Freies Land (1946)

Inhalt

Endlose Flüchtlingstrecks durchziehen nach Kriegsende das Land auf der Suche nach einer neuen Heimat. In der Ahnenhalle eines großen Rittergutes stehen ausgemergelte Männer und Frauen und nehmen ihre Besitzurkunden für den aufgeteilten Boden des nach Westen geflohenen Gutsherrn entgegen. Unter ihnen die junge Umsiedlerin Jeruscheit. Auf dem Treck hat sie eines ihrer Kinder am Wegrand begraben müssen, der Mann ist während des Krieges als vermisst gemeldet worden, doch nun hat das Leben wieder einen Sinn bekommen. Man arbeitet, baut auf, hilft sich gegenseitig. Und eines Tages findet auch Jeruscheit zu seiner Familie – eine schreckliche Odyssee ist zu Ende.

(Quelle: Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg. DEFA-Spielfilme 1946-1992)


Produktionsland Deutschland (SBZ)
Originalsprache Deutsch
Erscheinungsjahr 1946
Länge 77 Minuten

Stab
Regie Milo Harbich
Drehbuch Milo Harbich,
Kurt Hahne
Produktion DEFA
Musik Werner Eisbrenner
Kamera Otto Baecker
Schnitt Margarete Steinborn
Besetzung
  • Ursula Voß: Frau Jeruscheit
  • Fritz Wagner: Neubauer Jeruscheit
  • Herbert Wilk: Bürgermeister Siebold
  • Hans Sternberg: Altbauer Strunk
  • Aribert Grimmer: Altbauer Melzig
  • Peter Marx: Altbauer Schulzke
  • Oskar Höcker: Neubauer Kubinski
  • Elfie Dugal: Küchenmädchen
  • Kurt Mikulski: Siedler
  • Karl Platen

Modelle für eine neue Gesellschaft?

Unter dieser Fragestellung untersucht Bettina Greffrath in ihrer Dissertation aus dem Jahr 1993 die deutschen Nachkriegsspielfilme und kommt zu dem Ergebnis:

„Nur wenige Spielfilme unseres Untersuchungszeitraumes erheben den Anspruch, komplexe Modelle für neue politische und gesellschaftliche Strukturen und Verhältnisse in Deutschland vorzustellen und zn diskutieren.“

Einer der Filme, die das versuchen ist – neben GRUBE MORGENROT –  FREIES LAND, der sich 1946 mit dem Thema Bodenreform  beschäftigt. In ihre Analyse geht sie dann weiter der Frage nach, 

„ob diese in den Filmen gestalteten Gesellschaftsmodel1e Bewegungen und
Errtscheidungen innerhalb der Nachkriegsbevölkerung reflektieren, ob sich kollektive Strömungen in diesen Filmen gleichsam ausdrücken.“


Der zweite Nachkriegsfilm FREIES LAND, bereits am 18.10.1946 uraufgeführt, nimmt nach Wolfgang Gersch in der Geschichte des frühen DEFA-Spielfilmes inhaltlich wie formal eine Sonderstellung ein:

„Die drei Spielfilme des ersten DEFA-Jahres nutzen die dokumentarische Abbildfähigkeit des Films auf ganz unterschiedliche Weise. Während in ‚Die Mörder sind unter uns‘ eine symbolhafte Strukturierung vorherrscht, bei ‚Irgendwo in Berlin‘ eine beschreibende, auf das Milieu orientierte Handhabung bestimmend ist, sucht Milo Harbich in ‚Freies Land‘ einen montagehaften Aufbau durchzusetzen, der Segmente der neuen gesellschaftlichen Prozesse zeigt.
Der Film hat keine geschlossene, noch gar individuelle Handlung, was wohl wesentlich zu seinem damaligen Mißerfolg beitrug; vielmehr sind Handlungsdetails, kurze Episoden und dokumentare Bilder in einen filmischen Ablauf gebracht, der die Bedeutung und den Verlauf der Bodenreform demonstriert.“ 1)

