Filmgalerie und Galeriefilm
Vorbemerkung
Die vorliegende DVD ist die nunmehr zweiundzwanzigste in der DVD-Edition ,,Hannover-Filme“ und sie ist eine besondere, denn keiner der drei auf ihr befindlichen Filme aus den Jahren 1965-1967 ist ein klassischer ,,Hannover- Film“: Auf der Horst bildet die Entstehung eines Stadtteils von Garbsen ab, der nur teilweise zum Stadtgebiet Hannovers zählte. Die beiden anderen Filme sind Kurzfilme, die in satirischer bzw. künstlerisch abstrakter Weise auf das Medium Film Bezug nehmen. Alle drei Filme stammen allerdings von zwei bekannten Hannoveranern: dem seinerzeit beliebten Redakteur der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung Klaus Partzsch (,,klapa“) sowie dem Architekten und Designer Dr. Peter Grobe. Beide hatten Mitte der 1960er Jahre die Produktionsgemeinschaft Galeriefilm gegründet mit dem Ziel, dem konventionellen deutschen Film etwas kreativ Zeitgemäßes entgegenzusetzen. Die Herausgabe der drei Filme ist auch als späte Würdigung der filmischen Arbeit von Partzsch (*1930 t1995) und Grobe (*1930) zu sehen, die eher durch andere Aktivitäten im Gedächtnis geblieben beziehungsweise aktuell noch präsent sind.
War die Produktionstätigkeit der Galeriefilm auf wenige Werke beschränkt, so zeigte das Pendant Filmgalerie, ebenfalls von Partzsch und Grobe zusammen mit dem Galeristen Klaus Brusberg (-1935 12015) betrieben, eine breite Palette des künstlerisch ambitionierten nationalen und internationalen Films. Zur Würdigung von Filmgalerie und Galeriefilm finden Sie im Folgenden einen Text von Peter Hoffmann, der auch bei der Beschaffung und Bearbeitung der
filmischen Ausgangsmaterialien wichtige Unterstützung geleistet hat. Die Präsentation und Herausgabe der drei Filme wäre nicht möglich gewesen ohne die Unterstützung von Tina Deininger, Tochter von Klaus Partzsch, Dr. Peter Grobe sowie der CINEMATEK, Königliches Filmarchiv von Belgien, denen ich hiermit ausdrücklich danken möchte.
Dr. Peter Stettner
Anfang (1965)
In satirischer Form legt Klaus Partzsch inAnfang dar, was seiner Meinung nach hinter der sogenannten ,,Filmkrise“, also dem Kinozuschauer-Schwund steckt.
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Schnitte (1965)
Peter Grobe erprobte mit Schnrtfe ein künstlerisches Verfahren, das mit seiner Anleihe an kybernetische Modelle und seiner ,,systematischen“ Asthetik den Film sehr modern erscheinen ließ.
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Auf der Horst (1967)
Ein Film über die Entstehung der Siedlung ,,Auf der Horst“ in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre. Die angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt der Nachkriegszeit erfordert eine rasche und kostengünstige Schaffung von Wohnraum.
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Die Filmgalerie Hannover
Zur Eröffnung der Filmgalerie Hannover erklärten der Journalist Klaus Partzsch, der Architekt Peter Grobe und der Galerist Dieter Brusberg im Mai 1965:
,,Da wir den Film für eine Kunstform halten, haben wir eine Galerie für Filme
gegründet. […] Die Filmgalerie soll den Film auf eine neue Ebene heben, und
wir hoffen, daß er dort mit neuen Augen gesehen wrrd.“ (Manifest, S. Seite 3)
Die Filmgalerie verstanden sie als avantgardistisches Unternehmen, das über das cinephile Selbstverständnis herkömmlicher Filmclubs hinausging und filmische Entwicklungen präsentieren wollte, die sich gewissermaßen außerhalb des Kinos vollzogen und die ein neues Verständnis von ,,Film als Kunst“ erforderten – während das kommerzielle Kino an einem armseligen Konzept von Unterhaltung festhielt (Heimat-, Pauker-, Schlagerfilme u.ä.). Bezeichnenderweise fanden die Filmgalerie-Veranstaltungen auch nicht in einem angemieteten Kino statt, sondern in den ,,unvorbelasteten“ Räumen der Volkshochschule und des 1965 gerade neu eröffneten Freizeitheims Vahrenwald. Sie fanden im monatlichen Rhythmus statt und wurden oft durch Vorträge oder Gespräche mit angereisten Filmemachern – sogar aus dem Ausland – ergänzt.
