Ingrid. Die Geschichte eines Fotomodells (1954)

Inhalt

Ingrid, ein junges und unerfahrenes Mädchen, wird zur „Miss Mannequin“ gewählt. Der Fotoreporter Walter freut sich, weil er ihr Freund ist, der Journalist Robert, weil er eine gute Story wittert.  Am nächsten Tag lässt Robert sich ihre Lebensgeschichte erzählen, und während sie redet, verliebt sie sich in ihn. Da ihre Geschichte aber so gar nichts für eine interessante Story hergibt, will er wenigstens ihr reizendes Lächeln vermarkten. Und er hat Erfolg, sie macht Karriere als Fotomodell. Nur ihre Liebe spürt er nicht, und als sie ein Kind erwartet, soll der „Zwischenfall“ so schnell wie möglich aus der Welt.


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(Filminstitut Hannover)

Regie: Geza (von) Radvanyi
Regie-Assistenz: Ilona Juranyi
Buch: GerdaCorbett, Joachim Wedekind, Geza (von) Radvanyi
Kamera: Richard Angst
Bauten: Walter Haag
Kostüme: Brigitte Scholz
Schnitt: Reni Le Hénaff
Ton: Hans-Joachim Richter
Musik: Hans Martin Majewski

Darsteller:

Hannerl [= Johanna] Matz (Ingrid)
Paul Hubschmid (Robert)
Paul Edwin Roth (Walter)
Erni Mangold (Hanne)
Louis de Funös (D’Arrigio)
Alice Treff (Directrice)
Josef Offenbach (Herr Moga)
Franz Schaftreitlin (Ingrids Onkel)
Elly Burgmer (Ingrids Tante)
Stanislav Ledinek (Bildagent)
die Mannequins Hanita Hallan, Tessie Kuhls, Marion Carr, Carla Maria Hagen, Isolde Bräuner, Dita Marlow,
Hannelore Morell;
Gerda Corbett, Jöns Andersson, Hans Friedrich, Christel Rodrian, Maggie Hentze, Erna Sellmer, Michael Burk, Ingrid van Bergen, Horst Beck, Ilse Künkele, Georg Eilert, Linda Geiser, Harry Gondi, Wolfgang Kner, Wilhelm Walter, Kurt Kopisch, Ann
Höling, Hermann Kner.
Produktion: Filmaufbau GmbH, Göttingen
Produzent: Hans Abich, Rolf Thiele
Produktionsleitung: Hans Abich; Assistenz: Gottfried Wegeleben.
Aufnahmeleitung: Frank Roell, Eberhard Krause.
Drehort: Atelier Göttingen, Real-Film-Studios Hamburg-Wandsbek,
Außenaufnahmen; Hamburg und Umgebung.
Länge: 112 min, 3063 m.
Format: 35 mm, s/w, l:1.33.
Uraufführung : 21.1. 1955, Berlin (Kiki).

Mit seiner vermeintlichen Lebensnähe und der eher subtilen Bilanz des ersten Nachkriegsjahrzehnts aus der Perspektive einer jungen Frau aus der Großstadt fand »Ingrid« ein recht positives Kritikerecho in der Bundesrepublik.

An diesem Film stimmt alles, nur nicht der Titel. Der Aufstieg der kleinen Ingrid zum Mannequin und Fotomodell wird nur am Rande gestreift. Gott sei Dank, möchte man sagen. Nur so konnte dem ungarischen Regisseur Geza Radvanyi, der nach dem Krieg in Ungarn, Italien und Frankreich aufsehenerregende Filme schuf, der mutige Versuch gelingen, ein wirklichkeitsgetreues Bild der deutschen Nachkriegsjugend auf die Leinwand zu bringen: von schweren Erlebnissen vorzeitig gereift, hart, illusionslos und sich doch nach einer bescheidenen Sicherheit sehnend.

