Gefangene der Liebe (1954)
Inhalt
Nur wenige Wochen vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges sind Willi und Maria Kluge die Ehe miteinander eingegangen. Ihr gemeinsames Glück währte jedoch nur wenige Stunden, bis sie voneinander getrennt wurden. Inzwischen sind acht Jahre vergangen, seit sie sich zum letzten Mal sahen. Jetzt endlich darf Maria aus der sowjetischen Gefangenschaft heimkehren. Sie kommt jedoch nicht allein; bei ihr befindet sich ein Kleinkind, das sie durch unglückliche Verstrickungen in den entbehrungsreichen Jahren der Gefangenschaft zur Welt gebracht hat. Zunächst ist Maria fest entschlossen, mit ihrem Kind dem Ehemann gegenüberzutreten und ihm gleich die Wahrheit zu sagen; aber dann entscheidet sie sich doch dazu, Willi in kleinen Schritten die Nachricht beizubringen. Um das Baby kümmert sich einstweilen Marias Begleiterin, eine patente Ärztin.
Willi hat nach Kriegsende schnell wieder in das zivile Leben zurückgefunden und eine Autowerkstatt aufgebaut. Seit er das erste Lebenszeichen von seiner Frau erhalten hatte, hat er immer treu auf sie gewartet. Nun aber trifft ihn Marias Bekenntnis wie ein Schlag. Seine Liebe zu Maria ist jedoch stärker als der Gedanke an ihren Ehebruch. Deshalb nimmt er auch Marias Baby in seinen Haushalt auf.
Eines Tages steht Franz Martens, der Vater des Kindes, ohne dass er von dessen Existenz etwas weiß, vor der Tür. Er hat Marias Aufenthalt herausbekommen und will sie ganz arglos begrüßen. Jetzt aber wird Willi misstrauisch und reicht die Scheidung ein. Maria aber lässt sich dadurch nicht entmutigen und kämpft weiterhin um Willis Liebe. Schließlich siegt die Vernunft; Willi und Maria finden wieder zueinander. (wikipedia)
Originaltitel | Gefangene der Liebe |
Produktionsland | Deutschland |
Originalsprache | Deutsch |
Erscheinungsjahr | 1954 |
Länge | 88 Minuten |
Stab | |
Regie | Rudolf Jugert |
Drehbuch | Walter Forster |
Produktion | Rhombus Film, München Süd Film, München |
Musik | Werner Eisbrenner |
Kamera | Bruno Mondi |
Schnitt | Walter Boos |
DarstellerInnen | |
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Notizen zu einigen Filmen: GEFANGENE DER LIEBE
1954 drehte Jugert GEFANGENE DER LIEBE, in dem er deutsche Vergangenheit mit deutscher Gegenwart konfrontiert. Diesen Film prägt ein starker Formwille, er ist einer von denen, die Jugert künstlerisch gelungen sind. GEFANGENE DER LIEBE besitzt eine merkwürdige düstere Ausstrahlung, auch wenn am Ende eine Familie einmal mehr zusammengefunden hat. In kleinen Szenen und Nebenepisoden findet Jugert dichte Bilder für Unsicherheit, Ungewißheit, Angst und Bedrohung. Kameramann Bruno Mondi malt mit Licht, schafft harte Schatten und grelle Lichtreflexe, verkantet die Kamera: Eine Stimmung der Unruhe durchzieht den Film.
Schon der Anfang ist ungewöhnlich: In schneller Vorwärtsfahrt fliegt die Kamera über Schienenstränge, dazu hören wir die schweren Fahrgeräusche eines Zuges. Keine Musik. Darüber läuft der Vorspann ab. Die langen Fahrtaufnahmen von den Schienen machen einen Sinn, sie erzählen von der langen Heimreise der Rußland-Heimkehrer. Der Lautsprecher im Hauptbahnhof München klärt auf: Die Heimkehrer werden willkommen geheißen, es ist Oktoberfest, ein offizieller Empfang vorbereitet.
