Mamitschka (1955)
Inhalt
Die neunköpfige Familie Navratil aus Budweis erhält nach der Vertreibung der Deutschen aus Böhmen und ihrer Ankunft in einer kleinen süddeutschen Stadt nach einer Zeit im Auffanglager Unterkunft bei Herrn Samthaber, der, wie seine Frau, voller Vorurteile gegen die neun Personen aus dem Osten ist. Die Töchter geraten auf Abwege, und die Söhne versuchen sich im Schwarzhandel. Zwischendurch war noch ein verwaistes afroamerikanisches Besatzungskind zur Gruppe gestoßen, das sie in die Familie aufgenommen haben. Die Nawratils, die von Mamitschka angeführt werden, schlagen sich mit Gelegenheitsarbeiten durch, bis Benjamin, der elfjährige Sohn, ihnen einen Totogewinn von 75.000 Mark beschert. Dies reißt die in aller Armut glückselige Schar jäh auseinander; die drei ältesten Kinder geraten auf die schiefe Bahn. Zwei Kinder verunglücken tödlich mit dem neuen Motorrad. Ein deutschstämmiger Besatzungssoldat heiratet schließlich die älteste Tochter und nimmt die ganze Familie mit nach Amerika. (wikipedia)
Flucht und Vertreibung im deutschen Spiel- und Dokumentarfilm
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Regie: Rolf Thiele
Regie-Assistenz: Ilona Juranyi.
Buch: Rolf Thiele.
Kamera: Karl Schröder
Kamera-Assistenz: Emil Eisenbach, Wolf Wirth
Bauten: Walter Haag.
Kostüme: Lilo Hagen.
Schnitt: Caspar van den Berg
Ton: Heinz Martin
Musik: Norbert Schultze
Darsteller:
Mila Kopp (Mamitschka)
Jester Naefe (Rosa)
Rudolf Platte (Tatinek)
Ida Krottendorf (Bozena)
Klaus Behrendt (Wilbom)
Karl Hackenberg (Frantek)
Evi Kent (Olga)
Paul Henckels (Samthaber)
Kurt A. Jung (Herr Merkel)
Ursula Grabley (Frau Hiebel)
Margarete Andersen (Frau Samhaber)
Ilse Künkele (Frau Ruckheberle)
Irka Peter (Witwe Nickel),
Tilo von Berlepsch (Baron von Hiebel)
Gerd Frickhöffer (Geschäftsführer)
Michael Hahn (Poldi)
Robert Haller (Baldur)
Dieter Thiele (Joseph)
Produktion: Filmaufbau GmbH, Göttingen.
Produzent: Hans Abich, Rolf Thiele
Herstellungsleitung: Hans Abich.
Produktionsleitung: Gottfried Wegeleben.
Aufnahmeleitung: Frank Roell, Rolf von Botesku, Kurt Zeimert
Drehort: Atelier Göttingen
Außenaufnahmen: Göttingen und Umgebung, Bamberg.
Länge: 96 min, 2610 m.
Formal: 35mm, s/w, l:1.33.
Uraufführung: 29.9.1955, Hannover (Palast-Theater).
Echo der Erinnerung
An dieser Stelle sei ein kleiner Exkurs erlaubt, der den Fokus auf ein Verfahren des filmischen Sounddesigns lenkt, mithilfe dessen Erinnerungsebenen markiert und ‚alte‘ und ‚neue‘ Heimat gewissermaßen auditiv differenziert werden können. (…)
Im MAMITSCHKA (1955, Regie: Rolf Thiele) wird beispielsweise die alte Heimat Böhmen extradiegetisch durch ein Leitmotiv-Zitat aus dem „Vltava“ (Die Moldau) betitelten zweiten Satz der sinfonischen Dichtung „Ma Vlast“ (Mein Vaterland) von Bedrich Smetana repräsentiert. also durch ein populäres Musikstück, das als Ausdruck tschechischen Nationalgefühls schlechthin gilt, dabei zugleich aber auch eine ferne, von alten Traditionen bestimmte Zuweisung assoziieren lässt. Die ankunft am ersten Aufenthaltsort der Filmfamilie außerhalb des Flüchtlingslagers wird hingegen vom swingenden Filmschlager „ Sei nicht traurig Mamitschka, wenn du an Böhmen denkst“ (Text: Bruno Baz, Musik: Norbert Schultze) untermalt, wobei beide Musiken durch den Film hindurch motivisch verarbeitet werden. Die kulturelle Lebenswelt, in der sich die jugendlichen Kinder der Filmfamilie bewegen wird demgegenüber als von Jazz-Musik geprägt dargestellt – also durch eine Musikrichtung repräsentiert, die einen modernen Lebensstil assoziieren lässt.