Leider war es im Rahmen dieses Projektes nicht möglich, FREIES LAND im Detail zü untersuchen. Es war lediglich zu realisieren, diesen „kaum mehr gekannte(n)“ Film (Gersch)
einmalig auf der Leinwand des Staatlichen Filmarchivs der DDR zu sichten und zu protokollieren. Auf der Grundlage dieser Sichtung lassen sich jedoch einige grundsätzliche Eindrücke festhalten. Danach ist zunächst folgender retrospektiver Charakterisierung Wolfgang Gerschs zuzstimmen:

„Mit ‚Freies Land‘ wurde eine individuelle Entfaltung der Figuren und eine dramatische Entwicklung einzelner Handlungslinien weder erreicht noch eigentlich angestrebt. Die Konstruktion des Films zielt auf agitatorische Wirkungen. Die Montage von Fakten, dokumentarischen Belegen und episodischen Szenen (…) sollte belehren, überzeugen, mobilisieren. “ 2)

Tatsächlich erscheint FREIES LAND (…) wie eine Art Flickenteppich von zumeist verbal geäußerten Argumenten, wie ein Puzzle von Aspekten, Haltungen und Zusammenhängen, das zusammengenommen wohl die umfassende Bedeutung und das vernetzende Zusammenwirken vieler Kräfte bei der Bodenreform vorführen sollte. Zusammengehalten durch einen dominanten Off-Kommentar bewegt sich dieser Film zwischen Stadt und Land, Familie, Arbeit und Schule, eigener und Grenzregion, einfachen Bauern und Führungspositionen, Einheimischen, Besatzern und Flüchtlingen. Dabei ist FREIES LAND entscheidend durch zwei Grundmomente geprägt: durch den Versuch einer „politische(n) Verbindlichkeit“, wie auch durch ein „Wunschdenken“. Dazu Gersch:

„Wenn die Bauern zur gemeinschaftlichen Bestellung der Felder übergehen, ihre Arbeit überregional zu organisieren beginnen, plädiert der Film für ein Modell der sozialistischen Landwirtschaft, das erst viele Jahre später Wirklichkeit wurde. Diese Position des Films ist offensichtlich aus eben jener Frühphase der gesellschaftlichen Entwicklung zu verstehen, in der die Vorstellungen über die sozialistische Perspektive noch kaum an den konkreten Bedingungen überprüfbar waren. Indem der Film das Vorgreifende als das bereits Mögliche abzubilden versucht, verfällt er dem Wunschdenken.“ 3)

In den (…) zeitgenössischen Berichten und Kritiken ist (…) kaum Skepsis spürbar. Bereits die Berichte über die Dreharbeiten sind durch einen oft schwülstig-heroisierenden Duktus bestimmt: Insbesondere durch den Einsatz .von Laiendarstellern sei gewährleistet, daß der Film ein authentisches und wahrhaftiges Abbild der gesellschaftlichen Nachkriegssituation auf dem Lande abgeben werde. 4)

So heißt es z,B,: Die Einheimischen wirkten hier nicht allein als „‚Komparsen‘, stumme Mitspieler, sondern haben zum Teil auch Sprechrollen“. Das Fazit am Ende dieses Berichtes: „So brachte uns die Reise fesselnde Einblicke in das Arbeitsgebiet des Häufleins Männer und Frauen, das sich in der Prignitz niedergelassen hat, und der größten und bedeutsamsten sozialen Umwälzung nach dem Kriege, die durch Bodenreform und Neusiedlung hervorgerufen worden ist, im Film ein lebendiges Denkmal zu setzen.“ (Raubritterland wird ‚Freies Land‘, S0T, 23.06.1946)
Und unter der Uberschrift „Hauptdarsteller: Die Bevölkerung“ war da etwa folgendes zu lesen: „Das (,,,) Drehbuch fußt auf der Mititarbeit der gesamten ländlichen Bevölkerung und sieht ein Auftreten von Berufskünstlern nur in geringem Umfange vor, Dieses gibt wohl vor allem die Gewähr, daß dieses Filmwerk wirklich zu einem Dokument der historischen Entricklung der Bodenreform wird (,,,).“ (MVS 9.7.1946, Ernst Draheim)

Von einer „historischen Tat“ ist da ebenso die Rede, wie vom „unbeugsamen Stolz“ der Landbevö1kerung, mit der sie das Land befreie „von der Junkerbrut“, „frei für alle Zeit“. Es werde ein „Volksfilmwerk wahrer Bedeutung“ geschaffen: FREIES LAND werde allen Zweiflern „den Elan vor Augen führen, mit der das Landvolk jahrhundertealte Versklavung abschüttelte, aber auch die unendliche Beharrlichkeit und den wilden Trotz, mit dem es auch die größten Schwierigkeiten meistert (. . .).“ 5)

