Auf der Flucht (1991)

Inhalt

Eine Familie – Vater, Mutter, Sohn – flüchten am Ende des 2. Weltkrieges durch eine Waldlandschaft. Da der Junge vor Erschöpfung zu verhungern droht, versucht der Vater etwas zu essen zu organisieren. Nach langem Suchen findet er in einem verlassenen Bauernhaus ein Laib Brot. Auf dem Rückweg wird er von einem Platzregen überrascht, der das Brot zunehmend aufweicht. Nach einem Moment des Zögerns isst der Mann das Brot auf. Nach der Rückkehr zu seiner Frau teilt er ihr mit, dass er nichts gefunden habe. Als er nach einem kurzen Schlaf wieder aufwacht, ist sein Sohn gestorben.

Die Kurzgeschichten „Auf der Flucht“ von Wolfdietrich Schnurre sowie „Das Brot“ ,Nachts schlafen die Ratten doch“ und „Jesus macht nicht mehr mit“ von Wolfgang Borchert gehören zu den wichtigen literarischen Verarbeitung von Alltagserfahrungen im Krieg. Die beschriebenen Extremsituationen sind jedoch nicht nur auf Kriegszeiten beschränkt, viele Menschen haben zum Beispiel in der Nachkriegszeit ähnliche Erfahrungen durchmachen müssen. In ihrer knappen sowie treffenden Sprache und der Dichte der menschlichen Erfahrungen in Extremsituationen sprechen sie auch die heutige Schülergeneration an. Auch wenn ihr die Erfahrungen von Not, Hunger und Elend fehlen, so erlangen die Geschichten durch aktuelle Kriegsbilder eine ungeahnte Aktualität.
In den 1990er Jahren verfilmte der Regisseur Wolfgang Küper drei Erzählungen von Wolfgang Borchert und Wolf-Dietrich Schnurre, die sich mit den existenziellen Grenzerfahrungen der Menschen im Krieg und in der Nachkriegszeit beschäftigen. 
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Medienart: 16 mm, VHS, schwarzweiß
Laufzeit: 15 Minuten
Buch, Regie: Wolfgang Küper nach der Erzählung „Auf der Flucht“ von Wolf- Dietrich Schnurre
Darsteller: Achim Grubel, Adriana Altaras, Jeremy Küper
Kamera: Peter C. Arnold, BVK
Ton: Andreas Kaufmann
Musik: John Leigh
Schnitt: Ursula Henning
Produktion: Les Films des Mistons, Berlin
Produktionsland: Bundesrepublik Deutschland
Produktionsjahr: 1991
Bezug: Les Films des Mistons, Uhlandstraße 47, 10719 Berlin
Bilder Ort
Inhalt und Kamerabewegung
Dialoge
Bild 1

Waldlichtung
außen
Tag

(Titel)

(Aufblende)

Sehr langsamer Schwenk über ein Waldstück. Viele Bäume sind tot, abgestorben und verbrannt. Es herrscht große Hitze. Dichte giftig-gelbe Schwaden ziehen zwischen den Baumstämmen hindurch. Im Hintergrund hören wir fernen Geschützdonner und noch weiter weg vereinzelte Maschinengewehrsalven. Tote Waldtiere liegen am Boden.

In diese Szenerie schleppen sich ein Mann mittleren Alters, eine ebensolche Frau und ein etwa sechsjähriges Kind, ein Junge. Sie können kaum noch laufen. Es ist offensichtlich, dass ihnen auf ihrer Flucht jeder Schritt große Willenskraft abverlangt. Ihre Kleider sind ärmlich und ihre Gesichter von den Strapazen gezeichnet. Ihre einzigen Habseligkeiten befinden sich in einem alten, verschlissenen Leinensack, den sich der Mann über die Schulter geworfen hat. Endlich bleiben sie an einer kleinen Lichtung stehen. Sie können nicht mehr weiter. Dann lassen sie sich erschöpft in das heiße Gras sinken. Der Geschützdonner hört nicht auf. Der Junge kauert still im Schoß seiner Mutter. Er ist eingeschlafen.

Nach einer Weile steht der Mann abrupt auf.

 

Der Mann zuckt müde mit den Schultern. Er legt für einen Moment die Hände auf die Schultern seiner Frau, wie um ihr Kraft zu spenden. Dann löst er sich von ihr und geht langsam in den sterbenden Wald zurück.

 

 

Mann:
Er verhungert……. Ich hol‘ was zu essen!
Frau:
(schaut erstaunt zu ihm auf) Woher?

