Zwangsarbeit
von GFS-Admin_2021 · Veröffentlicht · Aktualisiert
Der Zwangsarbeit in der Zeit des Faschismus wurden im nationalsozialistischen Deutschen Reich und in den von der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg besetzten Gebieten mehr als zwanzig Millionen Menschen unterworfen.[1]
Die Zwangsarbeit in der ist eine europaweite Erfahrung ohne Beispiel.[2] „Überall wurden Zwangsarbeiter eingesetzt – in Rüstungsbetrieben ebenso wie auf Baustellen, in der Landwirtschaft, im Handwerk oder in Privathaushalten. Jeder aus der Bevölkerung ist ihnen begegnet – ob als Besatzungssoldat in Polen oder als Bäuerin in Thüringen.“[3] Mit keinem anderen faschistischen Verbrechen waren derart viele Menschen persönlich konfrontiert – als Opfer, Täter oder Zuschauer.[4] Ab Januar 1942 werden die ersten „Ostarbeiter“ mit Zügen ins Deutsche Reich deportiert. Zwangsarbeit wurde ebenfalls in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern im Kriegsverlauf immer umfangreicher als eine Form der Ausbeutung und Vernichtung der Häftlinge eingesetzt.
- Die Zahl stammt aus dem Prolog der Seite zur Wanderausstellung Zwangsarbeit, die zuerst 2009/10 im Jüdischen Museum Berlin und danach u. a. in Moskau, Warschau, Prag und Steyr (Österreich) zu sehen war. Abgerufen am 5. Juni 2020.
- Dieter Pohl, Tanja Sebta (Hrsg.): Zwangsarbeit in Hitlers Europa. Besatzung, Arbeit, Folgen. Metropol Verlag, Berlin 2013, ISBN 978-3-86331-129-2.
- Zitat aus der Erläuterung zur Wanderausstellung Zwangsarbeit. Abgerufen am 5. Juni 2020.
- Die Deutschen, die Zwangsarbeiter, und der Krieg. In: photoscala.de. 1. Oktober 2010, abgerufen am 19. Oktober 2014.
Ein ehemaliger Zwangsarbeiter berichtet über die Jahre 1942 bis 1945 in Genshagen-Obrigheim
(…) Geboren wurde ich 1926 in Ljudinowo, verschleppt wurde ich mit 16 Jahren am 16. Mai 1942, das Darum vergesse ich nicht. Wir waren sieben Kinder. Mein Vater ist vor dem Krieg weggestorben, mit 37. Meine Mutter arbeitete in der Fabrik im Ort, und ich mußte als Zweitältester Kinder versorgen, Schulaufgaben machen, Holz holen…
Ljudinowo ist eine kleine Stadt in der Gegend von Orjol, das ist auch in die Geschichte reingekommen, im „Kursker Bogen“, „mittlerer Abschnitt“., da waren zuerst einmal die Russen, dann sind Deutsche gekommen, dann sind wieder Russen gekommen, dann sind wieder Deutsche gekommen. Das Land war ganz eben, aber viel viel Wald. Man hat wegen der Partisanen oft Schwierigkeiten gehabt. Wir mußten aus den Häusern raus, und die Deutschen haben sie mit Benzin übergossen und angezündet. Da hat man suchen müssen, wo man einen Unterschlupf findet.
(…)
Das erste Mal ist uns aufgemacht worden in Warschau. Da hat man ein Stück Brot gekriegt und ein wenig Wasser. Da war eine Stunde Aufenthalt. Dann ‚ wurde wieder zugemacht und weiter bis Berlin. Also die, die älter waren, die haben schon irgendwie mitgekriegt, daß das nicht zum Guten geht…
Dann kamen wir in Berlin an und gleich gings weiter nach Ludwigsfelde. Die ersten paar Tage waren wir in einem Gebäude, ich vermute, daß es eine Schule war, direkt an der Straße. Da läuft doch eine Autobahn vorbei, an Ludwigsfelde? Das Lager war am Rande der Ortschaft und bestand aus sechzehn Baracken. Eine Baracke hatte zwölf Zimmer, von denen eines der Vorsteher für sich beanspruchte. In jedem Zimmer waren sechzehn Personen untergebracht, in Stockbetten, aufeinander und nebeneinander, gerade so, daß man sich dazwischen durchquetschen konnte, und ein Holzschrank, ganz schmal, und ein Tisch. …
Der Tagesablauf war so: Um sieben hat man angefangen, bis um sieben. Um neun Uhr war eine kurze Pause. Die Deutschen sind hingesessen, und haben ihr Butterbrot gegessen. Wir haben ja nichts gekriegt, den ganzen Tag nicht. Man ist geschwind aufs Klo, har Wasser geholt, wenigstens etwas. Vom Arbeitsplatz durften wir nicht weg. Die Deutschen sind mittags in die Kantine. Wir haben alle 24 Stunden einmal was gekriegt, und das im Lager, nicht im Werk. Man mußte zuerst Essen verdienen.
