Film ohne Titel (1948)
Inhalt
In ländlicher Idylle diskutieren ein Filmregisseur, ein Drehbuchautor und ein Schauspieler den gemeinsamen Film, der entstehen soll. Sie können sich nicht einigen, was für ein Film es werden soll, sind sich aber einig, dass es kein Trümmerfilm, kein Heimatfilm, kein Anti-Nazi-Film und kein Fraternisierungsfilm werden soll. Die Diskussion verstummt, als ein Paar auftaucht, das der Drehbuchautor seit langer Zeit kennt: Flemming und Martin Delius. Die Geschichte der beiden beginnt im Krieg.
Christine kommt kurz vor Kriegsende als Hausgehilfin in die Berliner Villa von Martin Delius, der zusammen mit seiner ehemaligen Freundin Angelika ein Antiquitätengeschäft führt. Martin und Christine verlieben sich, stoßen aber auf die Ablehnung Angelikas und seiner Schwester, die diese Verbindung für nicht standesgemäß halten. Christine, die über die Unentschlossenheit Martins enttäuscht ist, kehrt in ihre Heimat zurück. Martin wird zum Volkssturm eingezogen, die Villa ausgebombt und geplündert. Nach Kriegsende besucht Martin Christine auf dem elterlichen Bauernhof, wo Angelika für ihn einen Koffer hat deponieren lassen. Er bleibt ein paar Wochen auf dem Hof und bittet dann Christines Vater um die Hand seiner Tochter. Dieser lehnt ab, weil er will, dass seine Tochter einen wohlhabenden Bauern heiratet – die Vorzeichen haben sich verdreht.
Martin geht daraufhin nach Hannover und arbeitet zunächst mit Angelika in einem Antiquitätengeschäft. Doch kommt ihm dies bald so nutzlos vor, dass er eine Möbeltischlerei eröffnet, um die Grundbedürfnisse der Menschen zu erfüllen. Als er Christine in ihrer Heimat besuchen will, ist sie gerade zu ihm nach Hannover unterwegs. Sie treffen sich an der Schiffsanlegestelle. Der Film endet mit der Hochzeitsreise zwischen Helene und Jochen, dem Bruder Christines. Der Zuschauer kann sich ausmalen, dass nun auch der Hochzeitsreise zwischen Christine und Martin nichts mehr im Wege steht.
Autoren/Innen
Filmanalyse: Autorengruppe Nachkriegsspielfilme (1993)
Zusammenstellung und Bearbeitung der Materialien: Autorengruppe Nachkriegsspielfilme (1993); aktualisiert: Detlef Endeward (2022)
Regie: Rudolf Jugert
Buch: Helmut Käutner, Ellen Fechner, Rudolf Jugert
Kamera: Igor Oberberg
Szenenbild: Robert Herlth, Gerhard Ladner, Max Seefelder
Musik: Bernhard Eichhorn
Liedtexte: Helmut Käutner
Kostüme: Irmgard Becker, Irmgard Bibernell
Schnitt: Wolfgang Wehrum, Luise Dreyer-Sachsenberg
Ton: Walter Rühland
Produktion: Camera-Filmproduktion GmbH, Hamburg/München
Produzent: Helmut Käutner
Produktionsleitung: Erwin Gitt
Regieassistenz: Elly Rauch
Drehorte: Bavaria-Ateliers München-Geiselgasteig;
Außenaufnahmen: Dannenberg/Elbe, Damnatz (Wendland)
35 mm (1:1,37), S/W, 103 min
Erstaufführung: 23.1.1948, Berlin-West (Marmorhaus)
Erstaufführung Ost-D: 14.12.1948
Erstsendung TV: 13.7.1963, ARD
DarstellerInnen
- Hans Söhnker (Martin Delius)
- Hildegard Knef (Christine Fleming)
- Irene von Meyendorff (Angelika Rösch)
- Erich Ponto (Herr Schichtholz)
- Carl Voscherau (Bauer Fleming)
- Carsta Löck (Frau Schichtholz)
- Fritz Wagner (Jochen Fleming)
- Käte Pontow (Helene)
- Willy Fritsch (Schauspieler)
- Fritz Odemar (Drehbuchautor)
- Peter Hamel (Filmregisseur)
- Annemarie Holtz (Viktoria Luise Winkler)
- Hildegard Grethe (Bäuerin Fleming)
- Margarete Haagen (Häushälterin Emma)
- Werner Finck (Hubert)
- Nicolai Kolin (Kaminsky)
- Hannes Brackebusch (Geheimrat Pöschmann)
- Bum Krüger (Dancke)
- Bertha Picard (Frau Pöschmann)
- Auguste Hansen-Kleinmichel (Frau Quandt)
- Elly Klippe (Frau Wenndorf)
- Rudolf Helten (Jünemann)
- Walter Pose (Heimkehrer)
- Arnold Risch (Gendarm)
Auszeichnungen:
- Filmfestival Locarno 1949 – Preis an Hildegard Knef (beste Schauspielerin)
- Filmfestival Mailand 1949 – „Grand Prix“ als bester Film
- Bambi 1949 – „Bambi“ als kommerziell erfolgreichster Spielfilm des Jahres 1948
FILM OHNE TITEL wurde in den Jahren 1947 und 1948, also noch vor der Währungsreform, von der „Camera-Filmproduktion Hamburg GmbH“ produziert und am 23. Januar 1948 in den Westsektoren Berlins uraufgeführt. Der Film entstand im Atelier München-Geiselgasteig, die Außenaufnahmen stammen aus Dannenberg an der Elbe.