Bild 2 – 6 Wald
außen
Tag

(Die verschiedenen Einstellungen dieses Bildes werden durch Überblendungen miteinander verbunden, um deutlicher zu machen, dass der Mann eine große Strecke zurücklegt)

Auf seinem Weg durch den Wald schneidet der Mann Zeichen in die Bäume, um sich den Rückweg zu ermöglichen. Er läuft durch tote Gegenden, ausgetrocknete Bachläufe und staubende Landschaften. Er muss mehrmals ausruhen, denn er ist am Ende seiner Kräfte.

Plötzlich und unerwartet entdeckt der Mann ein einsam gelegenes Gehöft.

 
Bild 7 Der Bauernhof
außen
Tag

Langsam und vorsichtig nähert sich der Mann dem Hof. Die Gebäude weisen Spuren großer Zerstörung auf und sind offensichtlich fluchtartig verlassen worden.

Erst schaut er in die Fenster, dann tritt der Mann in das Dunkel des ersten Hauses.

 
Bild 8 Das 1. Haus
innen
Tag

Das Haus ist innen sehr kahl und ärmlich. Die wenigen Gegenstände sind zerschlagen und liegen am Boden.
Die Schublade ist aus dem Tisch gerissen.Töpfe liegen verbeult am Boden; die Fenster sind zerbrochen.
Verzweifelt reißt der Mann die Schranktüren auf. Er sucht zwischen all diesen Trümmern nach etwas Essbarem.
Aber er findet nichts. Im Herd ist nur schwarzer Staub.

 
Bild 9 Hofweg und 2. Haus
außen
Tag

Der Mann geht jetzt schneller zum Nebengebäude.
Während er das kleine Haus durchsucht, bleibt die Kamera draußen stehen.

Wir hören den scheppernden Lärm von Blechtöpfen und zerschlagenem Porzellan.
Mit verzweifeltem Ausdruck im Gesicht erscheint der Mann wieder in der Tür.

Er wendet sich nun zum letzten Haus.

 
Bild 10 Das 3. Haus

In der Küche des letzten und größten Hauses öffnet der Mann die Ofenklappe und findet hier, kurz bevor er aufgeben will, einen vergessenen steinharten Laib Brot.
Gierig führt er das Brot zur Nase.
Mit geschlossenen Augen zieht er diesen verlockenden Geruch in sich ein.
Er spürt seinen entsetzlichen Hunger.

Dann kommt er wieder zu sich. Das Brot ist ja für seinen Sohn bestimmt.

 
Bild 11 Der Regen / das Feld

Als der Mann den Hof verlässt, zerreißt ein Donnerschlag die Stille.
Der Mann läuft vornübergebeugt, das Brot unter dem Arm.
Er wagt nichts davon abzubrechen; er will es der Frau aufheben und dem Kind. Die Qual und die Anstrengung zeichnen sich auf seinem Gesicht ab.
Schweiß tropft ihm in seinen Bart.
Er sieht nach oben in den Himmel.
Bedrohlich schwarze Wolken sind aufgezogen. Die Sonne verschwindet.
Er kneift die Augen zusammen und läuft schneller. Die Füße brennen.
Ein neuer Donnerschlag.
Der Mann packt das Brot fester und läuft noch schneller. Ein weiterer Donnerschlag.
Wind kommt auf.
Die ersten Tropfen fallen. Sie knallen wie Erbsen auf den trockenen Boden. Der Mann rennt.
Aber der Regen ist schneller. Weit vor dem Wald noch holt er den Mann ein. Jetzt gießt es in Strömen.
Der Mann bleibt stehen.
Um ihn herum ist auf einmal nichts mehr als Wasser.
Es läuft am Gesicht, am Körper hinunter. Und es fließt in das Brot, macht es weich wie einen Schwamm und nagt an ihm.
Der Mann kann nun nichts mehr erkennen. Er hat die Richtung verloren.
Das Brot rutscht ihm aus den Händen, fällt in den Schlamm und zerbricht.
Er versucht, die Teile des Brotes wieder zusammenzufügen.
Es gelingt ihm nicht; der Regen macht jeden Versuch zunichte. Der Mann sieht auf das Brot. Der Regen rauscht unaufhörlich. Dann geschieht es.
Der Mann ergreift die Reste des Brotes mit beiden Händen und presst das Wasser aus dem unförmigen Laib.
Er beißt hinein, er schluckt und würgt, wie ein Tier am Futtertrog.
Die Welt um ihn herum existiert nicht mehr.
So bemerkt er auch nicht, dass der Himmel wieder aufhellt und der Regen plötzlich aufhört. Erst als er alles aufgegessen hat, wird ihm klar, was er soeben getan hat.
Seine Finger krallen sich in den weichen Morast. Dann fällt er verzweifelt vornüber.
Ein Schluchzen schüttelt seinen Körper, seine Schultern zucken.
Schließlich kommt er wieder auf die Beine.
Die Nässe verdampft.
Der Mann stolpert auf den nahen Wald zu.