Wir mußten um sieben Uhr abends wieder antreten, und bis wir im Lager waren‘ war es acht, halb neun, und bei zwei- bis dreitausend Leuten im Lager dauerte es seine Zeit, bis man sein Essen bekam. Das war ein Liter undefinierbare Brühe, 250 Gramm Brot und 18 Gramm Margarine, und da konnte man sich das einteilen, willst du jetzt essen, oder willst du es aufheben. Es gibt erst 24 Stunden später wieder was. Und wenn man Kohldampf hatte, dann war’s noch schlimmer, und man tat zu der Suppe oder was das war, nochmals Wasser dazu, damit wenigstens der Bauch gefüllt war.
Ich habe ein Bild vom Lager, und ich bin durch Zufall auch mit draufgekommen. Am Sonntagnachmittag, ich hab arbeiten müssen, da kommen wir vom Geschäft zurück ins Lager, und ich sehe, da wird fotographiert. Da steht einer, und der hat einen Krautkopf im Arm, und da wird er fotographien, jetzt warum? Ich hab dann erfahren müssen, das ist für die „Besserdenkenden“ – wahrscheinlich ist es für Propaganda gewesen, oder ein Artikel ist vielleicht in der Zeitung gekommen: „Wie lebt der Ostarbeiter bei uns?. Und da schießt er ein Bild, und da bin ich grad zufällig drauf, ganz klein. Aber bei mir ist kein Krautkopf dagewesen.
Wir haben einmal nachts, einmal tags, einmal nachts, einmal tags gearbeitet, jede Woche wurde gewechselt. Und am Sonntag noch dazu. Aber am Sonntag nicht zwölf Stunden, und auch nicht jeden Sonntag. Am Sonntag war manchmal auch frei. Aber wenn die Produktion es verlangt, da heißt’s: Du, du, du, ihr müßt vorbereiten, damit die anderen mitkommen.
Ich war zuerst an der Fräsmaschine. Mein Vorgänger an der Maschine war auch ein Russe, er hat’s mir gezeigt. Mein Meister hat die Teile hingestellt. Da. Fertig. Nach zwei Tagen war ich schon reif, da ist’s gelaufen.
Die Motorenblöcke kamen von der großen Fräsmaschine, da wurden die Bohrungen herausgefräst, sauber, und dann poliert, und dann Gewinde geschnitten, um die Zylinder hineinzudrehen. Der Motorblock war aus Aluminium, aber der Zylinder ist aus Stahl, der ist heiß eingedreht worden. Und dann geschliffen, poliert, gehont und was weiß ich, was da gemacht wurde, damit der Kolben also einwandfrei läuft.
Ich mußte in Zylinder drin, wo Kerzen reinkommen, zwei in jedem Zylinder, genau auf Hundertstel rausfräsen. Das ist eine von den modernsten Maschinen gewesen, automatisch. Eine deutsche Maschine, wenn ich mich nicht täusche, sogar von Stuttgart. „Stuttgart“, was ist „Stuttgart“, ich habe mir darunter nichts vorstellen können, der Name war eingegossen in der Maschine.
Später habe ich noch eine andere Ausbildung mitgemacht. Ich kam auch an die Revolverdrehbank zum Beispiel. Ich weiß nicht, ich will da gar nicht viel sagen, aber ich war ein bißle geschickt und das hat mir irgendwie geholfen. „Kaliber“, „Schieblehre“, das war für mich kein Begriff vorher, aber ich hab schnell aufgefaßt, das hatte schon angefangen mit der Schule. Schule war für mich alles, ich wollte ja nicht Schlosser werden, ich wollte ein bißchen weiter…
Die es nicht gleich begriffen, die haben Schläge bekommen. So haben sie uns zur Arbeit angetrieben. Das waren Zivilisten im Werk, die wollten uns ja auf die vorgeschriebene Anzahl hochschrauben. Und den ganzen Tag, los, los, auf, auf, das hat schon jeder gewußt, was das heißt.
Als wir nach Genshagen kamen, da waren schon Belgier da, waren schon Holländer da, aber nicht allzu viele, es waren auch Deutsche dabei, ältere Semester, kann man sagen, oder Schwerverwundere, Invaliden waren dabei…
Durch uns hat sich die ganze Lage verändert. Gerade was die Produktion betrifft- Da waren 24 Blöcke vorgeschrieben pro Tag, Motorenblöcke, 12 Zylinder. 24 Stück pro Tag, das war die Norm. Als aber die Russen da waren, wurde so lange hochgeschraubt, bis zu 96, das mußte erreicht werden, und dafür haben sie geschlagen.
Da entstand schon Haß, im Werk drin. Wenn ich fräse, und er macht zum Beispiel die Gewinde zum Kerzen eindrehen. und dazwischen ist Kontrolle, der kontrolliert. ob’s richtig ist, das war ein Deutscher, ein Stück weiter da war’s schon ein Belgier oder Holländer. Wenn ich dahinten geprügelt werde, da muß ich doch irgendwie mehr machen, also hatten die anderen keine Wahl, das ist doch ein Laufband…
Natürlich ging das nicht auf einmal von 24 auf 96. Man hat’s zunächst einmal bis auf 30 hochgebracht. Dann weiter, weiter und weiter. Und dann hat man eben die Feindschaft gekriegt, auch mit anderen Ausländern.