Helmut Käutner verfasste gemeinsam mit Rudolf Jugert und Ellen Fechner das Drehbuch, während Hildegard Knef, die bereits mit dem Trümmerfilm DIE MÖRDER SIND UNTER UNS aus dem Jahre 1946 erste Erfolge verzeichnen konnte, durch ihr Mitwirken in FILM OHNE TITEL als die Bauerntochter Christine Fleming endgültig ihren Durchbruch.
Jugert beschrieb die Entstehung des Films 1947 folgenderweise:
„Der beste Einfall unseres Films ist nun der, daß wir ihn so anfangen lassen, wie wir wirklich angefangen haben: indem wir uns in Ellen Fechners Hausboot zusammensetzten und über das Thema debattierten: Wir wollten einen kleinen heiteren Film machen. Wie muß so etwas aussehen?“
Illustrierte Film-Bühne Nr. 69
Vor einem Wohnwagen, der in der Nähe eines niederdeutschen Bauerndorfes steht, diskutieren ein Schauspieler,,
Eine zeitnahe Komödie, die mit beiden Beinen auf der Erde steht – vor dem düsteren Hintergrund der Zeit.
Autorengruppe Nachkriegsspielfilme (1993)
Als der erste deutsche Nachkriegsspielfilm, zu dem man von ganzem Herzen „Ja“ sagen könne, war auch Anfang 1948 in der Filmzeitschrift „Der neue Film“ Rudolf Jugerts erste Arbeit als Regisseur gefeiert worden. Die Autorin äußert Verwunderung darüber, dass „die Berliner Filmkritik […] teilweise von einer erstaunlichen Verständnislosigkeit oder Zurückhaltung“ sei, und läßt ihre schwärmerischen Betrachtungen mit dem Satz enden: „Wenn der Titel […] nicht so gut wäre, könnte man als Titel vorschlagen `So war’s´ – denn so war’s wirklich: die Zeit des Schreckens, aufgelöst und überwunden durch die alltägliche Menschlichkeit und das Wunder der Liebe.“[1]
„So war’s“ – Dieses Empfinden legt dieser Film tatsächlich auf überzeugende Weise nahe, und zwar gegenüber beiden Ebenen, auf denen sich die Handlung bewegt. „Scherz, Satire, Ironie“ überschrieb Herbert Schläger im Oktober 1947 noch seinen Bericht über die Dreharbeiten zu „Film ohne Titel“. Das läßt sich – zumindest auf einen ersten Blick – auf die anfänglich schwungvoll-ironisch ins Bild gesetzten Überlegungen von Autor, Regisseur und Schauspieler beziehen: Die Kamera betont in unruhigen, heftigen Schwenks, fast sind es Reißschwenks, das Hin und Her der Gedanken, das Nicht-Wissen-Was, die Orientierungslosigkeit – „Was für einen Film kann man dieser Zeit drehen? Es soll kein Trümmerfilm sein, es soll kein Heimkehrerfilm sein, es soll kein Fraternisierungsfilm sein und auf gar keinen Fall ein Anti-Nazifilm, denn das wäre taktlos, oder nicht? Kein politischer Film, kein Propagandafilm, kein Bombenfilm, überhaupt, kein Film für oder gegen etwas – was für ein Film soll es denn nun sein? Eine zeitnahe Komödie, die mit beiden Beinen auf der Erde steht – vor dem düsteren Hintergrund der Zeit.“
Ein vielversprechender Beginn, in dem einerseits Überlegungen, Zweifel und Ratlosigkeit zum Ausdruck kommen, wie sie in Zeitungsartikeln zum Neubeginn des deutschen Films und auf Kongressen zwischen 1945 und 1947 immer wieder formuliert wurden. Andererseits wird auch deutlich, da sich zu diesem Zeitpunkt bereits eine Wende im westdeutschen Nachkriegsfilm abzeichnet, die sich nach der Währungsreform endgültig vollzieht. Leichte Stoffe ohne wirklichen Bezug zum Vergangenen sind fortan die Themen. Der Filmanfang arbeitet bereits mit deutlichen Wertungen – verworfen wird das Bisherige, und zwar durch Figuren in einer Szenerie, die im Verlauf des Films zunehmend als authentisch und real erscheinen. Der grüblerische und etwas exzentrische Regisseur, der welterfahrene und gelassene Autor und der eitle, doch sympathische Schauspieler, der seinen wirklichen Namen auch als Rollennamen trägt: Willy Fritsch.