 
Bild 12 – 14 Wald / Rückweg
außen
Tag
Der Mann geht den Weg zurück zu seiner Familie.
Obwohl er nun frischer und ausgeruhter sein müsste, geht er langsamer und mit hängenden Schultern.
Sein Gewissen bedrängt ihn unaufhörlich.
 
Bild 15 Waldlichtung
außen
Tag

Von weitem schon sieht er sie sitzen.
Die Frau und das Kind.
Sie haben ihre Position kaum verändert.
Ganz verloren wirken Frau und Kind, wie sie auf dem Waldboden liegen.
Er geht auf die beiden zu. Die Frau schaut ihn erwartungsvoll an.

Der Mann sieht auf seinen Sohn. Der ist leichenblass und zu erschöpft, um sich bewegen zu können.
Dann wendet er sich wieder seiner Frau zu.
Voller Scham senkt er die Augen, dann hebt er sie zögernd wieder.
Er kann ihr nicht ins Gesicht sehen.
Mit niedergeschlagenem Blick schüttelt er den Kopf.

Er hebt die Augen kurz um sie anzuschauen, lässt sie jedoch sofort wieder sinken.
Die Frau beobachtet ihn misstrauisch.
Sie begreift, dass sie von ihrem Mann belogen wird.
Der Mann legt sich wortlos in einiger Entfernung zu den beiden anderen auf den Boden um zu schlafen. Er kann den Blick seiner Frau unmöglich länger ertragen.(Abblende)

(Aufblende)
Der Mann erwacht wieder und richtet sich auf dem Ellenbogen auf.
Etwas hat sich verändert.
Die Frau hat sich jetzt auch hingelegt. Teilnahmslos starrt sie in den Himmel.
Das Kind liegt regungslos neben ihr.

 

Der Mann fährt ungläubig hoch.

 

Die Frau weint. Die Tränen verschaffen ihr keine Erleichterung.
Ihr Schluchzen wird stärker. Der Mann ist wie erstarrt.
Dann streckt er die Hände nach seinem toten Kind aus und nimmt es in den Arm.
Zärtlich wiegt er den kleinen Körper und beginnt das Schlaflied seines Sohnes zu singen.

 

(Kreisblende ins Schwarze)
(Abspann)

Frau: Hast du was gefunden?

 

Mann: Nichts!

 

 

Mann: Was ist?
Frau: (ohne ihre Haltung zu verändern) Er ist tot!

Frau: Er ist gestorben, während du schliefst.
Mann: (sehr erregt) Warum hast du mich nicht geweckt?
Frau: Warum hätte ich dich wecken sollen?

 

Mann: (singt)
Saßen einst zwei Hasen, fraßen ab das grüne Gras bis auf den Rasen…

