
Herr Theaterbesitzer:
Die Tatsachen sprechen für sich
„Liebe 47“ wird mit einer Leidenschaftlichkeit diskutiert, wie sie nur vor dem wahren Kunstwerk entflammt. Kein deutscher Film hat Politiker, Wissenschaftler, Künstler, die Kirchen, Arbeiterschaft und Jugend so gewaltig ergriffen, wie „Liebe 47“.
„Liebe 47“ ist keine nervenaufreibende Reportage der Vergangenheit im berüchtigten Konjunkturstil, sondern das mitreißende Bekenntnis zum Leben und die erhebende Meisterung eines Themas über die Zeiten hinweg. Nach dem Urteil der Fachwelt wird der Film seine Wirkungen in Zukunft noch vertiefen!
„Liebe 47“ hat das überwältigende Dokument eines Frauenschicksals entrollt, wie es Millionen, die ähnliches erfuhren, nah am Herzen lebt. Deshalb ist die Wirkung dieses Films auch so unmittelbar!
„Liebe 47“ ist der vielbewunderte Wurf einer genialen filmschöpferischen Phanatasie, die geistreichende Experimente nicht nötig hat, um einen bleibenden Eindruck zu erzielen. Der Film schöpft aus der unzerstörten und unzerstörbaren Substanz des deutschen filmkünstlerischen Schaffens.
„Liebe 47“ zeigt den Weg einer Frau, der nichts im Leben erspart bleibt – den Weg an fünf Männern vorüber zu jenem Sechsten, der ihre mütterliche Bereitschaft weckt und das Leben zur löhnenden Aufgabe macht. Dieses leidenschafterfüllte Thema erklärt allein schon die starke Anteilnahme der Besuchermassen.
„Liebe 47“ spielt in Hamburg, Berlin, Ostpreußen und Oberbyern. Der Film bringt Hafenmilieu und Hochgebirgswelt, Herrenhof und Massenquartier, Luxus und Fabrikarbeit, Sauberkeit und Kriminalität – eine Fülle verschiedenster Bilder und Visionen. „Liebe 47“ steht über jeder landschaftlichen, weltanschaulichen und konfessionellen Gebundenheit – es ist der Spitzenfilm von deutsche und gleichzeitig übernationaler Bedeutung.
Aus dem Werbeprospekt der Filmaufbau un des Panorama Verleih
Der folgende Text gibt in Auszügen einen Leserbrief des Regisseurs Wolfgang Liebeneiner an das Elite-Film-Magazin, Zürich, vom Oktober 1949 wieder. Liebeneiner äußert sich darin zu den eigenen Erfahrungen mit der Filmzensur unter dem Nationalsozialismus und gibt Anekdoten aus seinen diesbezüglichen Gesprächen mit Propagandaminister Joseph Goebbels. Liebeneiner gibt an, Goebbels hätte seinen Filmen die gleichen geschmacklichen Einsprüche entgegengebracht, wie sie der Kritiker des Elite-Film-Magazins gegen Liebeneiners ersten Nachkriegsfilm „Liebe 47″ geäußert habe.
“ (…) Dann jedoch entdeckte er (Josef Goebbels, d.V.), daß die deutschen Künstler genau wie in den Tagen von ‚Dr. Caligari‘, dem ‚Müden Tod‘ und ‚Faust‘ einen Hang zum Transzendentalen und Irrealen besaßen, der sich im direkten Gegensatz zu jenen volkserzieherischen Maßnahmen befand, die ein Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda den Deutschen angedeihen lassen wollte, denn die Deutschen sollten ja eine nüchtern und harte, der realen Welt zugewandte Nation werden. Der Expressionismus, jene urdeutsche Dichtung, die schon bei Matthias Grünewald ihre frühesten Blüten getrieben hatte, wurde als ‚entartete Kunst‘ bezeichnet und verfemt.(…)“.
Liebeneiner schildert anschließend die Zensurprobleme seiner beiden Filme „Yvette“ (1937/38) und „Du und ich“ (1938).
„Dann erklärte er (Josef Goebbels, d.V.) mir, daß die Kamera ja nur das aufnehmen könne, was es in der Wirklichkeit zu sehen gäbe, daß der Film der Technik verhaftet sei, und darum müsse der Film auch realistisch bleiben, und je realistischer er sei, desto näher käme er der wahren Filmkunst.