Amüsiert schaut man den dreien zu, die nicht in der künstlichen Atmosphäre eines Büros oder eines Studios, sondern in ländlicher Natürlichkeit, an der frischen Luft und bei strahlender Sonne gezeigt werden. Endlich kann man einmal hinter die Filmkulissen sehen, die Leute vom Film bei ihrer Arbeit beobachten. Als reale Personen sollen sie dann wieder zum Filmende hin erscheinen, wenn die erste mit der zweiten – zunächst nur vom Autor erzähIten Handlungsebene verschmilzt – wenn die drei Filmleute – wie schon am Anfang – den Personen der erzählten Geschichte begegnen, die den größten Teil von FILM OHNE TITEL ausmacht.
Von eben der Geschichte Martins und Christines wird seitens des Autors behauptet, sie sei so „wahr“ und alltäglich, dass man aus ihr keinen Film als Fiktion machen könne. Der Zuschauer gerät leicht und distanzlos in diese als realistisch ausgegebene Geschichte, die natürlich eine idyllisierte, bestimmten moralischen Wertungen verhaftete Fiktion ist. Ihrer süßlichen Ausprägung und hermetischen Geschlossenheit ist 1948 auch jene professionelle Kritikerin erlegen, die wir oben zu Wort kommen ließen. Dabei hätte sie im Oktober 1947 in derselben Zeitschrift weniger „Romantisches“ über die Dreharbeiten zu diesem Film lesen können:
„Zehn Uhr abends – Aufnahmebeginn – der Strom am Tage ist zu schwach. Nacht für Nacht höchste Anforderungen an alle Mitarbeiter, tagsüber wenig Stunden oft gestörten Schlafes… 4 Uhr morgens – ein letztes Mal rafft sich die todmüde, hungrige ‚Bauernhochzeit‘ zum Schlußtaumel auf, spielen die Attrappen der Festtafel Überfluß unter den Scheinwerfern. Dann bricht Jugert den Bann: ‚Sitzt hundertprozentig!“ Acht Stunden Nachtaufnahme – drei Minuten Glück auf der Leinwand – Wechselkurs des Films!“[2]
Genau dieser „Wechselkurs“, der Kunstcharakter des Films, wird gezielt durch Anlage und Realisierung von „Film ohne Titel“ verborgen. Gerade die unter schwierigsten Bedingungen realisierte Scheinwelt wird dem Zuschauer als Geschichte, die das Leben schrieb und aus der nie ein Filmstoff werden könne, verkauft. Das bedeutet, dass der Zuschauer die Botschaft des Films als Abbild der Realität verstehen soll. Zu dieser Botschaft gehört: Der Neuanfang nach dem Krieg läßt Standes-, Bildungs- und Besitzunterschiede lächerlich werden, hebt sie auf. In der ‚alten‘ Gesellschaft vor Kriegsende (dass sie nationalsozialistisch geprägt war, läßt der Film nicht erkennen) verhinderten groteske Standesschranken das Happy End für Martin und Christine. In der unmittelbaren Nachkriegszeit droht anachronistisches bäuerliches Besitzdenken das Happy End zu behindern. In der neuen Gesellschaft werden traditionelle Standesgrenzen von denen überwunden werden, die ihren eigenen Weg durch ihnen angemessene, ehrliche Arbeit suchen: das Flüchtlingsmädchen wird als Bäuerin integriert, weil es sich einfügt; der gebildete Antiquitätenhändler stört die festgefügte Ordnung und muß einen anderen Weg finden. Dies tut er in Abgrenzung zu seiner alten Freundin, die ihren Antiquitätenhandel mit Geschick und Schwarzmarkthilfe wieder in Gang bringt. Sie verkörpert ein eindeutiges Negativbild im Film, noch verstärkt durch die Not des alten Ehepaars, das sich in ihrem Geschäft von einer wertvollen Meißner Terrine trennen muß, um leben zu können. Der geschäftstüchtigen Antiquitätenhändlerin (die aus heutiger Sicht keineswegs ausschließlich negativ wirkt) wird die unverdorbene Bauerntochter gegenübergestellt. In Aussehen, Sprache und Verhalten ist sie der positive Gegentyp für den Neuanfang. Aufschlußreich im Sinne der Filmbotschaft sind auch die beiden durchgespielten Schlußversionen. Die Fassung, in der Martin zum Musterbauern wird, hätte deutscher Nachkriegssituation in bäuerlichen Regionen so wenig entsprochen, dass sie sich von selbst erledigte: integrierbar waren Flüchtlingsmädchen und Frauen, keine Männer, die einen eigenen Hof beansprucht hätten. Die andere Schlußversion, eine Parodie auf expressionistische Filme und vielleicht auch ein Seitenhieb auf Staudte, verwirft gesellschaftskritische Ansätze als Klischees (vgl. die ‚Barszene‘ Sequenz 28), der ‚moralisch gute Neuanfang‘ erscheint als die einzig mögliche – realistische! – Lösung.