Der Vorabbericht des Neuen Deutschland ist von weitgehenden Hoffnungen getragen:

„Dieser Film will nichts vertuschen und beschönigen. Er ist in die Brennpunkte des Geschehens gestiegen und fängt mit dokumentarischer Genauigkeit die Etappen des Leids ebenso unverfälscht ein, wie wir die Aufteilung des Grund und Bodens darin beobachten, die Diskussionen um den Sinn der Landaufteilung verfolgen und es aus nächster Nähe erleben dürfen, wie das neue Land, in das die Neusiedler jenen Samen legen, ihnen mit jedem Tropfen vergossenen Schweißes mehr Heimat und Vaterland wird. Und morgen soll ihre erste Ernte auf neuem Boden in die Kamera eingefangen werden. Welch großes Ereignis! “ 6)

Auch die Kritiken des uraufgeführten Films sind durch einen begeisterten Tonfall bestimmt. (Siehe: Retrospektive Filmkritiken)

(…)

Die eigene Motivanalyse am Filmprotokoll dieses zweiten Nachkriegsspielfilmes ergab deutliche Schwerpunkte im Bereich der modellhaften Propagierung folgender ethischer und politischer Haltungen und Handlungen: Erdverbundenheit, Gemeinschaftsleben und Bescheidenheit, Demokratie und Solidarität. Auffällig war dabei, daß unter diesen Haltungen allein ein gewisses Gemeinschaftsdenken selbstverständlich und glaubhaft ins Bild kommt. Es zeigt sich vor allem im alltagspraktischen Handeln der Frauen.

Ist das Bild der Deutschen auch in diesem Film durch eine deutliche Opferperspektive geprägt, so erscheint die besondere Belastung der Frauen deutlicher und drastischer gezeichnet als in der Mehrzahl der westdeutschen Spielfi1me. 11) Doch demonstrieren die Frauen ihre Fähigkeit zu gemeinschaftlichem Handeln: Unter Mithilfe der Kinder organisieren sie einen Waschtag. Wie selbstverständlich nehmen einige von ihnen Flüchtlinge auf. Kraftvoll übernimmt eine Flüchtlingsfrau die Bewirtschaftung des ihr zugeteilten Landes.

Die neuen Handlungsmodelle der Solidarität und „gegenseitigen Bauernhilfe“, der demokratischen Mitwirkung erscheinen dagegen in den verbalen Äußerungen der Bauern lediglich wie abstrakte, auswendig gelernte Begriffe. Dieser Eindruck wird durch den Einsatz der Laiendarsteller und eine schlechte Nachsynchronisierung, die das Hölzerne in ihrer Sprache noch deutlicher hervortreten läßt, sogar noch verstärkt.

FREIES LAND beginnt mit einer Debatte über den Neubeginn in der Landwirtschaft:

“ Off .‘ Die Junker und Feudalherren waren es nicht, die sich am Ende des Krieges dem Chaos der Vernichtung entgegenstellten, Bauern waren es. Schwer hat sie das Schicksal getroffen (Schwenk über Land). Sie sind Bettler geworden.11)

(Kameraschwenk durch verlassenes Hofgelände, die landwirtschaftlichen Geräte stehen verwaist herum, Einige Bauern finden sich ein. )

1. Bauer: ‚Nu kommandiert uns keiner mehr, nu wird nüscht mehr klappen.

(Keiner der Bauern will das Amt des Bürgermeisters und Verantwortung für die Wiederaufnahme der landwirtschaftlichen Produktion übernehmen.)

2. Bauer:‘ Kommandieren. Hier soll keiner mehr kommandieren.

(Andere Bauern weisen darauf hin, daß „doch alles zum Teufel“ sei, sie hätten keine Maschinen und Lastwagen mehr.)

(Ein kleines Kind kommt hinzugelaufen, hält einen Blumenstrauß in der Hand:) Sieh‘ mal, Opa, Blümchen!

