Opferstilisierung und Antikommunismus im Kriegsfilm

Selbst ein Ausnahmefilm wie KINDER, MÜTTER UND EIN GENERAL – 1954 von dem Emigranten Pommer produziert, Regie führte der Emigrant Laszlo Benedek – erfüllte Funktion [der Entlastung der Wehrmacht, D.E.], obwohl die Zeitgenossen den Film als Antikriegsfilm wahrnahmen. Es ist die Geschichte einer Gruppe von Jungen, die heimlich ihre Schule verlassen, um an der Ostfront zu kämpfen. Ihre Mütter holen die Überlebenden nach großen Schwierigkeiten und Auseinandersetzungen mit hohen Militärs zurück. In diesem Film sind alle Opfer: die Kinder, die Mütter, die Offiziere und selbst der General, der in aussichtsloser Situation am Prinzip des militärischen Gehorsams festhält. Opfer sind auch die Filmgestalten der großen Erfinder und Unternehmer (z.B. Carl Zeiss in Made in Germany – ein Leben für Zeiss, W. Schleif, 1956). Sie opfern sich selbst, ihre Gesundheit und damit ihr Leben der Arbeit und der Gemeinschaft, und ihre Mitmenschen, besonders die Frauen, opfern sich wiederum für sie. Opfer in diesem Sinn sind auch die Ärzte und Krankenschwestern im Melodram.

Als letztes Beispiel, in dem sich die Opferstilisierung mit einem selten klaren antikommunistischen Feindbild verbindet, sei auf Geza von Radvanyis DER ARZT VON STALINGRAD (1958) verwiesen. Die Geschichte beginnt in einem deutschen Kriegsgefangenenlager bei Stalingrad 1949. Geistiger und moralischer »Führer« der Gefangenen ist der Gehirnchirurg Böhler aus Würzburg (O. E. Hasse). Er rettet durch eine schwierige Operation dem Kind des Lagerkommandanten das Leben, danach werden die ersten Gefangenen entlassen. An ihrem LKW hängt ein Spruchband »Nie wieder Krieg! « Unter Hinweis darauf ermahnt Böhler die Sowjets, daran zu denken, wenn es wieder so weit ist. Der Zuschauer muß annehmen, daß die UdSSR den zweiten Weltkrieg begonnen habe.

Die Russen, besonders die stummen Wachmannschaften, entsprechen dem Typus des Asiaten mit mongolischen Gesichtszügen. Neu an diesem an sich alten, auch im Faschismus benutzten Bild, ist die Verbindung mit einer Projektion: das Lager bei Stalingrad erinnert mit Stacheldraht, Hunden und Wachtürmen, mit der Beschreibung von Krankheitsquoten und »Vernichtung durch Arbeit« an deutsche Konzentrationslager. Die Assoziation wird dadurch verstärkt, daß die russische Ärztin sie ausdrücklich zurückweist.

Der Film führt die umfassende Überlegenheit der Deutschen vor. Der deutsche Arzt operiert, und der russische assistiert ihm. Danach sagt der Russe zu dem Deutschen: wenn uns jemand hier so sähe, würde niemand wissen, wer den Krieg gewonnen und wer ihn verloren hat. Die Deutschen in diesem Film, die Opfer und zugleich Helden sind, gewinnen den Krieg sozusagen nachträglich kraft moralischer Überlegenheit über eine »Kultura«, die mit dem Neandertaler in Verbindung gebracht wird. Der Film war ein großer Publikumserfolg.

Auszug aus: Irmgard Wilharm: Die verdeckten Spuren des Kalten Krieges im deutschen Unterhaltungsfilm. In: Deutsches Historisches Magazin, Heft 5, 2. Jg. 1992,  S. 18/19

Antikommunismus im Kriegsfilm

(…) In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre [nahm] die Produktion antikommunistischer Filme in der Bundesrepublik einen bedeutenden Platz ein. Nachdem die Filmproduzenten zunächst aus ökonomischen Gründen Abstand davon genommen hatten, politische Filme mit Ost-West-Thematik in Auftrag zu geben, war die Herstellung des Films „Weg ohne Umkehr” (1953) der Auftakt für die stärkere Gewichtung des Antikommunismus im westdeutschen Film von etwa 1955 bis 1963. Insoweit entsprach die in dieser Zeit forcierte Visualisierung des angenommenen historischen und gegenwärtigen Bildes von der UdSSR und der DDR sowohl der antikommunistischen Grundrichtung der Bundesrepublik als auch speziell der Adenauerschen „Keine-Experimente”-Ideologie.326 Filme wie z.B. „Der Arzt von Stalingrad” (1958, Regie: Geza von Radvanyi), „Taiga” (1958, Regie: Wolfgang Liebeneiner) oder „Hunde, wollt ihr ewig leben” (1959, Regie: Frank Wisbar) präsentierten auf der einen Seite nicht nur den sogenannten „Rußlandfeldzug” Deutschlands als Naturereignis und die spätere Kriegsgefangenschaft in Sibirien als „großes Unrecht”, sondern sie transponierten die Kriegsschuldfrage auf den überfallenen Feind und sorgten so auf der anderen Seite für eine heftige Geschichtsklitterung, in der die eigene Vorstellungswelt wirklich auf die des Gegners projiziert wurde.“


Auszug aus: Kannapin, S. 283

Der Zweite Weltkrieg im Film

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