Aus: Elisabeth Fendl (Hrsg.): Zur Ästhetik des Verlusts. Bilder von Heimat, Flucht und Vertreibung. Darin: Wie klingt Heimat? MusikSound und Erinnerung, S. 269
Im Verleihjahr 1954/55 schloss sich die Filmaufbau GmbH mit den Produktionsfirmen H.D.-Film GmbH, Berlin und der Rotary Film GmbH, München, zu einer Produzentenrisikogemeinschaft (AUDERO) zusammen, die Bürgschaften in Höhe von 8,8 Mio. DM erhielt. Zu der so verbürgten Staffel von sieben Filmen gehörten – mit einer Bürgschaftssumme von über 3,4 Mio. – die Filmaufbau-Produktionen SIE (1954, Regie: Rof Thiele), INGRID – DIE GESCHICHTE EINES FOTOMODELLS (1954, Regie: Geza von Radranyi) und MAMITSCHKA (1955, Regie: Rolf Thiele).
Keiner dieser drei Filme wurde ein ökonomischer Erfolg für die Göttinger Produzenten. 1956 bilanzierte die Geschäftsleitung INGRID als den film „mit dem bisher größten Bürgschaftsverlust aus unserer Produktion“, SIE erschien „kaum einspielbar“, MAMITSCHKA immerhin wurde von der Bürgschaftsgesellschaft als „bedeutsam für die Entwicklung der Filmwirtschaft“ anerkannt, so daß § 31, Absatz 1 der Filmbürgschaftsrichtlinien von 1953 in Kraft trat:
„Der Betrag, den der Antragstelle aufgrund des § 30 an die Bürgschaftsgesellschaft zu zahlen hat, ermäßigt sich um den Verlust, der bei einem Film entstanden ist, den der Bürge als künstlerisch wertvoll oder als besonders bedeutsam für die Entwicklung der deutschen Filmwirtschaft anerkannt hat.“
MAMITSCHKA war ursprünglich unter dem Titel „Das Glück kam Sonntagabend“ bei der Bürgschaftsgesellschaft eingereicht worden und löste dort als einziges der drei Filmaufbau-Vorhaben Diskussionen aus, denn der Ausschuss äußerste „Bedenken gegenüber dem Stoff, da er sich strak auf das Flüchtlingsmilieu beziehe und im Gegensatz zu den Bemühungen der Bundesregierung nicht die Eingliederung, sondern die Isolierung der Flüchtlinge zeige.“ Man fürchtete, „der Stoff könne in Flüchtlingskreisen Widerspruch hervorrufen“ und verwies „auf die möglicherweise entstehenden politischen Schwierigkeiten bei Herausbringen eines solchen Filmes.“ Abschließendes Fazt der Auschußmitglieder: „Gegen den Stoff (…) bestehe keine Bedenken, wen der Film nicht das Flüchtlingsmilieu zum Hintergrund habe.“
aus: Susanne Fuhrmann: Zur Geschichte der Filmaufbau GmbH Göttingen. In: Wir Wunderkinder. 100 Jahre Filmproduktion in Niedersachsen. Hrsg. von der Gesellschaft für Filmstudien, Hannover 1996, S. 55