(1. Bauer, ein älterer Mann, nimmt das Kind hoch und sagt:) Ja, ich mach’s.“ 13

Zum leitenden Motiv für das (mit-)gestaltende Handeln wird der Blick auf die nachfolgenden Generationen (hier die kleine Enkelin). Deutlich verstärkt wird dieser Impuls durch die nachfolgende ausführliche Sequenz, die ein Kaleidoskop des Elends zeichnet. Durch den Off-Kommentar dramatisiert 14), zeigt der Film Flüchtlinge auf ihren Zügen, Städter im Elend der Trümmer und der Unterversorgung, der Schwarzmarktgeschäfte und des Egoismus. In dieser Sequenz werden Dokumentaraufnahmen und inszenierte Szenerien vermischt, Authentizität suggeriert. Ich gebe einige Beispiele aus dieser Sequenz (in Normalschrift wiedergegeben sind jeweils die Off- Kommentare):

(Dokumentaraufnahmen von Flüchtlingstrecks )
Millionen gingen in das Ungewisse. Tausende gingen vor Hunger und Krankheit zugrunde.

(Im Bild: Ein Mann will nicht mehr weitergehen. Er sagt:)
Wo hört nur diese verfluchte Welt auf?

(Eine apathisch blickende Frau, ein müder kleiner Junge sind zu sehen. Ein zweiter Mann sagt:)
Es hilft doch nichts. Jeder von uns läßt etwas zurück. Es gibt immer wieder einen Anfang.

(Bei diesen Warten wendet sich die Musik von Werner Eisbrenner ins Dramatisch-Bombastische und die Kamera schwenkt auf ein einfaches Birkenkreuz. Anschließend wird auf ein Grab in den Trümmern überblendet.)
Über die zertrümmerten Großstädte brachte der Zusammenbruch namenloses Elend.

(Überblendung: Schild/Eingang „Regina-Bar: Tanz. . . „. Anschließend im Bild: Ein Fiedler mitten in Ruinen, Menschenschlangen vor einer Wasserpumpe auf der Straße ‚ vor einem Lebensmittel laden)
Alle Ordnung hatte aufgehört.

(Die Sequenz wird weitergeführt mit Bildern von Schwarzmarktgeschäften. Der Off-Kommentar differenziert, daß es nicht immer Hunger, sondern oft auch Gewinnsucht und Spekulation sei, die die Menschen zu solchen Geschäften veranlasse. Anschließend im Bild: überfüllte Züge, begleitet von einer munter gefärbten Musik, kleine Schwarzmarktkungeleien, eine Polizeirazzia. Ein festgenommene Frau.
‚Was heißt’n hier Schieber. Hunger hab’n wir, oder meinen Sie, ich verkauf hier meine letzten Sachen zum Vergnügen?).

(Nach einem Schnitt zeigt FREIES LAND anschließend den zunächst vergeblichen, schließlich erfolgreichen Versuch einer Flüchtlingsfamilie, für ein paar Tage Obdach zu finden. Inszeniert wird ein Bild der Beklemmung und Demütigung: Bei einem der Versuche unterzukommen, wird die Puppe in der Hand eines der Kinder in Großaufnahme durch einen Lattenzaun hindurch aufgenommen, so daß sie wie hinter Gittern erscheint. Die weiterziehenden Flüchtlinge erfaßt die Kamera sofort anschließend von oben: Auf ihrem Weg liegt für einen Moment der Schatten des Gartenzauns wie ein Gitter. Die durch eine pathetisch-dramatische Musik verstärkte düstere Stimmung der Szenerie löst sich erst, als die Familie bei einer anderen aufgenommen wird, die ‚eben gesiedelt‘ hat. Kommentar aus den Off: )
So hat das Los und die Not eine harte Gemeinschaft zusammengeschmiedet. “ 15

Diese Sequenz zu Beginn des Films hat dramaturgisch eine grundlegende Funktion. Sie begründet handlungslogisch die Suche nach gesellschaftlichen Problemlösungen. Not, Zukunftslosigkeit und Demütigungen der deutschen Bevölkerung werden zum unterschwelligen Begründungszusammenhang für eine neue landwirtschaftliche Wirtschaftsform. Diese Selbstreflexion – der Blick ist dabei an keiner Stelle auf die vergangenen zwölf Jahre gerichtet – verbindet sich nicht überzeugend und konkret mit den Entwürfen für diese neue ökonomische und soziale Ordnung. Prozesse der Erfahrung und gedanklichen Neuorientierung werden nicht gezeigt.

