Die Stadt menschlicher machen (1972)

Inhalt

Nachdem die Zeit des Wiederaufbaus abgeschlossen war, wandte sich Heinz Koberg in seinen Filmen folgerichtig anderen Themensetzungen zu. Als Anfang der 1970er Jahre auch Hannover im Zeichen soziokultureller Reformplanungen und -visionen stand, fand Koberg für die filmische Behandlung dieser Strömung den Titel „Die Stadt menschlicher machen“. Unter diese Prämisse fallen dabei unterschiedlichste Projekte, seien es Verkehrsprojekte wie der U-Bahnbau, seien es zeittypische Urbanisierungsmodelle wie Kröpcke-Center, Raschplatz oder Ihme-Zentrum. Letzteres wird als städtebauliches Bindeglied angepriesen, durch das Hannover endgültig mit Linden verschmelzen solle und in dem auch dann nicht realisierte Freizeiteinrichtungen wie ein Hallenbad oder ein Bootshafen vorgesehen waren. Ein befreites, unbeschwerte Lebensfreude und Weltoffenheit spiegelndes Lebensgefühl der Hannoveraner wird durch Jazz vor dem Neuen Rathaus, das Altstadtfest oder das Projekt Straßenkunst vermittelt.

Der Film gibt zwar lebendig den Zeitgeist der frühen 1970er Jahre wieder, knüpft inhaltlich jedoch dennoch deutlich an die Wiederaufbaufilme Kobergs an, indem in gewohnt stolzer bzw. werbeträchtiger Manier bauliche Neuheiten und Entwicklungen präsentiert werden. Bemerkenswert sind auch einige historische Rückblicke sowie letzte Aufnahmen von Gebäuden und Straßenzügen vor der Sanierung.


Filmansicht
Produzent: Heinz Koberg (in Zusammenarbeit mit dem Presseamt der Landeshauptstadt Hannover)
Produktionsjahr: 1972
Länge: 20:49 Min.
Bezugsquelle

Der Film „Die Stadt menschlicher machen“ ist von der GFS auf DVD mit zugehörigem Booklet herausgegeben worden und zum Preis von 10 € zu beziehen.

Nr. Inhalt Länge Zeit im Film
1 Eindrücke städtischen Lebens in Hannover: Cafés in der Innenstadt, Kunstobjekte, Flohmarkt, Badende, Schützenfest mit Karussell, Maschsee, Eilenriede, Jazzkapelle spielt vor Rathaus, Oberbürgermeister Herbert Schmalstieg in der Menschenmenge, Kinder spielen in der Innenstadt, Blumenstände vor der Marktkirche, Neubauten hinter bunten Bauzäunen.Titeleinblendung: „Die Stadt menschlicher machen  Hannover 1972″ 2.16 0.00 – 2.16
2 Freizeitaktivitäten in der Stadt: Menschen in Cafés, Bummeln und Einkaufen in der Stadt, Flohmarkt, Schützenfest, Altstadtfest, Eilenriedefest, Kinder malen, spielen und toben. 2.42 2.16 – 4.58
3 Objekte der Straßenkunst und „Farbe in der Stadt“: bemalte Hauswände, mit bunter Werbung versehene Straßenbahnen, sanierte, wieder farbige Altbauten. 1.07 4.58 – 6.05
4 U-Bahn-Bauarbeiten am Waterlooplatz, Probefahrt der U-Bahn in den Tunnel bis zur unterirdischen Haltestelle. 1.14 6.06 – 7.20
5 Bauarbeiten für die U-Bahn in der Innenstadt: Bahnhof, Kröpcke, Raschplatz, Alte Celler Heerstraße; Entwurfszeichnungen für den Raschplatz und die unterirdische Ladenstraße; Kröpcke im Wandel der Zeit, Grundsteinlegung des Kröpcke-Centers, Bauarbeiten in der Alte Celler Heerstraße und Richtung Weiße-Kreuz-Straße, Entwurfszeichnungen der Lister Meile. 3.36 7.21 – 10.57
6 Bau der Hochstraße am Raschplatz, welche die Berliner und Hamburger Allee verbindet; Eröffnung Hochstraße, Blick von der Hochstraße auf die Umgebung mit vielen Baustellen, Bau von Parkplätzen unter der Hochstraße. 0.30 10.57 – 11.27
7 Entwicklungsplanung der Innenstadt: geplante Großkomplexe an den Umstiegs-Knotenpunkten der U-Bahnstrecken.  0.57 11.27 – 12.24
8 Bau des Ihmezentrums, Sanierung in Linden: Modell des Ihme-Zentrums mit Umgebung, Abriss von Fabrikgebäuden, Schwenk über die Baustelle des Ihme-Zentrums, Abriss alter Häuser in der Fannystraße und Neubau von Hochhäusern, Schwenk über abgerissene Häuser in der Velvetstraße und die entstehenden Neubauten. 1.46 12.24 – 14.10
9 Bau neuer Stadtteile: Mühlenberg und Roderbruch; Spielplatz mit Kindern, dahinter Neubausiedlung Mühlenberg, Schulzentrum und Kindertagesstätte; MHH, Neubausiedlung Roderbruch, Bau der Gesamtschule Roderbruch, Kinder auf dem Weg zur Pestalozzischule. 2.00 14.10 – 16.10
10 Senioreneinrichtungen, BewohnerInnen, Arbeitsgruppen, Bewegungstherapie 0.59 16.10 – 17.09
11 Versorgungseinrichtungen der Stadt Hannover: Fuhramt Karl-Wiechert-Allee, Baustelle des Klärwerkes Leinhausen, Heizkraftwerk an der Ihme, Kraftwerk Herrenhausen. 1.19 17.09 – 18.28
12 Sportstätten in Hannover: Niedersachsenstadion, Stadionbad, Sportpark,  Entwurfsmodell und Baustelle des neuen Niedersachsenstadions, Badende an der Ihme. 0.59 18.28 – 19.27
13 Die Stadt als freundlicher Hintergrund für das Leben: Musikkapelle, Familien im Schrebergarten, Rotwildgehege, Hannover Zoo, Riesenschach, Maschsee, Badewiese, Herrenhäuser Gärten, Feuerwerk. 1.14 19.27 – 20.41
14 Abspann: „Ein Film von Heinz Koberg in Zusammenarbeit mit dem Presseamt der Landeshauptstadt Hannover“ 0.08 20.41 – 20.49