Die Anbindung der Filmgalerie an eine Kunstgalerie war Programm. Die Galerie
Brusberg – im Kubus an der Aegidienkirche – war gleichzeitig der organisatorische Stützpunkt. Hier wurden Eintrittskarten verkauft und auf Wunsch die von Peter Grobe gestalteten Einladungskarten verschickt.
Die Filmgalerie Hannover erfreute sich auf Anhieb eines erstaunlichen Zuspruchs und musste wegen des großen Andrangs verschiedentlich ihre Veranstaltungen wiederholen. Die Tagespresse berichtete regelmäßig über die Abende, von denen man sich offenbar durchaus Offenbarungen erwartete.
In der Zeitschrift film, mit Redaktion in Velber bei Hannover, konnte Klaus Partzsch immer wieder längere, die Filmgalerie-Veranstaltungen begleitende Artikel veröffentlichen, so über den kanadischen Trickfilmer Norman McLaren, über das ,,direct cinema“ oder über den umstrittenen Dokumentarfilm ,,Deutschland, Endstation Ost“ des Belgiers Frans Buyens, den die Filmgalerie in westdeutscher Erstaufführung zeigte und bei dem sie besonderes
Engagement entwickelte.
Über Dieter Brusberg kamen hochkarätige Veranstaltungen wie ,,Kunst und Experimentalfilm“ mit dem Künstler und Kunstpublizisten Jürgen Claus zustande.
Die Galeriefilm
Eine besondere Rolle spielte die kurze Form, der Klaus Partzsch und Peter Grobe sich auch selbst verschrieben hatten. Für ihre eigene 16mm-Filmproduktion gründeten sie sogar eine Firma, die Galeriefilm. Den engen Zusammenhang zwischen Galeriefilm und Filmgalerie verdeutlicht die Namensgebung, die gleichzeitig das konzeptionelle, von der Informationsästhetik beeinflusste und spielerische Kunstverständnis von Partzsch und Grobe erkennen ließ.
Als Meister der kurzen Form war Partzsch den HannoveraneIinnen bereits durch seine allsamstägliche Kolumne im Lokalteil der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung bekannt. Auch seine Kurzfilme hatten meist lokalen Bezug. In ANFANG, den er eigens für die
Eröffnungsveranstaltung der Filmgalerie herstellte, erklärt er in satirischer Form die Notwendigkeit neuer Filme und eines neuen, kritischen Publikums.
Peter Grobe, für den die graphische Gestaltung Bestandteil seiner innovativen Innenarchitektur war, entwickelte aus seiner Arbeit mit Fotografien den experimentellen Kurzfilm SCHNITTE, der damals internationaleAufmerksamkeit erfuhr.
Die Gründung der Galeriefilm erfolgte 1964 im Zusammenhang mit einem städtischen Auftrag, dem Dokumentartilm AUF DER HORST über einen großangelegten Siedlungsbau am Rande Hannovers, den Klaus Partzsch und Peter Grobe vom Baubeginn bis zum Bezug der Wohnungen mit Kamera und Mikrophon begleiteten.
Anschlüsse
Die Filmgalerie knüpfte im Grunde an Motive der frühen Filmavantgarde an. lhr Manifest lässt an Hans Richters Schrift Filmgegner von gestern – Filmfreunde von morgen aus dem Jahr 1929 denken, dessen Vorwort sich als kulturpolitisches Pamphlet gegen den Kommerzfilm wandte und dessen Publikumseinschätzung sich ähnlich bei den Filmgaleristen wiederfindet.
