Vom Kino zum Fernsehen

Ganz neu waren Fernsehproduktionen für die Bendestorfer Ateliers zu dieser Zeit freilich nicht mehr: Bereits in den fünfziger Jahren wurden hier auch Fernsehfilme und -serien für den NWDR hergestellt, unter anderem die legendäre ,,Familie Schölermann“. Dieser Urahn aller deutschen Fernsehserien – Titel: UNSERE NACHBARN HEUTE ABEND – wurde von 1954 bis 1960 produziert, insgesamt 177 Folgen, nicht wenige davon waren sogenannte Straßenfeger. Willy Krüger, Lotte Rausch und Charles Brauer, der den ältesten Sohn der Familie Schölermann spielte, begleiteten die Zuschauer durch die Erscheinungen des Wirtschaftswunders: So kreisten die Handlungen etwa ums Autofahren, neue Küchengeräte und die beginnende Urlaubswelle.

Besonderes Aufsehen erregte auch die Silvestersendung 1961/62, aus den Bendestorfer Ateliers live ausgestrahlt – wie dies übrigens bei allen Fernsehproduktionen bis Ende der fünfziger Jahre der Fall gewesen war. Der Regisseur Harald Vock hatte eine große Show angekündigt – „Was die Amerikaner können, muss doch, auf deutsche Verhältnisse übertragen, auch bei uns möglich sein“ (10), – und die Realisierung rief sowohl beim Publikum als auch bei Fachleuten ein positives Echo hervor. Die Zusammenarbeit mit dem NWDR (ab 1960 NDR) endete jedoch wenig später, nachdem sich die Fernsehanstalt an dem Studiobetrieb der Real-Film in Hamburg (später Studio Hamburg) beteiligt hatte. Neben wenigen Produktionen für ARD-Anstalten – etwa die ab 1966 vom Bayerischen Rundfunk produzierte Serie LANDARZT DR. BROCK mit Rudolf Prack – konnte vor allem das im Jahre 1963 auf Sendung gegangene Zweite Deutsche Fernsehen die entstandene Lücke in Bendestorf füllen.

Für das ZDF wurden in den sechziger Jahren zahlreiche Fernsehfilme und –spiele in Bendestorf produziert, etwa SENOR RIZZI KEHRT HEIM (1963), DIE FLASCHE (1965), eine Produktion der “Studio-Film“ nach Ringelnatz unter der Regie von Helmut Käutner, DER FALL HAU (1965), ein Dokumentarspiel nach einem historischen Kriminalfall aus dem Jahre 1906, HALUNKENSPELUNKE (1966) usw. Bekannter dürften wohl die Fernsehserien sein, die als Auftragsproduktionen für das ZDF in Bendestorf produziert wurden (und zum Teit jüngst wieder im Fernsehen zu sehen waren). Dazu gehören JOHN KLING’S ABENTEUER, eine ab 1965 produzierte Detektivserie mit Helmut Lange und Uwe Friedrichsen, PERCY STUART mit Claus Wilcke und Horst Keitel, vom ZDF ausgestrahlt ab 1969, und CLIFF DEXTER, ZDF-Erstsendung im Jahre 1968, in der Titelrolle Hans von Borsody. Für die zuletzt genannte Serie, in deren Zentrum der gleichnamige Detektiv steht, wurden dreizehn Folgen abgedreht, die – an amerikanischen Vorbildern orientiert – als „harte Krimis“ angekündigt wurden. Aus heutiger Sicht eröffnet sich hier eine eher betuliche Welt, in der Gut und Böse genau so klar zu trennen sind wie die Geschlechterrollen.

Als das ZDF Ende der sechziger Jahre die Eigen- und Auftragsproduktionen aus Kostengründen auf drei Standorte beschränkte (Hamburg, Berlin und München) und sich aus dem Heidedorfzurückzog, war dies ein schmerzlicher Einschnitt für die Betreiber der Ateliers. Es blieben zunächst nur Werbefilme für Film und Fernsehen, ein Branchenzweig, der sich in den sechziger Jahren verstärkt herausgebildet hatte. In dieser ökonomisch schwierigen Situation gelang es, zwischen 1969 und 1974wieder einige Kinofilme in Bendestorf zu produzieren. Diese Wiederbelebung der Spielfilmproduktion hing mit der Verabschiedung des Filmförderungsgesetzes in der Bundesrepublik zusammen. (11) Zwei kleinere Produktionsfirmen, die AP-Film und die Saturn-Film, richteten eigene Büros auf dem Bendestorfer Ateliergelände ein, und auch die Produktionsfirma „Studio-Film“ der Familie Fink agierte in mehreren Fällen als Produzent bzw. Co-Produzent. Es war die Zeit, als die sogenannte Sex-Filmwelle durch die deutschen Kinos schwappte, und für einige dieser Streifen fielen in Bendestorf die Hüllen, so etwa in OTTO UND DIE NACKTE WELLE (1969), DAS GELBE HAUS AM PINNASBERG (1970) und DAS FREUDENHAUS (1971). Daneben gab es aber auch eine Produktion der „Studio-Film“, von der man meinte, dass sie eine ,,willkommene Abwechslung nach all den Sex-Filmen in letzter Zeit“ sei: KLEIN ERNA AUF DEM JUNGFERNSTIEG (1969). In den Produktionsvorbereitungen dieses Streifens, der an die Erfolge des „heiteren Famitienfilms“ anknüpfen sollte, wurde so manches versucht, um den Film einem großen Publikum schmackhaft zu machen. In der Hamburger Ausgabe der Bild-Zeitung wurde ein über Wochen dauerndes Preisausschreiben veranstaltet. Gesucht wurde – neben Publicity – eine Darstellerin für die Rolle der Klein Erna. Unter 1000 Kandidatinnen wurde schließlich Gitta Zeidler aus Neu-Gülzow erwählt. Die männlichen Pendants – Lütt-Heini und dessen Freund – wurden von Bendestorfer Schuljungen gespielt. Das Filmplakat warb mit dem Slogan „Ein Pflicht-Film für Norddeutsche“. Um auch die Gemüter im süddeutschen Raum anzusprechen, war noch ein „krachlederner Bilderbuch-Bayer als Super-Sepp in das Drehbuch eingebaut“ worden.“ Nicht zuletzt kursierten in der Presse einschlägige Klein Erna-Witze. Der Film wurde wohl ein mäßiger finanzieller Erfolg, was aber nichts an der schwierigen Situation in den Bendestorfer Ateliers änderte: Die Anlage war Ende der sechziger/Anfang der siebziger Jahre nur zu 25% ausgelastet, statt wie in Spitzenzeiten 200 Mitarbeiter wurden zur Produktionszeit von KLEIN ERNA noch 50 Angestellte beschäftigt. Einzig die Produktion von Werbefilmen erbrachte kontinuierliche Einnahmen. Um die Ateliers zu beleben, wurde Mitte der siebziger Jahre sogar eine „Bendestorfer-Messe“ für Freizeit, Hobby, Haus und Garten auf dem Gelände veranstaltet, die immerhin einige tausend Besucher anzog.

Atelierbetriebe Bendestorf

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