Das Schicksal Ingrids ist das Schicksal von vielen deutschen Mädchen und Frauen. Krieg und Flucht, Suche nach den Angehörigen, Lagerleben und endlich ein neuer Anfang. Als Näherin in einem Modesalon schlägt sie sich durch, ein glücklicher Zufall bringt sie auf den Laufsteg. Beruflicher Erfolg stellt sich ein und auch privat scheint alles nach ihren Wünschen zu gehen. Ihre „große“ Liebe, der schlacksige Robert, entdeckt, daß aus dem anfangs übersehenen häßlichen Entlein ein stolzer Schwan geworden ist. Auch Robert ist ein Typ unserer Zeit! Ewig in Hetze, ein wenig oberflächlich und mit einer starken Abneigung gegen Bindungen jeder Art. Erst als es wegen des zu erwartenden Kindes zum Bruch mit Ingrid kommt, wird ihm klar, daß ein bescheidenes Glück in einerZweizimmerneubauwohnung auch etwas sehr Erstrebenswertes ist. Und lngrid sagt zu einem Leben mit ihm, trotz allen Enttäuschungen, ja. (…)


o.v., Stuttgarter Zeitung, 9.2.1955

Der Nachkriegsfilm Irgendwo in Europa“ ließ den Namen des Regisseurs Geza Radvanyi bekannt werden. Dieses Kinder-Epos ging in die ganze Welt. Als dann der Film „Frauen ohne Namen“ folgte, hatte er seinen Namen bereits auf einen Nenner gebracht. Es waren die Namenlosen, an die er sein Herz gehängt hatte, die Menschen ohne Papiere, ohne Heim, ohne Heimat. Das brachte ihm die Neigung vieler ein, die sich gleichzeitig besorgt fragten, was er nun wohl gestalten würde. Mußten seine Themen sich mit der zunehmenden Konsolidierung der Verhältnisse nicht erschöpfen?

Und da kommt er nun mit einem Film, der „Stars“ hat wie Hannerl Malz und Paul Hubschmid, mit einem Titel wie „Ingrid. die Geschichte eines Fotomodells“, und weckt Befürchtungen. Klingt das alles nicht nach Klischee? Ist das nicht ein Haschen nach Publikumsgunst? Bedeutet es nicht ein Einschwenken in das Übliche? das Billige sogar? Mit diesen Fragen geht man ins Kino, aber man kommt beruhigt wieder heraus. Radvanyi hat sich nicht geändert. Gewiß, das Thema „Fotomodell“ klingt nach Pin-up-Girl, aber Radvanyi kehrt es um. Ihn interessiert nicht das Pikante oder Senile an diesem Stoff, sondern das Hintergründige. Dieses aus dem einfachen, „Käthe“ in „Ingrid“ umgetaufte Vorführmodell ist ein Mensch, ja, ein namenloses Mädchen. Aus den Trecks des Nachkriegs aufgetaucht, fiel es, der fehlenden Papiere wegen – da ist Radvanyis Anliegen wieder! – in die Hände eines „hilfreichen“ Paßfälschers, der es verführte, und seit jenem Tage hat es ein Trauma.

Zwei Freunde stoßen auf Ingrid, ein geheimer Reporter und ein verspielter Lichtbildner. Sie läßt sich mit dem ersteren, weil er weniger Umstände macht, ein. Er verkauft ihr Lächeln an die Zeitungen, und sie – fühlt sich eines Tages Mutter. Als sie es Robert gesteht, will er bremsen, doch sie verläßt ihn und bringt ihr Kind zur Welt. Als sie zufällig wieder auf Robert trifft, stellt er fest, daß sie eine andere geworden ist. Sie ist ernster und weiß, was sie will. Und das bringt nun ihn, den Rücksichtslosen, aus den Fugen. Er beginnt um sie zu werben, Als sie sieht, daß auch er sich geändert hat, gibt sie zum zweitenmal nach. Sie heiraten. Zwischendurch wird so nebenher ein anderer Mann, Roberts Freund Walter, der Lichtbildner, ein „netter Kerl“, von der Dramaturgie des Films mit verschlissen.