Die eigentliche Inspiration für Filmgalerie und Galeriefilm waren jedoch die Kurzfilmtage Oberhausen. Das 1962 dort verkündete Oberhausener Manifest, das ,,Opas Kino“ für tot erklärte und bessere, zeitgemäße, vor allem gesellschaftlich relevantere Kinofilme versprach, gab auch für die Filmgaleristen in der Hannoverschen Provinz das Zeichen zum Aufbruch.
In Oberhausen waren aber vor allem die Neuheiten zu entdecken, die der internationale Kurzfilm hervorbrachte. Als regelmäßige Gäste des Festivals standen Partzsch und Grobe im Austausch mit dessen Leiter Hilmar Hoffmann und seinem Stellvertreter Will Wehling, den sie Ende 1969 auch nach Hannover einluden.
Allerdings hatte die Offenheit für Experimente auch in Oberhausen ihre Grenzen, wie sich am Skandal um Hellmuth Costards Film BESONDERS WERTVOLL im legendären Festivaljahr 1968 zeigte. Dass auch Peter Grobes Kurzfilm SCHNITTE 1966 in Oberhausen abgelehnt, im Gegenzug aber Ende 1967 beim internationalen Experimentalfilmfestival Exprmntl 4 im belgischen Knokke angenommen wurde und dort sogar zu den preisverdächtigen Filmen zählte, zeigt, wie nah die Hannoversche Filmgalerie/Galeriefilm der sich zu dieser Zeit formierenden unabhängige Szene, dem sogenannten ,,Anderen Kino“ stand. Dafür spricht gerade auch das Verbinden von Filme-machen und Filme-zeigen.
Fazit
Ihren Ambitionen als Filmemacher standen Klaus Partzsch und Peter Grobe letztlich die eigenen professionellen Karrieren im Weg: Klaus Partzsch als festangestellter Redakteur bei der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung, Peter Grobe als ehrgeiziger Architekt, der durch zahlreiche, nicht immer realisierte Großprojekte bekannt wurde, etwa die ,,Urbanisierung des Maschsees“.
Die Filmgalerie, die ein kulturinteressiertes Publikum ansprach, verlor mit der gesellschaftlichen Politisierung Ende der 1960er Jahre an Brisanz. ln Hannover lockten ab 1969 die monatlichen Nachtvorstellungen des K.O.-Kinos, das Werner Kließ – inzwischen gekündigter Chefredakteur der oben erwähnten Zeitschrift film – und Ilke Porath als Abspielstelle des ,,Anderen Kinos“ betrieben. Angesichts der ästhetischen Radikalität des ,,Underground“ büßte die Filmgalerie auch ihren Avantgarde-Anspruch ein.
Doch stellen Filmgalerie und Galeriefilm für Hannover eine wichtige Etappe des filmischen Aufbruchs der 1960er Jahre dar. So kann die Filmgalerie auch als Wegbereiterin des 1974 gegründeten Kommunalen Kinos gelten, das bezeichnenderweise im Freizeitheim Vahrenwald seinen ersten Standort hatte.
Zwischen 1965 und 1970 hat die Filmgalerie mindestens 22 Veranstaltungen durchgeführt. Das rein auf persönlicher lnitiative beruhende Projekt wurde von der Stadt Hannover durch Bereitstellung der Veranstaltungsräume und ab 1969 auch durch einen finanziellen Zuschuss unterstützt. Doch in Ermangelung eines kreativen Umfelds blieb die Filmgalerie letztlich eine isolierte – und zu Unrecht vergessene – Unternehmung, die zudem durch ideologische Differenzen ihrer drei Betreiber an Schlagkraft verlor. So betrieb Klaus Partzsch die Filmgalerie ab 1969 praktisch allein.
Peter Hoffmann