Das war das genaue Gegenteil dessen, was sich die deutschen Künstler von jeher unter Film vorgestellt hatten, und was die besten deutschen Filme wie überhaupt die beste deutsche Kunst von jeher ausgezeichnet hatte. Ich war tief betroffen, und als Goebbels dann in einer öffentlichen Rede meinen Film (‚Du und Ich‘, d.V.) zitierte, um daran nachzuweisen, was entartete und was echte Kunst sei, merkte ich, daß die politische Fuchtel, die wir im Film gar nicht so sehr zu spüren bekamen, halb so schlimm wie die weltanschauliche war, die sich in drakonischen Kunstgesetzen auswirkte.“
Die von ihm realisierten Filme „Bismarck“ (1940), „Ich klage an“ (1941) und „Die Entlassung“ (1942), die allesamt stark propagandistische Züge tragen, werden von Liebeneiner nicht erwähnt.
„(…) Als ich nun nach dem Kriege meinen ersten Film drehte, ‚Liebe 47‘, nach jenem Stück des jung verstorbenen Wolfgang Borchert, das als echtes deutsches Theaterspiel im Reich des Transzendentalen und des Jenseitigen spielt, da war ich froh, daß diese Fesseln abgeschüttelt waren, und daß wir nun dort wieder anknüpfen konnten, wo die tiefsten Wurzeln unserer Kunst liegen. Anna, die Frauengestalt, die ich zu dem Stück meines Freundes Borchert nach seinem Tode hinzuerfunden habe, wenn auch auf Grund unserer Gespräche über eine Verfilmung, ist als Frau ganz dem Diesseits und der Realität verhaftet. Beckmann jedoch, der heimkehrende, junge Soldat, an den Rand seiner Existenz geschleudert, ringt nicht nur mit dieser Welt, sondern auch mit jener, in der seine Seele zuhause ist und in der ihm Gott und Tod im Traum begegnen, denn ein richtiger Deutscher lebt eben nur zum Teil in der Klarheit und in dem Bewußtsein, zum Teil lebt er im Unterbewußtsein, in der Sehnsucht und in seiner Phantasie. Das ist seine besondere Kraft im Guten und seine besondere Kraft im Bösen. Aber wenn ich einen echten Deutschen zeigen will, so darf ich das nicht vergessen. (…)
Darum war ich aufs höchste erstaunt, als mir der Schweizer Kritiker Rothenhäusler, der den Film scharf ablehnte, als Begründung für diese Ablehnung fast wörtlich die gleichen Argumente vorbrachte, mit denen Dr. Goebbels meinen Film ‚Du und ich‘ abgelehnt hatte. (…)“
Auszug aus einem Leserbrief von Wolfgang Liebeneiner. Abgedruckt unter dem Titel „Wolfgang Liebeneiner und Josef Goebbels“ in: Elite-Film-Magazin, Zürich, Oktober 1949
(…)
FRAGE: Ihr erster Film war also LIEBE 47. Der Film weicht ja deutlich ab von der literarischen Vorlage – und zwar in einer sehr charakteristischen Weise: es gibt eine zweite Hauptrolle, Anna, gespielt von Hilde Krahl. Eine solche Frauengestalt, mit diesem Gewicht, ist in Borcherts Stück nicht enthalten. Wurde über diese Veränderung gegenüber dem Stück diskutiert? Was hat man sich davon versprochen? Welche Rolle hat der Regisseur Wolfgang Liebeneiner dabei gespielt?
ABICH: Wir wollten nicht die ganze „Realisierung“ von Literatur, sondern waren der Meinung, daß Film immer eine Art „Umsetzung“ ist, und damit auch Veränderung. Die Änderungen gingen zurück auf Liebeneiner, der das Stück ja bereits in Hamburg inszeniert hatte, und auf einen zweiten Drehbuchautor (Kurt Joachim Fischer), der die Figur der Anna „zum Blühen“ brachte. Wir haben uns dieser Veränderungen nicht geschämt, denn wir wußten: das waren zwei Dinge, Film und Theaterstück.
Außerdem hätten wir den „reinen“ Borchert bei keinem Verleiher unterbekommen. Nur die Figur der Anna hat den Film beim Verleih möglich gemacht.
Allerdings: Trotz dieser Figur ist der Film zwar viel besprochen, aber wenig besucht worden. Das hing wohl auch damit zusammen, daß das Publikum diese Trümmer und auch die Schuldabtragungsfrage zu dieser Zeit nicht mehr wollte.