Der Verfasser des Films ist der im Jahr 2013 im Alter von 99 Jahren verstorbene Redakteur und Fotojournalist Heinz Koberg, der von 1949 bis in die 1970er Jahre auch als Dokumentarfilmer die Entwicklung der Stadt Hannover begleitet hat. Am bekanntesten sind seine in Form von Jahresberichten verfassten Filme über den Wiederaufbau der Stadt, die mit ,,Alle machen mit“ (1960) ihren Abschluss finden. Ab Anfang der 1960er Jahre rücken Themen aus dem Erholungs- und Freizeitbereich in Kobergs Focus, wie etwa Hannovers
Brunnen, Grünflächen der Stadt, das Freizeitheim Linden, eine Stadtrundfahrt. Um 1970 greift er in einigen Filmen den Umbau und die Modernisierung der Stadt in jenen Jahren auf.

,,Die Stadt menschlicher machen – Hannover ‚1972″ ist die letzte filmische Arbeit Kobergs, die die Stadt als Ganzes in den Blick nimmt, von den gewaltigen städtebaulichen Projekten wie dem U-Bahnbau und den architektonischen Großkomplexen über die Stadtteilsanierung bis zu zahlreichen sozialen, künstlerischen und kulturellen Neuerungen. Wie die meisten Filme Kobergs ist auch dieser Film eine Auftragsarbeit der hannoverschen Stadtverwaltung.
lnsofern verwundert es nicht, dass der Film eine Art Leistungsschau Hannovers zu Beginn der 1970er Jahre darstellt. Heute, über 40 Jahre später, hat diese Präsentation nicht zuletzt darin eine Bedeutung, dass sie, in dem was und wie sie es zeigt und kommentiert, eine damals vorherrschende Sichtweis festgehalten hat. Der Blick auf die städtebauliche und soziokulturelle Umbruchphase steht ganz im Zeichen des damaligen Fortschrittsoptimismus
und dem Glauben an eine scheinbar grenzenlose Plan- und Machbarkeit. Neben der Abbildung der einzelnen Bau- und Kunstprojekte, der sozialen und kulturellen Aktivitäten ist dieser sich im Film spiegelnde Zeitgeist ein Dokument der Stadtgeschichte Hannovers, der damals vorherrschenden Sichtweise der Stadtverwaltung und großer Teile der Einwohnerschaft.

Das Ursprungsnegativ des Films ist leider nicht erhalten. Die am besten erhaltene Vorführkopie des 1omm-Films haben wir mit einem 2K-wetgate-Scan digitalisieren lassen. Hierauf beruht technisch gesehen die vorliegende DVD.

 

 

ln den Jahren um 1970 erfährt die Stadt Hannover eine Phase der Modernisierung, des Um- und Ausbaus in vielerlei Hinsicht. Architektonisch und verkehrstechnisch, aber auch das soziale und kulturelle Leben betreffend werden neue Bedürfnisse formuliert, Akzente gesetzt, große Pläne gemacht und opiimlstisch nach vorn geblickt. Der U-Bahnbau ist seit Mitte der 1960er Jahre in Gang (1975 fährt die erste Linie), es entstehen große neue
Wohngebiete in den Stadtrandlagen wie Mühlenberg, Roderbruch und Auf der Horst inklusive eigener Infrastruktur, bauliche Großkomplexe in Innenstadtnähe sollen dem lmage der Provinzialität Hannovers entgegenwirken (Urbanität durch Verdichtung). Dazu kommt der Ausbau von städtischen Angeboten und Dienstleistungen in sozialen Bereichen, in Sport und Kultur. Experimentierfreudigkeii und,,Mehr Demokratie wagen“ sind wichtige
Leitgedanken, der Fortschrittsglaube ist (noch) ungebrochen, die planbarkeit der Zukunft wird nicht in Frage gestellt.

Ab 1973 macht sich dann die so genannte 1. Erdölkrise bemerkbar, die finanziellen Spielräume werden auch in Hannover enger. Es folgt eine gewisse Rückkehr zur ,,Normalität“. Die Realisierung der geplanten Vorhaben, insbesondere der städtebaulichen Großprojekte, erfolgt nicht in voller Breite. Neben finanziellen Aspekten erlangt zunehmend eine kritische, sozial und weltanschaulich motivierte Sicht auf Betonklötze wie Kröpcke-Center und lhme-Zentrum Bedeutung, deren Architektur dann als,,Brutalismus“ gebrandmarkt wird.

 

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