Inhalt, Bedeutung und gesellschaftliche Folgen dieser neuen Ordnung stoßen sich nicht nur am Widerstand eines der Bauern (Pferdezüchter Melzig, gespielt von Aribert Grimmer). Die „Enteignung der Junker“ und die Verteilung des Bodens an Tagelöhner, Kleinbauern und Flüchtlinge und die zum Teil kollektive Bewirtschaftung erscheinen im Film letztlich wie ein von außen kommender, fremd gebliebener Lösungsversuch. Positiv gezeichnete ältere Autoritätsfiguren treten als Manager und Macher (wenn auch mit einem demokratischen Impetus) auf, so z.B. der Bürgermeister Siebold (Herbert Wilk) und der Landrat. Die propagierten Formen kollektiven Wirtschaftens bleiben unter den Männern zunächst auch eher umstritten. Landrat und Bürgermeister beschwören moralisierend neue ethische Positionen und Handlungsorientierungen. Da sagt etwa der Bürgermeister:

„Niemand darf nur noch sein eigenes Ich, seine eigene Sorge kennen.“ – Oder auch: „Deine Sorge ist auch die Sorge deines Nachbarn.“

In der mir vorliegenden zeitgenössischen Inhaltsangabe 16 findet nur der Bürgermeister kurze Erwähnung, nicht aber die Figur des Landrates. 17) Von den gezeigten und verbal erwähnten Hilfeleistungen der Sowjets berichtet die Inhaltsangabe nicht, sondern betont die im Film eher blaß bleibende Eigentätigkeit insbesondere der (Neu-)Bauern.

Dabei kann das Happy-End schließlich erst eingeleitet werden, nachdem sich eher Klugheit und Edelmut einzelner als der Vorteil des neuen Wirtschaftssystems bewiesen haben. Das Glück eines Kriegsheimkehrers und seiner Familie wird nun aus einer individuellen Perspektive eingefangen. 18) Im Film kommt am Ende der Bauer Jeruscheit (Fritz Wagner) aus der Kriegsgefangenschaft heim. Körperlich beschädigt, in der Haltung eines Erschöpften und Hoffnungslosen sucht er seine Frau und seine Kinder in jenem Dorf, das im Mitteipunkt der Handlung steht. Er begegnet dem Bürgermeister, der ihn nach der freundlichen Frage „Wie heißen Sie?“ sofort in die Gemeinschaft der Neusiedler einschließt: „Deine Familie ist bei uns. Du hast hier Deine Heimat gefunden.“ Bei diesen Worten legt der Bürgermeister Jeruscheit eine Hand auf die Schulter.

Am Ende des Films ist die Gruppe der Neu- und Altbauern nach einigen Erfolgen als Kollektiv gefestigt. Unterstützt wurden sie durch die sowjetische Militärregierung und durch die Fabrikarbeiter, die im deutlichen Blick auf eine Verbesserung auch ihrer eigenen Versorgungslage 19) für die Bauern in freiwilliger Arbeit neue Pf1üge gebaut haben. Zwar bestimmen immer noch abstrakte Forderungen und verbal propagierte Modelle die Szenerie. Das Filmende eröffnet optisch jedoch auch die Hoffnung auf ein individuelles Glück der Bauern.

In einer Versammlungsszene, gezeigt gegen Ende des 77-Minuten-Filmes, sagen die Bauern, sie seien zusammengekommen, um sich „Rechenschaft abzulegen“. Einerseits wird propagiert, daß jeder zunächst auf seine eigenen Kräfte bauen solle. Ein Bauer sagt: „Hilfe fordern darf einer erst dann, wenn seine eigenen Kräfte versagen.“ Andererseits geht es auch um gegenseitige Hilfe, zu der jedoch niemand erkennbar gezwungen wird, noch werden sol. Nach langem Widerstreben erklärt sich auch der Altbauer Melzig bereit, der „gegenseitigen Bauernhilfe“ seinen Zuchtbullen zur Verfügung zu stellen. Sein Widerstand wird dabei im Film nicht aufgrund einer sachlichen Einsicht in eine gesamtgesellschaftliche Notwendigkeit überwunden 20). Wie die Arbeiter in der Fabrik handelt er aus der Hoffnung auf einen persönlichen Vorteil, die nun nach einem „Eine-Hand-wäscht-die-andere-Geschäft“ realistisch erscheint. 21)

Auf einer allgemeineren Ebene bewegt sich dagegen die Mitteilung, man habe „sein Soll“ erfüllt. Was dies für die Dorfgemeinschaft und für die Region bzw. die Versorgung der Städte bedeutet, bleibt unklar.