Der Zug hat Verspätung, Wartende stehen auf dem Bahnsteig. Unter ihnen Willi (Curd Jürgens), Besitzer einer Tankstelle und Autowerkstatt, der seine Frau empfangen will. Finster blickt er drein, einen zerdrückten Blumenstrauß in der Hand. Im fahrenden Zug sehen wir die Heimkehrenden, unter ihnen Willis Frau Maria (Annemarie Düringer) – mit einem kleinen Mädchen. Das Kind ist nicht von Willi, der Vater ein Mitgefangener in Rußland. Bewußt hat sie sich schwängern lassen – bessere Haftbedingungen standen dann in Aussicht. Maria weiß nicht, wie sie das Willi erklären soll. Brigitte Horney. die eine Ärztin spielt, bietet ihr an, erst einmal das Kind an sich zu nehmen, so daß Maria in Ruhe mit Willi reden und ihm alles erklären könnte.
Im Zug findet Jugert ein Bild für das Leben eines Kindes in Gefangenschaft. „Du, Posten. Wo hast du dein Gewehr?“ fragt ein kleiner Junge den Zugschaffner. „Entschuldigen Sie bitte“, antwortet die Mutter, „für ihn ist jede Uniform ein Wachposten. „
Nach der Ankunft zu Hause präsentiert Willi mit leuchtenden Augen Tankstelle, Werkstatt und Wohnung: Resultate des Wiederaufbauwillens, frühe Musterbeispiele des einsetzenden Wirtschaftswunders. Stolz führt der Mann das neue Heim vor, in dem er der Frau ihren festen Platz zugeteilt hat. „Hier ist der Herd, alles elektrisch. Schau mal, auch praktisch, Wohnzimmer nebenan. Hat die Hausfrau nicht so weit zu laufen.“ Zum Bad erklärt Willi: „Schau mal, heiß, kalt, Mischbrause, alles elektrisch, Boiler“. Trockeneis wird hereingeblasen, um die Hitze des Wassers zu betonen. Vorher, im Schlafzimmer, setzt Jugert jedoch mit dem Bild und dem Ton erste kleine Momente der Verstörung. Vom nahen Oktoberfest fallen flackernde Lichtreflexe ins dunkle Zimmer, von draußen hört man den Betrieb der Tankstelle und den Lärm des Rummels. Harmonie zwischen der Heimkehrerin und ihrem Mann wird sich nicht einstellen.
Die Aussprache des Ehepaars gestaltet sich schwierig. Willi erklärt, daß er nicht wie ein Mönch gelebt habe, aber „als deine Karte kam, hab‘ ich sofort Schluß gemacht.“ Natürlich verzeiht Maria ihm, hat Verständnis. Und natürlich verzeiht Willi Maria nicht, als er von ihr erfährt, daß sie ein Kind hat von einem Mitgefangenen. Erstarrt weicht er zurück, verläßt das Zimmer. Vorher schon, bei ihrer Unterredung, war die Musik des Oktoberfestes immer lauter in den Raum gedrungen, sie an den Nerven. Mit Willi entfernt sich die Kamera von Maria, die allein im Zimmer zurückbleibt. Es wird dunkler. Lichtreflexe wandern über ihr Gesicht.
Immer wieder tauchen im deutschen Nachkriegsfilm Jahrmärkte auf, Ablenkung und Zerstreuung, aber auch Desorientierung und Identitätsverlust andeutend. Jugert setzt in seinem Film den Jahrmarkt genau in diesem Kontext ein, er ist ein einziger Platz greller Lichter, lauter Musik, vorbeifliegender Gesprächsfetzen: ein Ort der Verwirrung. Nach seinem Gespräch mit Maria stolpert Willi allein durch die drängenden Massen, später läuft er über den leeren Rummelplatz. Bruno Mondi filmt das in gekippten Einstellungen. Die neue Ordnung, die sich in der florierenden Autowerkstatt und dem komfortablen Haus präsentiert, ist eine äußere, das innere Gleichgewicht der Menschen nicht stabil.