Später habe ich auch die Gewinde geschnitten, für die Zündkerzen. Zuerst mit der Hand. Dahinter war Kontrolle, man durfte ja nicht überschneiden. Sowie ein rotes Kreuz auf dem Motorblock stand, wurde man unsicher. Wer har den Fehler gemacht? Da wurde Sabotage vorgeworfen. Das konnten sie auslegen, wie sie wollten, wir waren ja niemand. Es ist passiert, daß sie Leute weggeholt haben. Die hat man nie mehr gesehen. Das war selten. Aber es kam vor.
Wir haben Motoren gemacht. Nicht vollständige Flugzeuge, aber vollständige Motoren. Wie die eingesetzt wurden, das hat uns niemend erklärt, aber das konnten wir uns denken. Man hat’s gemacht nur um seine eigene Haut zu retten. Verweigern? Die haben uns viel, viel zu viel eingeschüchtert. Wenn irgendetwas war“ da war’s egal, was er gerade in der Hand gehabt hat, ob Lagerkommandant oder Vorgesetzter, im Lager wie im Werk, da ist zugeschlagen worden, wie beim Stück Vieh‘ und noch schlimmer. (…)
Eines Tages mußten wir im Lager antreten, es muß Ende Februar 45 gewesen sein oder Anfang März, denn an meinem Geburtstag war ich dann schon hier. Da wurde nicht gefragt oder erklärt, so wenig wie in Ludwigsfelde, und man hat nicht gesagt, ihr braucht morgen gar nicht mehr zu uns zu kommen, ihr müßt fort. Es hieß nur, wir müßten nach Ulm marschieren, Richtung Ulm, zwei-, dreihundert Leute waren wir zusammen. Geführt wurden wir von zwei Männern in schwarzen Uniformen, Hakenkreuzbinde, bewaffnet, mit dem Fahrrad, der eine vorne, der andre hintendrein.
Am Friedhof in Heilbronn haben wir übernachtet die Stadt war schon fast ganz zerstört. Man hörte am Morgen das Schießen näherkommen, naja, da hat man gefragt: erleben wir’s oder erleben wir’s nicht. Unseren beiden Führern in Schwarz ist das zu brenzlig geworden, und da haben sie uns einfach stehenlassen.
Also jetzt wohin? Es sind Gruppen gebildet worden, die einen sind dorthin, die anderen dorthin – richtungslos, und herrenlos, es ist doch egal wohin, irgendwo, wo man was zu essen kriegt oder verdienen kann. … Wir sind dann bis nach Stuttgart marschiert, wir waren zwölf Leute. Und ich war so ein bißchen der Dolmetscher für die Gruppe, ich habe einfach nicht betteln können, ich habe etwas schaffen wollen, damit ich ein Stück Brot kriegen kann.
In Stuttgart wurden wir zweimal verhaftet, in Arrest gesteckt, und wir waren so froh, einmal unterm Dach zu sein, wenn auch hinter Gittern, das macht doch nichts, aber im Trockenen. Gott sei Dank. Und solange die uns einsperrten, war’s doch gut, es ist ja überall geschossen worden.
Wir wollten dann raus aus Stuttgart, auf die Dörfer, um mit Holzspalten oder so etwas Essen verdienen zu können. So kamen wir nach A., und da kamen mir meine zehn Mark zu Hilfe, die ich damals gekriegt hatte in Ludwigsfelde.
Vor der Dorfbäckerei haben ein paar junge Kerle mit Steinen nach uns geschmissen. Wir wollten warten, bis eine Frau rauskommt und uns für die zehn Mark ein Stückle Brot gibt. Da kam meine spätere Schwiegermutter heraus, und hat gefragt: Buben, habt ihr Hunger? Ich sag: Ja. Dann kommt mit. Und sie hat uns verköstigt. Sie hat mir das Leben gerettet. Kurz darauf habe ich Lungenentzündung bekommen. Zu meinem Geburtstag habe ich von meiner späteren Frau einen Pullover gestrickt bekommen. Ich hatte einen Unterschlupf gefunden.
Die Frau hat erzählt, wie ihr öfters gesagt wurde, sie gehört mit der Reitpeitsche aus dem Dorf hinausgejagt Dort hinausgejagt mitsamt ihrem Russen. Ich mußte erstmal zeigen, daß ich so viel leistete wie der andere, oder mehr. Ich mußte erstmal beweisen, daß ich dem Schwaben würdig bin.
Dieser Beitrag basiert auf einem Gespräch, das Helmuth Bauer und Michael Schmid am 18.8. 1986 mit Herrn und Frau A. geführt haben.
Aus: Das Darmlei-Benz Buch. Ein Rüstungskonzern im Tausendjährigen Reich. Hg. von der Hamburger Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts, 1987, S. 471-481