Radvanyi zeigt in seiner Ingrid ein Mädchen, das eigentlich zu allem schweigt. Das einmal ja, einmal nein sagt, fast so, wie die Männer es ihr in den Mund legen. Nur einmal rettet sie der mütterliche Instinkt, als sie mit Selbstverständlichkeit ihr Kind zur Welt bringt. Dieser Akt verwandelt sie aus der Unterlegenen in die Überlegene, ja in die Siegende. Hier ist einer der schönsten Momente des Films.

Und hier erweist sich, daß sogar der Griff nach Hannerl Matz, der Befürchtungen ausgelöst hatte, zu verantworten war. Hat man die Matz je so rührend hilflos gesehen, und .in dieser Hilflosigkeit so traumhaft sicher der Lösung zusteuernd, Mutter zu werden? Selten hat mich ein auf der Leinwand dargestelltes Wesen in seiner tief menschlichen Ratlosigkeit so gepackt wie diese Ingrid, die jeglicher Zutat, jeglicher Pose entblößt ist und damit auch den Zuschauer ins „Ratlose“ hineinreißt.

Um Ingrid herum ist ein halbes Dutzend Frauen aus dem Modesalon (die der Regisseur zufällig fand), die er typenmäßig gegeneinander absetzt, um der „Sanften“ eine Folie zu geben. Hier könnte man bei gewissen Zurschaustellungen an ein Nachgeben vor dem Publikumsgeschmack denken, aber selbst hier reißt seine etwas gekantete Szenenfolge die augenblickliche Pikanterie in den Zusammenhang zurück, und die Sanftheit Ingrids nimmt das Zuviel wie ein Schwamm auf.

Ein Nachteil für die Geschlossenheit des Ganzen, aber ein Vorteil für die Lebendigkeit der einzelnen Szene ist Radvanyis Art zu improvisieren. Man weiß, daß er zwar ein Gesamtbild vor Augen hat, daß er aber weitgehend auf ein Drehbuch und auf festgelegte Texte verzichtet, ja daß er das „Geschenk des Augenblicks“, also etwa eine Szene, die sich unerwartet anbietet, gern mitnimmt. Diese Methode ähnelt der Art des Dirigenten Erich Kleiber, der zuweilen den Taktstock hinlegt und seine Musiker „machen“ läßt.

Radvanyi äußerte in einem Gespräch, das ich in Düsseldorf mit ihm führen konnte, daß man den Film wohl revolutionieren könne, aber nur m i t dem Publikum und n i c h t g e g e n es. Er, als internationaler Regisseur, studiere deshalb in jedem Lande aufmerksam das Publikum. So auch in Deutschland. Man könnte also im vorliegenden Falle vielleicht von dem „Trick“ sprechen, Namen wie Matz und Hubschmid und einen Titel wie „Ingrid, die Geschichte eines Fotomodells“ als eine Lokomotive zur Publikumsgunst gewählt zu haben, den Film aber trotz allem revolutionär in der Filmkomposition (und „dokumentarisch“ sogar bei der Modellvorführung in einem echten Hamburger Salon) zu gestalten. Den Darsteller Paul Hubschmid führt Radvanyi zu einer Charakterleistung und zeigt ihn so verquer in seinem Verhalten, daß das Publikum in die Ratlosigkeit Ingrids hineingerissen wird.

Der Film beginnt realistisch im Hamburger Planetarium bei einem der üblichen Vorträge über den Sternenhimmel, und endet auch dort. Hier erscheint der Film fast „echt deutsch“, also mit Symbolik stark belastet. Man denkt an Harald Braun. In einem blieb Radvanyi sich völlig treu: in der Vorliebe, ja besser in der Liebe zu den „verlorenen“ Menschen unserer Zeit.