Borchert war für unsere Generation fast etwas zwischen Pflicht und Begeisterung. Wir mußten doch etwas abarbeiten an Thematik. Für Liebeneiner war es ein Stoff, mit dem er sozusagen eine neue „Liebeneiner-Zeit“ eröffnen wollte, denn er war ja Produktionschef der Ufa gewesen.
FRAGE: Kann man Liebeneiner als Regisseur paradigmatisch sehen für ihre Situation damals: neue Themen mit alten Leuten?
ABICH: Ja.
FRAGE: Sie hatten auch keine Schwierigkeiten, ihn zu engagieren?
ABICH: Nun, gleichzeitig lief ein Entnazifizierungsverfahren gegen ihn. Davon waren wir abhängig. Es lief sonderbar gut, denn er wurde von der zuständigen Spruchkammer freigegeben. Das imponierte uns. Im übrigen: Schon als Studenten in Berlin erschien uns Liebeneiner, den wir ja nicht persönlich kannten, von seiner Arbeit her als „Individualist“.
FRAGE: Liebeneiners Film LIEBE 47 spendet – im Gegensatz zu Borcherts Stück, das den Leser mit vielen offenen Fragen allein läßt – Trost, gibt Antworten und endet schließlich in einer Art „kleinbürgerlicher Harmonie“. Die Verantwortung, die vorher gesellschaftlich war, wird übernommen in eine private Verantwortung der Zweisamkeit. Hatte diese Funktion des Trostspendens etwas zu tun mit ihren Erziehungszielen?
ABICH: Ja, genau dies muß uns wohl damals „bestochen“ haben. Denn hätten wir aufgehört mit „Gibt denn keiner Antwort“, hätte uns diesen Film kein Verleiher abgenommen. Aber wir standen auch selbst zu diesem Schluß, denn wir dachten, wir könnten ein Publikum nicht dahin führen, wo es noch gar nicht ist. Wir hatten auch Angst vor jedem „Heroismus“, auch vor dem warnenden. Wir fanden diese Schlußszene seltsam klein, aber gut gelungen (…)“
Zitiert nach: Lichtspielträume. Kino in Hannover 1896 – 1991, hrsg. von der Gesellschaft für Filmstudien e.V., Hannover 1991. Darin: Zeigen, wie es sein soll. Ein Gespräch mit Hans Abich, S. 57-68. (Auszug)
„Liebe 47“ ist ein Film, der einen Wendepunkt der Filmentwicklung in den Westzonen nach dem Ende des Il. Weltkrieges markiert. Als einer der letzten der sog. „Trümmer-Filme“ ist er in einer auf Wiederaufbau und Fortschritt fixierten Gesellschaft kein Publikumsrenner gewesen. Gleichwohl wurde er von der zeitgenössischen Kritik –.T. enthusiastisch gelobt: „leer ist er: der Film, der auch noch in Jahrzehnten Gültigkeit hat. Gültigkeit hat für die inneren Erlebnisse, die inneren Wandlungen und die durch sie bedingten Lebensgesetze deutscher Menschen jener halbvergessenen Kriegs- und ersten Nachkriegsjahre. Ein Film, für den künstlerische Gestaltung, Bildeffekte und Regieeinfälle nur Mittel sind, um zum letzthin Wahren vorzustoßen. Ein Film, in dem ein Genialer Regisseur (Wolfgang Liebeneiner) alle Erfahrungen und Kniffe der Zelluloidwelt ausgeschöpft hat, um den Stoff eines genialen Dichters (Wolfgang Borchert) zum filmischen Kunstwerk umzuformen.“ (Nordwest-Zeitung, Oldenburg, 27.08.49)
Die Kritik hebt dabei positiv hervor, was – unter Quellengesichtspunkten gesehen – den Film zu einem prägnanten Dokument für Bewußtseinshaltungen am Ende der 40er Jahre macht. „Was in „Liebe 47″ geschieht, ist (,.. ) nichts als eine Korrektur des Borchertschen Pessimismus gewesen.“ (Welt, 1950) „… In der Flüchtlingsfrau Anna (… ) ist wohl zum ersten Male so klar ausgeleuchtet das Wesen der modernen Frau umrissen, die sich selbständig gemacht hat und doch immer einem beschützten Dasein nachtrauern wird, die ‚im Leben steht‘ und deren Seele friert…“ (Zeit 1950) „Da ist sie, die dem Gefährten ihres Leides ein ganz neues, strenges Glück – eine Liebe aus unserer Gegenwart geben kann. Borchert – Liebeneiner klagen nicht an, sie fragen.“ (Ev. Filmbeobachter 13/1949). „Was brauchen wir die Welt zu verbessern, fangen wir lieber bei uns selber an“, so endet das Drehbuch!