Bewegender ist da schon die Ansprache des Bauern Jeruscheit, des Kriegsheimkehrers: Er meint, wenn ihm im Kriegsgefangenenlager jemand gesagt hätte: „Deine Frau hat bereits Saat gelegt“, hätte er es nicht geglaubt. Sein Dank an die anderen Neubauern ist Anlaß zu einer langen Kamerafahrt vorbei an den stummen, mit peinlich berührten Gesichtern dastehenden Bauern. „Laß’s gut sein“, sagt einer von ihnen schließlich unbeholfen, „wenn die Saat aufgeht, dann ist das Dank genug.“

Ist diese Aussicht noch eher unsicher formuliert, beschwört das Happy-End schließlich jene lichte Zukunft, die bereits die zeitgenössischen Rezensenten für den Film einnahm: Zu sehen sind Schulkinder, die etwas über die Tiere und die Pflanzenschädlinge ihrer Umgebung lernen und so für Tradition und Zukunftshoffnung stehen.

Die Schlußsequenz zeigt schließlich ein Paarbild: Das Ehepaar Jeruscheit, mit strahlenden Gesichtern in gemeinsamer Erntearbeit auf dem Feld. Ein Kameraschwenk in den Himmel beendet den Film.

Auch das Programmheft versucht in seiner Inhaltsnacherzählung diese positive Entwicklungsperspektive festzuschreiben, wenn es heißt:

„Tausende Menschen fanden eine neue Heimat und ihre Zukunft wird nicht mehr Flüchtlingselend und Hoffnungslosigkeit heißen, sondern sie wird am Ende den Anblick einer reichen und fruchtbaren Erde bieten.“ 22)

FREIES LAND versucht durch seine semidokumentarische und aspektreiche Anlage das gesellschaftliche Lösungsmode 1 1 der Bodenreform in seiner Sinnhaftigkeit zu erklären und dabei zugleich emotional für den einzelnen attraktiv als Hoffnung und Glück erscheinen zu lassen. Das Problematische dieses Films liegt m.E. jedoch gerade in einer Diskrepanz zwischen aktuell erlebter Realität und der modellhaften und idealisierenden Filmerzäh1ung. Insbesondere die verbalen Reflexionen der Bauern wirken zu künstlich. Der Handlungsausgang läßt seinen spekulativ-beschwörenden Charakter, besonders wenn man den Film aus analytischem und historischem Abstand betrachtet, deutlich hervortreten. Wollte man diese neue Wirtschafts- und Gesellschaftsreform unterstützt durch diesen Film propagandistisch konsensfähig machen, so gelang dieser Versuch – zumindest im Fall von FREIES LAND offenkundig nicht. Eine der ersten Kritiken stellte fest:

„Überraschend allerdings war der schwache Besuch dieses Filmes. Der Bildstreifen rollte vor vielen leeren Stuhlreihen ab. „23 Der Film fand von seiner Uraufführung im Oktober 1946 bis zum Jahr 1950 nur rund 110.000 Zuschauer.24

In seinem Versuch, eine grundlegende Umgestaltung, gesamtgesellschaftliche Lösung aus einer überkommenen (Besitz-) Ordnung zu propagieren und modellhaft vorzuführen, bleibt FREIES LAND auch unter den DEFA-Spielfilmen ein Ausnahmefall wie der (…) Spielfilm GRUBE MORGENROT.