Aber Willi ist kein wirklich schlechter Mensch. Er sucht die Ärztin auf und die wäscht ihm den Kopf. Alles scheint gut zu gehen, Willi akzeptiert das kleine Mädchen, Maria ist glücklich über seinen Wandel. Zusammen
mit Willis Kompagnon Max (Paul Esser) und seiner Frau Anni (Mady Rahl) gehen sie auf das Oktoberfest, es herrscht eine heitere Stimmung. Doch plötzlich entdeckt Maria auf dem Festplatz einen Mitgefangenen aus Rußland. Es ist Franz, von dem sie das Kind hat. Bernhard Wicki, der diese Rolle spielt, wirkt
smart, fesch. Er trägt einen dunklen Schnäuzer, die Mütze ins Gesicht gezogen. Franz ist Motoradartist, er fährt auf Jahrmärkten in einem Gitterkäfig, immer im Kreis, immer höher die Wände hinauf. In seinem großen Käfig ist er eingeschlossen und ausgeschlossen zugleich, in seiner ganzen Erscheinung wirkt er desillusioniert, hoffnungslos, ohne Interesse. Doch als er Maria entdeckt, erwacht etwas in ihm. Er kämpft um sie. Aber er muß erkennen, daß sie und das Kind zu Willi gehören. Am Ende wird er Willi helfen, die flüchtende Maria zu finden. Jugert fügt die Familie wieder zusammen, aber er zeigt die Risse hinter der Ordnung, berührt eine Beklemmung, die nach den letzten Filmbildern bleibt.
Bruno Mondis Licht in diesem Film ist atemberaubend. Es erzählt von der inneren Unruhe der Menschen, ihrer Ungewißheit, ihrer Angst. Einmal macht Mondi eine Großaufnahme von Willis Gesicht, der Hintergrund ist rabenschwarz, über Wangen und Stirn liegen Schatten, nur die Augen leuchten hell. Sie sind in diesem Bild zwei kleine flackernde Lichtquellen, die alles über Willis innere Befindlichkeit ausdrücken.
Am stärksten beeindruckt eine bittere Kabarettszene am Ende des Films. Die Automechaniker haben bis spät in die Nacht einen Transporter repariert, nun genehmigen sie sich einige Biere. Doch die gute Laune schlägt schnell um, als der scheinbar stets frohe Max (er hat im Krieg ein Bein verloren) zum ersten Mal seine Verbitterung spüren läßt. „Der Krieg ist an allem schuld. Und der Krieg ist auch der Vater von Marias Kind“, ruft er den anderen zu. In einer „Gerichtsszene“ wird der Krieg angeklagt, vom Hof dringt das unruhige Licht einer Lampe in die Werkstatt, Mondi stellt die Kamera extrem schräg. „Strammstehen!“, brüllt Max, und der Lehrling tut es. „Das wirkt eben immer noch“, sagt Max und verkündet: „Der Krieg hat kein Gesicht. Aber die Gerichtskosten sind bezahlt.“ Er schlägt sich bei diesen Worten auf sein Holzbein.
Im Herbst 1954 protestierte Thomas Mann in der Zeitschrift „L’Express“ gegen die Wiederaufrüstung Westdeutschlands, Anfang Oktober lehnte der DGB auf seinem Bundeskongress die Wiederbewaffnung ab, am 23.10.1954 erklärte die Bundesrepublik mit Unterzeichnung der „Pariser Verträge“ ihren Beitritt zur NATO.
Aus: Rolf Aurich/Heiner Behring: „Ein einstmals wohlrenommierter Regisseur“. Der Hannoveraner Rudolf Jugert und der deutsche Nachkriegsfilm. In. Lichspielträume. Kino in Hannover 1896 – 1991, a.a.O., S. 100-102