Der Film offenbart eine spezifische Form der Verdrängung der Ereignisse aus der Zeit des Faschismus und vor allem das Streben nach individuellem und familiärem Glück in einer sonst kaum zu findenden Deutlichkeit. Beide Verhaltensweisen hatten sich als kollektives Verhalten in der gerade gegründeten Bundesrepublik durchgesetzt. Sie werden prägende Merkmale der gesellschaftlichen Entwicklung der 50er Jahre.
Der Film verdeutlicht die Verdrängung der Vergangenheit, obwohl er sich mit Faschismus und Krieg beschäftigt, weil er dies oberflächlich und verständnislos tut, Er dokumentiert die individualistische, auf privates Glück orientierte Lebensperspektive der Menschen besonders deutlich, weil er die gesellschaftlichen Bezüge vermissen läßt, Damit ist Liebeneiner gezwungen, die literarische Vorlage entscheidend zu modifizieren, ja in ihr Gegenteil zu verkehren.
Die zentralen Motive der Filmgeschichte sind zugleich auch die Themenbereiche, die mit Hilfe dieses Films erarbeitet werden können:
- Aufarbeitung bzw. Verdrängung von Faschismus und Krieg
- Problem der Suche nach Identität und Lebensperspektive
- Integrationsprobleme der Heimkehrer
Bei der Erarbeitung dieser Themenbereiche bietet es sich an, den Film im Vergleich mit der literarischen Vorlage „Draußen vor der Tür“ zu behandeln. Dabei sollte der Aufbau der Filmerzählung zunächst mit dem Aufbau des Theaterstücks verglichen werden und die Veränderungen sowie deren Bedeutung herausgearbeitet werden:
- die Reihenfolge der Filmsequenzen unterscheiden sich von der Szenenfolge im Stück von Borchert,
- es wird eine zweite Hauptfigur eingeführt,
- das Gottesbild Borcherts wird im Film nicht übernommen
Darstellung von Faschismus und Krieg
NS-Zeit und Krieg werden im Film über Rückblenden thematisiert, die es dem Regisseur erlauben, keine „geschlossenen Geschichten“ erzählen zu müssen, sondern Ausschnitte darzubieten, Damit wird bedeutsam, was aus der NS- und Kriegszeit ausgewählt, was als darstellenswert angesehen wird und wie diese Auswahl präsentiert wird. (vgl. Filmkritik)
Beachtet werden sollte dabei: Der Faschismus wird fast ausschließlich aus der Perspektive der Frau, über die Erinnerungen Anna Gehrkes dargestellt – einer Figur, die in der literarischen Vorlage nicht existiert. Die ersten Rückblenden des Films, welche die Privatsphäre Anna Gehrkes zeigen, sind gut geeignet, um herauszuarbeiten, wie wenig wirklich „Faschismus“ dargestellt wird und wie Vergangenheit als „Schicksal“, quasi als „Naturkatastrophe“ angesehen wird. Darstellenswert sind dann vor allem die Leiderfahrungen Anna Gehrkes im Krieg – sie steht geradezu „repräsentativ“ für eine Vielzahl „deutscher Frauen“. Bei der Arbeit mit den filmischen Rückblenden sollte besonders auf die „Kommentierung“ durch Anna Gehrke geachtet werden, ordnet doch dieser „Kommentar“ die einzelnen Sequenzen zu einem „Bild von Vergangenheit“, wie es damals nicht untypisch gewesen ist.