Gerade durch die gescheite Anlage der Filmstruktur, durch die Verdopplung der Handlungsebenen und ihre schließliche Verschmelzung, wird eine Aufhebung der Distanz zwischen Zuschauer und Film-Protagonisten derart gesteigert, dass noch 1987 ‚Reclams Filmführer‘ behauptete, in „Film ohne Titel“ werde „etwas von der Realität jener Tage sichtbar“, sie komme „unaufdringlich, oft in kleinen Randepisoden ins Bild.“[3] Ins Bild kommen in diesem Film jedoch nicht etwa häßliche Bilder der eigenen Vergangenheit, der Trümmer und Probleme der Gegenwart oder Fragen nach der Zukunft. Ins Bild kommt der Traum von der gesellschaftsenthobenen und politikfernen Idylle einer alles überwindenden Liebe und des privaten Glücks.
Die positive Aufnahme von „Film ohne Titel“ beim zeitgenössischen Publikum wie bei der Kritik erzählt somit etwas über die Wünsche und Vorstellungen der Kinobesucher, denen die zunehmend geschmähten ‚Trümmerfilme‘ offenbar zuwenig entsprochen hatten. Erst nach der Währungsreform, und erst recht in der bundesrepublikanischen Filmproduktion der 50er Jahre, lockte der Traum, den „Film ohne Titel“ bereits rundum ins Bild gesetzt hatte, Millionen zu ‚kleinen Fluchten‘ ins Kino. Der Traum davon nämlich, dass die „Zeit des Schreckens“ einfach „aufgelöst und überwunden“ werden könne „durch die alltägliche Menschlichkeit und das Wunder der Liebe“; ja, dass dies nicht nur Fiktion, nicht nur Filmtraum sei, sondern reale Möglichkeit und Wirklichkeit.
Aus heutiger Perspektive läßt sich der Verzicht auf einen ‚richtigen‘ Titel als eine gewisse Scham der Produzenten interpretieren. Was die drei Worte noch bezeichnen, also etwa Orientierungslosigkeit, fehlende Endgültigkeit, Offenheit, das widerlegt de facto die Filmhandlung gründlich, und das widerlegt auch deren Inszenierung. Den Film ganz einfach und ehrlich „Martin und Christine“ zu nennen, oder vielleicht auch „Alte Liebe unter neuem Dach“, das wäre wohl nicht leicht möglich gewesen in den Jahren 1947/48. Es wäre aber durchaus möglich gewesen nur wenige Jahre zuvor bei einem der zahlreichen und sogenannten NS-Durchschnittsfilme, ebenso wie es später dann im Genre des westdeutschen Heimatfilms möglich gewesen wäre. Die Nähe von „Film ohne Titel“ zu Teilen des historisch Vorhergehenden wie auch zum Nachfolgenden, die erst aus der historischen Perspektive erkennbar wird, macht den Film zu einem ‚Gelenkstück‘, zu einem ‚Scharnier‘ unter den westdeutschen Filmen der unmittelbaren Nachkriegszeit. Recht eigentümlich ist es schon, wenn zu Beginn des Films ausgerechnet solche bekannten Gesichter des deutschen Films und Theaters wie Willy Fritsch, Fritz Odemar und Peter Hamel sich Gedanken machen um die Inhalte und Formen des künftigen deutschen Films. Hier erscheinen diese Darsteller aus den von ihnen häufig verkörperten Rollen herausgelöst und ironisch „neben sie gestellt“. Dennoch ein Unding: die Kontinuität des Personals im deutschen Film hier sozusagen als Begleiterscheinung einer Reflexion auf seine Zukunft. Unterhaltsamkeit, die das Publikum bedient, durch den notwendigen Gang über die Hintertreppe: das ist so verschämt und kokett wie der Titel, der keiner sein will.