Auf der Flucht

Der Mann hatte einen Bart und war schon etwas älter; zu alt fast für die Frau.Und dann war auch noch das Kind da, ein ganz kleines.Das schrie dauernd, denn es hatte Hunger. Auch die Frau hatte Hunger. Aber sie war still, und wenn der Mann zu ihr hinsah, dann lächelte sie; oder sie versuchte es doch wenigstens. Der Mann hatte auch Hunger.
Sie wussten nicht, wohin sie wollten; sie wussten nur, sie konnten in ihrer Heimat nicht bleiben, sie war zerstört.
Sie liefen durch Wald, durch Kiefern. In denen knisterte es. Sonst war es still.Beeren oder Pilze gab es nicht; die hatte die Sonne verbrannt. Über den Schneisen flackerte Hitze. Das bisschen Wind wehte nur oben.Es war für den Bussard gut; Reh und Hase lagen hechelnd im Farn.
„Kannst du noch?“ fragte der Mann.
Die Frau blieb stehen. „Nein“, sagte sie.
Sie setzten sich. Die Kiefern waren mit langsam wandernden Raupen bedeckt.Blieb der Wind weg, hörte man sie die Nadeln raspeln. Das knisterte so; und es rieselte auch: Nadelstücke und Kot, wie Regen.
„Nonnen“, sagte der Mann; „sie fressen den Wald auf.“ „Wo sind die Vögel?“ fragte die Frau.
„Ich weiß nicht“, sagte der Mann; „ich glaube, es gibt keine Vögel mehr.“
Die Frau legte das Kind an die Brust. Doch die Brust war leer. Da schrie das Kind wieder.
Der Mann schluckte.Als das Kind anfing, heiser zu werden, stand er auf.
Er sagte: „Es geht so nicht länger.“
„Nein“, sagte die Frau.Sie versuchte zu lächeln, es gelang ihr nicht.
„Ich hol was zu essen“, sagte der Mann.
„Woher“, fragte sie.
„Lass mich nur machen“, sagte er.
Dann ging er.
Er ging durch den sterbenden Wald.Er schnitt Zeichen ein in die Bäume.
Er kam an eine Sandrinne. Die war ein Bach gewesen. Er lief über einen schwarz staubenden Platz. Der war eine Wiese gewesen.
Er lief zwei Stunden. Dann fing die Sandheide an. Auf einem Stein lag eine Kreuz­otter; sie war verdorrt. Das Heidekraut staubte.
Später kam er an einen unbestellten Acker.Darauf auch in ein Dorf; das war tot.
Der Mann setzte sich auf eine Wagendeichsel. Er schlief ein. Im Schlaf fiel er herunter. Als er aufwachte, hatte er Durst; sein Gaumen brannte.
Er stand auf, er taumelte in ein Haus.In dem Haus war es kahl. Die Schublade war aus dem Tisch gerissen und lag auf der Erde.Die Töpfe waren zerschlagen; auch die Fenster.Auf der Ofenbank lag ein Tuch. In das Tuch war ein halbes Brot eingebunden; es war hart.
Der Mann nahm es und ging.In den andern Häusern fand er nichts; auch kein Wasser.In den Brunnen lag Aas.
Von dem Brot wagte er nichts abzubrechen. Er wollte es der Frau aufheben. Feldfrüchte fand er nicht. Auch Tiere gab es nicht mehr; nur tote: Katzen, einige Hühner. Sie westen.

Ein Gewitter hing in der Luft.
Auf dem Feld zertrat der Mann eine Eidechse.Sie zerfiel in Staub.
Es donnerte. Vor dem Wald standen Glutwände. Er ging vornübergebeugt. Das Brot trug er unter dem Arm. Schweiß troff ihm in den Bart. Seine Fußsohlen brannten. Er lief schneller. Er kniff die Augen zusammen. Er sah in den Himmel. Der Himmel war schweflig; es blitzte.Nachtwolken kamen.
Die Sonne verschwand.

Der Mann lief schneller. Er hatte das Brot in den Hemdausschnitt geschoben, er presste die Ellenbogen dagegen.
Wind kam. Tropfen fielen. Sie knallten wie Erbsen auf den dörrenden Boden.
Der Mann rannte. Das Brot, dachte er, das Brot.
Aber der Regen war schneller. Weit vor dem Wald noch holte er den Mann ein.
Blitze zerrissen den Himmel. Es goss.
Der Mann drückte die Arme gegen das Brot. Es klebte. Der Mann fluchte. Doch der Regen nahm zu. Der Wald vorn und das Dorf hinten waren wie weggewischt.Dunstfahnen flappten über die Heide. In den Sand gruben sich Bäche.
Der Mann blieb stehen; er keuchte. Er stand vornübergebeugt. Das Brot hing ihm im Hemd, unter der Brust.Er wagte nicht, es anzufassen.Es war weich; es trieb auf; es blätterte ab.
Er dachte an die Frau, an das Kind. Er knirschte mit den Zähnen. Er verkrampfte die Hände. Die Oberarme presste er eng an den Leib. So glaubte er, das Brot besser schützen zu können.
Ich muss mich mehr über es beugen, dachte er; ich muss ihm ein Dach machen mit meiner Brust.Er darf’s mir nicht schlucken, der Regen; er darf nicht. Er kniete sich hin. Er neigte sich über die Knie.Der Regen rauschte; nicht zehn Schritte weit konnte man sehen.
Der Mann legte die Hände auf den Rücken. Dann beugte er die Stirn in den Sand. Er sah sich in den Halsausschnitt. Er sah das Brot. Es war fleckig; es bröckelte; es sah aus wie ein Schwamm. Ich werde warten, dachte der Mann. So werde ich warten, bis es vorbei ist.
Er wusste: er log; keine fünf Minuten hielt das Brot mehr zusammen. Dann würde es sich auflösen, würde wegfließen; vor sei­nen Augen.
Er sah, wie ihm der Regen um die Rippen herumfloss. Auch unter den Achseln schossen zwei Bäche hervor. Alles spülte über das Brot hin, sickerte in es ein, nagte an ihm.Was abtropfte, war trüb, und Krümel schwammen darin.
Eben noch war es geschwollen, das Brot, jetzt nahm es ab; Stück um Stück, und zerrann.
Da begriff er: Frau hin, Frau her; er hatte die Wahl jetzt: entweder es sich auflösen zu lassen oder es selber zu essen.
Er dachte: „Wenn ich es nicht esse, geht es kaputt, ich bleibe schlapp, und wir gehn alle drei vor die Hunde.Ess ich es aber, bin wenigstens ich wieder bei Kräften.“
Er sagte es laut, er musste es laut sagen; wegen der andern Stimme in ihm, wegen der leisen.
Er sah nicht den Himmel, der im Westen aufhellte.Er gab nicht acht auf den Regen, der nachließ.Er sah auf das Brot.
Hunger, dachte es in ihm, Hunger.Und: Brot, dachte es, Brot.
Da tat er’s.