Auszüge aus:
Bettina Greffrath: Verzweifelte Blicke, ratlos Suche, erstarrende Gefühle, Bewegungen im Kreis. Spielfilme als Quellen für kollektive Selbst- und Gesellschaftsbilder in Deutschland 1945 – 1949. Diss Universität Hannover 1993, S. 477-488

Kulturnotiz im nd vom 22.10.1946

„FREIES LAND“, ein Film von der Bodenreform. Die Defa bat einen Dokumentarfilm über die Bodenreform In der sowjetischen Zone hergestellt, der in einer fesselnden Szenenfolge, deren Bedeutung und Durchführung schildert. Das umfangreiche Material dieses Themas wird von einer Spielhandlung zusammengehalten und rollten zwangloser Anordnung ab …

Die meisten Kritiken des uraufgeführten Films  sind durch einen begeisterten Tonfall bestimmt. In FREIES LAND gehe es um das „große Werk der Bodenreform, durch die ein jahrhundertealter Traum seine Erfüllung gefunden hat, auf eigener Scholle zu Lebensbejahung und zutiefst empfundenem Arbeitswillen zurückzufinden“ 8).

Der besondere Vorzug dieses Filmes liege darin, daß „er die trüben Bilder stark zurücktreten und uns über lichtüberglänzte Felder und Landschaften schauen ließ, die in ihrer bildhaften Schönheit und ihrer durch schwer, aber doch in starkem Hoffnungsglauben arbeitende Menschen belebten künstlerischen Komposition zu einem rein ästhetischen Genuß wurden. „ 9)

Ein anderer Rezensent lobt: „Dieser Film, ohne Kulissen und ohne falsches Pathos, der sich nicht scheut, auch Schwächen und Fehler aufzuzeigen, ist der lebendige Ausdruck der unverwüstlichen Lebenskraft des deutschen Volkes, das sich seinen Platz an der Sonne des Lebens wieder erarbeiten will. “ 10)

 

FREIES LAND

(…) Wie knüpften Filmemacher, Produktionsfirmen und die Kontrollbehörden der Alliierten an ein Filmschaffen an, das in seinen größten künstlerischen und produktionstechnischen Anstrengungen immer im Dienst von Rassenhass, Antisemitismus, Faschismus und Kriegstreiberei stand? Welche Filme wurden für ein Publikum produziert, das die vergangenen zwölf Jahre kaum etwas anderes als Propaganda auf der Kinoleinwand gesehen hatte? Unsere Filmreihe »Die Jahre danach« wirft einen Blick auf diese sensible Phase deutscher Filmgeschichte der unmittelbaren Nachkriegszeit bis in die Hochphase des Kalten Krieges. Die Filme spiegeln damit nicht zuletzt sich wandelnde Konzeptionen von »Schuld«, »Verantwortung«, »Aufarbeitung« und »Neubeginn« – und es ist kaum verwunderlich, dass sich die entsprechenden Positionen in Ost und West zunehmend unterscheiden.

(…)

Wiederaufbau der Landwirtschaft nach dem Ende des Krieges. In einem brandenburgischen Dorf übernehmen Kleinbauern und Flüchtlinge den Hof eines vertriebenen Adligen und erlernen die neuen Prinzipien von Solidarität und Volkseigentum. Unter ihnen ist die aus Ostpreußen geflohene Frau Jeruscheit, deren Mann im Krieg vermisst ist und eines ihrer Kinder auf der Flucht starb. Hier in der neuen Gemeinschaft sind diese Schicksalsschläge erträglich. Selten gezeigter halbdokumentarischer Spielfilm,  der dem Publikum in der SBZ den Aufbau des Sozialismus nahebringen sollte. Der Regisseur Milo Harbich war im NS -Deutschland kein unbeschriebenes Blatt – so war er u.a. Regieassistent bei Hans Steinhoff und verantwortete den Schnitt bei Hitlerjunge Quex. Dennoch erhielt er eine Arbeitserlaubnis der DEFA und wurde später sogar Leiter der Abteilung für Kulturfilme. Sein Film Freies Land scheiterte beim Publikum – möglicherweise, weil er keine schönen Illusionen bot, sondern spröde Wirklichkeit. Heute ist dieser Film nahezu vergessen, und selbst die filmhistorischen Publikationen, die ihn pflichtschuldig auflisten, widmen ihm keine über die bloße Erwähnung hinausgehende Aufmerksamkeit.


aus: Landesbeautragter politische Bildung in Schlwesig-Holstein

Erlebnisse deutscher Flüchtlinge, Bauern und Neusiedler nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und zu Beginn der Bodenreform 1946. Gedreht in der Westprignitz und im Notstandsgebiet um Lebus. In der Mischung aus Reportage und Inszenierung spielen viele Betroffene sich selbst. Der lange vergessene zweite DEFA-Film nach Die Mörder sind unter uns.