Wie der Film von der Vergangenheit erzählt, von dem Beginn der Liebe zwischen Martin und Christine: das ist in dem Versuch, bürgerliches Leben zu zeigen, nicht mehr als eine Reminiszenz an den NS-Film, wie er als geschliffenes Kammerspiel hundertfach existiert. Die höhere Gesellschaft versammelt sich in wenigen Räumen wie auf einer Bühne, die Dekors sind reichhaltig, die Atmosphäre gediegen. Kunstgegenstände zeugen von Wohlstand, die Tischsitten sind von dezenter Noblesse. Dabei fällt das Bemühen auf, die Wirklichkeit außerhalb der stickigen Räume möglichst wenig in den Blick zu bekommen. Als wenn, wie Kracauer es ähnlich vom historischen Film sagt, bei der geringsten Kamerabewegung die Kabeltrommeln ins Bild gerieten. Solche Ästhetik der Vermeidung nun auch im Nachkriegsfilm scheint allerdings irritierend, und zwar umsomehr, als die Gelegenheit vom Drehbuch offenbar geboten wird, hier einen anderen, einen neuen Blick auf die Vergangenheit zu werfen. Stattdessen austauschbare Dekors, ähnliche Sujets, dieselben Darsteller, Bilder zum Verwechseln. Die liebe Gewohnheit des Publikums, die Dinge so zu sehen und nicht anders, würde eben niemand ungestraft enttäuschen können. Die Nähe von „Film ohne Titel“ zum Genre des Heimatfilms ist eine ungewußte gewesen: erst in den 50er Jahren werden diese Berg- und Heidefilme aufblühen. So nimmt Jugert spätere Hauptmotive vor, um die hier scheinbar noch gerungen wird. Wie den Film beenden? Drei Vorschläge stehen zur Auswahl, zwei werden durchgespielt, doch verworfen. Der dritte – „das Leben“ – ist die Lösung, Bauernhochzeit in der Heide. Ein kleiner Schritt nur für diesen Film, doch ein großer für die deutsche Filmwirtschaft.
Sicher hat „Film ohne Titel“ mit der bewußten Entscheidung für ein bestimmtes Filmende kein ganzes Filmgenre etabliert. Bemerkenswert bleibt aber, mit welcher Sicherheit hier eine Wahl getroffen wird, die sich bald als Selbstverständlichkeit erweisen soll. Von einem Impuls zu sprechen, ist vielleicht nicht übertrieben.
„Film ohne Titel“ redet vom Alten wie vom Neuen, vom Gesellschaftsfilm der NS-Zeit wie vom Heimatfilm der Adenauerzeit. Das eine wie das andere behandelt er als Standard, was heißen soll: als Leben. Gerade der Nachdruck, mit dem hier behauptet wird, es werde letztlich das ‚wahre Leben‘ erzählt, aus dem kein Film zu machen sei, führt – neben der Antinomie, dass uns eben dies ein gewohnt routinierter Film erzählt – logisch dazu, dass so vom Film als Leben die Rede ist. Und genauso behandelt Jugert Vergangenheit und nahe Zukunft: wie einen Film, der das Leben enthält.
[1] Edith Haman: Film ohne Titel. In: Der neue Film, Nr. 3, 1948.
[2] Herbert Schläger: Film ohne Titel – Scherz, Satire, Ironie… Die Camera-Film dreht in Geiselgasteig. In: Der neue Film, Oktober 1947.
[3] Reclams Filmführer, hrsg. v. Dieter Krusche, Stuttgart 1987, S. 201.