Er ergriff es mit beiden Händen. Er drückte es zu einer Kugel zusammen. Er presste das Wasser heraus. Er biss hinein; er schlang; er schluckte: Kniend, wür­gend; ein Tier. So aß er es auf.
Seine Finger krallten sich in die Heide, in den nassen Sand.Die Augen hielt er geschlossen. Dann fiel er um. Seine Schultern zuckten.
Als er auftaumelte, knirschte ihm Sand zwischen den Zähnen.
Er fuhr sich über die Augen. Er blinzelte. Er starrte in den Himmel.
Sonne brach durch das Grau. Die Regenfahnen hatten sich in Dunst aufgelöst.Ein paar Tropfen noch, dann war er vorüber, der Guss. Helles Blau; die Nässe verdampfte.
Der Mann stolperte weiter. Die Handgelenke schlenkerten ihm gegen die Hüften.Das Kinn lag auf der Brust.
Am Waldrand lehnte er sich an eine Kiefer. Von weither war der Regenruf des Buchfinken zu hören; auch ein Kuckuck schrie kurz.
Der Mann suchte die Zeichen an den Bäumen; er tastete sich zurück. Im Farn und im Blaubeerkraut gleißten die Trop­fen. Die Luft war dick vor Schwüle und Dampf.
Den Nonnen war das Gewitter gut be­kommen; sie wanderten schneller die Stämme hinauf.
Der Mann machte oft halt. Er fühlte sich schwächer als auf dem Herweg.Sein Herz, seine Lunge bedrängten ihn. Und Stimmen; die vor allem.
Er lief noch einmal drei Stunden; die Rastpausen eingerechnet.Dann sah er sie sitzen; sie hatte den Oberkörper an eine Kiefer gelehnt, das Kind lag ihr im Schoß.
Er ging auf sie zu.
Sie lächelte. „Schön, dass du da bist.“
„Ich habe nichts gefunden“, sagte der Mann.Er setzte sich.
„Das macht nichts“, sagte die Frau. Sie wandte sich ab.
Wie grau sie aussieht, dachte der Mann.
„Du siehst elend aus“, sagte die Frau. „Versuch, ein bisschen zu schlafen.“
Er streckte sich aus. „Was ist mit dem Kind; warum ist es so still?“
„Es ist müde“, sagte die Frau.
Der Atem des Mannes fing an, regelmäßig zu gehen.
„Schläfst du?“ fragte die Frau.
Der Mann schwieg.
Nur die Nonnen raspelten jetzt.

Als er aufwachte, hatte die Frau sich auch hingelegt; sie sah in den Himmel.
Das Kind lag neben ihr, sie hatte es in ihre Bluse gewickelt.
„Was ist“, fragte der Mann.
Die Frau rührte sich nicht. „Es ist tot“, sagte sie.
Der Mann fuhr auf. „Tot?“ sagte er;
„tot -?l“
„Es ist gestorben, während du schliefst“, sagte die Frau.
„Warum hast du mich nicht geweckt?“
„Warum sollte ich dich wecken?“ fragte die Frau.


aus: Wolfdietrich Schnurre: Die Erzählungen. Olten (Walter) 1966, S. 24 – 28

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