Auch Kriegsereignisse werden über Rückblenden thematisiert aus der Perspektive eines Mannes: in den Traumsequenzen Beckmanns, beim Gespräch mit seinem ehemaligen Oberst und im Kabarett. Beide Filmsequenzen fallen aus der sonst eher konventionellen Gestaltung des Films heraus: Eine Vielzahl von Gestaltungselementen wird eingesetzt, um die Schrecken des Krieges darzustellen – und gleichzeitig zu naturalisieren“. Krieg erscheint – im Gegensatz zu Annas Leiderfahrungen – „irreal“, traumatisch. Zudem erscheinen nirgendwo handelnde (deutsche) Soldaten, keine Täter, nur Opfer. Krieg ist menschliches Schicksal, daß es schon immer gegeben hat:. Soldaten aus allen Jahrhunderten der Menschheitsgeschichte ziehen im Traum an Beckmann vorüber. Die konkrete Anklage Borcherts verkümmert hier zum Klageruf, zur bloßen Frage.
Eine Gegenüberstellung der Rückblenden Anna Gehrkes mit denen Beckmanns macht deutlich, daß diesem Film nicht an einer Aufarbeitung der Vergangenheit, sondern an der Darstellung des erlebten Leides gelegen ist. Er erzählt so aus einer Opferperspektive, die es dem Zuschauer ermöglicht, sich von der Vergangenheit „zu entlasten“ – aber auch dieses Angebot mochten 1949 nicht mehr viele Menschen sehen.
Suche nach Identität und Lebensperspektive
In der Einführungssequenz-. des Films wird dieser Aspekt als Mangel, als etwas, was den beiden Protagonisten der Handlung fehlt, deutlich benannt und als ein „Problem der Zeit“ gekennzeichnet. Zugleich wird aber auch schon die Antwort, das Ziel, angedeutet: „…das wäre, doch ein schönes Liebespaar“. Die Identitätsprobleme der beiden Hauptfiguren lösen sich auf, indem sie sich ihr Leid klagen und schließlich gegenseitig die Verantwortung für den anderen übergeben. Die – sehr lange – Schlußsequenz deutet die Perspektive für die Zukunft an: die kleinfamliäre Harmonie, in der man wieder ein Zuhause hat.
Integrationsprobleme von Heimkehrern
Die (psychischen) Probleme eines Frontsoldaten, sich in einer veränderten Nachkriegsgesellschaft zurechtzufinden und die realen Schwierigkeiten, die einer Integration entgegenstanden, werden am Beispiel Beckmanns exemplarisch aufgezeigt. Beckmanns Erinnerungen an seine Rückkehr nach Deutschland – Haus zerstört, Kind und Eltern tot, Frau lebt mit einem anderen Mann zusammen, da sie Beckmann für tot hält – sollen „belegen‘ warum dieser Mann „nicht mehr kann“. Sie stehen hier im engen Zusammenhang mit den Leiderfahrungen Anna Gehrkes aus den Nachkriegsjahren und konstituieren damit eine gemeinsame Opferperspektive – die später die Grundlage für eine gemeinsame Zukunft wird.
Beckmann leidet darüber hinaus darunter, daß er seine Verantwortung – für den Tod von 11 Kameraden, die er während eines Aufklärungseinsatzes kommandierte – nicht zurückgeben kann: ihn quält sein individuelles Schicksal, er stellt keine Fragen nach Ursachen, er fordert keine Rechenschaft – er will wieder schlafen können. Der zerbrochene Kriegsheimkehrer wird jedoch durch eine liebende Frau wieder ins Leben zurückgeführt.
Filmvergleiche
Für die Bearbeitung der Heimkehrerproblematik, aber auch die Suche nach Identität sollte der Film im Vergleich mit DIE MÖRDER SIND UNTER UNS behandelt werden. Unter dem Gesichtspunkt der Darstellung von Faschismus und Krieg ist sinnvoll, den Film im Vergleich mit DER RAT DER GÖTTER zu behandeln. Dabei sollte vor allem die Frage gestellt werden, ob diese Filme als Anti-Kriegsfilme zu verstehen sind. – und in der Nachkriegszeit so gesehen werden konnten.
Echternkamp, Jörg: Liebe 47 – ein unzeitgemäßer „Zeitfilm“ (1949). Der historische Spielfilm als Seismograph diskursiver Verwerfungen. In: Hürter, Johannes/Hof, Tobias (Hg.): Verfilmte Trümmerlandschaften. Nachkriegserzählungen im internationalen Kino 1945-1949. Band 119 der Reihe Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, München 2019, S. 97-113
Perinelli, Massimo: Liebe ’47 – Gesellschaft ’49. Geschlechterverhältnisse in der deutschen Nachkriegszeit. Eine Analyse des Films Liebe 47. Hamburg 199