Die zeitgenössische Presse zum Filmschaffen in den Nachkriegsjahren

Die Filmleistungsschau, deren letzte Vorführung (am.19.2.) mit Rossellinis Erstling „Paisa“ die Filmausstellung in Braunschweig abschloß (vgl. Freie Presse vom 11.2.50), spiegelt beispielhaft die schwierige Situation des gegenwärtigen Filmschaffens in Deutschland: Statt der mindestens 60 Streifen, die notwendig sind, um der ausländischen Konkurrenz zu begegnen, sind zur Zeit nur sechs in Arbeit. Wie bedeutend andererseits der Film als Wirtschaftsmacht ist, beweist die Tatsache, daß nach vorsichtigen Schätzungen allein in Hamburg Zehntausende von Menschen ganz oder mit Teileinkommen vom Film leben, nicht nur die Produzenten, Kinobesitzer, Verleih, sondern auch Tischler, Schneider, Friseure. Billettkontrolleure usw.

Von besonderem Interesse in Braunschweig war die Vorführung des Spielfilms „Dreizehn unter einem Hut“ der sehr aktiven Jungen Film-Union Rolf Meyers, die vor den Toren Hamburgs in Bendesdorf ihre „Traumfabrik“ errichtet hat. Der Film mit Volker von Collande wurde als „Testvorstellung“ gezeigt. Dieses neue Verfahren bürgerte sich in Deutschland nach 1945 ein. Einem bunt gewürfelten, geladenen Publikum werden mit Beginn der Vorstellung Fragebogen ausgehändigt. Der Produzent bringt auf Grund der Auswertung des Ergebnisses letzte Änderungen an seinem Film an. Die endgültige Uraufführung wird in etwa zwei Wochen stattfinden – wir möchten ihrem Ergebnis nicht vorgreifen. Die Tatsache solcher Testvorstellungen deutet auf künstlerische Unsicherheit des Produzenten, aber schließlich entscheidet „Majestät Publikum“ über das „Hereinspielen“ der investierten Mittel.

Starken Eindruck erzielte die endlich erfolgte Aufführung in Norddeutschland des bereits lange vorliegenden Streifens „Lang ist der Weg“, der sich mit dem Schicksal einer jüdischen Familie auseinandersetzt. Deutsche und jüdische Künstler unter Herbert Fredersdorf wirkten in Geiselgasteig zusammen, jüdische Musik umrahmt den Streifen, der am 1. September 1939 in Warschau beginnt. Deutsche Luftangriffe, das Ghetto, die <Vernichtungslager, scheinbare Befreiung durch die Russen, Übersiedlung in deutsche Lager, schließlich die Hoffnung auf neue Heimat der dezimierten Familie – der Ausklang des Films, in den auch deutsche Schicksale hineinspielen, ist durchaus versöhnend. „Wie soll es einen Frieden geben, wenn wir nicht aufhören uns zu hassen?“ – gerade dieser Film mit seinen realistischen, aber von einer kraftvollen Idee getragenen Szenen läßt die Hintergründigkeit der Zeit ahnen, die dann Rossellini mit einmaligen Schwung einfing, daß wir durchaus vom neuen veristischen Stil der Italiener sprechen können.

Rossellini schildert in „Paisa“ das einfache Leben im Umbruch unserer Tage. Er ist besessen von der Kamera, er kommt nicht aus dem Atelier, sondern von der Straße. Er sieht, er dichtet den Alltag. Er gibt den Film der Leidenschaft, und wie die Leidenschaft sich illusionslos darbietet, so bieten sich seine Filme illusionslos dar. Sie scheinen gegenüber den anerkannten Werken der neueren Zeit eine Stufe vor dem Kunstwerk zu stehen, sie sind naiv und erzählen viel, wie der Italiener viel erzählt. Und dennoch gelingt der Kamera eine ähnliche Straffung, wie dem biel bewußteren Carol Reed im „Dritten Mann“.

Herman Kind

Hamburger Freie Presse, 21.02.1950

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