Hans Schaarwächter: lngrid – die Geschichte eines Fotomodells. Eine Begegnung mit dem Filmregisseur Geza Radvanyi. In:

Der Filmdienst schreibt zum Film: „Der Liebeskonflikt eines Flüchtlingsmädchens, das von zwei Journalisten umworben wird. Eine psychologisch enttäuschende Komödie, aber in Details stimmig und zeitgeschichtlich interessant.“

Ingrid (Hannelore Matz) kommt vom Einkaufen in die Dachwohnung, ihr Freund Robert (Paul Hubschmid) steigt aus der Dusche und erklärt: „Ich habe zu arbeiten. Tatsachenbericht in 15 Fortsetzungen. Schönheit in Gefahr, der ewige Quatsch, Mädchenhändler, Mannequins, Verschleppung, Südamerika – hamwer Joghurt?“
Robert ist Reporter einer Illustrierten, der Fortsetzungsbericht könnte glatt die Vorlage für den Film „Mannequins für Rio“ sein. Das ist dann doch kein, wie ich geschrieben hatte, Gegenentwurf zur Erfolgsgeschichte eines Fotomodells, sondern die Komplementärstory.

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(…) Der Film »Ingrid«, die erste Produktion, die der ungarische Regisseur Géza von Radványi in Westdeutschland gedreht hat, spielt ebenso wie »Modell Bianka« ausschließlich im Mode-Milieu. Doch haben wir es hier nicht mit einer Komödie zu tun, sondern mit dem Melodram einer jungen Frau, die in einem vornehmen Hamburger Modesalon Karriere macht. Die prächtigen Kleider in diesem Film werden also nicht in einem Volkseigenen Betrieb für die Befriedigung der Bedürfnisse der zahlreichen werktätigen Frauen hergestellt. Ganz im Gegenteil, sie stellen ein exklusives Produkt der westdeutschen Haute Couture dar, das sich mit den internationalen Trendsettern in Paris und New York messen kann. Die filmische Darstellung der Mode reflektierte auf diese Weise den neu erworbenen Wohlstand in den Jahren des »Wirtschaftswunders« und entsprach dem Wunsch der Zuschauer, die Eleganz und die Reize der neuesten Schnitte auch auf der Leinwand zu feiern. (…)

Aus: Mila Ganeva, Mode und Film in Ost- und Westdeutschland. »Modell Bianka« (1951) und »Ingrid. Die Geschichte eines Fotomodells« (1955), in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 14 (2017), H. 2,
URL: https://zeithistorische-forschungen.de/2-2017/5501,
DOI: https://doi.org/10.14765/zzf.dok.4.977,
Druckausgabe: S. 384-394.

(…) Der Film »Ingrid«, die erste Produktion, die der ungarische Regisseur Géza von Radványi in Westdeutschland gedreht hat,21 spielt ebenso wie »Modell Bianka« ausschließlich im Mode-Milieu. Doch haben wir es hier nicht mit einer Komödie zu tun, sondern mit dem Melodram einer jungen Frau, die in einem vornehmen Hamburger Modesalon Karriere macht. Die prächtigen Kleider in diesem Film werden also nicht in einem Volkseigenen Betrieb für die Befriedigung der Bedürfnisse der zahlreichen
werktätigen Frauen hergestellt. Ganz im Gegenteil, sie stellen ein exklusives Produkt der westdeutschen Haute Couture dar, das sich mit den internationalen Trendsettern in Paris und New York messen kann. Die filmische Darstellung der Mode reflektierte auf diese Weise den neu erworbenen Wohlstand in den Jahren des »Wirtschaftswunders« und entsprach dem Wunsch der Zuschauer, die Eleganz und die Reize der neuesten Schnitte auch auf der Leinwand zu feiern. (…)


aus: Mila Ganeva: Mode und Film in Ost- und Westdeutschland. In: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 14 (2017), S. 384-394

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