In einem Drehbericht vom Juni 1946 vermeldete die Berliner Zeitung: »Alle machen mit: Einwohner, Häuser, Felder, Vieh.« Die Rede war vom zweiten langen Film der DEFA, Freies Land. Regisseur Milo Harbich versuchte sich an einer Mischung aus Reportage und Spielhandlung, ähnlich den Arbeiten der italienischen Neorealisten. Was geschah nach Kriegsende auf dem Land? Flüchtlingstrecks durchziehen die Dörfer, eine junge Frau muss eines ihrer Kinder am Wegrand begraben, der Mann war in den Krieg gezogen und gilt als vermisst.

Doch der Film begnügt sich nicht mit Bildern des Leids; sein Ziel war, Hoffnung zu vermitteln. So wird der Boden der Großgrundbesitzer verteilt, die Kleinbauern erhalten Hilfe von neu geschaffenen Maschinenstationen, und auch der Soldat kehrt zurück. Frieden und Bodenreform als Urquell besseren Lebens. – Freies Land ist trotz starker didaktischer Züge heute ein einmaliges Dokument jener Nachkriegsjahre.

https://www.kulturforum.info/de/termine/veranstaltungen/1023673-freies-land

 


Monatelang ziehen Flüchtlingstrecks aus Ostpreußen, Pommern und Schlesien gen Westen. Auf der Suche nach einer neuen Heimat erleben die Menschen oft Missgunst und Ablehnung. In der Sowjetischen Besatzungszone sucht man, dem zu begegnen, indem man viele der Vertriebenen ebenso wie viele einheimische Kleinbauern zu gleichberechtigten »Neubauern« macht: Jeder von ihnen bekommt ein Stück von jenem Land, das ursprünglich in die Westzonen geflohenen Großgrundbesitzern gehört hatte.

FREIES LAND beschreibt diesen Prozess mit semidokumentarischen Mitteln und erinnert stilistisch durchaus an die Anfänge des italienischen Neorealismus. Er ist innerhalb der DEFA-Geschichte ein Unikat, das Jahrzehnte lang vergessen war und erst am Ende der DDR wieder entdeckt wurde. (Filmarchiv Austria)

https://www.film.at/freies_land

Der Film berichtet von Flüchtlingen, die als Umsiedler neu beginnen. Der Aufbau zerstörter Dörfer, die Aufteilung des Bodens und der Anfang gegenseitiger Bauernhilfe –  in komplexer, experimenteller Montage werden die Veränderungen auf dem Lande hautnah und packend geschildert. Semi-dokumentarisch, unter Beteiligung von Laien gedreht, ist der Film trotz eindeutiger politischer Absicht keine bloße Propaganda, sondern ein Spiegelbild der Hoffnungen und Träume unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. Ein weitgehend unbekanntes, hochinteressantes Dokument über die Bodenreform in der Westprignitz im zweiten Film der DEFA.


Filmfestival Cottbud

Der Spielfilm „Freies Land“ von 1946 in der Regie von Milo Harbich und den Darstellern Ursula Voß, Fritz Wagner und Herbert Wilk zeigt die Lebenswirklichkeit wenige Monate nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Der in der Westprignitz gedrehte Film stellt anhand kaleidoskopischer Szenen verschiedene Facetten des schweren Neuanfangs nach dem Ende des Krieges im ländlichen Raum dar: zerstörte Substanz, herrenlose Güter, Vertriebene aus dem Osten und Hamsternde aus der Stadt – ganz abgesehen von den seelischen Verwüstungen, die der Krieg hinterlassen hat. In einer manchmal überraschend improvisiert wirkenden Mischung aus Spiel- und Dokumentarszenen verbirgt der Film seine didaktischen Motive nicht, hält sich aber mit platten propagandistischen Parolen zurück. Ein Film der unter die Haut geht.

aus: https://www.schwedt.eu/de/441308

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